1. Kapitel
Fünf Dinge bringen fünfe nicht hervor
Du, dieser Lehre öffne du dein Ohr:
Der stolzen Brust wird Freundschaft nicht entsprossen;
Unhöflich sind der Niedrigkeit Genossen;
Ein Bösewicht gelangt zu keiner Größe;
Der Neidische erbarmt sich nicht der Blöße;
Der Lügner hofft vergeblich Treu und Glauben;
Das halte fest, und niemand laß dir's rauben.
Johann Wolfgang von Goethe
Die Sonne des Pazifiks war gnadenlos wie immer. Tai wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah dann hinunter auf den Eimer, den Nyasi ihm gebracht hatte. Er war randvoll gefüllt mit vertrockneten und abgestorbenen Blättern, die seine Schwester zuvor von den Maispflanzen auf dem Feld abgeschnitten hatte. Es sah überhaupt nicht gut aus. Sie war noch nicht mal durch die ersten drei Reihen und brachte ihm schon den fünften Eimer.
»Warum muss es die letzten Tage nur so heiß sein?«, beschwerte Nyasi sich mit einem Schmollmund. »Ich werde noch nach Sonnenuntergang nicht fertig sein. Ich sehe es schon kommen.«
»Das wird schon«, munterte Tai sie auf und unterdrückte ein Seufzen. Er hievte den großen Eimer hoch und schüttete den Inhalt in den Trog. Später, wenn Damu fertig mit seiner Arbeit war, würde er Kahawia, die Arbeitsstute ihres kleinen Hofes, mitbringen. Sie würde dann diese vertrockneten Blätter essen und damit hoffentlich auch so viel Flüssigkeit aufnehmen, dass sie nicht zu viel Wasser für sie verschwenden mussten. Wasser war viel zu kostbar.
Tai reichte Nyasi den Eimer zurück, woraufhin seine Schwester wieder zurück aufs Feld rannte. Er selbst wandte sich dem Zaun zu, den er reparieren sollte. Normalerweise wäre er mit den anderen aufs Feld gegangen, um sich um den Mais zu kümmern, doch heute hatte dieser verfluchte Zaun anscheinend Vorrang. Es war eine Qual, die verbogenen Metallstäbe mit dem Hammer oder mit der Zange so zurecht zu biegen, dass sie wieder halbwegs gerade waren. Er wusste, dass er nochmal von vorne anfangen könnte, wenn auch nur eine dieser Stangen schief war.
Seufzend griff er wieder nach dem Hammer, drehte den Stab, der vor ihm auf der Arbeitsplatte lag, hin und her und überprüfte nochmal, ob er auch wirklich gerade war. Im selben Moment ertönte das Quietschen der Zauntür und Haifai tauchte auf. Sie hätte genauso gut durch das riesige Loch gehen können, das Tais Arbeit reparieren sollte, aber sie liebte Herausforderungen. Mit dem Fuß versuchte sie das Gatter wieder zu schließen, während sie auf ihren Schultern eine Querstange balancierte, an deren beiden Seiten jeweils ein Eimer voller Wasser hing. Bei ihren Versuchen verschüttete sie einen Teil des kostbaren Guts und Tai kam ihr schnell zu Hilfe, bevor Schlimmeres passieren konnte.
»Danke«, keuchte Haifai und rückte die Querstange zurecht. Ihr Blick fiel auf den Trog, der für diese Tageszeit eigentlich schon viel zu voll war. »Sieht nicht gut aus.«
Tai nickte nur grimmig.
»Damu wird schlechte Laune haben, wenn er zurückkommt. Sind Sakafu und Nyasi immer noch auf dem Feld?«
Er nickte wieder.
»Und Mutter?«
Wortlos deutete Tai hinter sich.
Haifai schürzte unzufrieden die Lippen und verdrehte die Augen. »Wie immer. Wann gewöhnt sie sich endlich daran, dass sie keine Königin mehr ist? Sie ist in diesem verdammten Dorf aufgewachsen! Da könnte man doch meinen, dass sie wie alle anderen auf dem Feld arbeiten kann! Oder Wasser schleppen!« Frustriert drehte sie die Stange etwas, damit sie besser lag. Dann marschierte sie in Richtung des Maisfeldes davon und verschwand zwischen den hohen Pflanzen.
Irgendwie hat sie ja schon recht, dachte Tai, legte die Stange beiseite, die er eben bearbeitet hatte, und nahm sich eine neue. Andererseits hatte Mutter ein sehr schweres Leben. Er erinnerte sich an die Lebensgeschichte, die seine Mutter ihm erzählt hatte. Wie sie König Miro geheiratet hatte, weil er sie so sehr begehrt hatte, dass er sie lieber töten würde als sie nicht zu bekommen. Wie sie dann nach seinem Tod König Sharaf geheiratet hatte, um ihr Leben zu retten. Und wie sie dann zurück nach Kimbilio fliehen musste, in ihr Heimatdorf, weil Sharaf sie beschuldigt hatte, fremdzugehen. Er fühlte sich jedes Mal leicht benommen, wenn er daran dachte, dass sein Vater ihn verstoßen hatte, nur, damit das Südland sein Territorium erweitern konnte.
Aber ich bin ein Königssohn. Der Hammer fuhr auf die verbogene Stange hinab und rückte sie zurecht. Mutter hat recht. Wenn Sharaf sie damals nicht des Ehebruchs beschuldigt hätte, wäre ich jetzt ein Prinz. Jemand, der genug Wasser hat, um in einem riesigen Zuber zu baden. Ich hätte einen Garten voller blühender Pflanzen. Könnte andere Sachen essen als immer nur Maisbrei, Maisfladen und wieder Maisbrei.
Manchmal verlor er sich in den Erzählungen seiner Mutter und stellte sich vor, wie es wohl wäre, in Burg Fedha aufgewachsen zu sein. Er hatte weder den Sitz der Königsfamilie noch die Hauptstadt des Ostlandes, Ngome, jemals gesehen. Aber sie mussten prächtig sein. Im Vergleich dazu wäre ihr Haus wahrscheinlich nur eine Ruine. Und was sollte man dann über die anderen Häuser in Kimbilio sagen, die alle noch viel kleiner waren? Sie hatten es Alina zu verdanken, dass sie so ein gutes Zuhause und so viel Land besaßen, dass man darauf doppelt so viel Getreide und Mais anpflanzen konnte wie auf denen ihrer Nachbarn. Sie waren auch der einzige Haushalt, der ein richtiges Arbeitspferd hatte. Ohne Kahawia könnten sie die Felder wahrscheinlich gar nicht bestellen.
Tai legte die Metallstange beiseite und nahm sich die nächste vor. Und dann die nächste und die nächste. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er kaum bemerkte, wie Haifai weitere zehn Male losging, um Wasser aus dem Brunnen auf dem Dorfplatz zu holen. Er hielt nur ab und zu inne, um Nyasi zu helfen, ihren Eimer abgestorbener Blätter in den Trog zu kippen. Sakafu war schon stark genug, um das selber zu tun.
Der Tag neigte sich dem Ende zu und Tai war gerade dabei, die ersten Metallstangen zurück in die Erde zu hämmern, als Damu zurückkehrte. Das Hufklappern von Kahawia war schon aus einiger Entfernung zu hören und die Staubwolke, die ihr folgte, kaum zu übersehen. Sie war ein großes, überaus muskulöses Pferd. Ihr braunes Fell war etwas stumpf von der eintönigen Ernährung und dem Wassermangel, aber sie war immer noch stark genug, um bei der Aussaat den Pflug zu ziehen. Normalerweise wurde sie nicht geritten, aber Damu hatte dieses Mal eine Ausnahme gemacht. Offenbar hatte er jemanden im Dorf beeindrucken wollen. Er hatte ein großes Geheimnis darum gemacht, bei wem genau er sein und was er dort tun würde.
»Die zweite Stange ist so krumm, dass meine Augen schmerzen«, sagte Damu streng, als er Kahawia nur wenige Schritte entfernt anhielt und abstieg. Er ging zu der besagten Stange und zog sie mit einem Ruck aus der Erde heraus. »Außerdem sitzt sie viel zu locker. Möchtest du, dass Untiere auf unser Grundstück kommen und das Feld verwüsten?«
»Nein, Damu.« Tai knirschte verärgert mit den Zähnen.
Sein Stiefvater deutete auf den Haufen aus Stangen, der noch auf dem Boden lag. »Überprüf jede nochmal. Und denk daran, du musst heute Abend fertig sein. In der Nacht kommen die Untiere raus.«
»Ja, Damu.«
Mit unterdrückter Wut sammelte Tai die Stäbe wieder ein und kehrte zur Arbeitsplatte zurück. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Damu Kahawia zum fast schon überfüllten Trog führte. Die Stute begann sofort zu fressen, doch Damu runzelte unzufrieden die Stirn.
»Warum sind es diesmal so viele abgestorbenen Blätter, Tai?«
»Es war die letzten Tage ziemlich heiß«, antwortete er und schlug auf eine eigentlich vollkommen gerade Metallstange. Er würde sie später wieder zurecht biegen. Wenn er einfach nur rumstand und nichts tat, würde er nur noch mehr Ärger bekommen.
»Dann hätte Haifai die Menge an Wasser anpassen müssen«, entgegnete Damu gereizt. »Sie macht das nicht das erste Mal!«
Tai biss die Zähne zusammen. Es ist so klar gewesen, dass er ihr die Schuld geben würde. Er hasst uns beide, weil wir nicht seine Kinder sind. Am liebsten würde er uns loswerden, wenn er uns nicht für die Arbeit auf dem Feld bräuchte.
»Komm rein, sobald du fertig bist«, sagte Damu und band Kahawia an dem Pfahl neben dem Trog fest. Sie war noch vollständig gesattelt und aufgezäumt. Ein Zeichen dafür, dass er von Tai erwartete, sich um die Stute zu kümmern.
Sobald sein Stiefvater im Haus verschwunden war, legte Tai den Hammer beiseite und brachte die Stangen zurück zur Lücke im Zaun. Sie sind alle vollkommen gerade. Ich weiß das. Bevor er sich jedoch daran machte, sie in die Erde zu hämmern, sattelte und zäumte er Kahawia ab. Er brachte sie in den kleinen Stall, den Damu ein Jahr nach der Hochzeit mit Alina gebaut hatte. Ursprünglich war er für den weißen Hengst gewesen, auf dem sie aus Burg Fedha geflohen war, doch der war viel zu edel gewesen. Kein Arbeitstier. Also hatte Damu ihn verkauft und stattdessen Kahawia besorgt.
»Ist ja gut, ich bring dir dein Essen«, beruhigte Tai die massige Stute, die ihm wieder nach draußen folgen wollte. Nach und nach transportierte er die Blätter aus dem Trog in den Stall und schloss ihn dann ab. Seufzend wandte er sich wieder dem Zaun zu. Ich muss ihn heute fertig haben. Wenigstens da hat Damu recht.
Er konnte sich noch genau an den Vorfall vor drei Jahren erinnern, als Damus Bruder Njano den Großteil seiner Ernte an Untiere verloren hatte. Später hatte sich rausgestellt, dass er ein Loch im Zaun gehabt hatte, durch das sie auf seine Felder gekommen waren.
Die Sonne stand schon tief am Himmel und verbreitete ein grellorangenes Licht, als Sakafu, Nyasi und Haifai vom Feld zurückkehrten. Letztere stellte die Eimer in der Nähe der Haustür ab und verschwand gleich darauf im Flur. Sakafu hingegen musste erst seinen Eimer und den seiner jüngeren Schwester in den Trog leeren, bevor er ihr folgen konnte. Seine helle Haut war mit Schweiß bedeckt und leicht gerötet. Er war außer Damu der einzige unter ihnen, den man wohl oder übel als Bleichgesicht bezeichnen konnte. Tai hatte diesen Begriff nie gemocht und achtete sorgsam darauf, ihn nie zu benutzen. Das könnte vielleicht sogar gefährlich für ihn werden, wo doch alle anderen Bauern in Kimbilio eine helle Haut hatten. Er, seine Mutter, Haifai und Nyasi waren die einzigen hier, die als ostländische Adlige durchgehen könnten.
»Mach nicht zu lange«, sagte Nyasi und legte Tai aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Ihr Blick fiel auf die dicht stehenden Metallstangen, die einen stabilen Zaun bildeten. »Es fehlt ja nicht mehr viel.«
»Ja, keine Sorge.« Tai lächelte sie aufmunternd an und schaute ihr hinterher, als sie ebenfalls im Haus verschwand. Mittlerweile brannte in der Küche, die auch gleichzeitig das Essenszimmer war, das Licht. Wahrscheinlich stellte Alina gerade Maisbrei mit Maisfladen auf den Tisch und fragte sich, wo er blieb.
Ich schaff das schon, sagte er sich, stellte die nächste Stange dicht neben den restlichen Zaun und hieb mit dem Hammer drauf, bis sie fest im Boden steckte. Nach und nach schloss sich die Lücke und er verstaute die Werkzeuge in der Kiste unter dem Dach des Stalls, wo er sie auch her hatte. Es war schon vollkommen dunkel geworden. Die letzten Stangen hatte er nur korrekt platzieren können, weil das Licht in der Küche immer noch brannte. Warum eigentlich? Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sie mit dem Essen auf ihn warteten.
Tai betrat das Haus mit einer leichten Anspannung. Wie erwartet hatte man mit dem Essen nicht auf ihn gewartet. Der Tisch war leer. Zu seiner Überraschung saßen Damu, Alina und Haifai aber noch auf ihren Stühlen. Sein Stiefvater bedeutete ihm mit einer Handgeste, sich zu ihnen zu gesellen.
»Ist der Zaun fertig?«, fragte Damu streng.
»Ja. Ich habe jede Stange nochmal überprüft und sie so fest in den Boden gehämmert wie ich konnte.«
»Gut.«
Tai war etwas verwirrt von der Stimmung am Tisch. Haifai hatte den Blick gesenkt und fummelte an ihrem Kleid herum, was total untypisch für sie war. Seine Mutter hingegen schien seltsam aufgeregt zu sein. Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten förmlich.
»Ich war heute bei dem lahmen Finn«, verkündete Damu schließlich. »Er hat einen Sohn in Haifais Alter. Ich habe beschlossen, dass sie ihn heiraten und ihm im Haushalt helfen wird.«
Tais Augen weiteten sich vor Überraschung. »Was?« Diese Nachricht kam wie aus dem Nichts. Er hatte nicht gewusst, nicht mal geahnt, dass Damu einen Ehemann für Haifai suchte. Ich hätte es mir denken können. Das ist die beste Art, um sie loszuwerden...
»Natürlich habe ich Finn darauf hingewiesen, dass sein Sohn eine Königstochter heiraten wird«, fuhr Damu fort. »Daher wird die Mitgift nicht von unserer, sondern von seiner Seite kommen. Er tritt uns zwei seiner Knechte ab, die uns auf den Feldern helfen werden. Und er bezahlt eine ordentliche Geldsumme.«
Tai starrte seinen Stiefvater mit offenem Mund an. »Aber... du kannst sie doch nicht einfach... verkaufen!«
»Sie wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen würde«, entgegnete Damu mitleidlos. »Sie ist schon neunzehn und eigentlich viel zu alt. Wir haben Glück, dass überhaupt jemand bereit ist, sie zu heiraten.«
Tai sah zu Haifai hinüber, die gegenüber von ihm saß. Sie rührte sich jedoch nicht und schwieg. Wahrscheinlich hatte sie schon beim Abendessen genug diskutiert und entsprechend viel Ärger bekommen. Er vertrug sich manchmal zwar nicht so gut mit ihr wie mit Nyasi, aber sie hatte es trotzdem nicht verdient, einfach so mit einem Fremden verheiratet zu werden. Tai hatte nicht mal eine Ahnung, wie Finns Sohn hieß. Hatte er ihn überhaupt jemals gesehen?
»Was dich angeht...« Tais Herz raste, als sein Stiefvater sich ihm zuwandte. »Du bist dieses Jahr volljährig geworden.«
Worauf will er hinaus? Seine Finger krallten sich in die Tischkante, bis seine Knöchel weiß wurden. Er kann mich nicht einfach aus dem Haus schmeißen, indem er mich verheiratet. Die Frau müsste dann in unseren Haushalt ziehen. So lauten die Regeln.
»Da Finn uns zwei seiner Knechte überlässt, haben wir genug Arbeiter auf dem Feld«, erklärte Damu. »Du arbeitest zwar gut, machst aber zu viele Fehler. Finns Knechte werden um einiges besser sein. Deswegen wirst du uns verlassen müssen.«
Tai sprang so plötzlich auf, dass sein Stuhl krachend umkippte. Haifai zuckte zusammen und hob zum ersten Mal den Blick. Ihre pechschwarzen Augen richteten sich auf ihn und sie schüttelte langsam den Kopf. Alina hingegen wirkte nur leicht enttäuscht und Damu sah ihn mit wütend zusammengezogenen Augenbrauen an. »Setz dich, Tai!«
»Du willst uns nur loswerden!« Er hatte Mühe, seinen Stiefvater nicht anzuschreien. »Du hasst uns beide, weil wir nicht deine Kinder sind! Und jetzt verheiratest du Haifai mit irgendeinem fremden Idioten und mich schmeißt du einfach raus!«
»Tai.« Ein warnender Unterton lag in Damus Stimme, aber Tai er achtete nicht darauf.
»Unser ganzes Leben haben wir uns abgerackert auf diesen beschissenen Feldern!«, wütete er weiter. »Jedes Mal, wenn wir einen Fehler gemacht haben, hast du uns beschimpft oder bestraft! Aber wenn Sakafu oder Nyasi versagen, ist es auf einmal nicht mehr so schlimm! Du bist eine verschissene, zweigesichtige Schlange, Damu!«
»Tai, es reicht!«, fuhr auf einmal Alina dazwischen.
Ungläubig sah er seine Mutter an. »Du stehst auf seiner Seite?«
»Ich denke, es ist Zeit, dass du ein neues Leben anfängst«, sagte Alina und lächelte milde. »Damu hat so viel für uns getan. Du solltest ihm dankbar sein. Er hat für dich gesorgt und dich aufgezogen, obwohl du nicht sein Sohn bist.«
Verdammt richtig!, dachte Tai. Ich bin nicht sein Sohn, sondern der Sohn eines Königs! Wütend sah er zwischen Damu und Alina hin und her, bis er allmählich verstand, was hier vor sich ging. Seine Mutter hatte es ihm soeben gesagt. Ein neues Leben anfangen... Wie oft hatte sie ihm eingeschärft, dass er der eigentliche Erbe des Ostland-Throns war. König Javet war nur ein Usurpator. Es gab keine Beweise dafür, dass er wirklich der tot geglaubte Sohn von König Witan war. Irgendwann würde Tai aufbrechen, sich Verbündete suchen, und sich mit ihnen das zurückholen, was rechtmäßig ihm gehörte.
»Verstehst du, mein Sohn?« Alina streckte ihre Hand aus und legte sie auf seinen Unterarm, um ihn zu beruhigen. »Du bist nun bereit für ein neues Leben.«
»Du wirst morgen aufbrechen«, bestimmte Damu. »Als Proviant kannst du den Rest des Abendessens mitnehmen. Vergiss den Wasserschlauch nicht.«
»Morgen schon?« Tai ballte die Fäuste. »Aber was ist mit Haifais Hochzeit?«
»Die ist erst nächsten Monat«, erklärte sein Stiefvater. »Aber die Knechte kommen schon morgen.«
Tai knirschte mit den Zähnen. So schnell kann sich alles ändern... Er warf Alina und Haifai einen letzten Blick zu, bevor er den umgekippten Stuhl wieder hinstellte und die Küche verließ. Wut und Enttäuschung kochten in ihm, während er den Flur entlang zu seinem Zimmer ging. Er war der einzige, der ein Zimmer für sich selbst hatte. So hatte Alina es gewollt. Haifai, Sakafu und Nyasi mussten sich zu dritt einen großen Raum teilen.
Seufzend ließ Tai sich auf die Kante seines Bettes sinken und betrachtete die primitiven Kinderzeichnungen auf der anderen Seite der Wand. Früher war dies das Zimmer seiner Mutter gewesen. Die Hälfte dieser Zeichnungen stammten von ihr. Hübsche Mädchen mit Zöpfen und Kleidern. Viele Pferde und Blumen. Schon damals wollte sie anscheinend eine Königin sein. Wer hätte gedacht, dass sich ihr Wunsch wirklich erfüllen würde. Nur, um dann wieder zerstört zu werden.
Sie möchte, dass ich keine Zeit verliere und mein Lebensziel erfülle, dachte er und verlor sich wieder in den Erzählungen seiner Mutter über Ngome und Burg Fedha. Ich bin geboren, um ein Prinz zu sein, kein Bauer. Da hat sie auch recht. Nur wo soll ich anfangen? Was soll ich tun? Er vergrub die Hände in den schwarzen Haaren, die er zu dünnen Zöpfen geflochten und dann hinten nochmal zusammengebunden hatte, damit sie ihm nicht in die Augen fielen. Wohin soll ich mich wenden?
Das nächste Dorf war drei Tagesmärsche entfernt, aber dort würde es auch nur Bauern geben. Wie viel Glück der Usurpator doch mit seinen Höllenmenschen gehabt hatte. Er hatte gehört, dass König Javet sie aus dem Totenland hergeholt hatte. Die ersten Jahre nach seiner Krönung hatte es viele Aufstände gegeben, weil die Menschen sich vor der Strahlenkrankheit gefürchtet hatten. Doch jetzt war alles ruhig.
Wo finde ich meine Höllenmenschen?, überlegte Tai und schüttelte den Kopf. Er hatte nicht genug Zeit, um sich einen Plan zu überlegen. Morgen schon musste er aufbrechen. Irgendwohin. Er würde den Zufall entscheiden lassen. Ich schaffe das.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro