Lachen
Ohne Vorwarnung stürzte sich plötzlich eine Gestalt auf die kleine Gruppe, die eng gedrängt in dem Flur stand. Woher sie gekommen war, konnte Jana nicht sagen, wahrscheinlich hatte sie sich irgendwo in den Schatten verborgen gehalten. Und auf ihre Gelegenheit gelauert.
Jana taumelte rückwärts, von dem plötzlichen Angriff aus dem Gleichgewicht gebracht. Gerade noch konnte sie sich an der Wand hinter ihr abstützen, sonst wäre sie gefallen.
Ein junger Mann mit schwarzen Haaren hatte sich auf Katharina und Marie gestürzt, und zu ihrem Entsetzen sah Jana etwas in seiner Hand aufblitzen. Ein Messer. Das hier war keine Rangelei mehr, hier ging es nicht darum, große Reden zu schwingen, es war ein Kampf auf Leben und Tod. Auch Marie und Katharina schienen das begriffen zu haben. Sie setzten sich mit aller Kraft zu Wehr, doch sie waren unbewaffnet und obwohl der Mann alleine war, war er ihnen doch überlegen. Schon bluteten beide aus mehreren Schnittwunden, keine gefährlichen Wunden, doch erinnerten die beinahe spielerischen Bewegungen des Mannes Jana immer mehr an eine Katze, die mit ihrer wehrlosen Beute spielte.
Jana nahm sich keine Zeit, zu überlegen, was zu tun wäre, was das Intelligenteste wäre, sie stürzte sich von hinten auf den Angreifer und versuchte, ihn von ihren Freundinnen wegzuziehen, bevor eine von ihnen ernsthafteren Schaden nehmen konnte.
Der junge Mann fuhr herum und beinahe wäre sie wieder zurückgezuckt. Schwarze Augen stierten sie an, in ihnen schien ein kaltes Feuer zu lodern. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, sie wollte den Blick abwenden. In diesem Moment umspielte ein dünnes Lächeln die Lippen des Monsters. „Jana.“ Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, doch schien sie Jana mit einer inneren Kälte zu erfüllen. “Wie schön, dich zu sehen.”
Sie konnte nichts erwidern, irgendwie musste er von ihrer Existenz erfahren haben. Ob durch Maya oder den Präsidenten, momentan konnte sie darüber nicht nachdenken. Mit gewaltiger Kraft schleuderte der Mann sie wieder von sich und Jana stieß heftig gegen die gegenüberliegende Wand. Benommen rutschte sie auf den Boden. Der Schrank, neben dem sie sich eben noch versteckt hatte, wankte und stürzte dann um. Er fiel auf ihre Beine, fesselte sie an den Boden.
Ohne ihr auch nur einen zweiten Blick zu widmen, wandte der Angreifer sich wieder ab und den anderen beiden Mädchen zu, die wie erstarrt an der Wand vor ihm standen. „Glaubt ihr, sie sollte sehen, was geschieht, wenn man sich uns widersetzt? Wenn man Dinge tut, die man besser nicht getan hätte?“
Mühsam blinzelte Jana und versuchte, das Schwirren in ihrem Kopf loszuwerden. Sie konnte hier nicht einfach liegen bleiben, sie musste etwas tun. Doch all ihre Kraft schien ihren Körper verlassen zu haben. Niemals würde sie ausreichen, um den schweren Schrank von ihren Beinen zu heben. Etwas blitzte silbern auf. Ein Schrei ertönte. Blut spritzte auf die weiß gestrichenen Wände. Marie ging zu Boden, eine klaffende Wunde in ihrem linken Bein. Ein roter Fleck breitete sich mit bedenklicher Schnelligkeit auf ihrer Hose aus.
Mit roher Gewalt packte der Mann Katharina an den langen rostroten Haaren und zwang sie vor Jana auf den Boden. Die Blicke der beiden Mädchen begegneten sich. „Wir wissen alles über dich.“ Noch immer umspielte das schmale, emotionslose Lächeln das schmale Gesicht. „Wir wissen, wer dir etwas bedeutet, und dass dieses Mädchen hier die erste war, der du vertrauen konntest, nachdem du deinen Freund an das Imperias verloren hattest. Glaubst du, sie empfindet dasselbe für dich? Glaubst du, du wirst es noch jemals erfahren?“
Jana spürte, wie langsam die Kraft in ihre Glieder zurückkehrte. Gleich würde sie aufstehen, gleich würde sie die Katastrophe vielleicht noch verhindern können. Katharina wimmerte, das Messer war nun direkt vor ihren Augen, sie wagte es nicht, sich zu wehren. Ihr flehender Blick traf Janas graue Augen. Sie wollte etwas sagen, ihre Lippen öffneten sich. Dann blitzte es erneut silbern auf. Es war nur ein einziger Schnitt, ein winzige, kurze Bewegung. Und das Licht in Katharinas Augen erlosch.
Fast, als wäre er angewidert, ließ der Mann ihren Kopf fallen. Mit einem dumpfen Schlag traf er auf dem Boden auf. „Nein.“ Jana konnte nicht schreien, nur das raue Flüstern drang über ihre taub gewordenen Lippen. Dafür schrie Marie außerhalb ihres Blickfelds auf, laut, gequält, wie der Schrei eines Tieres. „Monster!“
Aus dem angedeuteten Lächeln wurde ein Lachen. „Bezeichne mich, wie du willst, du kannst fluchen, so laut du willst.“
Dann zog er sich zurück, immer noch lachend. „Denk darüber nach, Jana. Wärst du nicht gewesen, wäre sie noch am Leben. Hättest du ihr nicht dein Vertrauen geschenkt, hätten wir ihr auch keine Aufmerksamkeit zukommen lassen. Das alles hier“, er breitete die Arme aus, wie ein Künstler, der sein finales Stück präsentiert, „das alles hier geschieht nur deinetwegen.“
Dann ging er. Er lachte immer noch. Und auf einmal konnte Jana sich wieder rühren, mit einem Aufschrei wand sie sich unter dem Schrank hervor. Er fiel auf Katharinas Hand, ein Knacken ertönte. Etwas, das kein Zorn mehr war, durchflutete Jana, sie wollte diesem Mann Leid zufügen, sie wollte, dass er Schmerzen litt. Doch sie hatte kaum drei Schritte getan, als er schon wieder zu ihr herumfuhr, das Messer abwehrend vor sich in die Luft gestreckt. „Willst du das wirklich tun, kleines Mädchen? Deine Freundin braucht deine Hilfe. Und du kannst gegen mich nur verlieren.“
Erneut schwindelte es Jana. Sie taumelte zurück. „So ist’s brav.“
Und dann lief er davon, aus der Wohnung heraus und aus ihrem Blickfeld. Neben Marie sank Jana auf die Knie, mit geschlossenen Augen. Sie konnte nicht verstehen, was eben geschehen war, noch weigerte ihr Kopf sich, es als feststehende Wahrheit zu akzeptieren.
Schmerz wallte in ihr auf, drohte, sie zu zerreißen, doch sie konnte ihm nicht nachgeben. Noch nicht. „Marie. Wir müssen hier weg.“
Marie blickte auf, ihre blonden Haare wirr, der Blick leer. Einen furchtbaren Augenblick lang glaubte Jana, Maya ins Gesicht zu sehen, doch der Moment war ebenso rasch vorbei, wie er gekommen war. „Komm schon.“
Mit zusammengebissenen Zähnen zog sie Marie auf die Füße. Das Mädchen konnte sich kaum aufrecht halten, noch immer floss Blut aus ihrem Bein. „Wir müssen zurück zu den anderen.“ Kaum hörbar war ihre Stimme.
Jana schlang sich einen Arm um ihre Schulter. Viel zu langsam verließen sie den Flur, nicht zurückblickend, die Bilder hatten sich auch so schon bis in alle Ewigkeiten in ihre Köpfe eingebrannt. Die beiden Mädchen traten in die frische Luft und in den strömenden Regen, der sich wie Tränen aus dem grauen Himmel ergoss.
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