Ängste der Vergangenheit
Tootles konnte nicht verstehen, warum die anderen so herum jammerten.
Er hatte kein Interesse daran an einer Schlacht mit zu wirken.
Aber die anderen regten sich schon die ganze Zeit darüber auf, dass Deer ihnen verboten hatte mit zu kommen.
Sie wollten nicht einfach hier hocken bleiben und darauf warten, dass der Kampf vorbei war.
Schmetterling war sogar richtig beleidigt. Typisch Frau.
"Ihr seid zu klein, das ist gefährlich!", äffte sie gerade ihren Vater nach und stöhnte dann laut.
Sie hockte mit den Jungen zusammen, was Tootles sowieso schon verwundete.
"Na ja...", murmelte er vorsichtig, "Da hat er doch recht mit, oder?"
"Nein, hat er nicht!", schimpfte Schmetterling sofort los, "Ich kann mich auch gut verteidigen und ich will auch mal ein Abenteuer erleben! Seid ihr gar nicht neidisch, dass Peter dabei sein darf?"
"Nein", antworteten Tootles und Nibs gleichzeitig.
"Wir machen uns nur Sorgen.", fügte Nibs hinzu, "Das ist ja schließlich gefährlich."
Schmetterling stöhnte erneut laut auf.
"Ihr seid solche Luschen!", rief sie verärgert, "Typisch Männer!"
Tootles musterte Schmetterling verständnislos.
Irgendwie hatte er sich Mädchen anders vorgestellt. Nicht so... gesprächig, um es nett auszudrücken.
"Also ich bin auf jeden Fall sauer, dass Lily mit durfte, aber ich nicht", schmollte Schmetterling vor sich hin. Tootles fragte sich, ob sie wusste, dass sie das gerade laut gesagt hatte.
"Tigerlily kann sich aber auch in einen Tiger verwandeln...", meinte einer der Zwillinge.
"...und du nur in einen Schmetterling.", beendete der andere Zwilling den Satz.
"Ich weiß", erwiderte Schmetterling gereizt, "Das braucht ihr mir nicht nochmal unter die Nase zu reiben."
Die Twins zuckten mit den Schultern und schwiegen.
"Aber wann erlebt man schon mal eine richtige Schlacht?", fuhr Schmetterling fort und ihre Stimme verfiel in Ehrfurcht, "So richtig mit Kämpfen und Abschlachten und Blut spritzen..."
Tootles fuhr ein Schauder über den Rücken, sagte aber nichts. Er hatte nicht das Bedürfnis so etwas jemals zu erleben.
"Sag mal", mampfte Slightly, der natürlich gerade wieder etwas aß, "Redest du immer so viel?"
Schmetterling zog einen noch größeren Schmollmund und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
Tootles sah, wie Nibs die Augen verdrehte. Slightly aß einfach weiter, ohne Schmetterling zu beachten.
Und Tootles schwieg.
Er konnte ja verstehen, dass Schmetterling lieber bei ihrem Vater und ihrer Schwester sein wollte, falls ihnen etwas passierte, aber er konnte nicht verstehen, warum sie einfach bei einer Schlacht dabei sein wollte.
Wer wollte denn schon um sein Leben kämpfen müssen und dabei ganz viele Leute umbringen? Außer den Piraten garantiert niemand.
Tootles seufzte leise und sah sich gelangweilt im Dorf um.
Es war so still und ruhig hier. Wie ausgestorben. Nur die Kinder waren alle im Dorf geblieben, aber die hatten selbst so Angst um ihre Eltern, dass sie still irgendwo zusammen hockten und ins Nichts starrten.
Tootles taten sie leid. Er wusste wie es war seine Eltern zu verlieren...
Er war mit sechs Jahren in das Waisenhaus gekommen, in dem er auch Peter kennen gelernt hatte.
Zuvor hatte er ein richtiges Zuhause gehabt, mit einem großen Haus, seinen Eltern und sogar an einen kleinen Hund konnte er sich erinnern.
Aber in einer Nacht war das alles verschwunden.
Zerstört von Piraten.
Tootles wusste noch, wie er sich wimmernd im Dachboden versteckt hatte, seine Mutter hatte ihn angewiesen nicht heraus zu kommen.
Ein paar Stunden hatte er da oben gehockt, zitternd und voller Angst.
Er hatte Lärm, Gebrüll und Geschrei gehört, hatte aber nie einordnen können, zu wem die Stimmen gehörten. Er war ja erst sechs Jahre alt gewesen.
Nachdem es ruhig im Haus geworden war, hatte er noch eine weitere Stunde da oben verbracht, weil er zu viel Angst hatte, dass die Piraten vielleicht zurück kommen könnten.
Schließlich stieg er aber doch nach unten.
Die Leichen seiner Eltern hatte er in der Diele gefunden.
Sein Hund lag tot im Garten.
Das Haus war seiner Kostbarkeiten beraubt.
Erst am nächsten Morgen hatte ein Mann Tootles gefunden und ihn ins Waisenhaus gebracht.
Seither war Tootles unglaublich ängstlich und vorsichtig. Und seither hatte er die meiste Panik vor Piraten.
Ob sich das je änderte, er glaubte nicht daran.
Durch Peter hatte er ein Stück weit sein Vertrauen zurück erlangt. Er hatte Tootles sofort freundlich im Waisenhaus aufgenommen und ihm angeboten, mit in das Zimmer zu ziehen, in dem auch Curly, Slightly, Nibs und Twins gelebt hatten.
Seitdem hatte Tootles zu ihnen gehört und sie waren seine Freunde geworden.
Ohne Peter hätte er es nicht so weit geschafft.
Gerade als Tootles an Peter dachte, konnte er etwas im blauen Himmel nahe der Sonne fliegen sehen.
Er musste ein zweites Mal hinschauen, um zu erkennen, dass Peter und Tink auf sie zu geflogen kamen.
Sofort sprang Tootles auf.
"Peter!", rief er erleichtert, froh, dass es seinem Freund gut ging.
Auch die anderen bemerkten Peter und sprangen auf. Sogar Schmetterlings mürrische Miene hellte sich auf, als sie Peter sah.
Peter landete ein wenig ungeschickt vor ihnen und stützte sich keuchend auf seinen Knien ab.
Tink landete auf seiner Schulter. Sie sah besorgt aus.
Tootles runzelte die Stirn und machte einen Schritt auf Peter zu.
"Peter, geht's dir gut?"
Peter nickte als Antwort und richtete sich auf.
"Alles in Ordnung", sagte er dann, "Ich bin nur ein wenig geschafft."
"Was ist denn passiert?", fragte Nibs, der neben Tootles getreten war.
"Nichts", erwiderte Peter hastig, "Gar nichts."
Tink warf Peter einen vorwurfsvollen Blick von der Seite her zu, doch er ignorierte sie.
Tootles wusste, dass Peter lügte, sonst wäre er nicht so erschöpft.
Er beließ es aber trotzdem dabei und ging nicht weiter darauf ein.
"Deer und die anderen sind schon beim Schädel", erzählte Tootles, "Wir dachten, du wärst auch schon dorthin geflogen."
Peter schüttelte den Kopf und seufzte.
"Nein, aber das tue ich jetzt."
Schmetterling stand vom Boden auf und stellte sich vor Peter.
Ihr Blick war entschlossen.
"Wir kommen mit dir.", sagte sie energisch.
"Was?", riefen Peter und Tootles gleichzeitig.
Tootles war mulmig zu Mute. Er wollte nicht zu diesen Piraten!
"Das kommt überhaupt nicht in Frage!", protestierte Peter streng und schüttelte den Kopf, "Das geht nicht! Wenn ich euch mitnehmen, trage ich die Verantwortung für euch und ich würde es mir nie verzeihen, wenn euch etwas geschieht."
Schmetterling verdrehte die Augen.
"Wir können schon auf uns selbst aufpassen. Außerdem will ich nur mit, damit ich meine Familie in Sicherheit weiß."
Nibs schnaubte ironisch auf.
"Was war das gerade mit Abschlachten und Blut spritzen?"
Schmetterling ignorierte ihn gekonnt.
Peter sah zweifelnd in die Runde.
"Also... ich weiß nicht", murmelte er, "Deer wollte, dass ihr hierbleibt."
"Bitte", flehte Schmetterling Peter an, wobei ihr Blick auch bettelnd zu Tink schweifte.
Peter stöhnte auf.
"Also meinetwegen", sagte er genervt, "Aber versprecht mir, dass ihr euch sofort Schutz sucht sobald wir da sind, ja?"
Die Jungs und Schmetterling nickten alle aufgeregt.
Nur Tootles tat dies nicht. Er hatte zu viel Angst um sich überhaupt zu bewegen.
Eine weitere Begegnung mit den Piraten - das war genau das, was er hatte vermeiden wollen. Und jetzt musste er bei einem so furchtbaren Spektakel dabei sein.
"Tootles?", hörte er Peter fragen, "Ist alles in Ordnung?"
Tootles schluckte. Er wollte wirklich nicht zu diesem Kampf. Aber genauso wenig würde er es ohne seine Freunde hier aushalten können, wo er doch wusste, dass sie sich in Gefahr befanden.
"Klar", sagte er und lächelte gestellt. "Es kann los gehen."
Oh Gott, was tat er hier bloß...
Peter lächelte zurück und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
"Du musst dich einfach verstecken", sagte er beruhigend, "Die Piraten werden sowieso viel zu beschäftigt mit den Indianern sein."
Tootles nickte nur. Er hatte ein mieses Gefühl bei der ganzen Sache. Als wenn etwas Furchtbares passieren würde...
Tootles konnte das Getümmel schon aus der Luft erkennen.
Er, Peter, Tink, Twins, Slightly und Nibs flogen nun über das Meer auf den Schädelfelsen zu.
Er sah wirklich furchteinflößend aus. Ein gigantischer Totenkopf, der lange dunkle Schatten auf die Meeresoberfläche warf und dazu auch noch im Schatten des Mount Tales stand, weshalb er komplett im Dunkeln lag.
Und so viele Piraten...
Tootles wurde ganz schwindelig vor Panik.
Peter, der neben ihm flog, sah genauso besorgt aus.
Aber Tootles wusste, dass Peter sich Sorgen um Hook, Wolf und Deer machte und nicht um sich selbst.
Tootles wünschte, er wäre etwas mutiger. So wie Peter.
Sie flogen tiefer, damit die Piraten sie nicht entdeckten.
Sie landeten schließlich hinter einem sicheren Fels am Fuße des Schädelfelsens.
Von dort aus beobachteten sie das Geschehen.
Die Indianer und die Piraten befanden sich bereits im Kampf. Überall hörte man Stöhnen, Ächzen und Säbelklirren. Die Schlacht war voll im Gang.
Tootles biss sich auf die Unterlippe und sah Peter von der Seite her an.
Dessen Blick war auf den Mund des Schädels gerichtet, durch den man in eine riesige Höhle gelangen konnte.
Auch von dort war Kampfgetümmel zu hören.
Tootles überlegte, ob Curly vielleicht auch hier war.
Er konnte immer noch nicht begreifen, warum sein Freund zu den Piraten gewechselt war. Es war so traurig.
Peter regte sich. Er atmete tief durch.
Tink auf seiner Schulter klopfte ihm aufmunternd am Hals.
"Ihr bleibt hier.", sagte er in die Runde und sah Tootles an, "Hier seid ihr sicher."
Tootles nickte als Antwort.
Schmetterling wollte etwas protestieren, doch Peter warf ihr einen warnenden Blick zu, was sie verstummen ließ.
"Und was tust du?", fragte Nibs besorgt.
Peter seufzte erneut.
"Ich werde jetzt in diesen Schädel gehen", antwortete er, "Ich muss Hook finden und alles wieder gut machen. Wenn er überhaupt noch lebt..."
Sein Blick schweifte kurz abwesend zu Boden.
Dann fuhr er fort:
"Und danach werde ich Rackham suchen. Ich schätze die Zeit ist gekommen, mich ihm zu zeigen."
"Viel Glück, Peter", sagte Tootles niedergeschlagen und sah seinen besten Freund traurig lächelnd an.
Peter erwiderte seinen Blick nachdenklich.
Schließlich trat er vor und zog Tootles in eine kurze, dennoch feste Umarmung, bevor er langsam in die Luft aufstieg.
"Ihr seid die besten Freunde, die ich je hatte", sagte Peter mit noch einem letzten Blick nach unten, als wüsste er, dass dies nun seine letzten Worte waren.
Tootles biss die Zähne zusammen und schlang die Arme um seinen Körper, weil er so sehr zitterte.
Er versuchte Peter zu antworten, doch er schaffte es nicht. Den anderen ging es genauso, denn sie alle schwiegen betroffen.
Peter winkte noch einmal aufmunternd und drehte sich dann in Richtung Totenkopfschädel, dem Gemetzel entgegen.
Tootles sah, wie er tief ein und ausatmete.
Damit flogen Peter und Tink über den Fels hinweg auf den unheilvollen Schädel zu.
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