Epilog
Pearl Harbor, 30. Mai 1962
Harry stand mit pochendem Herzen am Strand von Pearl Harbor.
Das erste Mal seit den schicksalhaften Ereignissen im Jahres 1941 hatte er wieder einen Fuß auf die Militärbasis gesetzt.
Seine Finger zitterten, als er sich dem Strand näherte.
Dem Ort, an dem alles passiert war.
Dem Ort, an dem die Hölle über das Paradies hereingebrochen war.
Louis, der dicht neben ihm ging, bemerkte die Anspannung seines Partners - und er konnte sie ihm nicht verdenken. Er selbst fühlte sich nicht anders.
Am vereinbarten Treffpunkt trafen die Männer auf Liam, der bereits auf sie wartete.
Heute war ein besonderer Tag.
Sie waren nicht ohne Grund nach Pearl Harbor zurückgekehrt.
Keine zehn Pferde hätten sie Männer aus freien Stücken wieder hier her gebracht.
Heute allerdings waren sie eingeladen worden.
Eingeladen von der US-Marine höchstpersönlich, um an der Eröffnungszeremonie des Denkmals teilzunehmen, das man über der USS Arizona errichtet hatte.
Man hatte das Schiff nie vollständig geborgen.
Anders als die meisten anderen Schiffe lag der Rumpf der USS Arizona noch immer dort, wo sie gesunken war.
Sie befand sich lediglich 12 Meter unter der Wasseroberfläche und war daher für Besucher des Denkmals gut sichtbar.
Vorfreudig schloss Liam seine beiden Freunde in die Arme, auch wenn er die Sorge in ihren Gesichtern sehen konnte.
Die gleiche Sorge, die auch er in sich trug.
Es war kein Tag wie jeder andere.
Dieser Tag würde Vieles wieder aufwühlen, von dem sie am liebsten nie wieder etwas gehört hätten.
„Ich bin so froh, euch endlich wiederzusehen", sagte er, während sich ein ehrliches Lächeln auf seine Lippen schlich. „Das letzte Mal ist ja nun wirklich schon eine Weile her."
Harry rechnete kurz zurück und nickte dann zustimmend. „Das letzte Mal haben wir uns kurz vor Weihnachten gesehen."
„Ja, bei uns war einiges los", pflichtete Louis seinem Freund bei.
Liam musterte die beiden einen Moment lang.
Auch wenn sie zusammenlebten, so ließen sie sich in der Öffentlichkeit nicht einen einzigen Moment lang anmerken, dass sie eigentlich ein Paar waren.
Vor ihren alten Kollegen gaben sie vor, lediglich Freunde zu sein.
Ihren Nachbarn in Tennessee hatten sie erzählt, sie seien Brüder.
Vor anderen Menschen tauschten sie nicht die geringsten Zärtlichkeiten aus - denn Homosexualität wurde von der Gesellschaft noch immer nicht akzeptiert, auch wenn mittlerweile mehrere Jahrzehnte vergangen waren.
Dann wurden die Männer in ihrem Gespräch unterbrochen, als sie gebeten wurden, sich in das Boot zu setzen, das sie zum Denkmal übersetzen würde.
Harry schluckte.
Ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit.
Bis heute hatte er seine Angst vor Wasser nicht vollständig überwunden.
Nach dem Angriff auf Pearl Harbor hatte sie sich verschlimmert - auch wenn Harry das nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Er war nicht mehr dienstfähig gewesen und hatte die Marine auf eigenen Wunsch verlassen.
Louis und Liam hatten es ihm gleich getan.
Keiner von ihnen hatte sich vorstellen können, nach den Ereignissen des 7. Dezembers 1941 noch einmal ins Militär zurückzukehren.
An jenem Dezembermorgen war der zweite Weltkrieg ausgebrochen.
Die Vereinigten Staaten hatten einen erbitterten Kampf geführt, sowohl gegen die Japaner, als auch gegen Hitler in Europa.
Louis hatte keine einzige Nacht lang ruhig schlafen können, solange der Krieg andauerte.
Trotz allem waren sie am heutigen Tage uniformiert erschienen - aus Respekt ihren verstorbenen Kameraden gegenüber.
Die Männer setzten also zusammen mit einigen Angehörigen der Opfer zum neuen Denkmal über, das man über dem Rumpf der USS Arizona errichtet hatte.
Auch Niall's Frau Mary und sein Bruder Greg sowie die Eltern seines besten Freundes waren an diesem Tag mit an Bord.
Mary hatte mittlerweile neu geheiratet und mit ihrem neuen Ehemann eine Tochter bekommen, doch verwunden hatte sie Niall's Tod nie.
Zitternd klammerte sie sich an Harry's Arm fest, während dieser ihr sanft über den Rücken strich.
Er war nicht wütend auf sie, weil sie neu geheiratet hatte - im Gegenteil.
Harry freute sich für sie und er wusste ganz sicher, dass auch Niall niemals gewollt hätte, dass sie wegen seines frühen Todes für den Rest ihres Lebens allein blieb.
Harry hatte ihr damals gut zugesprochen und ihr Mut gemacht, es zu versuchen.
Er war froh, dass es geklappt hatte.
Das war er wirklich.
Und er war glücklich, sie wieder so unbeschwert sehen zu können - denn nach Niall's Tod war sie emotional am Ende gewesen.
Er hatte Niall versprochen, auf Mary aufzupassen, sollte ihm jemals irgendetwas passieren.
Und das hatte er getan.
Nicht nur dem Versprechen wegen, sondern weil Mary über die Jahre für ihn eine unendlich enge Freundin geworden war.
Als die wirklich kleine Gruppe von Personen, die das Denkmal als erste betreten durften, an diesem anlegte, traute Harry seinen Augen kaum.
Vom Ufer aus hatte es viel kleiner ausgesehen.
Der Gruppe wurde in wenigen Sätzen erklärt, dass das National Memorial im Wesentlichen aus drei Punkten bestand: Dem Eingang, in dem sie sich jetzt befanden, dem Verhandlungsraum, in dem die Einweihung stattfinden würde und dem Schrein, an dessen Wand sich eine wahrlich einschüchternd lange Inschrift befand: Auf ihr waren all die Namen derjenigen vermerkt, die am Tag des Angriffs auf Pearl Harbor auf der USS Arizona ihr Leben verloren.
Die USS Arizona lag noch immer auf dem Grund von Pearl Harbor und mit ihr die die sterblichen Überreste von 1.102 amerikanischen Soldaten, die diesen Tag nicht überlebt hatten.
1.102 derjenigen, die es nicht mehr geschafft hatten, das Schiff zu verlassen und deshalb dort ihre ewige Ruhe gefunden hatten.
Harry war still.
Die Schwere auf seiner Brust nahm zu.
Die Gruppe wurde in den Schrein geführt wurden, erzitterte er unter der Wucht, die die mit Blumenkränzen geschmückte Wand auf ihn hatte.
Er fragte sich, wo wohl Niall's Name stand.
Die Gruppe ließ sich auf ihren zugewiesenen Sitzen zu, und so begann Admiral Harry D. Felt, Oberbefehlshaber der Pazifikflotte, mit der Eröffnung des Denkmals.
Harry staunte noch immer über das große, weiße Denkmal, das man über den Rumpf der Arizona gebaut hatte.
Jahrzehnte nach dem Angriff auf Pearl Harbor.
„Es ehrt nicht nur mich, meine Damen und Herren, dass Sie heute den Weg nach Pearl Harbor auf sich genommen haben", begann Admiral Felt mit seiner Rede. „Ich möchte Ihnen im Namen der gesamten amerikanischen Pazifikflotte meinen vollsten Respekt aussprechen."
Harry spürte, wie ihm schon nach den ersten Worten die Tränen kamen.
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr seine Brust.
Mit einem Mal war alles wieder da.
Man sagte, die Zeit heile alle Wunden - doch Harry hatte nichts von all dem vergessen, was er an diesem Tag hatte ertragen müssen.
Genauso wenig hatten Louis oder all die anderen Menschen, die nun zusammen mit ihm in diesem Raum saßen, ihr Leid und die Schmerzen vergessen.
Es wurden Reden gehalten und Ehren erwiesen an diejenigen, die diese nun nicht mehr dankend entgegennehmen können.
Doch auch die Lebenden wurden mit einigen Abzeichen ausgestattet.
Harry erlebte die Eröffnung des Denkmals wie in Trance.
An dem Ort, an dem all das passiert war, gab es kaum noch Spuren von dem Inferno, das er noch so quälend in Erinnerung hatte.
Noch heute träumte er oft von den Ereignissen an jenem Dezembermorgen.
Nachdem die Eröffnungszeremonie mit dem Lied Näher mein Gott, zu Dir beendet wurde, stand Harry auf wackeligen Knien auf.
Er spürte Louis' Hand auf seiner Schulter, freundschaftlich, um nicht zu sehr aufzufallen.
Obwohl dieser die Ereignisse etwas besser hatte verarbeiten können als Harry, verfolgte auch ihn das Geschehene, ohne dass er es hätte kontrollieren können.
Vermutlich empfand niemand in diesem Raum anders.
Harry ging am ganzen Körper zitternd auf die Mauer zu, an der die Namen der beim Angriff verstorbenen Besatzungsmitglieder der USS Arizona aufgelistet waren.
Er suchte ganze zwanzig Minuten lang nach dem einzigen Namen, der ihm wirklich etwas bedeutete.
Und dann fand er ihn.
Irgendwo in der Mitte, ganz unscheinbar.
Ein Name wie jeder andere.
Niall Horan.
Doch er war nicht wie jeder andere gewesen.
Nach all den Jahren hatte Harry nie wieder jemanden seinen besten Freund genannt.
Für ihn gab es nur einen besten Freund.
Auch wenn er nicht mehr physisch bei ihm sein konnte, so würde niemand ihn je ersetzen können.
Es gab niemanden, der war, wie er.
Niemanden, der ihn auf die gleiche Art und Weise verstehen konnte, wie Niall es getan hatte.
Die Tränen flossen unaufhaltsam über seine Wangen, ehe Mary ihn in ihre Arme schloss.
Sanft fuhr sie mit ihren zierlichen Fingern seinen Rücken auf und ab, doch auch sie konnte ihn am diesen Tag nicht beruhigen.
Oliver, der mittlerweile ein erwachsener Mann geworden war, legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.
Für ihn war Harry der beste Onkel auf der ganzen Welt.
Ein Onkel, der mittlerweile fast wie ein Vater für ihn geworden war.
„Es ist okay", sagte er zu ihm. „Es ist da und es ist schwer. Aber auch dieser Tag wird vorüber gehen. Und an jedem einzelnen werden wir füreinander da sein. Versprochen."
Die rührenden Worte seines Patenkindes gingen ihm so sehr ans Herz, dass er ein Schluchzen nicht unterdrücken konnte.
Wortlos nahm er ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Ich bin so froh, dich zu haben, Oliver."
Der zentrale Versammlungsraum hatte in der Decke und an beiden Seitenwände jeweils sieben große Öffnungen, die an das Datum des Angriffs erinnern sollten.
Außerdem fand sich eine Öffnung im Boden, durch die man auf das Wrack hinabblicken konnte, aus dem noch immer Öl austrat.
Harry hatte die weiße Rose in seiner Hand so fest umklammert gehalten, dass er sich leicht an ihren Dornen gestochen hatten.
Aber es gab keine Rosen ohne Dornen.
Das war ihm in den Jahren nach dem Angriff immer wieder bewusst geworden.
Er warf die Rose an der Stelle ins Wasser, in der man auf das Wrack hinabblicken konnte.
Leise, so leise, dass niemand ihn hören konnte, flüsterte er: „Ich werde dich immer lieben, Niall."
Aus dem Wrack der USS Arizona tritt bis zum heutigen Tag Öl aus, das die Tränen der Arizona genannt wird.
Louis trat von hinten an Harry heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sie weint noch immer."
_________________
Meine Lieben,
ich bin untröstlich.
Ja, das war "Pearl Harbor".
Ich kann noch immer nicht fassen, dass es jetzt vorbei ist.🥺
Ich danke euch allen so, so sehr für's Lesen und für die unendlich lieben Kommentare nach jedem Kapitel. Für das Mitfiebern und das Lob, das ich von euch bekommen habe.
Danke für alles.♥️
All the love,
Helena xx
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro