43. Kapitel
Der Sieg von heute ist über dein Ich von gestern, der Sieg von morgen wird über einen minderwertigen Menschen sein.
Miyamoto Musashi
Im obersten Stockwerk der Nordost-Theke brannte immer noch eine flackernde Kerze, als mehrere dunkle Gestalten sich an der Eingangstür zu schaffen machten. Es war so spät in der Nacht, dass selbst die Betrunkenen schon nach Hause gegangen waren und die Wachen fest schliefen. Es klickte leise. Hinter der Tür setzte die Dunkelheit sich fort, bis zur Treppe und in den Flur des obersten Stockwerks. Hier musste niemand das Schloss knacken. Es war nicht abgeschlossen. Lautlos glitten drei Schatten in das Zimmer, die restlichen blieben draußen.
»Unser lieber Freund schläft sich also durch den halben Pazifik«, ertönte die hohe Frauenstimme des vordersten Eindringlings.
Auf dem Bett, das an der hintersten Wand stand, fuhren die zwei Menschen aus ihrem Halbschlaf hoch. Der Mann griff sofort nach dem Schwert, das am Nachttisch lehnte, während die Frau den Mund auf machte, um laut zu schreien. Der Schrei blieb ihr jedoch in der Kehle stecken, als eine der anderen Gestalten ihr ein Messer an die Kehle hielt. Sie schluckte, Tränen sammelten sich in ihren Augen. Mit zitternden Händen zog sie sich die Decke bis zum Hals hoch.
»Ich erinnere mich daran, dir ein gewisses Angebot unterbreitet zu haben, Serval«, meinte die vorderste Gestalt und beobachtete ruhig, wie der Mann sein Schwert hob. Er war vollkommen nackt, was jedoch niemanden zu stören schien. »Du hast dieses Angebot angenommen. Oder habe ich etwas falsch verstanden?«
Serval antwortete nicht.
»Du möchtest schweigen? In Ordnung.« Xah winkte dem dritten Geschlechtslosen im Zimmer zu, das ihm einen Stuhl heranholte, auf welchem es sich niederließ. Wie aus dem Nichts war ein blitzendes Messer in seinen Händen aufgetaucht. »Wir haben die ganze Nacht Zeit. Genauer gesagt, bis diese Dame dort«, es deutete zu der mittlerweile stumm weinenden Frau, »ihre Schicht antreten muss. Wann ist das?«
»Zur Mittagszeit«, wimmerte sie und unterdrückte ein lautes Schluchzen. »Bitte tut mir nichts.« Ihre panisch aufgerissenen Augen wanderten zu Serval. »Und ihm auch nichts.«
Xah stieß ein beeindrucktes Pfeifen aus. »Du denkst also, ihm würde irgendwas an dir liegen? Und dass er dasselbe für dich tun würde? Uns darum bitten würde, dich zu verschonen?« Es lachte auf. »Ich muss dich leider enttäuschen. Er hat nur eine Person geliebt. Er hat sich manchmal vorgestellt, ihr seine Gefühle zu gestehen. O ja, er hat es sogar ab und zu mal geprobt. Wenn er dachte, dass niemand zuhört, aber die Wände haben Ohren.« Es blickte die Frau mit grausam blitzenden Augen an. »Er hat so viele Geheimnisse. Was hat er dir erzählt, dass du zu ihm ins Bett steigen wolltest? Dass er ein Garderitter ist? Dass er sogar der Hauptmann der Garderitter ist?«
»Er sucht die entlaufene Prinzessin«, brachte die Frau stockend hervor und schaute flehend zu Serval hinüber, der sich kein Stück vom Fleck bewegt hatte. »Das stimmt doch, oder?«
»Er sollte sie finden und zu uns bringen«, antwortete Xah an seiner Stelle. »Damit wir sie töten.«
Die Augen der Frau weiteten sich vor Entsetzen und sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch im selben Moment gab Xah dem Geschlechtslosen neben ihr ein Handzeichen. Mit einem Ruck zog es ihr das Messer über die Kehle. Ihre Augen verdrehten sich, während rotes Blut aus ihrem Hals schoss und sich über die Decke ergoss, die nun ihren Händen entglitt. Stumm fiel sie zur Seite und dabei fast aus dem Bett heraus. Ihr Oberkörper hing zur Hälfte im Leeren und unter ihr sammelte sich eine rote Pfütze.
»Jetzt, wo es keine Zeugen gibt, möchte ich gerne wissen, warum du die Prinzessin hast gehen lassen und nur ihren Begleiter getötet hast. Außerdem auch, wohin sie aufgebrochen ist, denn sie hat Mpaka anscheinend auf einem gestohlenen Pferd verlassen«, wandte Xah sich an Serval. »Und steck das lächerliche Schwert weg. Roho wird dir nicht helfen. Du weißt, dass draußen noch weitere meiner Leute sind.«
»Ja«, sagte Serval. Seine Stimme war ruhig, viel zu ruhig. »Aber egal, was mit den anderen in diesem Haus hier passiert. Wir beide wissen, dass keiner von uns beiden es mehr verlassen wird.«
Xah sah ihn eine lange Zeit nachdenklich an und spielte mit dem Messer in seinen Händen. Dann nickte es langsam. »Da wirst du wohl recht haben. Wir sollten es schnell machen. Aber zieh dir zuerst etwas Ordentliches an. Ich weigere mich, gegen einen Mann ohne Rüstung zu kämpfen.« Es stand auf, drehte sich um und bedeutete seinen Begleitern, dasselbe zu tun. »Ich habe gehört, du warst mit Tomodachi befreundet. Er hat dich gerettet, als du halb verdurstet in der Mwitu-Ebene umher geirrt bist.«
»Ihr habt ihn getötet.« Das Rascheln von Kleidung und Klirren von Schnallen deutete an, dass Serval sich wirklich anzog und seine Lederrüstung anlegte.
»Erstens waren nicht wir diejenigen, die ihn verfolgt haben – das war Zeteng – und zweitens hat er Seppuku begangen. Bist du fertig?« Als keine Antwort kam, drehte Xah sich um und nickte zufrieden. Serval hatte Roho immer noch in der Hand und war in die Mitte des Zimmers getreten, wo mehr Platz war. Der Teppich aus Tierfell hatte sich an einer Seite schon blutrot verfärbt. »Ich nehme an, dir sagen die sieben Tugenden des Bushidō etwas?«
Serval nickte knapp.
»Lass uns diesen Kampf also als ehrbare Krieger ausführen«, sagte Xah, übergab sein Messer an das Geschlechtslose links neben sich und erhielt dafür ein schmales Schwert, dessen Spitze es auf Serval richtete. Für einen Moment war alles still und regungslos. Fast, als hätte die Welt die Luft angehalten. Dann schoss Xah nach vorne.
Sein Schwert prallte mit dem von Serval zusammen und wurde zur Seite abgelenkt. Doch das Geschlechtslose drehte sich auf einem Bein, stieß sich mit dem anderen von der Bettkante ab und sprang hoch. Metall blitzte im Licht der brennenden Kerze auf. Scharf schnitt die Klinge durch einen Wasserschlauch an der Wand, der seinen Inhalt auf den Boden entleerte. Schmatzende Geräusche, als Serval über den Teppich schritt und Xah umkreiste, es nicht aus den Augen ließ.
Dieses Mal war er es, der angriff. Ein heftiger Schwinger, der jedoch nur den Pfosten des Bettes streifte, auf das Xah nun hoch sprang. Ohne hinzusehen stieß es Hunvets Leiche runter, die mit einem leisen Platschen in ihrer eigenen Blutpfütze landete. Das Geschlechtslose zog einen unzufriedenen Schmollmund und stieg auf der anderen Seite wieder vom Bett runter.
»Gib dir doch wenigstens Mühe!«, zischte es.
Servals Gesichtsausdruck wurde hart, die Lippen nur ein schmaler Strich.
»Hast du beim Nyoka-Stamm nichts gelernt?«, spottete Xah. »Hat dein Vater dir nichts beigebracht? Und Tomodachi? Wo ist der große Serval, der Königin Sybille und ihren neugeborenen Sohn umgebracht hat?«
Blitzschnell schoss Roho vor und schnitt Xah in den Oberarm, obwohl es sich noch zur Seite gedreht hatte. Doch es kümmerte sich nicht um die blutende Wunde, sondern war mit einem Sprung bei Serval. Das schmale Schwert beschrieb einen silbrigen Bogen, bevor es die Lederrüstung durchstieß und sich in seinen Oberkörper bohrte. Serval stöhnte auf. Seine Knie gaben nach und er musste sich mit Roho auf dem Boden abstützen, um nicht vollständig umzukippen. Über ihm blitzten Xahs Augen triumphierend auf. Mit einem Ruck zog es sein Schwert wieder heraus und hielt es dem Mann an die Kehle.
»Offensichtlich hast du dich geirrt, was das Verlassen des Hauses angeht«, sagte es und stemmte den freien Arm in die Hüfte. »Du hast uns verraten, Serval. Du warst schon immer ein Verräter an allen, die dir etwas bedeutet haben. Hast du irgendwelche letzten...«
Die letzten Worte gingen in einem hohen Schrei unter. Xah stolperte zurück und starrte fassungslos auf den Dolch, der aus seiner Seite ragte. Es packte ihn am Griff und zog ihn raus, woraufhin ein dunkler Fleck sich immer schneller auf seiner Kleidung ausbreitete. Sein Gesicht verzog sich vor Wut und Schmerzen.
»So verhält sich kein ehrbarer Krieger!«, spuckte es aus.
»Das ist keiner von uns beiden«, sagte Serval, bevor Xah sein Schwert schwang und ihm mit einem Schlag den Kopf abtrennte. Sein Körper fiel mit einem matschenden Geräusch auf den Teppich, der nun fast vollständig rot war. Die rechte Hand umklammerte immer noch Roho, dessen Klinge das Kerzenlicht in alle Ecken des Zimmers reflektierte.
»Er hat uns nicht verraten, wo die Prinzessin hin ist«, meldete sich eines der zwei anderen Geschlechtslosen im Raum. »Was machen wir jetzt?«
»Gar nichts!«, fuhr Xah es an. »Wir verschwinden zurück ins Grenzland! Scheiß auf das Geld! Oder möchtest du zum König zurückkehren und ihm berichten, dass wir versagt haben?«
Das Geschlechtslose schüttelte heftig den Kopf. »Was ist mit der Wunde?«
Xah tastete leise fluchend über seine Seite und wurde dann blass im Gesicht. Es sah den Dolch wütend an, blickte dann hinüber zu Hunvets Leiche und warf ihn achtlos in ihre Richtung, wo er in der roten Pfütze landete. »Geht ohne mich. Ich bleibe hier.«
Das Geschlechtslose schaute es skeptisch an. »Warum?«
»Weil Serval wohl doch recht hatte.« Es erwiderte den Blick des anderen, bis dieses dem dritten im Zimmer zuwinkte und mit ihm hinaus auf den Flur ging. Kaum war das geschehen, stolperte Xah zum Bett und hielt sich die Seite, das Gesicht vor Schmerzen verzerrt. Die Decke um es herum färbte sich allmählich rot.
Als der Besitzer der Nordost-Theke am nächsten Morgen den Flur im obersten Stockwerk entlang ging, bemerkte er, dass unter einer der Türen eine rote Flüssigkeit hindurch sickerte. Er öffnete sie und wurde sofort ohnmächtig. An diesem Tag wurde in ganz Mpaka von dem Mord in der Nordost-Theke geredet. Ein echter Geschlechtsloser war eingebrochen, hatte Hunvet, die freundliche Bedienung, getötet und ihren Geliebten geköpft, wobei es selbst tödlich verwundet worden war. Einige behaupteten, es wäre ein Liebesdreieck gewesen. Schließlich war Hunvet dafür bekannt, alle möglichen Leute zu sich ins Bett zu holen. Niemand ahnte, worum es bei diesem Mord in Wirklichkeit gegangen war. Die einzigen, die es wussten, verschwanden einige Wochen später im Grenzland und verstreuten sich dort in alle Himmelsrichtungen.
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In der ersten Fassung war vieles von Servals Leben im Dunklen geblieben. Sogar seinen Tod habe ich nicht direkt erwähnt, sondern nur, dass »irgendwer Seppuku begangen hat«. Ursprünglich hat Vala das bei ihrem Besuch an Shamals Grab aufgeschnappt. Mit diesem Kapitel wollte ich Serval einen würdigeren Tod geben und auch eine Erklärung, was denn jetzt mit Xah und seinen Geschlechtslosen passiert ist. Das war vorher nämlich gar nicht mehr erwähnt worden. Sie waren einfach weg XD
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