9. Thanks, Universe!
Die Entscheidung war mir natürlich nicht schwergefallen und ich hatte Emmanuel mit einem Kribbeln im Bauch für das Strandfest zugesagt. Mittlerweile war es Abend geworden und ich lag bereits in meinem Bett, während ich den Tag gedanklich Revue passieren ließ. Es war zwecklos zu leugnen, dass mich die Begegnung mit Carla verunsichert hatte. Obwohl es albern war, hoffte ich inständig, sie in Zukunft nicht häufiger sehen zu müssen.
Unruhig rollte ich mich auf die Seite und musste lächeln, als ich an Emmanuels Einladung zum Strandfest dachte. Noch niemals in meinem Leben war mir ein Mann wie er begegnet und ich dankte dem Universum dafür, dass es mich genau an dieses Fleckchen Erde verschlagen hatte. Es gab tatsächlich keinen Ort, wo ich in diesem Moment lieber gewesen wäre.
Irgendwie kam mir plötzlich einer der seltenen Urlaube mit meiner Mom in den Sinn und ich erinnerte mich daran, wie ich mich auf einer Luftmatratze im Ozean hatte treiben lassen. Meiner Erinnerung nach müsste ich da etwa neun Jahre alt gewesen sein. Irgendwann rief mich meine Mutter vom Strand aus, weil wir unsere Sachen für die Heimreise packen mussten. Ohne Vorwarnung war ich in Tränen ausgebrochen und hätte mich am liebsten einfach von den Wellen aufs offene Meer treiben lassen. Der Gedanke, zurück nach Hause zu müssen, hatte sich unglaublich belastend angefühlt. Wahrscheinlich war dies das erste Mal, wo ich bewusst wahrgenommen hatte, nicht frei zu sein.
Angestrengt versuchte ich die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen. Schließlich wollte ich mich nicht mit dem Ballast der Vergangenheit belasten. Während ich stattdessen dem Rauschen der Brandung lauschte, bemerkte ich, wie meine Augen langsam schwer wurden und ich schließlich in einen tiefen Schlaf fiel.
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Nachdem Aufstehen vollzog ich meine Morgenroutine in Zeitlupe, da ich die drohende Blamage beim Surfen so lange wie möglich aufschieben wollte. Am Ende würde ich mir wahrscheinlich sämtliche Knochen brechen oder von einem Hai aufgefressen werden. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Als ich auf die Promenade zusteuerte, konnte ich Emmanuel in der Ferne bereits ausmachen. Wie am Vortag hatte er die Surfbretter in die Morgensonne gelegt und war dabei, diese für den Tag vorzubereiten.
„Guten Morgen", begrüßte ich ihn kleinlaut, als ich die Surfschule erreichte. Ich blickte mich hilflos um und hoffte insgeheim, er hätte mein Versprechen vielleicht vergessen.
„Guten Morgen Charlotte, bist du bereit für ein bisschen Sport?", antwortete er lachend und machte mir somit unmissverständlich klar, dass er meine Zusage natürlich nicht vergessen hatte.
„Du meinst wohl, ob ich bereit dazu bin, mir den Hals zu brechen?"
„Das würde ich nicht zulassen. Möchtest du einen Neoprenanzug überziehen?"
Wenig später steckte ich auch schon in einem der engen Anzüge und fand mich gemeinsam mit Emmanuel am Uferbereich wieder. Die tiefliegende Sonne tauchte den Strand in ein goldenes Licht, während ich meinen Begleiter unsicher beobachtete. Er hatte zwei Bretter nebeneinander in den nassen Sand gelegt, während die letzten Ausläufe der Wellen jeweils die Spitzen der Boards berührten.
„Es ist wichtig, dass deine Füße mittig auf der Längsachse des Surfbretts stehen", erklärte Emmanuel geduldig und trat auf eines der Boards, um es mir vorzuführen. „Am besten, du stellst dich einfach mal auf das andere Brett und probierst es aus."
Also folgte ich seiner Anweisung und versuchte, mich so zu positionieren, wie er es mir vorgemacht hatte. Emmanuel verließ daraufhin sein Board und trat direkt hinter mich. „Darf ich?", fragte er und bat somit um die Erlaubnis, mich berühren zu dürfen, um mich in die richtige Haltung zu bringen.
Nachdem ich ihm meine Zustimmung gegeben hatte, umschloss er mit seinen Händen meine Hüften und half mir dabei, sie parallel zum Surfbrett auszurichten. Anschließend ließ er eine Hand über meine Wirbelsäule gleiten und suggerierte mir damit, mich entsprechend aufzurichten. Vor lauter Aufregung vergaß ich zu atmen, während jede seiner Berührungen einen kleinen Stromschlag auszulösen schien. Mein Herz schlug währenddessen so laut in meinem Brustkorb, dass ich Sorge hatte, er könnte es ebenfalls hören.
„So ist es perfekt", flüsterte er von hinten in mein Ohr, was dazu führte, dass sich augenblicklich die feinen Härchen in meinem Nacken aufrichteten. Daraufhin löste er unsere Verbindung und ging zurück auf sein Board. „Wenn du es geschafft hast, dich im Wasser auf dem Board aufzustellen, musst du darauf achten, dass dein vorderes Bein das Standbein ist. Dies sorgt für die richtige Gewichtsverteilung. Willst du es gleich mal versuchen?"
„Ich denke schon", gab ich zurück, aber meine Stimme war nicht mehr, als ein heißeres Flüstern. Ich konnte noch immer die Wärme spüren, die seine Berührung auf meinem Körper hinterlassen hatte und war erneut fasziniert, was für eine Wirkung er auf mich ausübte.
„Dann los", lachte er, schnappte sich sein Board und rannte direkt vor mir ins Meer. Mit einer gekonnten Bewegung manövrierte er sich auf das Surfbrett und beobachtete, wie ich mein Brett vor mir ins Wasser schob, um dann ebenfalls aufzusteigen. Leider gelang es mir aufgrund des Wellengangs nicht so leicht wie ihm und ich benötigte ein paar Anläufe, um mich auf das Board zu setzen. Elegant ging definitiv anders, aber trotzdem konnte ich nicht anders, als herzhaft zu lachen.
„Da kommt eine gute Welle", rief mir Emmanuel plötzlich zu und deutete in die entsprechende Richtung. „Versuch dich aufzustellen!"
Dann ging alles ganz schnell. Noch während ich mühsam probierte, mich auf dem Board hinzustellen, traf mich auch schon die Welle, woraufhin ich im hohen Bogen ins Wasser flog. Das Salzwasser brannte in meinen Augen, aber als ich auftauchte und sie wieder öffnete, blickte ich direkt in Emmanuels Gesicht. Anscheinend war er sofort von seinem Board gesprungen, als er meinen Sturz bemerkt hatte.
„Alles in Ordnung?", wollte er von mir wissen und seine braunen Augen musterten mich besorgt.
„Es geht mir gut", erwiderte ich daraufhin lachend und war selbst erstaunt, dass ich mich überhaupt nicht vor ihm schämte. Mit ihm fühlte sich alles so leicht an.
„Sicher?", vergewisserte er sich erneut, bevor er ebenfalls zu lachen begann. „Du hast mir für einen kurzen Augenblick einen ziemlichen Schrecken eingejagt."
Wir beschlossen daraufhin, das Surfen an einem anderen Tag noch einmal zu versuchen und begaben uns stattdessen zurück zu den Räumlichkeiten der Surfschule. Wie am Vortag frühstückten wir gemeinsam und bereiteten anschließend alles für den Tag vor.
Obwohl dies erst mein zweiter Arbeitstag war, fühlte es sich bereits ziemlich vertraut an.
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In den folgenden Tagen konnte ich eine gewisse Routine im Umgang mit den Urlaubern aufbauen und musste immer wieder feststellen, was für ein gutes Team Emmanuel und ich doch waren. Die Zeit verging unglaublich schnell und ich genoss jede einzelne Sekunde. Nie hatten sich New York oder Harvard weiter entfernt angefühlt. Bevor ich mich versah, war die Woche bereits vergangen und das Strandfest stand vor der Tür.
Da ahnte ich jedoch noch nicht, dass dieser Abend alles verändern würde.
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