Beurteilt
Triefend vor Nässe und mit weichen Knien kamen Jana und Lizzy schließlich an dem Keller an. Mit einer Geste bedeutete Jana Lizzy, zuerst hineinzuklettern. Ihre Zähne klapperten und sie wünschte sich nichts mehr als ein Bündel trockener Kleidung. Doch sie wusste, dass ihr das schwerste noch bevorstand. Lizzy war auf dem ganzen Weg unangenehm schweigsam gewesen, offenbar hatte sie genug von Mayas Aussagen mitbekommen, um sich den Rest zusammenzureimen. Und nun war sie der Ansicht, dass alle die Wahrheit erfahren sollten. Jana war flau in der Magengegend. Was sollte sie sagen? Wie sollte sie sich erklären? Sie konnte den anderen nicht gegenüber treten. Einen Moment lang regte sich der Impuls in ihr, sich auf der Stelle umzudrehen und einfach wegzulaufen, weg von all dem, weg von aller Verantwortung, wie es ursprünglich ja ihr Plan gewesen war.
Doch irgendetwas hielt sie davon ab, sie konnte es nicht. Also kletterte sie so langsam wie noch nie durch das schmale Fenster. Angespannte Blicke begrüßten sie. Sofort schlug Jana die Augen nieder, sie konnte den anderen nicht ins Gesicht sehen, Jasper am allerwenigsten.
„Ist alles in Ordnung bei euch?“ Katharina klang besorgt, die Frage war rein rhetorisch, es war allzu offensichtlich, dass nichts in Ordnung war.
„Wir haben Wasser bekommen.“ Noch immer konnte Jana nicht nach oben sehen, also flüchtete sie sich in die Verhaltensweise, zu der sie sich momentan in der Lage fühlte: Harte Tatsachen festzustellen. Wenn es gute waren, umso besser.
„Was ist dann passiert?“ Jasper gab sich unbeteiligt, eine Jana absolut unbekannte Kälte lag in seiner Stimme und sie spürte einen Stich in der Magengegend. Was hatte sie getan. Stocksteif blieb sie in der Mitte des kleinen Raumes stehen, spürend, wie sich forschende Blicke in sie bohrten.
„Ich glaube, Jana hat uns etwas zu erzählen.“
Mühsam zwang Jana sich dazu, aufzublicken. Die Ansicht des kahlen, grauen Bodens unter ihren Füßen war um einiges Angenehmer gewesen. Beiläufig bemerkte sie, dass Jasper, Katharina, Lizzy, Marie und R nebeneinander auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes standen. Katharina hatte einen Arm um Lizzy gelegt, als müsse sie sie beschützen. Jana fühlte sich abgesondert, ausgestoßen. Das erste Mal wurde ihr klar, dass sie nicht die einzige war, die gespürt hatte, dass etwas zwischen ihr und ihren Freunden stand. Vielleicht hatten die anderen es bisher nur einfach ignoriert.
Mit wenigen Worten fasste sie zusammen, was geschehen war, wobei sie sich allerdings immer noch nur darauf berief, was für jeden, der dabei gewesen wäre, ersichtlich gewesen wäre. Die nach wie vor in ihrem Inneren widerstreitenden Gefühle ließ sie aus. Nach dem kurzen Bericht herrschte Stille. „Maya… sie ist weder Parasit noch Mensch.“, stellte Marie fest. Ihre Augen waren auf Jana geheftet, das freundliche Glitzern, das sonst in ihnen lag, suchte man vergeblich. „Und du weißt das, Jana. Aber was weiß sie von dir? Und was weißt du selbst?“
Janas Kopf schien leer gefegt, sie konnte keine Worte finden, um auszudrücken, was geschehen war, und was sie empfand. Als sie den Mund schließlich wieder öffnete, klang sie, als würde ein Roboter aus ihr sprechen, als wäre alles einer anderen Person passiert.
„Ich bin genauso. Der Präsident hat es mir erzählt, als wir im Imperias gefangen waren, er behauptet, mein Vater zu sein. Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater, es könnte stimmen.“ Dass sie sich sicher war, dass diese Ungeheuerlichkeit der Wahrheit entsprach, das konnte sie nicht sagen. Doch sie war sich sicher, dass ihre Freunde sich diesen Teil auch selbst denken konnten. Angespannt wartete Jana darauf, Sätze wie „Du bist ein Monster.“ und „Wie konnten wir dir nur jemals vertrauen?“ zu hören, doch es kam nichts und ihr erschien dieses Schweigen beinahe noch schlimmer.
Zaghaft blickte sie auf. Prüfende Blicke musterten sie, lag ein Urteil in ihnen? Jana konnte es nicht sagen. Langsam ging sie einen Schritt zurück, die Luft schien auf einmal zu dick zum Atmen zu sein. Sie musste hier raus.
„Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen.“ Es war überraschenderweise R, der die ersten Worte sprach. „Was bringt es dir, dich alleine weiter durchzuschlagen?“
Ein seltsames Gefühl stieg in Jana auf. Es war Wut, gepaart mit Gefühlslosigkeit. So hatte sie sich auch am vorhergegangenen Abend gefühlt, als sie Jasper von sich weggestoßen hatte. „Euch droht keine Gefahr mehr von mir. Wie könntet ihr mir jetzt noch vertrauen? Ich bin ein Monster.“
„Was ein Monster ist, entscheiden nicht die Gene, sondern die Taten, Jana.“ Jasper sprach leise, als wäre er sich nicht sicher, ob sein Kommentar erwünscht war. „Du bist nur wirklich ein Monster, wenn du dich selbst als eines siehst. Du bist kein schlechter Mensch, und ich dachte immer, dass du das weißt.“
„Ich bin aber kein Mensch!“ Nun schrie Jana, all die Worte, die ihr die letzten Tage durch den Kopf gegangen waren, sprudelten nun aus ihr heraus, bahnten sich einen Weg nach draußen. „Ich bin verdorben, in meinem tiefsten Kern verdorben, zu einer Maschine gemacht, und ich werde das niemals ändern können, so sehr ich es versuche. Niemals!“
Sie konnte nicht weinen, keine Flüssigkeit trat in ihre Augen. Tränen schienen nicht mehr zu ihr gehören, als wäre es Menschen vorbehalten, zu weinen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro