Kapitel 23
Kapitel 23
Ich war nicht fähig mich zu bewegen. Meine Arme und Beine wurden an einen Stahlstuhl gekettet, welcher mir keine Chance gab zu entfliehen. Ich schrie. Ich schrie mit voller Kraft all das Leid aus meinem Körper, doch die Mauer aus Panzertape auf meinem Mund ließ keinen einzigen Laut durch. Die Ketten waren so eng, dass es sich so anfühlte, als würde ich jeden Moment ersticken – wobei das in dem Fall noch sogar noch der gnädigere Tod gewesen wäre, denn in dem Moment erschien eine Gruppe maskierter Personen vor mir. Giftgrüne Augen trafen meinen Blick.
„Du dachtest wirklich du kommst damit durch?", die Person drehte sich von mir weg. Sie lachte. Mit einer Bewegung erschien sie wieder vor meinem Gesicht.
„Ich hätte die Anderen für ein wenig schlauer gehalten. Ein Mitglied ins Auswahlverfahren einzuschleusen und wirklich denken, wir würden es nicht herausfinden."
„Und dann auch noch Juliette.", eine andere Person meldete sich zu Wort.
In mir tobte ein Sturm aus Verzweiflung, Angst, nein Todesangst, aber vor allem Wut. Wut auf mich selbst, dass ich versagt habe und mich erwischen lassen habe. Wut, dass Liv mich in diese Gruppe geschleppt hat. Und Wut, dass ich so naiv war und das Angebot angenommen habe.
Die größte der drei Personen kam mir so nah, dass ich etwas von ihrem Geruch einfangen konnte, der mir allzu bekannt vorkam.
Plötzlich zog die Person sich die Maske vom Kopf und Leandro betrachtete mich mit einem gespielt mitleidigen Blick. Ich traute meinen Augen nicht, was auch er mir ansah. Er nahm mit seiner Hand eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und steckte sie vorsichtig zurück hinter mein Ohr, dabei kam er mir so nah, dass mir mein Herz fast zur Brust heraussprang.
„Schade. Ich habe echt angefangen dich zu mögen, wobei das wahrscheinlich niemals mit dem zu vergleichen war, was du für mich empfunden hast", er machte eine kurze Pause, „oder immer noch empfindest", hauchte er mir ins Ohr, was mir sofortige Gänsehaut verschaffte.
„Nun gut, wir sollten keine Zeit verlieren, um die Kleine zu bestrafen. Du erzählst uns jetzt alles über die Anderen, sodass wir euer nerviges Grüppchen ein für alle Mal zerstören können. Wir werden jeden einzigen von euch kalt machen, aber anfangen werden wir mit deiner bezaubernden Schwester. Was wohl ihre letzten Worte sein werden, wenn wir ihr zuerst alle Nägel ausreisen werden, Hände und Füße abhacken werden-".
Ich hatte keine Kraft mehr zu schreien, immer mehr Sauerstoff wich aus meinem Körper. Mit letzter Kraft probierte ich mich vom Stuhl zu befreien, sodass ich mit voller Wucht zu Seite fiel.
Ich schreckte hoch. Mein ganzer Oberkörper war von Schweiß bedeckt. Mithilfe von Atemübungen probierte ich meine regelmäßige Atmung wiederherzustellen und so langsam erkannte ich Umrisse meines Bettes wieder. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es mitten in der Nacht sein musste. Traumatisiert schaute ich mich um.
Ich befand mich in dem Einzelzimmer, dass uns von den Verantwortlichen des Auswahlverfahrens zugeteilt wurde, nachdem man uns gestern aus dem riesigen Saal entlassen hatte. So langsam fand ich meine Orientierung wieder und tastete verstohlen nach der Uhr auf meinem Nachttisch.
3:27.
Mit zitternden Schritte ging ich zur Minibar meines Zimmers und trank einen großen Schluck des erfrischenden Sprudelwassers. Mein Mund war trocken wie die Sahara und ich füllte mich immer noch sehr benommen von meinem Traum. Ich wusste, dass ich jetzt nicht einfach so weiterschlafen konnte, als wäre nichts gewesen.
Ohne großartig darüber nachzudenken, warf ich mir eine Strickjacke über und nahm eine Taschenlampe in die Hand. Jegliches technisches Gerät wurde uns nämlich zu Beginn abgenommen. Selbst das Handy, das ich abgeben musste, wurde detailliert von den Anderen vorbereitet, sodass man bloß nichts übersehe.
Ich wanderte durch die langen Gänge des Flures zu Leandros Zimmer, das sich glücklicherweise nur ein paar Zimmer weiter befand. Erst als ich dreimal in einem vorher von uns bestimmten Muster an die Tür klopfte, fing ich an meine Tat zu hinterfragen. Und dann zu bereuen, aber dafür war es zu spät, als Leandro mir mit seinen zersausten dunkelbraunen Haaren oberkörperfrei verschlafen die Tür öffnete. Es wunderte mich, dass er nur von dem Klopfen wach wurde, doch für solche Gedanken waren keine Zeit, sein Anblick ließ mich im Nu alle Sätze vergessen, die ich mir im Voraus zurechtgelegt hatte.
„Ähm-, ich-. Morgen, erstmal", brachte ich schließlich stotternd hervor. Ich glaube mir fiel nichts ein, was hätte dümmer sein können, als das was ich soeben gesagt hatte. Zumindest würde das bedeuten, dass ich nun nichts Schlimmeres mehr sagen könnte.
„Kann ich rein?", fragte ich ihn und deutete in sein Zimmer. „Klar", skeptisch musterte er mich, machte mir aber letztendlich den Weg frei. Sein Zimmer sah genauso aus wie meins. Vorsichtig setzte ich mich auf einen Stuhl neben dem Bett, auf das er sich setzte. Glücklicherweise hatte er eine lockere Pyjamahose an und schlief nicht nur in Unterhose, was das Gespräch meinerseits wahrscheinlich ein wenig erschwert hätte. „Warum bist du doch noch hier?", fragte ich geradeaus durch und hoffte inständig, dass sich heute nicht das befürchten würde, was ich erwartete.
„Du hast um halb vier Uhr morgens an meinem Zimmer geklopft, um mich zu fragen, warum ich hier bin?", ungläubig schaute er mich an. Als ich nichts erwiderte, fuhr er widerwillig fort.
„Ich schätze mal aus dem gleichen Grund wie du.", natürlich sollten wir hier nicht über unsere wirklichen Pläne reden, das wäre zu riskant. Aber die Frage brannte mir zu sehr auf dem Herzen, um sie nicht zu stellen. „Ich habe Angst, Leandro", begann ich und probierte meine Stimme dabei einigermaßen unter Kontrolle zu behalten. „Ich hatte einen Traum und der hat sich verdammt echt angefühlt und", scheiße, wie sollte ich ihm denn jetzt klarmachen, dass ich wegen eines einzigen Traumes Zweifel ihm gegenüber hegte, „ich will mir sicher sein, dass ich auf dich zählen kann. Dass du der bist, für den du dich ausgibst. Es kam so plötzlich, dass du doch hier mitmachst, obwohl du davor ausdrücklich gesagt hast, dass du nicht teilnehmen wirst. Und dann wirkst du ständig so geheimnisvoll. Ich kenne dich noch nicht mal wirklich, und trotzdem bin ich dazu gezwungen dir zu vertrauen. Ich will dir einfach nur vertrauen", ich habe irgendwann während des Sprechens vergessen zu atmen, sodass ich die letzten Wörter fast flüsterte. Leandro hörte mir die ganze Zeit über aufmerksam zu.
Ich hatte nun mit jeder Reaktion gerechnet, aber insgeheim nur auf diese gehofft.
Leandro lehnte sich zu mir rüber und schaute mir ganz tief in die Augen. Und dann tat er das, wonach ich mich schon seit vielen Wochen sehnte. Er küsste mich. Erst berührten sich unsere Lippen nur zaghaft, wie eine Natter, die sich ganz langsam ihrem Opfer näherte. Behutsam, aber trotzdem bestimmt, um es dann zu verschlingen. Der Kuss wurde immer intensiver. Seine Hände wanderten zu meiner Hüfte und er zog mich zu sich aufs Bett. Ich fühlte mich so, als könnte ich fliegen, doch in diesem Moment wollte ich nicht fliegen, sondern bleiben.
Von einem Mal fiel mir die ganze Anspannung von den Schultern, die sich in den letzten Tagen aufgebaut hatte und in meinem Traum den Höhepunkt fand. Meine Finger spielten in seinen Haaren und er drückte mich näher an sich, sodass ich auf seinem Schoß saß. Ich merkte, wie meine Atmung deutlich schneller wurde und sich mein Körper nach mehr sehnte. Seine weichen Lippen hörten nicht auf damit, mich in den Wahnsinn zu treiben und als er dann auch noch damit begann meinen Hals entlang zu küssen, entglitt mir ein leises Stöhnen, was ihn zum Grinsen brachte.
Schnell zog er mir meine Strickjacke und mein Oberteil aus, während ich ihm geschickt die Hose vom Leib streifte.
Nun stand ich nur noch in schwarzer Unterwäsche vor ihm und schaute dabei zu wie er seinen Blick über meinen Körper schweifen ließ. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, dass ihn meine kleinen Brüste, oder mein bisschen Bauchspeck ihn stören könnte, doch diese Gedanken verflogen, als er mich nach wie vor voller Leidenschaft ansah und damit weitermachte meinen Körper zu küssen.
Ich kann nicht mehr genau sagen, wann ich mich zuletzt so gefühlt habe wie jetzt. Nach diesem Gefühl habe ich mich die ganze Beziehung mit Theo über gesehnt. Irgendwann hatte ich angenommen, dass ich es verlernt habe so zu fühlen. Dass seine Berührungen ein so großes Feuerwerk in mir entfachten können und der grauen Welt plötzlich wieder Farbe verleihen können, hätte ich niemals mehr für möglich gehalten. In diesem Moment fühlte ich mich am Leben. Ich wollte, dass dieser Moment niemals zu Ende geht. Ich wollte mich für immer an ihn schmiegen und mich von all diesen Gefühlen betäuben lassen.
Und dann wurde mir klar, dass es das ist, was das System uns nimmt. Indem alles berechnet wird, Perfektion und Ordnung das Ziel ist, hat diese Gefühlsexplosion, wie ich es gerade erlebt habe keinen Platz mehr. Theo scheint optisch attraktiver zu sein, mehr meiner Interessen zu teilen, doch das hier hätte er mir niemals geben können. Denn es wird niemals einen Menschen und somit auch keine KI geben, die Gefühle zu 100% voraussagen kann.
Ich liebte es, endlich nicht mehr klar denken zu müssen, zu überlegen, was ich als Nächstes tun sollte, sondern einfach mich voll und ganz dem Moment hinzugeben.
Ich wusste, dass ich keine richtigen Antworten bekommen würde, wenn ich dieses Zimmer betrat. Aber das war auch gar nicht das, was ich wollte.
Leandro kann immer noch geheim für die Regierung arbeiten, aber hätte er uns dann nicht schon früher verraten?
Und wenn ich mich in ihm täuschte, dann sollte meine Geschichte zumindest mit dieser perfekten Täuschung enden.
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