Paris 1
Frustriert kickte ich einen grauen Stein in die Dunkelheit, die ein paar Meter vor mir herrschte. Schon eine ganze Weile beobachtete ich den Schatten, den die widerlich hübschen Straßenlaternen auf den Boden warfen. Ich sah wie meine Locken bei jedem Schritt wütend auf und ab wippten.
Der nächste Stein schlitterte über den gepflasterten Weg. Mein Blick fiel auf meine kaputten Schuhe, rote abgeranzte converse, dessen Schnürsenkel man höchstens noch als Fetzen bezeichnen konnte. Das Profil war kaum noch zu erkennen, wenn man mal die seltene Ehre hatte, von unten auf die Sohle zu blicken.
Doch jetzt in dem Dämmerlicht der Nacht, sahen sie noch viel abgeranzter aus als tagsüber, wenn auch, schwer vorstellbar.
Trotzdem weigerte ich mich seit Wochen, wenn nicht, schon Monaten, mir ein paar neue Schuhe zu suchen. Darauf könnten sie lange warten. Und mit sie meinte ich meine Mutter und ihren neuen Lover, wegen dem wir hier hergezogen sind. Ins verfickte Ausland, dessen Sprache ich noch nicht einmal beherrsche. Und mit Ausland meinte ich Frankreich. Paris. Grauenhaft. Die Stadt der Liebe, als würde sie mir absichtlich eins reinwürgen wollen. Liebe, pff, von wegen.
Die Stadt der Liebe konnte mich mal kreuzweise, ich hasste sie jetzt schon, dabei sind wir vorhin erst angekommen.
Wie sollte ich in einem Land überleben, dessen Sprache ich gerade mal zwei Sätze beherrschte.
Essgeschirr Paleo Toilette Ziel vuplä, oder so.
Und noch je ne sais pas.
Wenigstens konnte ich mit dem Satz auf so gut wie alles antworten.
Wie man vielleicht merken könnte, hatte ich in Französisch nie gut aufgepasst. Oder es überhaupt versucht. Weil ich dummerweise dachte es niemals gebrauchen zu können. Dummer Fehler. Hoffentlich konnten die Franzosen Deutsch. Oder Englisch.
Darin konnte ich wenigstens mehr als zu fragen ob ich auf Toilette gehen konnte.
Vielleicht sollte ich aufhören über Toiletten nachzudenken, sonst wird mir irgendwann auffallen das ich so langsam mal aufs Klo muss.
Auf der Suche nach Ablenkung sah ich mich um. Ich war fern ab von dort, wo dieses verdammte Haus stand in dem wir nun wohnten. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung wo genau ich mich befand. Aber egal. Google maps regelt. Zumindest wenn wir wieder einfällt wie die Straße hieß. Irgendein französischer Name - Überraschung.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es mittlerweile nach zwei war. Also zwei Uhr morgens. Dafür das es mitten in der Nacht war, liefen noch ziemlich viele Menschen herum.
Eigentlich hatte ich erwartet das um diese Uhrzeit, wie bei uns zuhause in Deutschland nur noch gruselige Gestalten herumliefen, aber vereinzelt waren auch ein paar Pärchen unterwegs. Wie ätzend das man nicht mal jetzt seine Ruhe vor denen hatte.
Um den Anblick nicht ertragen zu müssen, zog ich mir die Kapuze meiner Strickjacke über den Kopf und hielt den Kopf gesenkt.
Irgendwie könnte ich jetzt gut eine Zigarette vertragen, die ich meistens als "Stängel" bezeichnete. Einfach nur, weil das in unserem Viertel zuhause in Deutschland eben alle machten.
Vielleicht könnte ich ja jemanden fragen ob er mir eine ausgibt. In Paris sind doch bestimmt alle so ekelhaft nett, da bräuchte ich mir nie wieder welche selbst beschaffen. Diese Erkenntnis brauchte mich ungewohnter Weise tatsächlich zum lächeln. Schnorren war eben einfach eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Zuhause, in Deutschland, bei meinen Freunden wusste jeder, das er in meiner Gegenwart nicht viel von den eigenen Errungenschaften behielt. Ich war einfach zu gut in dem was ich tat.
Ob das bei der miesen Laune, die ich nun an den Tag legte auch klappen würde, war die Frage.
Prüfend sah ich mich nach jemandem um, der so aussah als käme er gut mit schlecht gelaunten Teenagern zurecht. Viele Leute waren hier nun nicht mehr. Gerade betrat ich eine kleine Brücke, die über einen schmalen Fluss führte, der sich durch die Häuser schlängelte, als ich jemanden bemerkte, der auf dem Geländer saß und qualmte. Was für ein Zufall. Hoffentlich war er kein pädophiler Opa.
Zielstrebig schloss ich den Abstand von ein paar Metern zwischen uns und tippte ihm auf die Schulter, woraufhin er zusammenzuckte und fast vom Geländer fiel.
Unhöflicher Weise konnte ich ein kleines kurzes Lachen nicht unterdrücken. Doch danach wurde ich sofort wieder ernst. Ich wollte keine gute Laune haben. Nicht mal durch Schadenfreude.
Grimmig starrte mich der Junge an und sagte etwas auf französisch was ich allerdings - wahrscheinlich zum Glück, nicht verstand.
"Tu aime...?", moment, das war falsch.
Confus schüttelte ich den Kopf. Lieber auf Nummer sicher gehen.
"Sorry, I just wanted to ask you for a cigarette..." Ich versuchte mich nicht mal an einem Lächeln. Entweder er gab mir eine, oder ich würde ihn schubsen und mir jemand anderen suchen. Es kam ganz auf seine Entscheidung an.
Statt einer Antwort sah er mich nun mit einer Mischung aus Widerwillen und genervtheit an. Und noch etwas, das ich nicht ganz zuordnen konnte. Verwunderung?
Dann wendete er sich seiner Jackentasche zu. Er trug eine einfache Jogginghose und Tshirt mit einer Jacke, die ein bisschen aussah wie ein sehr dicker oma-teppich. Aber zugegeben, es hatte was. Mir persönlich würde aber eine Kapuze fehlen. Und die Schuhe. Meine Schuhe.
Ohne ein Wort mit mir zu wechseln öffnete er eine Schachtel voll Stängel und nahm einen heraus, den er mir hin hielt. Dankbar - aber nicht zu sehr, nahm ich ihn an und steckte ihn mir in den Mund. Schon jetzt fühlte ich mich besser.
Anschließend steckte er die Schachtel wieder ein und holte stattdessen ein Feuerzeug heraus.
Fragend sah er mich an. Immernoch wirkte er angepisst, jedoch deutlich weniger, als eben, wo er fast im Wasser gelandet war.
Ich nickte ihm nur zu, er verstand und beugte sich zu mir. Ein paar mal probierte er, eine Flamme zu zünden ohne das es funktionierte. Der Typ seufzte lautlos und rutschte ein wenig herum, um die andere Hand zum abschirmen verwenden zu können, damit das Gas besser zündete.
Währenddessen nahm ich mir Zeit um den Jungen zu mustern.
Er war ungefähr in meinem Alter. Sah nicht schlecht aus. Blonde Haare, helle Augen, die Farbe nicht wirklich zu erkennen.
Schließlich hatte er es doch hinbekommen mir meinen Stängel anzuzünden und drehte sich um.
Irgendwie schien es ihm unangenehm zu sein, warum auch immer.
Ich drehte mich ebenfalls um und lehnte mich mit dem Rücken an das Geländer auf dem er immernoch saß.
Entspannter als zuvor zog ich an der Zigarette und atmete in einem tiefen Seufzer den Rauch aus.
Beinahe augenblicklich legte sich das bekannte dumpfe Gefühl in mir ab, was fürsorglich jeden ein bisschen dümmer und high machte.
So ging das eine Weile. Er genoss die Aussicht auf den Fluss und die Häuser. Ich meinen Stängel.
"What accent?" Hörte ich ihn irgendwann fragen. Eindeutig mit französischem Einfluss. Denn er sprach das accent nicht wie ein accent aus, sondern eher wie ein axong.
Sehr gewöhnungsbedürftig, aber naja, ich durfte mich eigentlich nicht beschweren.
"German" Antwortete ich schlicht. Kurz bekam ich Angst, das die Antwort ein Fehler gewesen sein könnte, weil es da ja mal irgendwie eine Auseinandersetzung im Krieg gegeben hatte, an irgendeinem Strand, weswegen manche Franzosen nicht gut auf Deutsche zu sprechen waren. Sehr viele Verluste waren wohl damals unter den Reihen der Soldaten entstanden.
"Ahh deutsches Mädchen" Murmelte er ein wenig resigniert - glücklicherweise ohne einen bösen Unterton.
Uninteressiert und immernoch high drehte ich mich um und stützte mich auf meine Unterarme. Er hatte mir den Morgen gerettet, ich war ja schon irgendwie verpflichtet dafür mit ihm zu reden. Es wirkte nämlich zugegeben ziemlich trostlos, wie er hier herumsaß, so ganz alleine. Auf einer Brücke. Vielleicht war er depressiv?
"You can speak German?" fragte ich scheinbar interessiert und sah ihn von der Seite an.
Schlecht sah er ja nicht aus.
"A little bit, francais better"
"What a suprise"
Damit brachte ich ihn tatsächlich zum Lachen. Kurz drehte er mir den Kopf zu und musterte mich noch einmal mit einem amüsierten Lächeln. Ich bließ abermals den Rauch aus meiner Lunge.
"Oui" Meinte er schließlich. Ein Wort von dem ich tatsächlich wusste, was es bedeutete. Das sollte ich feiern. Am besten zuhause, mit meinen Freunden.
Eine Weile rauchten wir stillschweigend nebeneinander her. Leider war irgendwann meine Zigarette abgebrannt.
Dieser Ort war auch hübsch. Warum musste es hier überall so hübsch sein?
"Why so alone in the dark?" Fragte er und ich konnte nicht so wirklich entschlüsseln was er damit meinte. Das sah er mir wohl an, als er wieder den Kopf drehte. "It's dangerous in these streets"
Ich verdrehte die Augen."So what? I can burn." Nun sah er verwirrt aus.
Unbeirrt philosophierte Ich weiter mein Lieblingsbuch. "Fire is catching. And when I burn, they burn with me."
Sehr episch, das endlich mal gesagt zu haben, wie ich fand.
"Hunger games!" Stellte er fest. Erstaunt nickte ich. Die hatten das hier auch?
"third part, yes"
Keine Ahnung ob das was ich sagte englisch korekkt war, aber solange er es verstand war das ja egal.
"I know, cause I love hunger games"
"I too"
Nun war sein Stängel auch abgebrannt, er hatte sich wesentlich mehr Zeit gelassen, als ich.
"Favorit character?"
"Finnick"
"Character you hate the most?"
"Annie"
"Wha-, why?!"
"Because she's in a relationship with my men."
Wieder lachte er und mich überkam eine Gänsehaut, die ich gerne verprügelt hätte. Sein Lachen war eins von denen die einem durch Haut und Haaren ging. Ich spürte das Vibrieren beinahe in den Knochen, dabei war seine Stimme nicht einmal tief.
"Isn't funny" Brummte ich ein bisschen angepisst und wandte mich dem Wasser zu, das unter uns hindurch floss.
"Pardon."
Wieder verfielen wir in Schweigen. Zu gerne hätte ich nach einer weiteren Zigarette gefragt. Meine Lungen sehnten sich nach dem wohltuendem Schaden. Nach ein paar Sekunden ging es hielt ich die Stille zwischen uns schon nicht mehr aus. Oder ich hatte keine Lust mehr auf sie, weil meine Gedanken begannen abzuschweifen.
"What's your favorit?"
"Cinna"
"Are you gay?"
"For him I would become super gay"
"Super gay?"
"Yes, just for him"
Dieser französische Akzent war wirklich die Hölle. Egal was er sagte es klang immernoch mehr französisch als englisch, dabei war englisch so eine angenehme Sprache.
"And you're hating the most?"
Darüber musste er erst einmal nachdenken. Er machte ein komisches Gesicht und biss sich auf die Lippe. Schnell sah ich weg. Gott sah das heiß aus.
"I guess... Snow"
Da musste ich wohl gar nicht fragen wieso. Er war Schuld an allem. Er selbst hätte einen viel schmerzhafteren Tod verdient als den, den er bekam.
Allein nur für diese eine Tat...
"Your opinion about Catniss?" Fragte der Typ und began ein wenig mit den Beinen zu schaukeln.
"I think she's traumatized as fuck. She belongs in psychiatry"
"Yes, she had a lot of shit in her life."
"Her life is shit"
"Yeah... really sad"
Wieder entstand Stille zwischen uns. Ich gähnte. Wahrscheinlich sollte ich langsam mal den Rückweg antreten. Die Wut war nicht mehr so präsent wie zuvor, was trauriger Weise an dem Gespräch lag. Beziehungsweise an der Zigarette. Vielleicht konnte ich Mamas Lover anrufen und ihn fragen wo er nochmal wohnte. Meine Mutter würde ich nämlich nie wieder anrufen.
Nach meinem Handy greifend pustete ich mir eine meiner straßenköter-blonden Locken aus dem Gesicht.
In den Tiefen meiner Kontakte dauerte es eine Weile, bis ich Raffaelos Name fand. Beziehungsweise den Namen den ich eingespeichert hatte.
Raffo.
Das war ein echt beschissener Spitzname. Da war ich echt stolz drauf.
Neugierig schielte der Junge mit auf das Display. Ich konnte die Frage auf seiner Zunge hören obwohl er sie nicht aussprach. Es tutete.
"Moms boyfriend" Brummte ich und war sofort wieder schlecht gelaunt.
"Oh shit?"
"Yes, oh shit." Nickte ich und hielt mir mein Handy ans Ohr.
Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit bis er ranging. Kein Wunder. Mittlerweile war es ja auch fast drei.
"Allo?" Stöhnte er und ich verzog das Gesicht.
"Wo wohnst du nochmal?" Fragte ich ohne Umschweife.
"Valerie?"
"Ja, wo wohnst du nochmal?"
Am anderen Ende der Leitung war kurz ein Rascheln zu hören. Dann ein unverständliches. "Pardon?"
Wieder verdrehte ich die Augen. Halb am schlafen konnte man von ihm wohl nicht erwarten, dass er noch etwas anderes als seine Muttersprache beherrschte.
Ich wandte mich an meinen Stängel-spender, dessen Spitzname in meinem Kopf eben noch nicht so pervers klang. "Can you say 'what's your address' in French?" bat ich ihn und hielt ihm die Seite mit dem Mikro unter die Nase.
"Quelle est ton Adresse?" Fragte er und ich nahm mein Handy zurück ans Ohr. Dabei bemerkte ich wie der Typ wieder amüsiert lächelte.
Ich bedachte ihn mit meinem assozialen 'Was guckst du so'-Blick, doch das schien ihn nicht zu jucken. Im Gegenteil, er fing an zu grinsen.
Zum Glück verstand Raffaelo meine Frage jetzt und nannte mit die Adresse. Leider verstand ich nur wörtlichen Einheitsbrei aus Vokale und L's.
"Ähhh" Schnell hielt ich das Handy wieder zu der Blondine.
"Say 'repead' and memorize it" Wies ich ihn an und er tat wie befohlen.
"Répétez s'il vous plaît......ahh oké"
"Danke, tschüss" Beendete ich das und wollte gerade auflegen als seine Stimme nochmal ertönte.
"Valerie-... Tu n'es pas au lit?"
Ich hatte keine Ahnung was das hieß, aber ich konnte es mir schon fast denken.
"Kein Wort zu mom oder ich zünde deine Katze an." mit diesen Worten drückte ich schnell den roten Button. Wenn er sich anstrengte verstand er das bestimmt. Oder er merkte an meinem Tonfall was ich sagen wollte.
Nachdem ich google maps geöffnet hatte hielt ich meinem Helfer das Handy hin und meinte. "Write it down"
Er machte keine Anstalten meiner Aufforderung zu folgen.
"The address"
So schwer vom Begriff konnte man doch gar nicht sein, nun fing er an zu tippen. Als ich mein Handy zurück bekam konnte ich meinen Augen kaum trauen. Das war ja unaussprechlich. Die Franzosen tickten doch wohl nicht richtig.
"Long way home" Meinte mein Gegenüber, der sich schon vor einer Weile auf dem Geländer umgedreht haben musste.
"Hm" Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Then I wish you a good morning. I'm going home too now." Komisch das das jetzt von ihm kam, wo doch ich drauf und dran war zu gehen.
"Bye" Verwundert sah ich ihm hinterher. So lange bis er kurz davor war um die nächste Ecke zu verschwinden.
"Hey!" Rief ich, damit er stehen blieb. Sobald er sich umdrehte, die Hände in den Hosentaschen, war ich kurz davor wieder anfangen Steine zu kicken.
"What's your name?!"
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Finnick!" Rief er zurück und nun wurde das Lächeln wieder zu einem anzüglichen Grinsen.
Ich verdrehte die Augen, konnte ein belustigtes Schnauben jedoch nicht unterdrücken. Schnell drehte ich mich um damit er es nicht sah und machte mich mit schnellen Schritten auf den Weg zurück zu meinem wohl neuen Zuhause. In Frankreich...
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