Zerstritten
Doch Jana blieb nicht lange Zeit, die Szenerie, die sich ihr darbot, aufzunehmen, denn nur einen Bruchteil einer Sekunde nachdem sie den Raum betreten hatte, wurde sie so hart von einem Turnschuh ins Gesicht getroffen, dass sie beinahe wieder rückwärts aus dem Raum hinausgestolpert wäre. Mit einem dumpfen Geräusch landete der Schuh auf dem Boden. „Ich freue mich auch unheimlich, euch zu sehen.“, kommentierte Jana trocken.
Nils, R und Lizzy saßen nebeneinander an der hinteren Wand des Raumes, die Hände hinter dem Rücken an die Pfosten des hinter ihnen stehenden Bettes gebunden. Rs Kopf wies eine höchst leuchtende rote Farbe aus, während Nils Jana nur mit kühlem Blick musterte und Lizzy sich ein Grinsen offensichtlich nicht verkneifen konnte. Direkt hinter der Tür lagen mehrere Trümmerteile von etwas, das anscheinend einmal ein Stuhl gewesen war. Daher also die Geräusche von etwas Zerbrechendem. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Jana die anderen drei an. „Was sollte das denn bringen? Habt ihr versucht, so die Tür aufzubekommen? Bei einer Tür, die sich nach innen öffnet?“
Lizzy zog eine Grimasse. „Einen Versuch war es immerhin wert. Es hätte ja sein können, dass die Türen extrem instabil sind.“
Jana ersparte sich einen weiteren Kommentar. Es erschien ihr weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, um eine Diskussion anzufangen. Mit fliegenden Fingern löste sie die Fesseln der drei, die danach einigermaßen unschlüssig im Raum herumstanden und sich die Handgelenke rieben. „So viel also zum geschickten taktischen Vorgehen.“, kommentierte Jana trocken. „Ihr wart zu dritt.“
Nils warf ihr einen giftigen Blick zu, ging aber nicht weiter darauf ein, Lizzy wich ihrem Blick aus. Dann, offensichtlich nach einem gegenargument suchend, fauchte Nils Jana an: „Was denkst du dir eigentlich dabei, einfach so deinen Posten an der Straße zu verlassen? Du hattest nur eine winzig kleine Sache zu tun, eine Kleinigkeit, und das Erste, was dir einfällt, ist, genau das nicht zu tun und uns doch zu folgen? Ist dir eigentlich klar, welcher Gefahr du uns alle aussetzt?“ Er schien sich immer mehr in Rage zu reden und seine Stimme wurde lauter. „Unser Versteck liegt praktisch offen, der…“ Einen Augenblick zögerte er und schien nach dem korrekten Wort zu suchen, es aber nicht zu finden. „…dieser Mann kann jeden Augenblick zurückkommen und dann sind wir alle geliefert, nur wegen deinem Leichtsinn und deiner Unüberlegtheit.“
Jana spürte, wie etwas in ihrem Inneren anfing, zu brodeln und wütend hielt sie dagegen. „Was hätte ich denn deiner ach so wichtigen Meinung nach tun sollen? Bis in alle Ewigkeiten da oben sitzen bleiben, und wartet, dass ihr euch selbst befreit? Und wenn das nicht geschehen wäre? Dann wäre ich da trotzdem sitzen geblieben und nichts getan. Ja, genau das hätte ich tun sollen!“
„Wir hatten einen Plan. Und wärst du nicht aufgetaucht, mit der Absicht, dich wieder in einem besseren Licht dastehen zu lassen, als du es tust, seit Katharina verletzt wurde, dann wären wir trotzdem innerhalb von den nächsten paar Minuten wieder frei gewesen!“
„Oh ja, das sah mir sehr danach aus.“, spottete Jana. „Als ich die Tür geöffnet habe, hast du relativ erleichtert gewirkt, dass jemand die bösen bösen Seile von deinen Handgelenken entfernen konnte.“
Nils öffnete wütend den Mund, um zu widersprechen, da schaltete Lizzy sich ein. „Hört doch auf, euch zu streiten, das bringt uns doch nichts. Nichts von dem, was jetzt geschehen ist, ist jetzt noch zu ändern. Nils, Jana hat genau das Richtige getan, was du auch getan hättest, wärst du in ihrer Situation gewesen, das brauchst du gar nicht zu bestreiten. Und Jana, wir hatten die Fesseln fast auf, da hat Nils Recht, aber mit dir ging es ohne Zweifel schneller.“
Jana und Nils tauschten einen letzten zornigen Blick, dann ließen sie die Sache auf sich beruhen, auch wenn Jana innerlich noch immer bebte. Sie hatte das getan, was notwendig gewesen war und nun wurde sie dafür noch beschimpft. Man konnte es auch übertreiben mit seinem Misstrauen. Doch dann fiel ihr wieder ein, was das letzte Mal geschehen war, als sie jemandem leichtfertig vertraut hatte, und ihr Inneres schien sich zu verkrampfen, als der Gedanken an Jasper sich wieder in ihren Kopf drängte. Aber bevor sie auch nur einen Ton sagen konnte, meldete R sich von der Tür. „Wenn ihr wollt, könnt ihr ja gerne noch länger hier herumstehen und euch streiten, aber ich würde gerne langsam hier weg. Ich habe es satt, nur hier herumzusitzen und nichts zu tun. Es wird Zeit, endlich etwas zu unternehmen.“
Seite an Seite mit Lizzy folgte Jana R aus dem Raum. Lizzy hatte die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. „Ist alles in Ordnung?“
Lizzy nickte, doch es wirkte fahrig, als hätte sie Janas Frage gar nicht richtig gehört. „Ich denke nur… dieser Mann, er ist anders. Er ist keiner von uns, aber er ist auch keiner der anderen. Er war so… wild. Weißt du, was ich meine? Wahrscheinlich gehört er doch zu uns… aber warum hat er dann Katharina angegriffen? Ich verstehe das alles nicht.“
Der jähe Impuls, das jüngere Mädchen in den Arm zu nehmen, erfasste Jana, doch sie zuckte letztendlich nur mit den Schultern. „Ich auch nicht, Lizzy. Aber irgendwann werden wir es herausfinden, ob wir wollen oder nicht.“
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro