29. Kapitel
Wenn man als junger Bursche in den Krieg zieht, hat man die große Illusion der Unsterblichkeit. Die anderen werden getötet; man selbst nicht.
Ernest Hemingway
Tai kannte Garderittern nur aus Erzählungen. Als gleich vier von ihnen die Hauptstraße entlang geritten kamen, stockte ihm fast der Atem. Sie trugen Kleidung, die er noch nie gesehen hatte. Der Stoff schien zur Hälfte aus Metall zu bestehen und war dennoch weich und verformbar wie Leinen. An ihren Gürteln hingen funkelnde Schwerter, die etwas anders aussahen als die, die es bei den Buren gegeben hatte. Am beeindruckendsten waren jedoch die Höllenrösser. Mächtige, schwarze Bestien mit gespaltenen Köpfen und harten Hufen, die laut auf den Steinen des Dorfplatzes klapperten. Nur einer der Reiter hatte ein normales Pferd bei sich – das ebenfalls schwarz war – und schien kein echter Höllenmensch zu sein. Seine Haut war so dunkel wie die eines adligen Ostländers und er trug auch keine Metallkleidung. Dennoch strahlte er eine bedrohliche Kälte aus. Als die Reiter abstiegen und dieser Mann nach vorne trat, wichen einige der Bauern und Knechte zurück.
»Mein Name ist Ng'ombe«, erhob der Ostländer die scharfe, strenge Stimme. »Wie ich sehe, habt ihr mich bereits erwartet. Ich bin hier, um die Soldaten für die ostländische Armee einzuziehen. Sind alle Bewohner von«, er warf einen Blick auf eine Pergamentrolle, die wie aus dem Nichts in seiner Hand aufgetaucht war, »Kimbilio anwesend?«
Die Menge schwieg. Auch Tai senkte den Kopf und blickte starr auf seine Füße. Ihm war keineswegs entgangen, dass Sakafu nicht da war. Wahrscheinlich versuchten Alina und Damu ihn bei sich Zuhause zu verstecken, damit er nicht eingezogen wurde. Er bezweifelte allerdings, dass das funktionieren würde.
Wie erwartet seufzte Ng'ombe schwer und winkte zweien der Garderittern zu, die sofort ausscherten und anfingen, an Häuser zu klopfen. Wenn ihnen nicht geöffnet wurde und die Tür abgeschlossen war, verschafften sie sich mit Gewalt zutritt. Bald schon ertönten erste angsterfüllte Schreie. Einer der Garderitter war fündig geworden und zerrte einen etwa siebzehnjährigen Jungen hinter sich her, während seine Mutter hinter ihm in der Tür stehen blieb und weinte. Der Junge wurde vor Ng'ombe zu Boden gestoßen und blieb dort zitternd sitzen.
»Dachtest du, wir wären so dumm und würden die Häuser nicht durchsuchen?«, tadelte er den Jungen. »Du solltest dich schämen für deine Feigheit.«
»Aber meine Mutter...«
»Deine Mutter versteht nicht, welchen wichtigen Dienst du deinem Land erweist! Wie ist dein Name?«
»Reigan, Herr.«
»Nun, Reigan, normalerweise ist das, was du getan hast, strafbar, aber ich drücke ein Auge zu, wenn du mir etwas hilfst. Schau dich um. Fehlt in dieser kleinen Runde jemand aus deinem Dorf, der eigentlich hier sein sollte? Ein gesunder Mann, mindestens sechzehn Jahre alt, der keine Familie alleine versorgen muss?«
Der Junge drehte zögernd seinen Oberkörper, um die Menge anschauen zu können. Seine himmelblauen Augen waren voller Angst und plötzlich hatte Tai Mitleid mit ihm, das bei seinen nächsten Worten jedoch sofort verpuffte.
»Sakafu fehlt.« Reigan zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger den gestreuten Pfad zu Alinas Haus entlang. »Er sieht aus wie ein Bleichgesicht, ist aber eigentlich eine Schmutzhaut. Er wohnt in dem Haus am Ende der Straße. Nur deren Knechte sind hier.«
Ng'ombe nickte zufrieden und der Garderitter, der Reigan aus seinem Haus geholt hatte, machte sich sofort auf den Weg. Tai ballte die Fäuste. Es wäre trotzdem dazu gekommen, aber musste es auf so eine Weise sein? Zitternd vor Wut beobachtete er, wie Ng'ombe dem Jungen die Hand reichte und ihm bedeutete, sich hinter ihn zu stellen. Ihm entging nicht, dass der Ostländer sich gleich darauf die Hand an der Hose abwischte als hätte er etwas Schmutziges berührt.
»Alle, die von nun an der Armee des Ostlands angehören, sollen vortreten«, schnarrte er.
Allmählich kam Bewegung in die Menge. Mehrere Männer schoben sich nach vorne. Tai entdeckte auch Xavion, der jedoch einen Umweg zu nehmen schien. Plötzlich blitzte etwas in der Faust des Knechts auf und er warf sich auf Max, der völlig ahnungslos am Brunnen gestanden hatte. Der Bauer stieß einen schrillen Schrei aus, stolperte zur Seite und fiel hin. Im nächsten Moment war Xavion schon über ihm. Tai hörte nur das Geräusch eines immer wieder zustechenden Messers, begleitet von ersticktem Keuchen, bis alles still war. Niemand hatte eingegriffen. Als Xavion aufstand, die Hände blutig und mit roten Sprenkeln im Gesicht und in den blonden Haaren, wichen alle zurück. Geschocktes Schweigen machte sich breit, aber Tai konnte nicht leugnen, dass er Genugtuung empfand. Dieser Tod war schneller gekommen als der, den er Max vor einigen Tagen an sein Essensbesteck geschmiert hatte.
»War das jetzt eine Demonstration deiner Fähigkeit zu töten, junger Mann?«, durchbrach Ng'ombe die Totenstille.
Xavion erwiderte nichts, sondern ließ das blutige Messer zu Boden fallen und ging nach vorne. Die Menge machte ihm Platz. Tai entdeckte eine von Max' Mägden, die ihm mit Tränen in den Augen hinterher sah. Es war diejenige, in die der Knecht vermutlich verliebt war. Doch waren es Tränen der Erleichterung oder der Trauer? Vielleicht beides.
»Gut«, sagte Ng'ombe, als Xavion vor ihm stehen blieb und seinen Namen und sein Alter nannte. »Unsere Armee kann Leute gebrauchen, die töten können. Der nächste!«
Nacheinander traten die Männer des Dorfes vor. Tai kannte nur wenige von ihnen. Er hatte den Großteil seiner Kindheit in Alinas Haus und der nahen Umgebung verbracht. Haifai war die einzige, die zum Brunnen hatte gehen dürfen und dort alle anderen Dorfbewohner kennengelernt hatte. Viele kannte er nur von Beschreibungen wie den lahmen Finn, der seinen zweiten Sohn verabschiedete. Trevor hatte ja Haifai, um die er sich kümmern musste. Allerdings waren beide in ihrem Haus geblieben und hatten nur kurz die Tür geöffnet, damit einer der Garderitter es durchsuchen konnte.
Auch Njano, Damus jüngerer Bruder, wurde eingezogen. Er hatte weder Frau noch Kind und war gesund. Nachdem er sich hinter Ng'ombe eingereiht hatte, war Tai an der Reihe. Der Mann vor ihm hob überrascht die Augenbraue, offensichtlich wegen seiner Hautfarbe.
»Du bist eine Schmutzhaut?«, vermutete er.
»Ich weiß es nicht. Kann gut sein«, antwortete er und hoffte, es würde keine weitere Frage folgen. »Mein Name ist Tai, achtzehn Jahre, fast neunzehn.«
»Keine Familie, um die du dich kümmern musst? Keine Krankheiten oder andere Beschwerden?«
»Nein.«
»Gut. Der nächste!«
Tai versuchte, Abstand zu Njano zu halten und trotzdem so weit vorne zu sein, dass er Maua und Moyo sehen konnte. Sie hatten sich ganz hinten in die Schlange gestellt. Wie alle Männer, die eingezogen wurden, hatte Moyo sich einen Reisebeutel über die Schulter geworfen, in dem seine wichtigsten Sachen waren. Tai selbst hatte nur wenig, was er mitnehmen konnte, außer ein paar Ersatzschals und -handschuhe, und an seinem Gürtel hing ein Wasserschlauch und das Kurzschwert, das Aaron ihm mitgegeben hatte. Zu seiner Überraschung hatte Maua hingegen auch einen Reisebeutel bei sich. Sie hat doch nicht etwa vor, sich ebenfalls für die Armee zu melden? Wie erwartet wurde Moyo durchgelassen, doch als Maua den Mund öffnen wollte, wurde sie sofort unterbrochen.
»Hast du das Schreiben nicht gelesen, Fräulein?«, fuhr Ng'ombe sie an. »Nur Männer!«
»Ich kann besser kämpfen als der Großteil der Leute, die du hinter dir versammelt hast!«, schoss sie zurück. »Ich wurde zum Kämpfen ausgebildet! Und das schon seit ich klein bin!«
Ng'ombe seufzte genervt. »Ist mir egal, ob und wie lange du ausgebildet wurdest. Frauen haben in einer Männerarmee nichts zu suchen. Oder denkst du, dein Freund da wird dich beschützen können, wenn fünf Männer auf einmal beschließen, dich mit Gewalt zu nehmen?« Er deutete auf Moyo, dessen Augen sich gefährlich verfinsterten.
»Ich kann mich sehr gut selbst beschützen! Und außerdem«, sie zeigte auf den Garderitter, der neben Ng'ombe stehen geblieben war, während die anderen beiden ausgeschwärmt waren, »ist sie auch eine Frau!«
Tai sah genauer hin und stellte überrascht fest, dass Maua recht hatte. Die Garderitterin hatte zwar ihren Helm auf und ihre Kleidung unterschied sich nicht von den anderen beiden, aber ihre Brust war eindeutig zu stark gewölbt, um zu einem Mann gehören zu können. Jetzt hob die Frau ihre gepanzerte Hand, löste den Riemen, der ihren Helm am Platz hielt, und setzte ihn ab. Ein bronzefarbenes Gesicht mit scharfen Zügen kam zum Vorschein. Ihr Kopf war vollständig kahl rasiert. Sie hätte glatt als Bure durchgehen können, wenn da nicht ihre hellere Hautfarbe gewesen wäre.
»Ich bin eine Höllenfrau, Mädchen«, sagte sie mit leichtem Akzent. »Eine Garderitterin. Bei uns gibt es viele Frauen. In der Armee des Ostlandes nicht. Es ist nicht vorgesehen.«
»Wenn du nicht auf mich hören möchtest, dann hör auf Tormenta«, wandte Ng'ombe sich ein letztes Mal an Maua. »Sie war schon beim Kampf gegen König Sharaf dabei und hat im Krieg gegen die Triglaza entscheidende Beiträge geleistet. Jetzt geh.« Er scheuchte sie zur Seite als wäre sie eine lästige Fliege und richtete seinen Blick auf den gestreuten Pfad, auf dem gerade zwei Gestalten aufgetaucht waren. Offensichtlich der Garderitter, der Sakafu hinter sich her zog, doch Tai hatte nur Augen für Maua. Sie stand irgendwie verloren auf dem freien Platz vor Ng'ombe, der sie beharrlich ignorierte. Auch Tormenta hatte ihren Helm wieder aufgesetzt.
»Was jetzt?«, flüsterte Tai Moyo zu, der sich neben ihm eingereiht hatte. Insgesamt waren zwölf Männer eingezogen worden, die nun in einem Haufen zwischen Ng'ombe, Tormenta, den drei Höllenrössern und dem einen schwarzen Pferd eingezwängt waren.
»Wir wollten es versuchen«, presste Moyo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Auch wenn es wahrscheinlich nicht klappt.« Er seufzte frustriert. »Sie wird sich um Qasi kümmern. Und ich habe ihr versprochen, dass wir beide zurückkehren.«
Tai versuchte Mauas Blick einzufangen und als es ihm gelang, sah er nur eine tiefe Sorge. Ich werde Moyo zu dir zurückbringen, dachte er und wünschte sich, sie könnte das hören. Selbst wenn es mein Leben kostet. Es ist ohnehin nicht mehr viel wert. Der Juckreiz an seinem Hals machte ihn fast verrückt. Mittlerweile war die Stelle schon bis knapp über sein Brustbein gewandert. Er hatte Glück, dass sie sich noch nicht bis zu seinem Kinn getraut hatte.
»Da ist also der zweite Feigling dieses Dorfes!«
Ng'ombes höhnische Stimme riss Tai aus seinen trüben Gedanken. Vor ihm wurde gerade Sakafu zu Boden gestoßen. Tai hätte seinen Bruder fast nicht erkannt. Er war viel mehr gewachsen als Nyasi und hatte stark an Muskeln zugelegt. Das Gesicht war kantiger, die braunen Haare fielen ihm teilweise ins Gesicht, der sture Blick seiner blauen Augen war auf den Mann vor ihm gerichtet.
»Ich bin kein Feigling!«, fuhr er ihn an.
»Warum hast du dich dann bei deinen Eltern versteckt?«
»Er wurde eher von seinen Eltern in seinem Zimmer eingesperrt, damit er nicht hierher kommen konnte«, mischte sich der Garderitter ein, der Sakafu geholt hatte.
»Also kein Feigling«, schlussfolgerte Ng'ombe und sah den Garderitter gleichzeitig fragend an.
»Sie wurden entsprechend bestraft«, antwortete dieser.
Tai fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Bestraft? Wie bestraft? Er versuchte, von Sakafus Haltung und Reaktion abzulesen, was passiert war, aber es gab keinen Ansatzpunkt. Sein Bruder schaute einfach nur zur Seite, die Lippen verkniffen und die Stirn verärgert in Falten gelegt.
»Dann soll er sich einreihen«, befahl Ng'ombe und klatschte in die Hände. »Damit wären wir hier fertig. Auf nach Ngome!«
Tai wurde von dem Mann neben sich nach hinten gedrängt, als die Garderitter zu ihren Höllenrössern gingen, um aufzusteigen. Werden wir wirklich zu Fuß gehen? Er verdrängte diesen unangenehmen Gedanken und suchte stattdessen nach Sakafu. Ohne auf den Protest von Moyo zu achten, drängte er sich zu ihm durch und packte ihn am Unterarm. Sein Bruder fuhr sofort zu ihm herum, offenbar wütend, doch als er ihn erkannte, klappte ihm der Mund auf. »Tai?«
»Wie hat er Alina und Damu bestraft?«
Sakafu schnaubte. »Er hat unsere Felder abgefackelt.«
»Und Nyasi?«
»Sie wird es verkraften.« Sakafu blinzelte ihn an und wusste scheinbar nicht, was er noch sagen sollte.
»Trotz allem bin ich froh, dich wiederzusehen«, machte Tai schließlich den Anfang.
Ein Lächeln huschte über Sakafus Gesicht. »Ich auch. Aber sag's Vater nicht.«
Das Lachen kam, bevor er es sich verkneifen konnte. Mehrere Männer sahen ihn verständnislos oder verärgert an, aber das war ihm egal. Er klopfte Sakafu auf die Schulter und deutete dann zu Moyo hinüber, der damit beschäftigt war, Ng'ombe beim Aufsteigen auf sein Pferd zuzusehen. »Das ist Moyo. Vertraue nur mir und ihm, keinem anderen. Hast du verstanden?«
Sakafu nickte.
»Gut.«
Im selben Moment bellte Tormenta irgendeinen Befehl, der wohl bedeutete, dass sie sich in Bewegung setzen sollten. Tai warf einen letzten Blick nach hinten. Maua stand immer noch auf dem Dorfplatz. Den Reisebeutel hatte sie neben sich abgestellt und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie war offensichtlich wütend und enttäuscht. Moyo wird wiederkommen, versprach er ihr in Gedanken. Und wenn ich Glück habe auch ich.
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