~Summertime Sadness~
Er bedeutete für sie Sicherheit.
Das wurde ihr nun klar.
<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<
ICH WÜRDE DEN WEG SELBST BLIND FINDEN.
Das ist auch besser so, denn die Tränen verschleiern mir die Sicht, sodass ich einfach nur hoffen kann, nicht über irgendeinen Stein zu stolpern.
Aus dem Fenster, durch die Rosen, über die Mauer, den Weg entlang bis zur Kreuzung, nach links, dreimal rechts abbiegen, über die Hecken, gehe ich im Kopf durch und versuche, mich halbwegs zu orientieren.
Mir wird schwindelig , und ich verlasse mich nur noch auf meine Instinkte.
Weitermachen, Gray. Gleich geschafft. Gleich bist du da...
Ich renne, renne, renne, so schnell ich kann, so weit weg vom Schloss wie es nur geht.
Da vorne.
Erleichterung durchflutet mich.
Obwohl ich nur verschwommen sehe, das kleine, alte Steingebäude würde ich unter Tausenden erkennen.
Ich fokussiere mich nur darauf.
Meine Beine brennen vor Schmerz,
meine Lunge ist wie zugeschnürt, ich bekomme keine Luft.
Alles dreht sich.
Ich will nur noch schreien, doch ich kann nicht. Ich bin gerade unfähig, irgendwas zu tun.
Ich sinke auf den Bordstein, ringe mit der Panik.
"Gray?"
Gedämpft nehme ich die Stimme wahr, doch ich kann sie nicht zuordnen.
"Gray? Schau mich an!"
Jemand rüttelt fest an mir.
Ich will mich umdrehen, bin jedoch wie erstarrt. Kann nichts bewegen.
"GRAY?!?"
Nun klingt die Stimme verzweifelt. Wieder ein Rütteln, diesmal fester.
Die Stimme, sie... Leo!
Wie auf einen Schlag bin ich wieder bei mir. Ich fahre hoch, nehme einen tiefen Atemzug und bin höchst erleichtert, wieder Luft zu bekommen. Die Freude währt allerdings nicht lang, denn kurz darauf fährt ein unbeschreiblicher Schmerz durch alle Glieder. Ich stöhne.
"Alles gut, ich bin da. Ich bin da."
"Leo, was-", beginne ich
und bin überrascht, wie heiser ich klinge. Als hätte ich Husten.
Ich erlange ein wenig die Orientierung zurück und realisiere, dass ich auf dem Rücken liege.
Was zum...
Er wirkt völlig aufgelöst.
"Du hattest eine Panikattacke. Glaub ich- ich hab keine Ahnung! Was... Wieso? Ich war allein Zuhause-"
"Leo?"
Nun hört sich meine Stimme wieder normaler an.
"Ich bin hier. Mir geht's gut."
Ich drehe den Kopf, und blicke sofort in Leos sturmgraue Augen. Leo, Leo, Leo. Ich sehe nur Leo. Ich bin Zuhause.
Überschwänglich lege ich ihm die Arme um den Hals und ziehe ihn in eine feste Umarmung, den Schmerz ignorierend, den diese Bewegung hervorruft. Er erwidert sie, etwas zögerlich.
"Ich hatte so Angst um dich."
"Es ist ja alles wieder in Ordnung."
Das ist gelogen.
"Ich hab Fragen.", beginnt Leo.
Oh, ja. Stimmt. Da war ja noch etwas. Mist.
"Angefangen bei deinen Klamotten."
Er sieht am mir herunter.
Ich trage noch Diadem und Kleid.
Normalerweise ziehe ich mich um, bevor ich ihn besuche- normale Dorfklamotten, die Dina für mich genäht hat, wie es in East Tradition ist. Damit optimalerweise niemand so schnell erkennt, dass sich unter dem riesigen Strohhut die Prinzessin verbirgt.
Aber diesmal hatte ich keine Zeit dafür, weil...
Da ist sie wieder. Die Panik. Die Tränen.
"Leo...", beginne ich mit zittriger Stimme.
"Ich muss mal mit dir reden."
<<<<<<<<<<<<<
Ich kenne Leo und seine Familie, seit ich mit fünf Jahren mal von Zuhause abgehauen bin und mich verlaufen hatte. Es war spät, und ich stand weinend vor ihrer Haustür und bat, eine Nacht bleiben zu können.
Seitdem besuche ich sie häufig.
Oder, eher Leo.
Ich kenne ihn in- und auswendig, kenne seine Familie, sein Haus, jeden Wunsch, jedes Geheimnis. Er macht sich nichts daraus, dass ich Prinzessin bin, was eine äußerst willkommene Abwechslung ist. Es ist schön, jemanden zu haben, der einen nicht mit "Eure Majestät" anspricht.
Wir sitzen mittlerweile hinterm Haus auf der kleinen, blau gestrichenen Bank, die über all die Jahre unser Lieblingsplatz geworden ist.
Ich habe den Kopf auf seine Schulter gelegt, wie schon so oft.
Ich will es ihm nicht erzählen, will nicht mit ihm darüber reden, aber ich muss. Ich weiß, dass es besser ist.
Wir schweigen eine ganze Weile.
Dann beginnt Leo.
"Wieso bist du in diesem Aufzug hierhergekommen?"
"Ich hab nicht daran gedacht, mich umzuziehen. Ich wollte nur ganz schnell weg."
"Weg von wem?"
Stille.
"Weg von wem?"
"Meinem Vater."
"Wieso?"
Ich presse die Lippen aufeinander, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Er seufzt.
"Gut, andere Frage. Hat er gesehen, wie du hier hin abgehauen bist?"
Ich senke den Kopf.
Leo scheint zu merken, dass er voll ins Schwarze getroffen hat.
Es folgt ein kollektives Aufstöhnen.
"Nein, oder?!"
"Doch."
"GRAY!"
"Ich hatte solche Angst, ich brauchte Sicherheit und Sicherheit bist eben DU für mich, okay?"
Ich brauche einen Moment um zu realisieren, was ich gerade gesagt habe. Meine Wangen beginnen zu glühen.
Auch Leo scheint das nicht zu entgehen.
"Du bist meine beste Freundin. Du kannst mir alles erzählen."
Seine Stimmlage hat sich rasant geändert.
Beste Freundin.
Beste Freundin.
Irgendetwas an dem Ausdruck hört sich falsch für mich an.
Aber gut.
"Das weiß ich", versichere ich.
"Es ist nur so... furchtbar, und-"
Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Bleib stark, Gray.
"Gray, spann mich nicht auf die Folter!"
"Weißt du noch, wie alt Helene war, als sie geheiratet hat?", bekomme ich hervor.
"Sechzehn."
"Und... Aria?"
"Auch Sechzehn."
Leo scheint verwirrt.
Ich mache eine Pause, um mich zu sammeln.
"Wie alt bin ich, Leo?"
Es ist fast ein Flüstern.
Zu mehr bin ich nicht im Stande.
Er überlegt.
Auf einmal zeichnet sich Erkenntnis auf seinem Gesicht ab.
"Sechzehn."
Nun breche ich in lautes Schluchzen aus.
Leo drückt mich an sich.
"Aber nein..."
Er sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen.
"Nein."
Ich antworte ihm nicht.
"Nein... aber wie... wann- wieso... wen?"
Er klingt so verzweifelt, ich könnte schreien.
Auf einmal hab ich das Gefühl, wenn ich es jetzt nicht laut ausspreche, glaube ich es selbst nicht.
"J-a. Ich muss... heiraten."
Alles, was ich vorhin unterdrückt hatte, kommt jetzt hoch.
Ich heule mir die Seele aus dem Leib.
Leo hält mich fest.
Und irgendwie macht es das Ganze ein bisschen erträglicher.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro