Zusammenkunft
Die Nacht war warm, dennoch fröstelte Maya. Etwas behagte ihr nicht, schon den gesamten Tag beherrschte sie ein seltsames Gefühl. Ihr Kopf schmerzte noch von dem Aufeinandertreffen mit den beiden Mädchen am Morgen, doch die Beule an ihrem Hinterkopf war momentan ihr geringstes Problem.
Die Arme fest um den schmalen Körper geschlungen, stapfte sie die Hofeinfahrt hinauf. Es war das erste Mal, dass sie mit dem Gedanken gespielt hatte, einfach alles fallen zu lassen, ihre Artgenossen einfach hier sitzen zu lassen und zu gehen. Doch sie wusste, dass sie sich das nicht erlauben konnte. Angeblich waren heute mehrere Neue hinzugekommen. Ihre Gruppe erreichte einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Stadt. Berühmt und berüchtigt. Maya lächelte kurz über den altmodischen Ausdruck. Langsam wanderte ihr Blick über die dichten Büsche, die die Hofeinfahrt säumten. Wie oft hatte sie Nick schon geraten, die Dinger zu entfernen, sie machten alles so unübersichtlich. Jedes Mal, wenn sie an ihnen vorbeiging, hatte Maya das Gefühl, dass sich irgendetwas Furchteinflößendes in ihnen verbarg. Sie fröstelte. Alberne, kindische Gedanken.
In gerade diesem Moment raschelte etwas in den Blättern. Wie angewurzelt blieb Maya stehen, statt Blut schien plötzlich Eis durch ihre Adern zu fließen. Langsam, zögerlich, ging sie auf die Büsche zu. Vielleicht war es ja Einbildung gewesen, oder ein Vogel. Was oder wer sollte sich schon in einem so abgelegenen Stadtteil verbergen? Gerade streckte sie die Hand nach den Blättern aus, um sie zur Seite zu schieben, als plötzlich die Tür des Hauses aufging. Ein Mann mittleren Alters stand im Türrahmen und er betrachtete Maya mit einem äußerst gereizten Gesichtsausdruck. „Wo bleibst du? Alle warten nur auf dich.“
Als wäre sie von den Blättern gestochen worden, zog Maya ihre Hand ruckartig zurück. „Entschuldige. Ich dachte nur…“
„Es ist mir egal, was du denkst. Komm rein.“
Sie warf ihm einen missmutigen Blick zu. „Dir auch einen schönen Abend, Nick.“
Er trug eine helle Hose und ein hellblaues Hemd, an seinem Handgelenk saß eine klobige Armbanduhr. Seine Haare waren blond und militärisch kurz geschnitten, und seine Augen, seine Augen waren von einem so eisigen Blau, dass nicht einmal Maya wagte, in sie zu sehen.
„Immer noch der getreue Parasit?“, fragte sie schnippisch, als sie sich an ihm vorbei ins Innere des Hauses drängte. Angenehme Wärme und der Geruch nach Essen umhüllten sie.
„Nicht jeder gibt seine Tarnung auf und brennt sein Haus nieder.“, antwortete Nick emotionslos. Mit einem Schnauben winkte Maya ab.
So aufrecht wie möglich betrat sie das Wohnzimmer, wo ihr heutiges Treffen stattfand. Befriedigt stellte sie fest, dass es voller war als gewöhnlich. Es waren also tatsächlich Neuankömmlinge dabei. Suchend wanderte ihr Blick über die Reihen. Viele Gesichter waren ihr bekannt: Ein Mann mit ellbogenlangen rostroten Haaren, dem Maya es vermied, zu nahe zu kommen, da er es offensichtlich nicht für nötig hielt, sich zu waschen, Lara, ein Mädchen mit Locken in einem so leuchtenden Rot, dass es wirkte, als stünde ihr Kopf in Flammen. Schließlich entdeckte sie einen der Neuen. Er stand hinten, entspannt an die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.
Doch die Anderen schienen Abstand von ihm zu halten, und als er aufblickte, als habe er Mayas Blick gespürt, wusste sich auch warum. In einem schmalen Gesicht, umrahmt von mittellangen schwarzen Haaren, saßen zwei Augen, die Maya sofort zwangen, wieder wegzusehen. In ihnen loderte ein kaltes Feuer, kein Feuer des Wahnsinns, sondern ein Feuer kältester Berechnung, ein Feuer, das zeigte, dass dieser Mensch zu keinen Emotionen fähig war, dass er alles tat, weil es seinem eigenen Vorteil diente.
Ein Schauer wanderte Mayas Rücken hinunter. Das erste Mal war sie froh, dass sie zu dieser Gruppe Menschen gehörte, nicht, weil es ihr Macht verlieh, und weil es ihr eine Aufgabe gab, sondern weil es bedeutete, dass sie diesen Mann, der so entspannt da stand, nicht zum Feind hatte. ‚Er würde uns alle umbringen, wenn er daraus einen Vorteil gewinnen könnte.‘, wurde ihr klar. ‚Niemals, niemals werde ich diesem Mann den Rücken zukehren.‘ Sie fragte ihn nicht nach seinem Namen, etwas so Banales wie ein Name schien nicht zu ihm zu passen.
Mühsam räusperte Maya sich und alle Köpfe in dem Raum wandten sich ihr zu. Neues Selbstbewusstsein durchflutete sie. Diese Menschen hier waren gekommen, um ihr zuzuhören, um sich einen Plan zurechtzulegen, und um endlich die Vorherrschaft über die Minderwertigen zu gewinnen.
Ein leises Lächeln umspielte ihr Züge, als sie begann, zu sprechen: „Wir sind einen großen Schritt vorangekommen, das Klimasystem ist außer Kontrolle, im Imperias macht sich eine Ahnung breit, sie spüren die nahende Gefahr, sie spüren die Unruhe. Doch das soll uns nicht genügen, niemals. Wir müssen mehr tun, wir müssen ausschwärmen und langsam alles kontrollieren, bis sich die Parasiten umzingelt sehen in ihren schönen Häusern, bis sie verstehen, dass es kein Entkommen mehr gibt.“
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