Kapitel 14
Kapitel 14
Ich brauchte einen kurzen Moment, um zu realisieren, was soeben passiert ist. Wie eine Lehrerin ihren Schülern das Einmaleins in den Kopf hämmern musste, musste mir mein Leben meine Tollpatschigkeit ständig vor Augen führen, als würde ich es sonst vergessen. Okay, bei meinem Gedächtnis wäre das sogar möglich. Die Musik im Hintergrund wechselte zu eines dieser Lieder, bei denen man das Gefühl hatte vom Sänger angeschrien zu werden und inständig hoffte ich, dass sich Leandros Reaktion nicht der, des Sängers anpassen würde.
„Scheiße, sorry, das tut mir echt leid", entschuldigte ich mich schnell und überlegte, wie ich mich aus dieser Situation retten konnte, denn seinem Gesichtsausdruck zu Urteile, würde seine Antwort nicht gerade friedlich ausfallen. Entgegen meiner Erwartungen huschte ein kurzes Grinsen über sein Gesicht. „Willst du dich vielleicht noch in einer anderen Sprache entschuldigen?", er fand mein Unbehagen anscheinend ziemlich lustig.
„Hätte ich die letzten Jahre im Französischunterricht wohl besser aufgepasst, dann ja", gab ich erleichtert zu, als ich merkte, dass er es mir wohl nicht so übel nahm.
„Warte, du bist doch die, die da so verkümmert in der Hütte lag, Livs Schwester, nicht?"
So hatte er mich also in Erinnerung.
„Ich weiß nicht, was du unter verkümmert verstehst, aber ja, die bin ich", antwortete ich.
Er fuhr sich durch seine dunklen Haare, die ihm leicht im Gesicht hingen und blickte daraufhin auf den dunklen Fleck auf seinem weißen T-Shirt. Beim genaueren Betrachten fiel mir seine etwas größere Nase auf, die seinem markanten Gesicht mit seiner größeren Oberlippe, etwas Besonderes verlieh.
„Versprich mir bitte, dass du ihr nichts davon erzählst, dass ich die Hütte erwähnt habe, okay? Sie rastet immer auf, wenn sie erfährt, dass irgendjemand in der Öffentlichkeit von der Hütte spricht", bat er mich mit einem schiefen Lächeln. Ich versicherte ihm, dass ich Stillschweigen behielt und er erklärte mir auf meiner Nachfrage, dass er noch ein Sweatshirt mit hatte, was er sich über das schmutzige T-Shirt schmeißen konnte.
„Was machst du eigentlich hier?", fragte ich ihn schließlich und fuhr mir durch meine Locken, die ich vor ein paar Stunden mit Mühe gestylt habe, sich durch das Tanzen jedoch fast komplett ausgehängt haben.
„Ist die Schwester meiner Partnerin", er deutete mit seinem Kopf auf die Gastgeberin, die immer noch wie wild das Tanzbein schwing. So langsam verstand ich die Mengen an Alkohol auf dem Tisch. „Und d-", er wurde von Theo unterbrochen, der plötzlich neben mir auftauchte. „Wo warst du so lange?", fragte er, wobei ich ein deutliches Lallen in seiner Stimme wahrnahm.
Als er zu Leandro blickte, wurde er stutzig. „Kennst du den Typen?"
„Ähm nein, ich war gerade auf der Toilette und bin dann aus Versehen gegen ihn gelaufen und habe mein Getränk auf ihn verschüttet", log ich wenig glaubhaft, doch seinem Alkoholpegel zumute, würde dies ausreichen, um ihn zu überzeugen. Leandro aber blickte mich misstrauisch an, als Theo für einen Moment den Augenkontakt aufgab. Wahrscheinlich war ihm bewusst, dass ich gerade nicht aus dem Badezimmer kommen konnte, wenn ich aus der gegensätzlichen Richtung auf ihn stieß.
Theo nickte nur, brabbelte irgendetwas unverständlich vor sich hin und zog mich dann zurück zu meinen Freunden, die es sich inzwischen in einer Sitzecke gemütlich gemacht haben.
„Seit wann hast du etwas für Alicia empfunden?", fragte Naomi und stupste Matt frech in die Seite, welcher sich verlegen am Hinterkopf kratzte.
„Schon ziemlich früh, aber niemals hätte ich gedacht, dass ich eine Chance bei ihr hätte. Sie hat mir eigentlich schon ziemlich früh klargemacht, dass ich ein guter Freund bin, nicht mehr und nicht weniger."
„Warst du auch", antwortete Alicia abweisend, „für die ersten drei Tage zumindest", fügte sie dann grinsend hinzu. „Ich dachte immer, dass du sowieso nichts von mir wolltest, und da ich am Ende nicht wie die Blöde dastehen wollte, habe ich weiter so getan, als ob ich nichts für dich empfinde."
„Achso, daher kamen immer deine Fragen nach Matts Typ", stellte Naomi verblüfft fest, woraufhin Alicia lachend nickte und Matt scherzhaft vorwarf, warum er denn ihre auffälligen Zeichen nicht bemerkt hätte.
Als hätte jeder vergessen, dass Naomi Artur, unseren Freund, betrogen hat und uns, und vor allem ihm, die ganze Zeit etwas vorgespielt hat. Zu deren Verteidigung musste man sagen, dass es inzwischen schon viele Monate her war und Matt und Alicia sowieso gerade auf Wolke 7 schwebten. Trotzdem konnte ich nicht so tun, als wäre alles sowie früher.
Denn es hatte sich etwas verändert.
Der Abend neigte sich langsam dem Ende, doch von dem Spaß, den ich am Anfang der Party verspürt habe, fehlte ab dem Zeitpunkt, als mich Theo von Leandro wegzog jede Spur.
Die ersten Gäste traten den Heimweg an und auch Matt und Alicia verabschiedeten sich, nachdem Alicia spätestens nach der vollgekotzten Kloschüssel feststellen musste, dass sie doch nicht so nüchtern war, wie sie es die ganze Zeit behauptet hat. Das war dann auch der Punkt, an dem die Stimmung anfing zu kippen, und auch Theo und ich die Party von Ians Bekannten verließen.
„Juliette, ich liebe dich soo", lallte Theo und fiel mir lächelnd in die Arme, als ich die Wohnungstür aufschloss. „Du darfst mich niemals verlassen, okay?", mit einem traurigen Hundeblick schaute er mich an, als würde er eine Antwort erwarten, doch im nächsten Moment stützte er sich an der Wand ab und schloss die Augen. Ich wünschte, ich hätte alle Fragen bejahen können, aber ich konnte es nicht, und werde es niemals können. Und plötzlich hatte ich das starke Bedürfnis meine Gedanken in Alkohol zu ertränken und vielleicht doch mal die Kontrolle abzugeben, denn scheinbar lief mein Leben momentan alles andere als kontrolliert.
Inzwischen sind zwei Tage vergangen, doch das Gefühl, dass ich absolut keine Ahnung hatte, was ich gerade mit meinem Leben anstellte, blieb penetrant in meinem Kopf. Ich fühlte mich wie in einem Traum, in dem man von oben auf sich herunterschaut und genau weiß, dass das, was man tun möchte, nicht gut enden wird. Aber aus solchen Traum wacht man schon irgendwann auf. Ich fragte mich, wann ich aus diesem Traum gerade wohl aufwachen würde.
Wie ein Verbrecher zog ich die Schnüre meines schwarzen Kapuzenpullovers enger zusammen und blickte verdächtig um mich. Heute war endlich der Tag, an dem mich Liv in der Hütte treffen wollte, um alle meine Fragen zu klären. Auf Livs Bitte trug ich die Kette mit dem Adleranhänger und drückte diese ganz fest an mich, als ich den ersten Schritt in den dunklen Wald setzte. Das Ganze sollte wohl so geheim bleiben, dass ich mich mit niemand Anderen blicken lassen durfte. Theo sagte ich, dass ich mich mit einer Freundin träfe. Dass er im Moment sowieso viel mit der Arbeit und seiner Beförderung zu tun hatte, kam mir in dem Falle zugute.
Ein wenig erleichtert atmete ich auf, als die Hütte in meinem Blickfeld erschien. Zielstrebig steuerte ich auf sie zu und probierte mich mental auf das vorzubereiten, was mich gleich erwarten würde.
Es war nun längst zu spät, um einen Rückzieher zu machen, außerdem würde mich meine Neugier sowieso davon abhalten. Ich wollte unbedingt wissen, was es mit dieser Hütte und der Gruppe, von der mir Liv erzählt hat, auf sich hat.
Ein letztes Mal sah ich mich in meiner Umgebung um, bevor ich in die Hütte trat, wobei ich selbst nicht wusste, nach was ich gerade Ausschau hielt. Vielleicht nach jemanden, der mir sagte, dass ich einen großen Knall hatte, so spät durch einen Wald zu gehen und mich in einer Hütte mit, wahrscheinlich, lauter Verrückten zu treffen.
Der Wald wurde von der Dunkelheit verschluckt, noch nicht einmal das Licht der Sterne erreichte das Moos auf den Boden.
Ich wollte gerade die Tür öffnen, als ich plötzlich von einem roten Licht angestrahlt wurde. Meine Sicht flackerte und leuchtete wie ein rotes Feuer auf, doch im nächsten Moment kehrte wieder die Dunkelheit ein und ein leises Klicken ließ die Tür öffnen. Vier neugierige Augenpaare schauten mich erwartungsvoll an, als ich durch die Tür trat.
„Hallo?", fragte ich, unwissend, ob es eine Begrüßung oder Frage sein sollte. Generell hatte ich absolut keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Das erste Augenpaar wandte sich bereits ab. Gut, hier begrüßte man sich also nicht.
„Du bist also Juliette! Wir waren so gespannt dich zu sehen", unterbrach ein Mädchen mit polangen roten Haaren die Stille und zog mich sofort in eine Umarmung. Nach wie vor perplex, erwiderte ich die Umarmung. „Woher kommst du?", fragte ich sie woraufhin sie mir mit ihren rehbraunen Augen in die Augen blickte. „Aus M-", noch bevor ich ihr antworten konnte presste sie ihren Zeigefinger auf meine Lippen und schaute mich warnend an. „Erste Regel, gib so wenig Informationen über dich preis, wie möglich."
„Super Sarah, was ein Auftritt", hörte ich Leandro ironisch sprechen. Liv trat zu der Rothaarigen vor und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
„Sorry Juli, meine Freundin hat darauf bestanden das hier wie in einen dieser typischen Action-Filme darzustellen und wollte fand einen normalen Empfang zu langweilig", entschuldigend schaute sie mich an. Die letzte Person in dieser Hütte, ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, beobachtete alles, ohne jegliche Emotionen in seinem Gesicht zu zeigen. Seine stechend grünen Augen blickten jedoch genau in diesem Moment zu mir.
„Willkommen bei den Anderen, Juliette."
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