╚ Sechs Rätsel zuvor╝
Sechs Rätsel zuvor
War dies der Moment,
in dem alles aus den Fugen gerät?
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║ F Y N N ║
Ich starrte an die Decke.
Sie bestand hier im Wohnzimmer aus einer Holzverkleidung, doch an manchen Stellen hatten sich bereits dunkle Flecken breit gemacht.
Wie lange es wohl dauern würde, bis sie anfangen würden zu schimmeln?
„Ja, Macey, ich bin noch dran, kannst du mich hören? Ich sortiere gerade die Einkäufe weg."
Mom wuselte in unserer offenen Wohnküche herum und hatte zwischen einem Ohr und Schulter ihr Handy geklemmt.
Ich achtete nicht auf sie.
Stattdessen hob ich langsam meine Arme an, streckte sie in die Luft und betrachtete meine Finger.
Die Septembersonne schien durch das Fenster und ließ mich den Staub erkennen, der wie klitzekleine Partikel in der Luft schwebte.
Langsam fuhr ich mit meinen Händen durch sie hindurch und ließ sie schlussendlich seufzend auf das Leder des Sofas, auf dem ich lag, fallen.
Der September hat erst heute angefangen und auch wenn ich mir vor wenigen Tagen noch gewünscht hatte, dass er noch einige warme Tage mit sich bringen würde, wünschte ich mir bereits jetzt, dass er einfach genauso schnell vergehen würde, wie der August.
Und dann auch der Oktober.
Und der November.
Selbst auf den Dezember verspürte ich keine Vorfreude und verwirrt über mich selbst, schüttelte ich den Kopf.
„Denkst du, ich kann auch Margarine statt Butter für den Kuchen benutzen, Macey?" Moms Stimme verstummte für einen kurzen Moment, dann hörte ich es weiter in den Einkaufstüten rascheln und im nächsten Moment Mom aufseufzen. „Wirklich? Ich schmecke nie einen Unterschied, aber wenn... nein Macey, ich will nicht schon wieder den Kuchen vom vierten Juli backen, das habe ich aufgegeben..."
Ich drehte leicht meinen Kopf, sodass ich Mom dabei beobachten konnte, wie sie die Kühlschranktür öffnete und anfing, die Lebensmittel einzuräumen.
Dabei balancierte sie gefährlich mehrere Joghurtbecher übereinander.
Ich erkannte bereits das kommende Desaster, bevor Mom es bemerkte.
Ich richtete mich leicht auf und öffnete den Mund, doch ich war zu langsam.
Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, fielen schon die ersten zwei Joghurtbecher auf den Boden und platzen auf wie Wasserbomben.
Mom stieß einen Schrei aus und hüpfte schnell aus dem See aus Brombeerjoghurt, bevor sie sich noch mehr einsauen konnte.
„Oh scheiße, Macey, wenn du nicht gerade einen Wellnesstag mit Kur und Maske auf Joghurtbasis machen möchtest, muss ich jetzt leider auflegen... jaja, bis bald!" Sie beendete das Gespräch und starrte für mehrere Sekunden ungläubig auf das Ausmaß des Chaos.
Der Joghurt war bis an die oberen Schranktüren gespritzt und selbst Moms Hosenbeine zierten dunkellila Flecken.
„Zumindest hat der Vanillejoghurt überlebt", sprach ich schlussendlich und Moms Blick huschte zu mir.
„Fynn! Seit wann liegst du denn auf dem Sofa?"
Ich zuckte die Schultern und ließ einmal den Blick über das Sofa wandern, bevor ich meinen Kopf wieder Mom zuwendete.
„Seit ein, zwei Stunden vielleicht?"
Mom runzelte die Stirn, strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und wollte gerade etwas erwidern, als ihr Handy erneut klingelte.
Mit einem Blick auf die auftauchende Nummer, fing sie an zu fluchen und ihr Blick huschte zu der Küchenuhr.
„Mist, das habe ich ja vollkommen vergessen! Fynn, ich muss da rangehen, das ist ein neuer Kunde... könntest du vielleicht..." Ihr Blick fiel auf den Küchenboden und ich wusste sofort was sie meinte.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und richtete mich seufzend auf. „Ja, alles gut, Mom. Sieh zu, dass glückliche Familien in die leerstehenden Häuser Tullbourgs ziehen und ich kümmere mich solange um deine potenzielle Joghurtmaske."
Mom warf mir einen dankbaren Blick zu und schnappte sich ihr Handy.
Gerade als ich nach den Lappen in der Spüle griff, um 400g Joghurt vom Boden aufwischen zu können, dribbelte Mom an mir vorbei und nahm den Anruf entgegen.
„Mr. Clarkson! Wie schön, dass es doch noch geklappt hat..."
Ich erstarrte mitten in der Bewegung und hob meinen Blick.
Doch atmen konnte ich nicht.
Stattdessen starrte ich nur Mom an.
Sie lief hektisch um den Küchentisch herum und wühlte in dem Aktenstapel herum, der sich dort neben ihrem provisorisch errichteten Arbeitslager angesammelt hatte.
Wie hoch lag die Wahrscheinlichkeit, dass es noch eine andere Clarkson-Familie gab?
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und langsam versuchte ich mich wieder zu fassen.
Die Wahrscheinlichkeit müsste hoch liegen, Mom hatte auch viele Kunden, die von außerhalb kamen.
Dadurch stieg die Wahrscheinlichkeit.
„Mr. Dawn hat mir Ihre Daten weitergeleitet. Ist es richtig, dass sie weiterhin in Tullbourg wohnen, sich aber verkleinern wollen?" Moms Stimme drang mir weiterhin ans Ohr und mit langsamen Bewegungen wischte ich den Joghurt von den Fliesen.
„Ja, perfekt. Wenn sie auch über unser Büro Ihre Immobilie verkaufen, könnten wir Ihnen Objekte zu besonderen Angeboten anbieten... Tatsächlich hätte ich momentan zwei Objekte, die in den kommenden Wochen frei werden und vielleicht euren Vorstellungen entsprechen..."
Ich hörte, wie Mom in ihren Unterlagen wühlte und hinter vorgehaltener Hand anfing über ihre eigene Unordentlichkeit zu fluchen.
Ich hockte nach wie vor auf dem Boden und starrte auf die joghurtverschmierte Schranktür.
„Nein, natürlich ist das gar kein Problem, Mr. Clarkson!"
Pause.
Stille.
Papierrascheln.
„Ich schreibe mir Ihre Kontaktdaten auf und kontaktiere Sie dann, sobald ich weitere Objekte reinbekomme."
Eine Bleistiftmine wurde über ein Stück Papier gezogen.
Ich konnte bis hierhin hören, wie krakelig und hastig geschrieben wurde.
Pause.
Ich sah noch immer nur die Schranktür voller Brombeerjoghurt an.
„Machen Sie sich darüber keinerlei Sorgen, Mr. Clarkson. Zu Weihnachten wollen viele Ihre Häuser verkaufen, da finden wir schon das passende für sie drei... Ja, perfekt. Dann verweilen wir so!"
Wie hoch lag die Wahrscheinlichkeit, dass es mehrere Clarkson-Familien innerhalb von Tullbourg gab, die zu dritt lebten?
Ich müsste ins Stadtarchiv gehen und in dem Einwohnerregister nachrecherchieren.
„Sehr gut. Soll ich Sie bereits kontaktieren, wenn ich vorher schon ein passendes Objekt finde, oder wollen Sie wirklich bis Mitte Oktober warten? Nein, das ist natürlich kein Problem. Die Freude liegt ganz meinerseits... Auf Wiedersehen, Mr. Clarkson!"
Mom legte auf.
Ich hörte, wie sie aufseufzte.
Blätter knisterten, doch ich konnte noch immer nur gegen die Schranktür starren.
„Fynn? Der Joghurt ist doch schon aufgewischt, was machst du denn da?"
Mom trat neben mich und starrte mit einem Stirnrunzeln zu mir auf den Boden.
Ich blinzelte, riss mich von dem Anblick der Schranktür los und senkte meinen Blick auf den Boden.
Mit kreisenden Bewegungen fuhr ich noch immer mit dem Lappen über die Fliesen.
Dies hatte ich gar nicht mehr mitbekommen und schnell hörte ich auf.
Ein weiteres Mal seufzte Mom auf und nachdem sie die zwei Aktenordner, die sie in den Händen gehalten hatte, auf der Küchenzeile abgelegt hatte, hockte sie sich neben mich.
„Das sollte eigentlich unser Abendbrot werden, aber weißt du was? Ihr mochtet ja sowieso noch nie den Brombeerjoghurt und ich glaube, eine bestellte Pizza ist sowieso viel besser, findest du nicht?" Mom nahm mir den Lappen aus der Hand, wrang ihn in der Spüle aus und fing dann an, die Schränke abzuwischen.
Die dunkellila Brombeerjoghurtflecken verschwanden.
Langsam richtete ich mich auf, doch antworten tat ich Mom nicht.
Mein Blick fiel auf die Akten, auf denen ein kleiner Notizzettel lag.
Ich hatte Recht gehabt.
Es war eine krakelige und hastig hingeschriebene Notiz.
Ich musste nur einen Schritt näher gehen, um die Wörter entziffern zu können.
Und nun, wie hoch lag die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es eine andere Clarkson-Familie war, wenn auch noch Alicias Adresse auf dem kleinen, unscheinbar gelben Zettel stand?
Dieses Rätsel hinterließ einen faden Nachgeschmack und eine bitterböse Vorahnung.
~
(21.03.2018)
Huhu ihr Lieben!
Von meiner Seite gibt es nicht viel zu sagen, außer danke für all eure lieben Kommentare und Votes beim letzten Kapitel!
Habt ihr, genauso wie Fynn, vielleicht auch eine Vorahnung, was das alles auf sich haben könnte?
Es ist ein Handlungsstrang, den ich seit langer Zeit plane und auf den ich mich auch sehr freue! Hinweise kann man bereits in den ersten Kapiteln von Parallel Lines finden... vielleicht habt ihr ja eine Idee ;)
Vielen lieben Dank für alles!
Bis bald,
Merle
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