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⌜Fynns Universum in der Nusschale⌝


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 A L I C I A

Fynn schien mich zu verfolgen.

Als ich morgens vor dem Spiegel stand, starrte ich über fünf Minuten einfach nur auf mein Spiegelbild, ohne dass mir klar wurde, was ich nun eigentlich machen sollte.

Ich war schon spät dran, sodass ich nur schnell in meine Converse mit dem Kaffeefleck schlüpfte und auf den Fahrersitz meines Autos rutschte.

Ich hatte die Hoffnung, dass ich mich in der Schule ablenken könnte.

Ich fühlte mich so furchtbar anders, alles schien verschwommen und so, als würde ich neben mir stehen, als hätte ich nicht mehr die Kontrolle über meinen Körper, geschweige denn der Situation.

Doch kaum betrat ich das Schulgebäude, wurden all meine Hoffnungen zerstört. An einem einfachen, ganz normal wirkenden Spind wurden Fotos und Briefe befestigt. Davor standen auf dem Boden Teelichter mit elektronischem Licht, noch mehr Fotos und Briefe reihten sich an kleine Kreuze, Engelfiguren und anderen kleinen Gegenständen. Selbst ein abgenutztes Geodreieck fand neben einer zerfledderten Ausgabe von Stephen Hawkings Das Universum in der Nussschale seinen Platz.

Ich stand wie erstarrt im Korridor und konnte mich keinen Schritt weiter bewegen. Ich konnte nur auf das riesige Foto starren, das einen lächelnden Jungen zeigt, die grünen Augen schienen einen direkt anzublicken und der Mund war zu einem leichten Grinsen verzogen.
Fynn Reeves.

Ein paar Schüler blieben neben mir stehen, einige knieten vor dem stetig wachsenden Meer aus Kerzen, Figuren, Fotos, Briefen und Blumen. Ich wusste nicht, wie lange ich noch hier verharrte, wie viele neben mir stehen blieben, etwas niederlegten und schließlich weitergingen. Selbst als es zur ersten Unterrichtseinheit klingelte, stand ich noch dort, genauso wie viele andere.

Bis mich irgendwann Vany aus meinen Gedanken riss. Sie tauchte neben mir auf, in ihrer Hand einen Kaffeebecher, den sie mir wortlos in die Hand drückte. Für ein paar Minuten blieb sie einfach neben mir stehen, bis sie sich leicht räusperte und meinte: „Alicia, ich würde nur zu gerne Geschichte schwänzen, aber nicht, wenn ich dir dabei zusehen muss, wie du mit einem Tunnelblick vor dir hin starrst." Sie fasste meinen Arm und versuchte mich sanft zum Bewegen zu animieren. „Kommst du?"

Ich nickte, konnte meinen Blick aber nur schwer von dieser Trauerstätte abwenden. Die Kälte kroch mir durch meinen Mantel bis unter meinen dicken Wollpullover. Selbst die Wärme des Kaffees spürte ich kaum in meinen Händen.

„Du hast gestern so schnell aufgelegt: ist was los bei Kyran und dir oder ist was anderes passiert?"

Fynn Reeves ist tot.
Fynn Reeves ist passiert, Vany!
Würde ich am liebsten schreien, doch ich mir war klar, dass Vany am wenigsten für die Situation konnte. Sie wusste ja noch nichts einmal davon und für einen kurzen Moment überlegte ich, ihr davon zu erzählen.
Von meiner Fahrt zu dem Reeves-Haushalt, von seinem Bruder Nate, seinem Zimmer mit den zwei Gitarren, der weinenden Mutter, dem Mathe-Buch und Fynns Interesse an mir. Und von den Facebook-Nachrichten.

Doch ich wusste es besser. Vany würde es komplett falsch verstehen, sie würde den Kopf schütteln und mir sagen, dass ich dann doch besser mit das Kleid kaufen gegangen wäre. Sie würde in dem toten Jungen nur noch einen Freak sehen und auch wenn ich Fynn Reeves nicht gekannt hatte, wollte ich dies nicht.

„Alles gut, mir ist nur eingefallen, dass ich den Geschichtsaufsatz noch gar nicht gemacht hatte, aber um ehrlich zu sein, habe ich ihn schlussendlich dann auch nicht mehr gemacht", antwortete ich ihr und versuchte sie anzulächeln.
Es scheiterte und Vany zog nicht ganz überzeugt eine Augenbraue hoch.

„Okay, aber heute Abend bist du doch dabei oder? Du weißt doch: Tara hat über das Wochenende sturmfrei und der beheizte Wintergarten bietet sich perfekt für eine November-Party an." Sie stupst mich leicht von der Seite aus an. „Kyran wird auch da sein und fragt mich schon die ganze Zeit, ob du auch kommen wirst."

Wir waren beim Kursraum angekommen und gedankenverloren antwortete ich, bevor ich die Türklinke herunter drückte: „Jaja, na klar bin ich dabei..."


Selbst Geschichte lenkte mich nicht ab. Ich bekam noch nicht einmal Ärger dafür, dass ich meine Ausarbeitung nicht gemacht hatte, denn es hatten bereits viele andere die aufgewühlten Gefühle als Ausrede für die nicht gemachten Hausaufgaben genommen, sodass unser Lehrer beschlossen hatte, den Unterricht Unterricht sein zu lassen und mit uns über den Umgang mit Verlust und Trauer zu reden. Ich stellte meine Ohren auf Durchzug, ignorierte sogar Vany, die mehrmals versuchte, mich in ein Gespräch zu verwickeln und sich dann schließlich beleidigt an Riley wendete, die eine Reihe hinter uns saß. Selbst mein sonst so heiß geliebter Kaffee wurde kalt.


Es war Pommes tag.
Und somit eigentlich Vanys und mein Lieblingstag.
Nicht, weil Vany die durch pures Fett gezogenen Kartoffelstreifen gerne aß, sondern weil Pommes das einzige war, was die Küchenkräfte richtig hinbekamen. Zudem gab es zum Ausgleich eine frische Salatbar, die die furchtbaren Aufläufe und Suppen der letzten Tage wettmachten.
Dennoch stocherte ich mit meiner Gabel nur auf die braunen Sünden ein.

Wir saßen wie immer an unserem Stammtisch. Es war der einzige Tisch, ohne Kaugummis unter der Tischplatte und dessen Tischbeine nicht wackelten. Und während die anderen am Tisch lautstark über das letzte Eishockeyspiel unserer Schulmannschaft diskutierten, drückte ich immer und immer wieder auf den Home-Button meines Handys, in der Hoffnung, dass es mir irgendwann eine andere Uhrzeit als die abgebildete anzeigen würde.
Ich hatte noch über zwei Stunden vor mir, bevor ich von der Schule abhauen konnte. Meine Gedanken schweiften gerade zu der Überlegung, dass ich auch Englisch schwänzen könnte, als mir jemand von hinten die Augen zuhielt.
Vor Schreck ließ ich meine Gabel fallen und sofort ertönte ein tiefes Lachen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und sofort rutschte ich ein Stück, um ihm auf der Bank Platz zu machen.

„Kyran, erschreck mich doch nicht so!", rief ich aus und hob meine Gabel wieder vom Tellerrand, bevor ich mich zu ihm umwendete und ihm ein Lächeln schenkte.

Kyrans Mundwinkel hoben sich verschmitzt, als er sich neben mich hinsetzte. „Tut mir leid, ich konnte nicht anders, du warst so in Gedankenversunken."

„Das ist sie schon den ganzen Tag", mischte sich Tara von der anderen Tischseite aus ein. Von jeder Seite kamen Bestätigungen dieser Aussage, sowie Begrüßungen an Kyran gerichtet.

„Ehrlich? Und warum?", richtete sich Kyran wieder an mich, nachdem er seinen besten Freund Bennet mit einem Handschlagabtausch begrüßt hatte. Ich pikste eine schon kalt gewordene Pommes auf, machte aber keine Anstalten, sie zu essen.

„Ach nichts Besonderes, ich kann mich einfach nur schlecht konzentrieren." Ich zwang mich wieder zu einem Lächeln und Kyran schien es zu schlucken.
„Okay, aber nicht, dass du noch krank wirst. Wir erwarten dich alle heute Abend." Er zwinkerte mir zu und schnappte sich ein paar meiner Pommes vom Teller.

„Du kannst auch meine Portion Pommes haben, K. Ich esse die sowieso nicht, immerhin hat der Alkohol heute Abend schon mehr als genug Kalorien", meinte Tara und beugte sich etwas vor, um mit Kyran besser reden zu können. Dabei fielen ihre langen Haare nach vorne und streiften beinahe die fettigen Pommes.

„Danke für dein großzügiges Angebot, Tara, aber ich glaube, ich mag die von Al lieber."

„Willst du nicht mal vergleichen?" Tara grinste und legte dabei ihren Kopf schief. Ich jedoch verdrehte nur genervt die Augen. Tara war zwar meine Freundin, aber in solchen Sachen war sie einfach viel zu unsensibel. Kyran und ich waren nicht zusammen, aber selbst Vany hielt sich seit längerem zurück und konzentrierte sich mit ihrer Flirterei eher auf Bennet und Josh. Aber Tara sah einfach nur den Fakt, dass Kyran Single und dazu noch gutaussehend und Mitglied der Eishockeymannschaft war.

„Okay, wenn du unbedingt darauf bestehst", meinte Kyran neben mir und fing an zu lachen, Tara stieg mit ein und schob ihm ihren Teller mit den Pommes zu. Ich versuchte die Eifersucht herunterzuschlucken, die sich in meinem ganzen Körper breitmachte, denn ich hatte kein Recht dazu. Gerade als Kyran sich die erste Pommes in den Mund steckte und dann mit Tara das Diskutieren anfing, ob sie nun gut oder schlecht schmeckten, fing mein Handy an zu vibrieren. Sofort griff ich danach und auf meinem Sperrbildschirm leuchtete mir eine neue Facebook-Nachricht von Nate entgegen.

Nathan: Wo bist du?

Meine Finger flitzten sekundenschnell über mein Handy, sodass er keine Minute später eine Antwort bekam.

Alicia: In der Mensa, wieso?

Ich blickte hoch und fing den neugierigen Blick von Vany auf.
„Was ist los?", fragte sie und versuchte mir dabei auf mein Handy zu schauen, um zu erfahren, wer mir geschrieben hat.

„Ach meine Mum nur", meinte ich schnell und drehte mein Handy weg. Ich spürte, wie eine Vibration eine neue Nachricht ankündigte, während Vany nickte und schließlich meinte: „ich habe überlegt, dass wir ja beim nächsten Eishockeyspiel der Jungs zu schauen könnten. Kyran würde sich sicherlich auch freuen."

Ich starrte währenddessen wieder auf mein Handy.

Nathan: Wir müssen reden, schon vergessen?

Alicia: Jetzt? Ich esse gerade mit meinen Freunden...

„Alicia?"

„Oh ja, gerne, das klingt interessant und ziemlich cool", meinte ich schnell und versuchte mein Herzklopfen mit einem Lächeln zu vertuschen. Das konnte doch nicht Nates Ernst sein. Er könnte doch nicht einfach so an unseren Tisch spazieren, zu mir sagen, dass wir reden müssten und dann mit mir weggehen. Wie sollte das denn funktionieren?
Was würden bloß die anderen dazu sagen?
Ich konnte mir jetzt schon Vanys und Kyrans geschockten Gesichtsausdruck vorstellen, geschweige denn, dass ich nicht so eine Szene vor der gesamten Schule abhalten wollte. Und Vany würde definitiv unfreundlich zu Nate sein. Aber das könnte man ihr auch nicht verübeln, immerhin wusste sie noch nicht, dass wir uns kannten...
Als mein Handy wieder vibrierte bekam ich fast einen Herzkasper.

Nathan: Ja und? Ich bin gleich da.

Ich hob meinen Kopf sofort an und starrte auf die Mensa-Tür. Meine Gedanken rasten und bevor irgendein Schreckensszenario eintreten konnte, griff ich nach meiner Schultasche und stand ruckartig auf, sodass mich alle meiner Freunde verwundert ansahen. Ich schob Kyran mein Tablett mit den kaum angerührten Pommes zu und meinte: „Hier kannst du gerne aufessen. Es tut mir leid, ich habe komplett vergessen, dass ich für Englisch so ein bescheuertes Tafelbild anfertigen muss..."

Bevor irgendjemand etwas erwidern konnte, hatte ich mir meine Tasche über die Schulter geworfen und versuchte so schnell, aber auch nicht zu auffällig, zur Mensatür zu gelangen.
ich bemerkte die Blicke einer Gruppe jüngerer Schüler, doch ich versuchte sie zu ignorieren und stemmte mich gegen die Mensatür. Genau in dem Moment, wo sie klickend hinter mir wieder ins Schloss fiel, knallte ich beinahe mit einer Person zusammen.

„Alicia?"

„Nate", stieß ich hervor und atmete erleichtert auf, als ich den Jungen vor mir erkannte.
„Okay, wollen wir eben in ein leeres Klassenzimmer, oder so? Ich habe echt nicht viel Zeit..."

Ich wusste nicht genau, warum ich mich immer noch so hetzte und jeden, der an mir vorbei lief, nachsah.

„Okay?", hakte ich nochmal nach, fasste meine Tasche enger und lief an Nate vorbei den Gang hinunter. Er würde mir schon folgen, wenn ihm das Gespräch mit mir wirklich wichtig war.
Ich lag richtig, denn kurz darauf holte er mich ein und lief schweigend neben mir her. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich von der Seite musterte und schließlich sprach: „Du willst mit mir nicht gesehen werden."

Es war keine Frage, sondern eine Tatsache.
Mit dieser Konkretheit brachte er mich etwas aus der Fassung und als ich ihm kopfschüttelnd einen Blick zu warf, wusste ich nicht, was ich sagen sollte.

„Das ist nicht wahr", log ich, konnte es aber nicht unterdrücken, einen Blick nach hinten zu werfen.

„Ach wirklich", entgegnete Nate trocken und seine Lippen pressten sich zu einer Linie zusammen. Sofort vermisste ich sein freundliches Lächeln, dass er mir gestern noch geschenkt hatte. „Und warum versuchst du mich dann weitestgehend ignorierend in einen leeren Raum zu bringen und schaust dich dabei um, als würde man dich verfolgen?"

Ich seufzte und blieb stehen. „Hör mal, Nate: Es ist nicht so wie du denkst, aber du würdest es auch nicht verstehen, können wir deswegen bitte eben schnell reden? Ich habe gleich Englisch."

Wir standen uns im Korridor gegenüber und Nate starrte mich für ein paar Sekunden an, bis er den Kopf schüttelte und sich einmal durch seine wirren Haare fuhr.

„Da lang", meinte er ohne jegliche Emotionen und ging diesmal voran. Ich folgte ihm.

Er hielt mir schweigend eine nicht gekennzeichnete Tür auf. Ohne eine weitere Sekunde vergehen zu lassen, schlüpfte ich hindurch und fand mich zu meiner Überraschung nicht in einem Klassenzimmer wieder, sondern in einem kleinen, abgedunkelten Raum. Durch die Jalousie fiel gerade einmal so viel Licht hinein, sodass man den staubigen alten Schreibtisch, sowie das mit allen möglichen Sachen vollgestellte Regal zu erkennen. An der einen Wand stapelten sich Kartons aufeinander und aus dem obersten quollen Baseballcaps, Tshirts, Mützen und Schals heraus.

„Wo sind wir hier?", fragte ich verdutzt, als ich mich einmal im Kreis drehte. Ich war hier noch nie, geschweige denn hatte ich jemals die unscheinbare Tür, die zu diesem Raum führte, richtig wahrgenommen.

„Im Fundus", merkte Nate knapp an und stellte seine Tasche auf dem Schreibtisch ab. Während er in ihr herumkramte, fügte er noch hinzu: „Der Hausmeister vergisst hier immer abzuschließen, Fynn hatte es einmal bemerkt und diesen Raum zu seinen ganz persönlichen Rückzugsort erklärt..."

Nate stockte und hielt auch in seiner Bewegung inne, bevor er schließlich ein kleines notizbuchähnliches Buch hervorzog und mit leiserer Stimme seine Erzählung beendete: „Hier hat er viele seiner Rätsel gelöst, Alicia."

Auf einmal fiel mir das Atem schwer und schwerfällig versuchte ich den Kloß herunter zu schlucken und mich nicht aus der Fassung zu bringen.
Fynn war tot, Alicia. Fynn war tot.
Aber dennoch fühlte ich mich genau jetzt, in diesem Moment, wie ein Eindringling, der in diesem Raum nichts zu suchen hatte.
Mein Blick wanderte zu dem zerbrechlich aussehenden alten Schreibtischstuhl und insgeheim fragte ich mich, ob Fynn wohl dort immer gesessen, die Beine zu einem Schneidersitz verschränkt und umgeben von all den verlorenen und nicht vermissten Sachen, die hier ihren ewigen Friedhof gefunden hatten, versucht hatte, ein Rätsel zu lösen.

Diese Vorstellung dauerte nur eine Sekunde an – wenn überhaupt – und dann schüttelte ich meinen Kopf. Ich kannte Fynn nicht. Ich wusste ja noch nicht einmal, wie er genau ausgesehen hatte, über welche Sachen er gelacht hatte und ob er wirklich im Schneidersitz gesessen hatte.

Ich wusste rein gar nichts über Fynn Reeves.
Nur, dass er Mathe und Rätsel liebte und mich schon länger zu kennen schien, als ich es je vermutet hätte.

Und, dass er tot war.

„Ist das das, worüber du mit mir reden willst, Nate? Das Buch voller Rätsel über das du auf Facebook geschrieben hast?" Meine Stimme klang unglaublich rau und schnell räusperte ich mich, bevor ich meine Arme unsicher hinter meinem Rücken verschränkte.
Langsam nickte Nate.

„Ja. Gestern Abend als du gegangen warst, habe ich mir das Mathebuch nochmal angesehen, weil ich wusste, dass Fynn seinen Abschied von dieser Welt nicht so einfach machen würde. Und weil er dich, wenn du schon einmal da bist, nicht mehr so schnell gehen lassen würde." Er fing leicht an zu schmunzeln und schien in Gedanken zu versinken. Dann jedoch schüttelte er den Kopf und war wieder im Hier und Jetzt. „Ich habe durch die Seiten geblättert und dann fielen mir die einzelnen Wörter auf, die er mit Bleistift an verschiedene Seitenenden geschrieben hatte. Es waren insgesamt neun Seiten, auf denen er etwas hinterlassen hatte. Neun Wörter: Hinter. Dem. Universum. Findest. Du. Meine. Persönliche. Nusschale.... Nate."

Mir stockte der Atem und als mir meine Tasche von der Schulter auf den Boden rutschte, war es mir egal.

„Was... Was meint er damit?", fragte ich und versuchte gleichzeitig aus den Worten schlau zu werden.

Nate atmete zitternd ein, aber dann schlich sich ein trauriges Lächeln auf sein Gesicht.

„Fynn hat damit sein erstes Rätsel hinterlassen, Alicia. Das Universum in der Nusschale, ein Bestseller von dem Physiker Stephen Hawkings und eines seiner Lieblingsbücher. Ich weiß ganz genau, an welchem Platz es in seinem Regal steht... Es erschien wie ein leichtes Rätsel, aber..."

Er stockte erneut, lehnte sich stärker gegen den Schreibtisch und legte seinen Kopf in den Nacken, um an die Decke starren zu können. Er atmete einmal tief ein und es schien so, als würde er mich nicht anschauen wollen, als er die nächsten Worte aussprach: „...Aber es war bisher das Schwierigste, was er mir je gestellt hat. In sein Zimmer zu gehen und dann sein Lieblingsbuch aus dem Regal zu ziehen, wohl wissend, dass er es niemals wieder lesen würde, war unglaublich... abgefuckt!"

Ich zuckte wegen seiner überraschenden Wortwahl zusammen, wusste aber auch nicht, wie ich reagieren sollte, oder was er nun von mir erwartete. Es musste unglaublich schwierig für ihn sein von heut auf morgen keinen Bruder mehr zu haben und dann auch noch durch diese Umstände...

„Nate...", setzte ich stockend an und fragte mich wieder einmal, wie ich nur in diese Situation kommen konnte.

„Nein, ist schon okay. Ich werde klar kommen..." Er senkte wieder den Blick, sodass sich unsere trafen. Mit einer einzigen Bewegung stieß er sich vom Schreibtisch ab, schnappte sich seine Tasche und drückte mir das rot eingebundene Notizbuch in die Hände.

„Das lag hinter dem Buch. Sein eigenes kleines Universum... Ließ dir seine Worte durch, dann wirst du es verstehen."

Ohne mir die Chance zu geben, antworten zu können, verließ er beinahe fluchtartig den Raum und ließ mich sprachlos in diesem zurück.
Meine Hände zitterten, als ich auf das Buch in meiner Hand starrte.

Ich konnte es nicht öffnen.
Ich konnte nicht das lesen, was ein toter Junge mir hinterlassen hatte.

Ich konnte und wollte es nicht.
Zumindest nicht hier.

Wie vom Blitz getroffen, wirbelte ich herum und riss die Tür auf. Ein paar Mädchen aus dem Jahrgang unter mir sahen mir verwirrt nach, als ich den Gang, das Buch fest vor meiner Brust umklammerte, entlanglief, beinahe schon rannte.
Der Gong kündigte den Beginn einer neuen Stunde an, doch ich dachte nicht einmal daran, jetzt noch über eine Stunde den Englisch-Kurs zu besuchen.

Immer mehr Schüler strömten mir entgegen und erschwerten mir den Weg zu den Schulparkplätzen. Ein paar Mal hörte ich, wie jemand nach mir rief, wahrscheinlich um zu fragen, ob wir zusammen zum Raum gehen wollten, doch ich ignorierte all dies.

Ich stoppte erst, als ich an diesem unscheinbaren Spind vorbeikam. Schlitternd kam ich zum Stehen und starrte auf die Flut der Trauerbekenntnisse. Die elektrischen Kerzen brannten noch immer und weitere Blumen, Briefe und Fotos waren hinzugekommen.

Doch ich hatte nur Augen für eine Sache.
Fynn hatte seinem Bruder gleich zu Beginn ein schwieriges Rätsel gestellt und es schien Nate erdrückt zu haben, denn er konnte wohl kein zweites Mal Fynns Zimmer betreten, um das Buch wieder an Ort und Stelle zu bringen.
Genau vor meinen Füßen, gleich neben Unmengen an lächelnden Gesichtern, die einen von den Fotos aus anstarrten, lag ein vom vielen Lesen gezeichnetes Buch.

Fynns Universum in der Nussschale.

~

(07.11.2016)


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