Janas Beine schmerzten und der Rucksack, den sie seit Sonnenuntergang trug, schien mehrere Tonnen zu wiegen. Sie nahm nichts mehr von ihrer Umgebung war, konzentrierte sich nur noch darauf, irgendwie vorwärts zu kommen. Wohin, wusste sie nicht. Weder sie noch Jasper konzentrierten sich noch auf den Weg, sie bogen einfach nach Lust und Laune nach rechts oder links ab. Wenn nun wieder jemand auf sie schießen sollte, hatten sie keine Chance. Die Sonne war untergegangen und es wurde dämmerig, was es einerseits schwieriger für eventuelle Beobachter machte, sie zu entdecken, andererseits aber auch fast unmöglich machte, ein geeignetes Versteck zu finden und sei es nur für eine Nacht.
Die Straßen lagen wie ausgestorben da, wie fast den ganzen Tag schon.
„Wir sollten irgendwo klingeln und fragen, ob wir eine Nacht irgendwo bleiben dürfen.“, murmelte Jana mutlos, als der Himmel sich von lila zu dunkelblau zu färben begann. Jasper schnaubte und ersparte sich die Antwort. Kraftlos ließ Jana sich erneut gegen die nächstgelegene Hauswand sinken. Ihre Beine schmerzten, der Rucksack schien mit jedem Schritt schwerer zu werden und ihr Mund war wie ausgetrocknet.
Jaspers Handfläche streifte ihre. Ruckartig zog sie ihre Hand zurück. Niemand durfte sie ohne ihre Erlaubnis berühren, auch nicht, wenn sie am Ende ihrer Kräfte war.
Plötzlich kam von gegenüber das Geräusch einer sich öffnenden Tür und unterbrach die jäh aufgetretene Spannung zwischen ihnen. Jeder noch so kleiner Muskel in Janas Körper spannte sich an, Adrenalin pulsierte durch ihre Adern. Krampfhaft versuchten ihre Augen, das Dunkel zu durchdringen. Jasper zog schon wieder an ihrem Arm, aber dieses Mal drängend. Er wollte weg und zwar so schnell wie möglich. Doch irgendetwas hielt Jana dort, wo sie stand, ein Gefühl, das sie nicht benennen konnte.
Dann trat eine Gestalt aus dem Schatten der gegenüberliegenden Hauswand. Eine junge Frau, wie Jana in einer Mischung aus Verwunderung und neu erwachender Wachsamkeit fest stellte. Jasper neben ihr hörte auf, sie fort zu ziehen und erstarrte. Jana wand ihr Handgelenk aus seinem Griff. Die junge Frau mochte vielleicht fünf Jahre älter sein als sie beide, ihre langen, gewellten honigblonden Haare waren lang und ungekämmt. Ihre Kleidung schlug Falten um ihren schmalen Körper, als wäre sie ihr mindestens zwei Nummern zu groß. In ihren braunen Augen lag die gleiche Wachsamkeit und auch die Furcht, die Jana oft bei Jasper gesehen hatte. Es war der Blick eines gejagten Tieres. So jemand konnte nur zu ihnen gehören, schoss es Jana durch den Kopf. Zögerlich trat sie einen Schritt nach vorne. Ihre Augen bohrten sich in die ihres Gegenübers, auf der Suche nach einer noch so kleinen Spur von Tücke oder Boshaftigkeit, aber sie konnte nichts entdecken. In der immer dichter werdenden Dunkelheit schon gar nicht. „Ich wusste gar nicht, dass es hier in der Gegend noch mehr von meiner Art gibt“, sagte die junge Frau nach mehreren Sekunden des gegenseitigen Betrachtens schließlich leise. Ihre Stimme war rau und dunkler, als Jana es bis jetzt bei den meisten Frauen und Mädchen gehört hatte.
„Man kann nicht gerade sagen, dass wir von hier sind“, antwortete Jana in dem gleichen Tonfall.
Einige Momente trat Schwiegen ein. „Also... wollt ihr kurz herein kommen? Es wird dunkel.“
Zögernd biss Jana sich auf die Unterlippe. Eigentlich kam es nicht in Frage, einfach so bei jemandem zu übernachten. Andererseits.. dieses Aussehen, dieser Blick. Und sie brauchten dringend etwas, wo sie eine Nacht lang bleiben konnten. Jana warf einen skeptischen Blick zu Jasper. Der stand so steif da, als hätte er einen Stock verschluckt. Seine Miene verriet nichts. „Na schön“, sagte Jana schließlich gedehnt. „Eine Nacht.“
Die Lippen der jungen Frau zuckten kurz in der Andeutung eines Lächelns. „Ich bin Maya.“
„Jana“, stellte die sich knapp vor. Nach einem kurzen Seitenblick zu Jasper fügte sie auch seinen Namen hinzu, da er nach wie vor an eine Statue erinnerte.
Maya führte sie in das kleine Haus hinein, aus dem sie eben heraus gekommen war. Jana atmete erleichtert auf, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Endlich fühlte sie sich nicht mehr so beobachtet, so verletzlich. Sie war unter ihresgleichen. Sie standen in einem schmalen Flur, der in ein kleines Wohnzimmer führte. In diesem stand ein niedriger runder Tisch mit einer Handvoll Stühlen darum herum. Die Stühle waren nicht bezogen, sie bestanden ebenso wie der Tisch aus weißem Plastik und sahen fürchterlich unbequem aus, doch Jana und Jasper waren von dem ganzen Tag auf der Straße so erschöpft, dass sie genau so gut seiden bezogene Himmelbetten hätten sein können, als sie sich darauf fallen ließen.
Maya schenkte ihnen ein erneutes schmales Lächeln, dann verließ sie den Raum durch eine kleine Nebentür.
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