╚ Sechs 3/9 Rätsel zuvor╝
Sechs 3/9 Rätsel zuvor
Manche Linien haben mehr
als nur eine Schnittstelle.
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║ F Y N N ║
Am Nachmittag traf ich erneut auf Mare.
Es schien, als würden sich unsere Linien immer und immer wieder kreuzen.
Es machte keinen Sinn.
Es war wie ein neues Rätsel, das noch nicht gelöst wurde.
Aber dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen, zu lächeln, als sie mir freudestrahlend entgegenkam.
Ihre braunen Haare wippten bei jedem ihrer schwungvollen Schritte auf und ab und als sie vor mir zum Stehen kam, blinzelte sie mir aus ihren eisblauen Augen zu.
„Na sieh mal einer an, Fynn Reeves ernährt sich also nur von Nudeln mit Tomatensoße?" Sie zeigte auf den kargen Inhalt meines Einkaufswagen und sofort spürte ich, wie sich eine verlegene Röte in meinem Gesicht breit machte.
„Mom und Nate sind das Wochenende über bei meiner Tante in Plymouth", versuchte ich mich zu erklären, schüttelte im nächsten Moment aber den Kopf und musterte sie. „Aber was machst du hier? Solltest du nicht hunderte Kilometer von hier entfernt sein?"
Sie zuckte nur die Schultern, während sie aus dem Regal neben uns eine Tüte Weingummi nahm.
„Eigentlich schon, doch jetzt sind meine Eltern auf die glorreiche Idee gekommen, dass ich die Wochenenden bei meinem Vater verbringen könnte. Das ist ihnen aber leider siebzehn Jahre zu spät eingefallen."
Sie warf die Weingummitüte nach kurzer Begutachtung wieder zurück ins Regal und griff dafür nach den Gummischlangen. Dann hob sie ihren Blick und grinste mir zu.
„Aber egal, Thema Wechsel: Wollen wir heute kochen, damit du vielleicht etwas anderes als die obligatorische Studentennahrung vorgesetzt bekommst?" Sie sah mich fragend an, doch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, fügte sie hinzu: „Außerdem möchte ich dir von meinen neusten Erkenntnissen berichten. Ich habe den vierten Juli und die Präsidenten gegooglet und etwas Interessantes herausgefunden..."
Damit hatte sie mich.
Und als ich das breite Grinsen auf ihren Lippen sah, wusste ich, dass auch ihr das vollkommen bewusst war.
Schlussendlich waren wir bei den Nudeln mit Tomatensoße geblieben, denn Mare hatte mir verschwiegen, dass sie zwar liebend gerne kochte, jedoch leider keinerlei Talent dafür hatte.
So landeten die ersten fünf Versuche der Omelette im Mülleimer, bevor ich aus dem Vorratsschrank die Familienpackung Spaghetti gekramt hatte.
Im Schneidersitz sitzend saßen wir draußen im Garten auf der Hollywoodschaukel. So langsam merkte man, dass sich der Sommer dem Ende zu neigte, doch ich hoffte, dass der September dennoch ein paar warme Spätsommertage mit sich bringen würde.
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages erwärmten meine Haut und seltsam entspannt drehte ich die letzten Spaghetti auf meine Gabel.
„Ich habe gelogen", meinte Mare plötzlich und sah mich von der Seite aus an, „Ich habe nichts Interessantes über den vierten Juli und die gestorbenen Präsidenten herausgefunden."
Ich hob die Gabel zu meinem Mund. „Ich weiß."
„Wie? Du wusstest es?" Erstaunt, aber auch leicht misstrauisch sah sie mich weiterhin an und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, während sie gleichzeitig eine Augenbraue anhob.
Ich zuckte mit den Schultern und konnte es mir nicht nehmen, ihren Blick mit einem Grinsen zu erwidern.
„Ja, ich wusste, dass du nichts Neues, Interessantes herausgefunden haben konntest."
„Und wieso warst du dir da so sicher?" Nun klang sie beinahe beleidigt.
„Weil ich bereits alles darüber weiß und der vierte Juli sonst nicht mehr zu bieten hat."
Mares Blick sprang von meinen einen Auge zu meinem anderen und irgendwann fing sie an, den Kopf zu schütteln. „Du bist doch verrückt, Fynn Reeves."
Ich wendete mich wieder dem Sonnenuntergang zu. „Das kann gut möglich sein."
„Heißt das, dass du den vierten Juli nicht sonderlich magst?", stellte sie kurz darauf die Frage. Sie hatte ihre Nudeln aufgegessen und balancierte die Schüssel auf ihrem Knie. Sie geriet gefährlich ins Wanken, als ich mich leicht von ihr abwendete und meinen Blick über den Garten schweifen ließ.
Ich dachte an den vierten Juli dieses Jahr zurück. An unsere Gartenparty, den vielen Lichtern, die wir aufgehangen hatten. Eine Lichterkette hing noch immer in dem großen Baum und ich verwettete mein Rätselbuch dafür, dass sie dort auch noch bis in den November hängen würde, wenn ich Mom nicht bald darauf ansprechen würde.
Es war ein schöner Tag gewesen.
All die Bekannten, Freunde und Familienmitglieder.
All die greifbare Freude.
Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und versuchte dieses Gefühl wieder zu verspüren. Doch nach ein paar Sekunden musste ich wieder meine Augen öffnen und erkennen, dass sich der Garten in den letzten zwei Monaten verändert hatte.
Zwar hing die Lichterkette noch, doch die Lampen leuchteten nicht mehr.
Es drückte mir auf die Brust und tief musste ich einatmen, um nicht das Gefühl zu haben, jeden Moment zu ersticken.
Dann antwortete ich wahrheitsgemäß: „Ich weiß es nicht."
Ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Mare mich prüfend ansah, bevor auch sie ihren Blick in die Ferne schweifte.
„Ich mag ihn sehr, Fynn. Und weißt du, welcher der siebzehn 4. Julis, die ich bisher erleben durfte, mein liebster war?" Sie machte eine kurze Pause, bevor sie die Frage selbst beantwortete: „Dieser, der vierte Juli 2016. Weißt du auch warum?"
„Weil es angebrannte Bratwürste und Geschichten über tote Präsidenten gab?", erwiderte ich und lachend stieß mir Mare in die Seite.
Dabei fiel die Spaghetti Schüssel zu Boden und schnell bückte sie sich nach ihr. Dabei fielen ihr die Haare ins Gesicht und als sie sich wieder aufrichtete, strich sie sich die Haarsträhnen hinters Ohr.
Leicht lächelte sie mir zu, als sie den Kopf schüttelte: „Nein, oder ja, vielleicht deswegen auch." Sie drehte die Schüssel in ihren Händen hin und her und strich einige Grashalme weg. Dann hob sie urplötzlich ihren Blick und der Blick aus ihren eisblauen Augen traf auf meinen. „Aber viel mehr, weil wir uns kennengelernt haben und ich somit gelernt habe, dass die Wahrscheinlichkeit an einem vierten Juli bei eins zu dreihundertfünfundsechzig liegt."
Mein Herz machte bei ihren Worten einen Satz, bevor es drohte stehen zu bleiben.
Dann schlich sich auch auf mein Gesicht ein Lächeln. „Du hast Recht, das ist ein Grund, den vierten Juli zu mögen."
An diesen Samstagabend erfuhr ich viel über Mare.
Sie erzählte mir von ihrer Familie; dass sich ihre Eltern geschieden hatten, kaum dass sie geboren war. Überraschenderweise war ihr Vater der Berater des Bürgermeisters von Tullbourg. Seine politische Laufbahn und die weite Entfernung zu ihrer eigentlichen Heimat waren zwei der vielen Gründe, warum sie sich bisher nur unregelmäßig gesehen hatten. Und diese Tatsache schien ihr Mom nun ändern zu wollen.
Zuhause hatte sie einen Hund, von dem keiner so Recht wusste, welche Rassen genau vertreten waren und ihr kleinerer Halbbruder hatte eine Vorliebe für Reptilien, sodass sie regelmäßig Angst hatte, dass sie aus ihren Glaskästen ausbrechen und in ihr Zimmer schleichen würden, sobald sie schlief.
Sie beteuerte mir, dass diese Angst begründet wäre, da bereits einmal eine von den Echsen ausgebüxt und plötzlich in ihrer Schublade zwischen ihrer Unterwäsche gesessen hatte.
Sie erzählte mir von ihren besten Freundinnen und den verschiedenen Trips, die sie regelmäßig planten und dann doch meist durch irgendetwas durchkreuzt wurden.
Ich erfuhr, dass Kunst ihr Lieblingsfach war und sie ein paar Tage im Monat bei kleineren Events in der stadteigenen Kunsthalle arbeitete.
Und dann erzählte ich ihr von mir.
Die Sonne ging bereits unter, als ich ihr von meinem ersten Rätselbuch erzählte, dass ich bereits im Kindergarten bekommen hatte.
Und als bereits die kleinen Lampen im Garten angingen, wusste sie, dass Nate nur ein knappes Jahr älter als ich war und wir somit in einen Jahrgang gingen.
Selbst meine Kaffeesucht vertraute ich ihr an und die Lösung hinter meinem neusten Rätsel.
Ich erzählte ihr von der Bedeutung der verschiedenen Linien und voller Faszination hörte sie mir zu.
Von Alicia erzählte ich ihr jedoch nichts.
Denn ich hatte das Gefühl, dass das gesamte Koordinatensystem durcheinander geraten würde, sobald ich dies tun würde.
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(06.02.2018)
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