
46. Kapitel
In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz.
Dalai Lama
In Burg Fedha herrschte helle Aufregung. Adlige Ostländer wurden schleunigst von den Garderittern über die Brücke in die Stadt eskortiert, während die bleichgesichtigen Diener durch die engen Korridore eilten. Wieder gellte ein hoher Schmerzensschrei aus einem Zimmer im zweiten Stock. Die bewaffneten Männer vor der Tür zeigten keine Regung, standen einfach still und ließen sich nichts anmerken.
Im Nebenraum ging König Miro unruhig auf und ab. Kurz blieb er vor dem wandhohen Spiegel stehen, starrte sich selbst in die pechschwarzen Augen und schritt dann weiter umher. Bei jedem Schrei zuckte er kaum merkbar zusammen. Die Silberkrone auf seinem Haupt funkelte beinahe mitleidig im Licht der brennenden Laternen und das Schwert an seiner Seite schwang bei jedem Schritt mit. Auf einmal klopfte es laut und deutlich an der Tür. Er öffnete.
»Eure Freunde sind zurückgekehrt, mein König«, sagte Kunong'ona mit einem freundlichen Lächeln. Die dunkelbraunen Augen glänzten verschwörerisch.
»Ausgerechnet jetzt«, fluchte König Miro. »Bete dafür, dass sie gute Neuigkeiten haben. Wo sind sie?«
»Im Feuertanzsaal, mein König«, antwortete der Berater. »Ich habe ihn bereits räumen lassen.«
»Gut.« König Miro brauchte Kunong'ona nicht zur Seite zu stoßen, weil dieser selbst aus dem Weg ging. Er eilte den Flur entlang, wobei die Garderitter, welche vor der Tür des Nebenzimmers postiert waren, ihm verwundert nachschauten. Der König bog um die Ecke und nahm die Treppe nach unten in den ersten Stock. Ein Dienstmädchen mit einem Tablett in den Händen sprang erschrocken weg, wobei sie alles fallen ließ, als er ihr entgegen kam. König Miro ignorierte sie, stieß die Flügel des Feuertanzsaals auf und schlug sie hinter sich wieder zu. Schnellen Schrittes näherte er sich dem dreiteiligen Gemälde an der Wand. Ein Handgriff und der rechte Teil glitt zur Seite.
»Zeteng«, begrüßte König Miro den in schwarze Stofffetzen eingewickelten Strahlenkranken. Er trat beiseite, damit der Rest der Attentäter den Geheimgang verlassen konnte. Seine pechschwarzen Augen glitten über die entstellten Körper und Gesichter. »Wo ist sie?«
»Tot«, antwortete Zeteng. »So gut wie jedenfalls.«
»So gut wie?« Der König durchbohrte ihn mit seinem hasserfüllten Blick. »So gut wie? Was heißt das? Ihr hattet eindeutige Befehle! Ihr solltet sie töten!«
»Und sie wird auch sterben. Qualvoll.«
König Miro ballte die Fäuste, als wolle er dem Mann gleich einen Schlag ins Gesicht verpassen, doch angesichts der kranken Augen und der entstellten Haut, die drumherum zu sehen war, ließ er es bleiben. Stattdessen baute er sich in voller Größe vor ihm auf und zischte: »Wo ist sie?«
»Wir haben sie im Grenzland abgesetzt«, berichtete Zeteng und kratzte sich mit dem Arm, der aus seiner Brust wuchs, am Kopf. »Sie ist strahlenkrank geworden und wird bald sterben. Wenn sie nicht an der Strahlenkrankheit stirbt, dann verdurstet sie. Wir haben dafür gesorgt, dass sie nicht sehr weit gehen kann ohne zusammenzubrechen.«
»Ein Schnitt in den Oberschenkel tut weh«, fügte eine Strahlenkranke ohne Gesicht hinzu und verstummte sofort, als König Miro mit der Faust so hart gegen die Wand schlug, dass etwas Staub von der Decke rieselte. Er musterte die blutigen Knöchel, bevor er dem Anführer der Attentäter direkt in die Augen sah.
»Ich hatte meine Gründe, sie so bald wie möglich tot zu sehen! Und zwar jetzt, sofort, mit Gewissheit! Nicht irgendwann in den nächsten Tagen«, presste er hervor. Darum bemüht, die Fassung zu wahren.
»Was macht es denn für einen Unterschied, wann...?«
»Einen sehr großen!«, schrie König Miro Zeteng an. »Alina liegt in den Wehen und wenn die Missgeburt meines Bruders nicht tot ist, bevor das Kind geboren ist...« Er lachte auf und umfasste alle Strahlenkranken mit einer Armbewegung. »Ich werde dafür sorgen, dass ihr alle, alle, sterbt, wenn meine Frauen keinen Sohn gebärt!«
Einige der Attentäter wichen erschrocken zurück. Nur Zeteng und ein Mann, dessen Gesicht nur aus Zähnen zu bestehen schien, rührten sich nicht von der Stelle. »Ich verstehe kein Wort«, sagte der Anführer der Strahlenkranken und kratzte sich mit der dritten Hand am Kinn. »Wie kann der Tod eines Mädchens sich auf das Geschlecht eines Kindes auswirken?«
Doch der König hörte ihn gar nicht, sondern schlug wieder mit der Faust gegen die Wand. »Ich hätte es wissen müssen! Ich hätte es von Anfang an wissen müssen! Es war ein Fehler, sie am Leben zu lassen«, wütete er. »Die geheime Wohltäterin! Pah! Und ich dachte, es wäre Zami! Dabei war sie es die ganze Zeit!«
Zeteng wechselte einen ratlosen Blick mit dem Mann neben sich, während König Miro dazu überging, die restlichen zwei Teile des Gemäldes niederzureißen und zu zerstören. Plötzlich hielt er inne. Nach Atem ringend stellte er sich vor dem Attentäter auf. »Serval! Was ist mit ihm?«
»Tot«, antwortete Zeteng. »Xah hat ihn getötet, bevor es selber draufgegangen ist. Seine Leute haben sich im Grenzland zerstreut.«
Das erste Mal breitete sich ein grausames Grinsen auf dem Gesicht des Königs aus. »Wenigstens etwas.«
Auf einmal klopfte es an den zwei Torflügeln. Als König Miro nicht antwortete, rief ein Mann: »Alina hat ihr Kind bekommen, mein König.«
»Was ist es?«, brüllte er in Richtung Tor.
»Ein Mädchen, mein König.«
»Ein Mädchen!« Quälend langsam drehte König Miro sich zu den Attentätern um, die einheitlich vor ihm zurückwichen. Ein Mann, aus dessen Hals ein zweiter Kopf wuchs, wandte sich zur Flucht, doch der König war schneller. Er zog das Schwert und schleuderte es dem Strahlenkranken hinterher. Mit einem grässlichen Ratschen bohrte es sich in den Rücken des Flüchtenden, der schreiend in den Geheimgang fiel.
Während die restlichen Attentäter ihren Kameraden noch entsetzt anstarrten, zog der König das Schwert aus der Leiche und ging damit auf sie los. Nacheinander mähte er sie nieder. Blut spritzte, Köpfe rollten über den zuvor frisch geputzten Boden des Feuertanzsaals. Der letzte, der noch stand, war Zeteng. Er hatte genug Mut aufgebracht, um der Frau ohne Gesicht den Säbel zu entwenden. Nun richtete er die Waffe mit der rechten Hand auf den König. Dieser hatte sein Schwert in der Linken. Rote Streifen aus Blut flossen über seine Arme, wo der Lebenssaft hingespritzt war. In seinen pechschwarzen Augen lag eine Wildheit, die Zeteng zurückweichen ließ.
»Du hast mir meine sichere Herrschaft und meinen Erben genommen!«, schleuderte König Miro ihm entgegen. »Die Geburt eines Mädchens ist der Beweis dafür, dass die geheime Wohltäterin noch lebt!«
»Vielleicht ist sie gar nicht die geheime Wohltäterin«, stotterte Zeteng und wich mit jedem Schritt, den der Herrscher auf ihn zukam, ebenfalls einen Schritt zurück. »Wer weiß, vielleicht ist es doch jemand anderes. Du hast selber gesagt, dass du zuerst dachtest, es sei deine Jüngste. Du hast doch gar keinen Beweis.«
»Mein Beweis ist Olivenbrot!«, schrie König Miro und ließ sein Schwert auf den Säbel niederfahren, der unter der Wucht des Schlags erzitterte. »Mein Beweis sind die Fußspuren im Beet!« Mit einer geschickten Handbewegung sorgte er dafür, dass Zeteng den Säbel loslassen musste. Er fiel klirrend zu Boden und die kranken Augen des Strahlenkranken weiteten sich vor Schreck. »Mein Beweis ist Daya, die mir erzählt hat, warum Vala heimlich Essen aus der Küche stiehlt!« Er holte aus und trennte Zetengs Kopf von den Schultern. Sein Körper fiel zu Boden. Die drei Arme zuckten noch wild umher, bis sie ganz erschlafften.
König Miro verpasste dem Torso einen letzten Tritt und ging dann zum Tor, um es zu öffnen. Beim Anblick des blutüberströmten Herrschers, fiel ein bleichgesichtiges Dienstmädchen in Ohnmacht und der Mann, der geklopft hatte, riss vor Schreck die Augen auf. Unfähig, etwas zu sagen, stand er einfach nur da und starrte.
»Dawa«, sprach König Miro den Mann an und wischte sich mit den Hemdärmeln über die Stirn, um das Blut wegzuwischen, was es jedoch nur noch schlimmer machte. »Ich fürchte, im Feuertanzsaal liegen ein paar Leichen. Von Strahlenkranken. Finde ein paar Diener, die bestraft werden müssen, damit sie da aufräumen.«
»Ja, mein König«, presste Dawa hervor, drehte sich auf dem Absatz um und ging davon. Nach wenigen Schritten fing er an zu rennen.
König Miro hockte sich neben dem ohnmächtigen Dienstmädchen, um mit ihrer Schürze das Blut vom Schwert zu wischen. Schließlich steckte er es zurück in die Scheide und nahm die nächstgelegene Treppe in den zweiten Stock. Vor der Zimmer, aus dem die Schreie gekommen waren, standen immer noch die zwei Garderitter. Als sie ihren König sahen, drückten sie den Rücken durch und hoben das Kinn. Wortlos öffnete einer von ihnen die Tür, damit der Herrscher eintreten konnte.
Im Raum war eine bleichgesichtige Frau damit beschäftigt, ein Kissen für Alina zurechtzurücken. Beim Geräusch der sich nähernden Stiefel fuhr sie hoch und trat mit gesenktem Kopf zurück. Das Bett, auf dem Alina ruhte, war zerwühlt. Der mittlere und untere Teil war blutrot gefärbt. Die Königin öffnete blinzelnd die Augen und sah ihren Mann selig lächelnd an. Als würde sie das ganze Blut an seiner Kleidung und auf seiner Haut nicht sehen.
»Wo ist es?«, fragte König Miro schroff.
»Hier.« Die Hebamme trat zu einer Wiege und hob ein weißes Bündel heraus. Dunkle Haut blitzte auf. Das Gesicht des Kindes zeugte von einer tiefen Ruhe und Entspannung. Es schlief. »Es ist ein Mädchen, mein König. Eure Frau hat euch rufen lassen, damit ihr Eurer Tochter einen Namen gebt.«
»Einen schönen Namen, mein Liebster«, flüsterte Alina kaum hörbar. Die schwarzen Haare klebten schweißnass an ihrer Stirn. König Miro verzog leicht angeekelt das Gesicht, bevor er sich wieder dem kleinen Mädchen zuwandte.
»Haifai«, sagte er. »Ihr Name soll Haifai sein.«
»Haifai«, murmelte Alina. Dann schloss sie die Augen. Nur das Heben und Senken ihrer Brust zeigte, dass sie lebte.
»Was ist mit ihr?«, fragte König Miro gereizt.
»Sie braucht Ruhe, mein König«, erklärte die Hebamme und legte das Kind zurück in die Wiege. »Die Geburt war sehr anstrengend für sie.«
»Wird sie weitere Kinder bekommen können?«
Die Frau nickte. »Ja, mein König. Aber sie braucht Zeit...«
»Um sich zu erholen. Ich habe verstanden«, unterbrach er sie. »Sorge dafür, dass sie so schnell wie möglich wieder bereit ist. Wie ist dein Name?«
»Kate, mein König.«
»Nun, Kate«, zischte König Miro. »Wenn du mich weiter so anstarrst, wirst du zu denen gehören, die die Leichen im Feuertanzsaal entsorgen, verstanden?«
»Ja, mein König«, antwortete die Hebamme hastig und senkte den Blick.
König Miro beachtete sie nicht weiter und verließ den Raum. Mit zu Fäusten geballten Händen verschwand er im Nebenzimmer, wo er sein Schwert zog und damit alle Möbelstücke zu Kleinholz verarbeitete. Die Garderitter vor Alinas Raum hörten zwar alles, wagten es aber nicht, sich von der Stelle zu rühren, bis es später Abend geworden war. Dann kam die Wachablösung. Stumm flohen sie die Treppe hinab und überließen es ihren Kollegen, sich das wütende Gebrüll anzuhören.
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