Unterrichtet
Die Nacht war verhältnismäßig kühl, der große Gebäudekomplex wirkte wie gemalt. Am nächtlichen Himmel war keine einzige Wolke zu sehen, Tausende von Sternen vereint mit dem silbernen Licht des Mondes erhellten die Szenerie. Vor den gewaltigen Toren des Imperias, dem Regierungssitzes des Präsidenten, standen regungslos wie Statuen zwei vermummte Gestalten. Ein unaufmerksamer Beobachter hätte die Polis für eine Art seltsame Türsteher halten können. Eine kühle Brise ließ ihre Umhänge flattern, doch die Gestalten schienen das nicht einmal zu bemerken. Sie schienen auf etwas zu warten. Das Tor, vor dem sie standen, machte einen beinahe mittelalterlichen Eindruck, es war aus massivem Eichenholz und ein großer Türklopfer aus Messing beherrschte sein Zentrum- auf etwa zwei Metern Höhe. Zwei runde Türme flankierten das Tor, von ihnen aus lief im fünfundvierzig Grad Winkel eine Mauer weg, bis weitere Gebäude links und Rechts des Eingangs einem die Sicht versperrten. Die mittelalterliche Optik des Imperias täuschte jedoch. Hinter dem Tor fand man nur Hightech vom Feinsten. Die Toren wurden von innen von Metall verstärkt, was es absolut kugelsicher und beinahe unzerstörbar machte. In die Türklopfer und die höchsten Ecken des Tores waren hochauflösende Überwachungskameras eingelassen, die jede Bewegung überwachten und um dreihundertsechzig Grad drehbar waren. Von dem Stein daneben gingen unsichtbare Lichtschranken aus, die, wenn sie unterbrochen wurden, nicht nur sofort Alarm auslösten, sonders ebenfalls kleine Minen im Boden explodieren ließen, die zwar nicht töteten, aber das Opfer am Weglaufen hindern sollten. Ihre Stromquelle hatten sie im Inneren des Imperias, von außen waren sie genau so wenig auszuschalten wie die Überwachungskameras. Das Imperias verlief rautenförmig, an jeder Ecke hatte es ein Tor, jedes auf dieselbe Art gesichert. Es war praktisch unmöglich, es ungesehen zu betreten und sollte es doch jemand schaffen, warteten neben über fünfzig Wachen noch zahlreiche andere unangenehme Überraschungen auf die Eindringlinge. Die zentralen Gebäude befanden sich in der Mitte des Komplexes und wurden von einem weitläufigen Park umgrenzt, der absolut keine Deckungsmöglichkeiten bot. Und erst im Kern der Gebäude befand sich das Büro des Präsidenten, die Computer, die fast alles in der Stadt steuerten, von den Wetterverhältnissen bis hin zur Überwachung des Imperias und gefährdeter Bereiche (solche Bereiche, von denen bekannt war, dass sich dort häufig natürliche Kinder herum trieben) und das Gefängnis.
Von dieser Technik jedoch war von außen nur wenig zu bemerken. Nur ein kleiner Bildschirm hinter kugelsicherem Glas war links neben dem Tor angebracht.
In diesem Moment flackerte er und übertrug plötzlich gestochen scharf in das Büro des Präsidenten. Er saß hinter seinem riesigen Schreibtisch, trotz der späten Stunde trug er noch seinen schwarzen Anzug, der nicht die geringsten Falten aufwies. Die Vorstellung, den Präsidenten in einem zerknitterten Anzug oder gar in einem Schlafanzug anzutreffen, war geradezu absurd.
Seine graublauen Augen bohrten sich in die unsichtbaren Gesichter der Polis. Obwohl man von ihren Körpern so gut wie gar nichts erkennen konnte, machte es den Eindruck, als würden sie zurück weichen, obwohl der Bildschirm nur ein Bild übertrug.
„Was gibt es?“, fragte der Präsident ohne Umschweife. „Eure Schicht ist noch nicht beendet.“
„Natürliche Kinder, Herr.“, antwortete der größere der Polis nach einer Sekunde des Schweigens. Seine Stimme klang seltsam leblos und blechern, wie eine Computerstimme. Es steckten keinerlei Emotionen darin.
Die Augenbrauen des Präsidenten zogen sich zusammen, bis sie fast eine Linie bildeten. „Wie viele?“
„Vermutlich zwei, Herr. Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen, groß, dünn, lange braune Haare. Sie ist in das Anwesen von Ihrer Finanzministerin eingebrochen. Wir haben sie entdeckt und bis zu ihrem Versteck verfolgt. Sie ist verletzt. Eine Kugel hat sie am Arm gestreift. Wir hätten sie erschossen, wenn sie nicht einen Komplizen gehabt hätte, der sie im letzten Moment in ihr Versteck gezogen hätte.“
Die Züge des Präsidenten verhärteten sich. „Ihr wart nicht fähig, sie auszuschalten, als sie am Boden lag?“
Die Polis schwiegen. Es gehörte nicht zu ihren Fähigkeiten, sich zu verteidigen. „Na schön“, sagte der Präsident schließlich seufzend. „Ich gehe davon aus, ihr habt euer Bestes getan, auch wenn das nicht sehr viel heißen will. Wo ist dieses Versteck?“
„Etwa zwei Kilometer im Westen von hier. In einem leer stehenden Keller. Die erste Straße links hinter dem Büchergeschäft.“
„Ich stoße später zu euch.“ Er lehnte sich auf seinem Sitz nach vorne. „Wehe euch, sollten sie entkommen.“
Der Bildschirm flackerte und wurde schwarz. Die Polis atmeten auf. Oder jedenfalls ließ das Heben und Senken ihrer Schultern darauf schließen. Die Sterne blinkten unschuldig und der Wind frischte erneut auf, als sich die Polis schleppenden Schrittes auf den Rückweg machten.
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