⌜Fynns Schiffchen⌝
Manchmal erhofft man sich auch
von einem einfachen Papierschiffchen
die Möglichkeit
davonzusegeln,
ohne unterzugehen.
__________________
║ A L I C I A ║
Die Party war gelaufen.
Ich musste Vany dazu bringen, alle Gäste vorzeitig zu bitten, zu gehen. Glücklicherweise musste ich mich nicht lange erklären, ein Blick in mein Gesicht reichte ihr, um zu wissen, dass ich sie darum nicht ohne Grund bat.
Es schien, als wäre sie auf einem Schlag wieder nüchtern und keine halbe Stunde später war auch der letzte Gast aus der Haustür und die Musik ausgestellt.
Auch Nate hatte sich verabschiedet, da er mit Emily und den anderen gekommen war. Er hatte bei der Verabschiedung gezögert, so als wollte er noch etwas sagen, hatte dann jedoch nur die Hand zum Abschied gehoben, sodass ich schon wieder nicht einschätzen konnte, auf was für einer Ebene wir uns bewegten.
Als ich das Chaos in meinem Haus begutachtete, konnte ich den skeptischen Blicken von Vany und Riley nicht länger ausweichen. Sie ließen sich nicht so leicht abwimmeln, sodass ich ihnen seufzend von der vorherigen Auseinandersetzung mit Tara und Kyran erzählen musste.
Sie waren nicht weniger geschockt über das Verhalten unserer Freundin und beteuerten immer wieder, dass sie so etwas nicht einmal geahnt hätten.
„Und wie geht es jetzt weiter?", fragte Riley, als sie sich neben mich auf die Couch fallen ließ und sich den Eisbecher von Vany schnappte, den sie sich aus dem Gefrierschrank geholt hatte.
„Ich habe keine Ahnung und ehrlich gesagt möchte ich darüber nicht genau nachdenken. Zumindest nicht jetzt." Ich stöhnte auf und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen.
Riley sah mich von der Seite aus an und seufzte schließlich auf. „Du weißt, dass Tara es sicherlich nicht böse gemeint hat, oder?", fragte sie vorsichtig nach.
Ich erwiderte ihren Blick. „Ja klar, aber dennoch..." Ich zuckte mit den Schultern. Tara war mir immer eine gute Freundin gewesen, umso geschockter war ich über ihr Handeln.
„Ich habe es ernst gemeint, als ich gesagt habe, dass ich Kyran nicht liebe. Verdammt, vielleicht hätte ich mir damals gewünscht, mit ihm zusammen zu sein, aber jetzt ist es definitiv anders..." Ich räusperte mich einmal, bevor ich weitersprach: „Aber darum geht es mir gar nicht. Es verletzt mich eher, dass sie versucht hat, sich an ihn ranzuschmeißen, während sie noch davon ausgegangen war, dass sich etwas zwischen Kyran und mir entwickeln würde... und dass sie nicht mit uns darüber gesprochen hat."
Ich ließ mich zurück in die Kissen fallen und riss Riley den Eisbecher aus der Hand. Meine Freundin ließ es zu, während sie nur den Kopf nickte und Vany sich schlussendlich zu Wort meldete: „Al, das stimmt, das geht gar nicht von Tara. Da stehe ich zu 100% hinter dir, aber Tara ist dennoch auch meine Freundin, deswegen bin ich so ehrlich und gebe zu, dass ich hoffe, dass ihr miteinander redet."
Ich brummte nur als Antwort, während ich einen Löffel Eiscreme nach dem anderen in meinen Mund schob.
„Gleichzeitig kann ich sie etwas verstehen, dass sie es als unfair ansieht, dass du Kyran so hinhältst, wo du doch eher an Nate interessiert bist..."
„Ich halte niemanden hier hin, Riley!", giftete ich spürbar verletzt zurück. „Und außerdem hat Nate nichts damit zu tun, dass Tara sich dazu entschieden hat, eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen."
„Also bestreitest du nicht, dass du etwas von Nate willst?" Riley beugte sich etwas vor und ich musste tief Luft holen, um nicht an die Decke zu gehen. Tat dies momentan zur Sache? Wohl kaum.
Glücklicherweise schien Vany zu bemerken, dass ich sichtlich genervt war, denn bevor ich etwas erwidern konnte, meinte sie schnell: „Riley, ich glaube, das liegt mittlerweile auf der Hand, aber nichts destotrotz hat Tara nicht richtig gehandelt. Es ist traurig, dass sie anscheinend so lange unglücklich verliebt gewesen ist und nie darüber reden konnte, aber dennoch... Es rechtfertigt nichts."
Dankbar nickte ich ihr zu und fühlte mich im gleichen Moment unglaublich müde und ausgelaugt. „Seid mir nicht böse, aber ich muss jetzt definitiv ins Bett und brauche etwas Zeit für mich."
Meine Freundinnen verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl und standen auf.
Sie halfen mir noch etwas dabei, das Wohnzimmer aufzuräumen, bevor ich sie zur Tür begleitete. Riley verabschiedete sich als erste von mir und als Vany mich in eine Umarmung zog, flüsterte sie in mein Ohr: „Ich hoffe, du schwänzt nicht, Al."
Ich musste leicht lachen, denn sie kannte mich einfach viel zu gut. Dennoch schüttelte ich den Kopf. „Ich werde nicht schwänzen, niemals würde ich dich an einem Montagmorgen im Matheunterricht alleine lassen."
Doch natürlich tat ich das. Und in diesem Moment, mitten in der Nacht vor der Haustür, wussten wir beide, Vany und ich, dies nur zu genau.
Ich konnte mich Montagmorgen einfach nicht dazu überwinden, das Bett zu verlassen und als Mom den Kopf zu mir ins Zimmer steckte und mich noch immer im Bett liegen sah, runzelte sie die Stirn.
„Ich fühle mich nicht gut", versuchte ich mit meiner gespielt gekrächzten Stimme zu sagen. Sofort erschien eine Sorgenfalte auf Moms Stirn. „Du bist in letzter Zeit so oft etwas angeschlagen, mein Schatz. Ich muss leider zur Arbeit, soll ich dir noch schnell einen Tee machen?"
Schnell schüttelte ich den Kopf. „Nein, alles gut, den bekomm ich noch selber hin, vielleicht muss ich mich einfach mal nur ausschlafen."
Mom nickte und betrachtete mich noch für ein paar Sekunden. „Ich versuche pünktlich Feierabend zu machen, okay?"
Ich bekam ein schlechtes Gewissen, als sie mein Zimmer verließ, denn ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um mich machte, obwohl es nur eine aalglatte Lüge war.
Seufzend drehte ich mich in meinem Bett auf die Seite. Eigentlich war mein Plan wirklich gewesen, auszuschlafen, doch nun überrannten mich wieder die Gedanken und an ein erneutes Einschlafen war nicht zu denken.
Als mein Handy aufbrummte, wagte ich einen Blick aufs Display. Neben einer SMS von Vany, die mich verfluchte, dass ich sie im Stich ließ, hatte ich unter anderem auch eine neue Facebook Nachricht von Nate.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, dass mir ein Lächeln über mein Gesicht huschte. Vanys Nachricht ignorierend entsperrte ich mein Handy und klickte auf den Chat mit Nate. Das Wochenende konnte ich mich von der gesamten Situation etwas ablenken, indem ich das ganze Haus alleine auf Vordermann gebracht hatte. Zwar stand irgendwann Vany wieder auf der Fußmatte und hatte mich dazu gezwungen, ganz obligatorisch, ‚wie man es in solch einer Situation machen sollte', mit ihr einen Film anzuschauen, aber dennoch musste ich kaum an Kyran und Tara denken. Selbst Nate konnte ich davon abhalten, mir bei dem Beseitigen des Chaos helfen zu wollen.
Nate: Wollen wir uns gleich im Theaterraum treffen?
Schnell schoss ich ein Foto von meinen Fußspitzen, die unter meiner Decke hervorlugten, schickte es ihm und schrieb dazu: Sorry, liege krank Zuhause im Bett!
Ich musste keine Sekunde auf seine Antwort warten.
Nate: Krank krank oder krank?
Alicia: Gibt's da einen großen Unterschied?
Nate: Einen sehr großen sogar.
Ich lachte auf und kopfschüttelnd tippte ich meine Antwort: Den musst du mir erklären.
Gespannt starrte ich auf mein Handy, doch das vertraute Vibrieren blieb aus und als weitere Minuten ohne eine neue Nachricht verstrichen, seufzte ich enttäuscht auf und legte mein Handy beiseite.
Natürlich wusste ich, dass Nate im Unterricht saß und mir nicht die ganze Zeit zu meiner Unterhaltung schreiben konnte, aber dennoch hatte ich es ein klein bisschen gehofft.
Ich drehte mich auf die Seite, doch auch nach weiteren zehn Minuten war nicht an Schlaf zu denken. Denn meine Gedanken schweiften immer wieder zu Nate und sofort war ich wieder hellwach und mein Herzschlag auf hundertachtzig.
Stöhnend beschloss ich aufzustehen und mir einen Tee zu machen. Vielleicht könnte ich so etwas die Zeit totschlagen.
Doch bevor ich überhaupt die Teebeutel aus der Küchenschublade fischen konnte, klingelte es an der Tür.
Stirnrunzelnd überlegte ich, wer außer der Paketbote zu dieser Zeit klingeln könnte und sah an mir herab. Ich trug mein ausgeleiertes Schlaft Shirt über meiner ausgewaschenen Sportleggings. Definitiv nicht der beste Look, aber da ich ja ‚krank' war, sollte man es mir verzeihen.
Seufzend öffnete ich mit Schwung die Haustür, doch wieder Erwarten stand kein Postbote vor mir sondern Nate.
„Also doch krank-krank", begrüßte er mich, als er mich mit einem Grinsen von oben bis unten abscannte. Ich spürte wie ich rot wurde und verschränkte schnell die Arme.
„Solltest du nicht eigentlich im Unterricht sitzen?", entgegnete ich nur lahm und erntete dafür eine hochgezogene Augenbraue von ihm. „Solltest du das nicht eigentlich auch, Alicia?" Dann drückte er mir zwei warme Pappschachteln in die Hand und meinte: „Immerhin schwänze ich aus dem hochehrenvollen Grund, nach dir zu sehen und dich gesund zu pflegen. Ach ja, das ist übrigens unser Frühstück. Pancakes von Joey, ich habe einen kleinen Umweg genommen, um sie rauszuholen, ansonsten wäre ich zehn Minuten früher hier gewesen. Ich hätte ja auch chinesische Nudeln mitgebracht, aber da ich nicht wusste, ob du vielleicht wie das letzte Mal kotzend über einer Schüssel hängst, wollte ich lieber nichts riskieren..."
„Und dann wären fettige Pancakes besser gewesen als chinesische Nudeln?", fragte ich skeptisch nach, konnte es aber nicht verhindern, dass mir bereits das Wasser im Mund zusammenlief, als ich den köstlichen Geruch wahrnahm, der aus den Pappboxen aufstieg.
Nate streckte seine Hand nach ihnen aus und meinte: „Nun ja, wenn du sie nicht wertschätzt, bleibt mehr für mich übrig."
Bevor er sie mir wieder wegnehmen konnte, drückte ich sie an meine Brust und flitzte in die Küche. „Niemals!"
Ich hörte ihn hinter mir lachen und sofort ging mein Herz ein bisschen mehr auf.
Während im Hintergrund irgendeine Serie lief, aßen wir, auf dem Sofa lümmelnd, unsere Pancakes, die zugegebenermaßen wirklich die Besten waren, die ich jemals gegessen hatte.
Wir unterhielten uns über belanglose Sachen und die Zeit verging wie im Flug. Ich bemerkte, wie leicht es mir bei Nate fiel, mich selbst zu vergessen und laut zu lachen. Als er anfing mit meinen Fingern zu spielen, schlug mir mein Herz bis zum Hals. Als ich ein paar Minuten später halb auf seinen Schoß lag, fühlte es sich einfach nur noch richtig an.
Und geradezu vertraut.
Ich war pappsatt und zufrieden drückte ich mein Gesicht noch etwas mehr in den Stoff seines Pullovers. Tief atmete ich seinen Geruch ein und fing automatisch an zu grinsen.
„Hast du Schnappatmungen oder erstickst du?", fragte Nate und sofort hörte ich auf. Ich spürte die Schamesröte in meinem Gesicht, doch als ich das Vibrieren seines Lachens in seiner Brust spürte, wusste ich, dass er mich nur ärgern wollte.
„Nein, ich will dich nur mit meinen Keimen infizieren, damit wir zusammen krank sein können." Ich drehte meinen Kopf so, dass ich ihn wieder ansehen konnte.
Von oben herab beobachtete er mich und auf einmal veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
„Da kenne ich aber eine viel einfachere Variante mit einer höheren Erfolgsquote."
Mir stockte der Atem. „Und die wäre?" Meine Stimme war schon längst nicht mehr als ein Hauch im Wind. Ein Lächeln schlich sich auf Nates Lippen und anstatt mir zu antworten, hob er mein Kinn mit zwei seiner Finger etwas an und beugte sich zu mir herunter.
Als seine Lippen auf meine trafen, fühlte es sich viel mehr so an, als wäre er derjenige, der mich ansteckte.
Mich infizierte.
Mit einer Krankheit, die mein Herz, so unlogisch es auch klingen mochte, zeitgleich zum Stillstand und zum Rasen brachte.
Aber auch wenn ich wusste, dass sie mich an den Rand einer unsagbar tiefen Klippe führen konnte, wollte ich gar nicht mehr von ihr geheilt werden.
Denn Nates Lippen fühlten sich an, als würde ich endlich Zuhause ankommen.
Den Rest des Tages verbrachten wir damit, auf Netflix eine Serie nach der anderen zu schauen, den Ton abzudrehen und sie selbst zu synchronisieren. Ich bekam schon Bauchschmerzen vom vielen Lachen und bekam deswegen kaum die Reste der Pancakes herunter, die wir zum Mittag essen wollten.
Wir redeten über alles Mögliche und nur ein einziges Mal sprach er mich darauf an, wie ich die Sache mit Tara angehen wollte.
Kaum hatte er es ausgesprochen, drehte sich mein Magen um und ich schüttelte meine Arme, als wollte ich eine Fliege verscheuchen. „Darüber will ich nicht jetzt reden, Nate. Irgendwie wird sich eine Lösung finden."
Er schien es zu akzeptieren, denn er verlor kein weiteres Wort darüber und die nächste Stunde synchronisierten wir eine weitere Folge von The Vampire Diaries.
Erst als es sich langsam den Nachmittag zuneigte und Nate davon sprach, dass er sich langsam auf den Weg machen musste, da er seiner Mutter versprochen hatte, ihr beim Abendessen zu helfen, wurde mir bewusst, dass wir kein einziges Mal über Fynn oder seine Rätsel gesprochen hatten.
Ich lehnte an Nates Schulter. „Was ist mit dem Theaterrätsel?", fragte ich schließlich nach und spürte augenblicklich wie er sich verspannte.
„Was soll schon damit sein?"
„Ich bin mir nicht sicher, ob wir es schon gelöst haben und was Fynn genau damit ausdrücken wollte..."
Nate rückte etwas von mir ab, sodass ich mich aufrichten musste, wenn ich nicht umfalle wollte.
„Müssen wir jetzt über die Rätsel sprechen, Alicia?" Seine Stimme klang seltsam distanziert und verwirrt runzelte ich die Stirn. Überrascht von seiner Distanz musterte ich ihn. Sein Gesicht war verschlossen und er sah mir nicht in die Augen.
„Ich dachte nur..."
„Ich will jetzt nicht darüber nachdenken, okay? Nicht heute, nicht hier mit dir, Al. Ist das okay?", unterbrach er mich und nachdem ich ihm einen weiteren langen Blick warf, nickte ich schließlich seufzend.
Er akzeptierte, dass ich nicht über Kyran und Tara reden wollte, so müsste ich es auch akzeptieren, dass er sich heute nicht mit dem Rätsel beschäftigen möchte.
„Okay.", antwortete ich, nicht jedoch weniger darüber verwirrt, dass er anscheinend nicht an der Lösung des Rätsels interessiert war.
Sofort schien er sich wieder etwas zu entspannen. Er ließ sich zurück gegen die Sofalehne fallen und bevor ich mir noch länger den Kopf darüber zerbrechen konnte, wieso er so komisch reagiert hatte, schob er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Er betrachtete mich von der Seite und schüttelte langsam den Kopf. „Ich würde liebend gerne noch weiterhin Damon als Pizzaboten synchronisieren, aber dann wird mir meine Mom das Nudelholz über den Schädel ziehen."
Ich lachte und stupste ihn leicht in die Seite. „Na, das wollen wir ja nicht, also sieh schon zu, dass du wegkommst."
„Aber ich will nicht. Vielleicht kann ich auch nicht." Sein Blick löste sich noch immer nicht von meinem und sofort schienen sich die Schmetterlinge in meinem Bauch zu vermehren. „Nun wirst du aber dramatisch, Nate."
Er lachte leise auf und schüttelte den Kopf. „Nur so dramatisch, wie ich sein muss, Alicia."
Mit einem Seufzen stand er auf und sofort vermisste ich die Wärme seines Körpers.
Ehrlich gesagt wollte ich auch nicht, dass er schon ging.
Doch vielleicht war dies einfach nur ein weiteres Zeichen dafür, dass man nicht immer das bekommen konnte, was man wollte...
Mir war mehr als bewusst, dass ich kein weiteres Mal schwänzen konnte und auch durfte. Deswegen schleppte ich mich mühselig in die Schule und war froh, dass ich die Stunden einigermaßen überlebte. Ich wurde jedoch immer nervöser, desto näher der Stundenzeiger sich der Mittagspause näherte und als es schlussendlich klingelte, war ich kurz davor Nate eine Nachricht zu schicken, ob wir nicht in den Theaterraum gehen wollten. Ich würde mich sogar auch in den Fundus verschanzen. Schließlich ließ ich mit einem Seufzen aber mein Handy wieder in die Tasche gleiten.
„Okay, Alicia, du kannst dich nicht ewig vor der Konfrontation drücken.", murmelte ich mir selbst zu, als ich die Mensa betrat.
Dennoch machte sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen breit, als ich meinen Freundeskreis an unserem altbekannten Tisch versammelt sah. Tara saß neben Kyran und unterhielt sich aufgeregt mit Riley, während sie ihre Gabel immer wieder in ihren Salat pikste, ohne ihn jedoch zu essen. Vany war gerade dabei, gleichzeitig ihre Wasserflasche aufzuschrauben und Adam davon abzuhalten den Muffin von ihrem Tablet zu stehlen.
„Okay... vielleicht kann ich mich nicht ewig davor drücken, aber auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht drauf an.", sprach ich weiter mit mir selbst und wollte gerade wieder die Mensa verlassen, als mein Blick auf einen anderen Tisch fiel.
Emily entdeckte mich im selben Moment wie ich sie und winkte mir freudig zu. Dadurch erlangte sie die Aufmerksamkeit von Nate, Erin und Ethan, die neben ihr saßen und nun ihren Blick folgten. Als meine Augen auf Nates grüne trafen, schlich sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Mit einer Kopfbewegung zeigte er auf den freien Stuhl neben ihn und ohne einen weiteren Blick in die Richtung des Tisches zu werfen, an dem ich die letzten Jahre immer meine Mittagspause verbracht hatte, setzte ich mich in Bewegung.
An den nächsten zwei Tagen war es nicht anders und so langsam wurde ich Profi darin, die Blicke meiner Freunde zu ignorieren. Natürlich wusste ich, dass es nicht für immer so weiter gehen konnte, aber gerade jetzt brauchte ich etwas Distanz.
„Habt ihr Lust, heute Abend auf eine Pizza vorbeizukommen? Meine Mom ist nicht da und auf Netflix gibt es diesen einen neuen Film, der so schlecht sein soll, dass er schon wieder unterhaltsam wäre...", fing Nate plötzlich das Gespräch an, doch Emily schüttelte sofort den Kopf. „Das Eishockeyspiel gegen die Tigers ist heute, Erin und ich wollten hingehen und Ethan dabei zusehen..."
Ich bekam sofort mit, wie Ethan sich verspannte und unwohl auf seinem Platz hin und her rutschte. Auch Nates Gesichtszüge veränderten sich und sein Blick huschte zu seinem Freund. Bevor irgendeiner etwas sagen konnte, sprach ich schnell: „Ich habe auch nicht sonderlich Lust, mir das Eishockeyspiel anzuschauen. Da bin ich lieber bei dem Film dabei."
Dankbar nickte mir Nate zu. „Na, dann steht das zumindest fest."
Ich nickte nicht weniger erleichtert. Denn so hatte ich auch einen weiteren Grund, nicht zu dem Spiel gehen zu müssen. Ich hatte es beinahe wieder vergessen, was fast an einem Wunder glich, da es momentan mit das bedeutsamste Spiel für Kyrans Eishockeyteam war. Die Tigers waren unsere stärksten Gegner und der Ausgang des heutigen Spiels würde über den Verlauf der ganzen restlichen Saison entscheiden.
Die Stimmung würde wahrscheinlich bombastisch sein und unsere kleine Schulhalle bis auf den letzten Platz gefüllt, aber wenn ich ehrlich war, fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich am Nachmittag Vanys Nachricht, ob sie mir einen Platz freihalten sollte, mit einem Nein beantworten konnte.
Gegen Abend machte ich mich auf den Weg zu Nate und gut gelaunt öffnete er mir die Tür. Er hatte bereits regelrecht ein Buffet an allerlei Süßigkeiten und Knabberkram aufgebaut und den Fernseher in seinem Zimmer eingeschaltet.
„Also, wie heißt der Film und gibt es Vampire oder Zombies?", fragte ich, als ich mich auf sein Bett fallen ließ und mir gleichzeitig eine Handvoll Chips in den Mund schob.
„Wieso Vampire oder Zombies?", fragte Nate nach, als er sich neben mich auf dem Bett ausstreckte.
Ich zuckte die Schultern. „Es gibt immer Vampire oder Zombies in schlechten Filmen, ist dir das denn noch nie aufgefallen?"
Er lachte und schüttelte den Kopf, während er mich von der Seite aus betrachtete. Sofort schlug mein Herz unter seinem Blick etwas schneller und ich spürte, wie mir warm wurde. „Nun ja, jetzt weiß ich ja Bescheid...", setzte er schließlich mit einem Augenzwinkern an und ich konnte mich nur schwer zurückhalten, ihm die Haarsträhne wegzustreichen, die ihm widerspenstig in die Stirn fiel.
Grinsend richtete ich mich etwas auf, um besser an die Chipsschüssel zu kommen, die auf seinem Nachttisch stand und, wenn ich ehrlich mit mir selbst war, mich von Nate etwas abzulenken.
Dabei bemerkte ich ein Origami in Form eines kleinen Schiffchens, das an seiner Nachttischlampe lehnte. Es bestand aus dünnem, hellblauem Papier und von weitem konnte ich die geschwungene Form von Tinte erkennen. Fasziniert nahm ich es in die Hand und drehte es in meinen Händen hin und her. Es war wunderschön und überraschenderweise ziemlich stabil.
„Hast du das hier gebastelt?", fragte ich Nate und drehte mich zu ihm um.
„Hm?", entgegnete er nur leicht abgelenkt, da er darauf fokussiert war, den richtigen Film auf Netflix einzustellen.
„Na, das hier." Ich hielt ihm das kleine Schiffchen entgegen und endlich drehte er sich etwas zu mir um. Doch kaum erkannte er, was ich dort in meinen Händen hielt, verrutschte sein Lächeln und blitzschnell nahm er mir es aus der Hand.
„Lass das!"
Erschrocken zuckte ich zusammen und öffnete überrascht meinen Mund. Mit so einer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet und gerade, als ich nachfragen wollte, was denn los sei, fiel mein Blick ein zweites Mal auf das Schiffchen. Diesmal schenkte ich der geschwungenen Tinte jedoch mehr Beachtung und bevor Nate das Origami hinter seinem Rücken verschwinden lassen konnte, fiel mir ein Wort ins Auge.
Oder besser gesagt ein Name.
Fynn.
Sofort fiel es mir wie die Schuppen von den Augen und ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Körper breit.
„Nate...", setzte ich langsam an und ich konnte in seinen Augen erkennen, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, bevor ich sie überhaupt ausgesprochen hatte. „Ist das von Fynn? Ist dies das nächste Rätsel?"
Er wich meinem Blick aus, indem er auf das Schiffchen in seinen Händen starrte. Schließlich seufzte er auf und ein Stich durchfuhr mein Herz. „Es tut mir Leid, Alicia."
Scharf zog ich die Luft ein, da mir bewusst wurde, was dies bedeutete.
Er hatte das sechste Rätsel ohne mich gelöst.
Oder es zumindest versucht.
Vorsichtig, aber dennoch flink löste er mit seinen Fingern die Kanten, sodass das Papierschiffchen wieder zu einem einfachen Blatt Papier auseinanderklappte.
Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, schob er seine eine Hand über meine und führte sie zu dem Papierstück. Ich konnte die vereinzelten Wörter lesen, die jedoch in dieser Anordnung keinerlei Sinn ergaben.
Fynn.
Wellen
Eisbären
untergehen
„Ich wollte nicht an die Rätsel denken. Oder wenn ich ehrlich bin, nicht die Rätsel mit dir in Verbindung bringen. Aber dennoch konnte ich mich nicht davon abbringen, Fynns Rätselbuch erneut aufzuschlagen und als ich dann dieses sechste Rätsel gesehen habe..." Er lachte leise auf, als er meine Finger so an den Knickfalten entlangführte, dass das Papier so langsam wieder die Form des Schiffes annahm. „Da erschien es mir viel zu einfach. Wir haben früher in unserer Kindheit öfter Origami-Schiffchen gefaltet, weißt du? Ich habe es ihm beigebracht..."
Keine Sekunde später hatten meine Finger durch Nates Führung das Blatt Papier wieder zu dem Schiffchen verwandelt. Und nun erkannte ich, dass die Wörter, nun in der gefalteten Form, anders angeordnet waren.
Sie ergaben einen Satz, der sich einmal quer über die Segel bis hin zu dem Schiffsrumpf erstreckte.
Und sofort stockte mir der Atem.
Diesmal lag es aber nicht an Nates Wärme und seiner Berührung.
Sondern an Fynns Rätsel, dessen Lösung mir geradezu ins Gesicht sprang.
„Diesen ersten Teil des Rätsels habe ich kinderleicht durchschaut, Alicia, aber Fynn macht es einem nicht einfach, ich weiß nicht, was er damit meint und das macht mich verrückt. Es gibt mir das Gefühl, ihn nicht richtig gekannt zu haben, verstehst du?"
Mein Blick klebte noch immer auf dem Origami-Schiffchen, doch nun hob ich ihn langsam und atemlos schüttelte ich den Kopf.
„Aber ich, Nate. Ich weiß, was er damit meint."
Es war für mich glasklar.
Und ein weiteres Mal folgten meine Augen den feinen Schwingungen der Tinte von Fynns Wörtern auf dem Schiffchen, nur um absolut sicher zu gehen, dass es wirklich diese Worte waren, über dessen Bedeutung ich nicht lange nachdenken musste:
Sechstes Rätsel:
Auch der letzte Eisbär wird irgendwann in den Wellen untergehen.
Fynn.
~
(05.08.2019)
HAPPY BIRTHDAY PARALLEL LINES!!!!
Oh Gott, ich kann es gar nicht fassen, aber heute wird dieses Baby hier drei Jahre alt.
Vor genau drei Jahren habe ich den Prolog hochgeladen.
Es ist eine lange Zeit für eine einzige Geschichte, keine Frage, aber ich bin dennoch verdammt stolz, wie weit ich mit ihr gekommen bin. Ich erinnere mich nur zu gut, wie es eigentlich nur ein Nebenprojekt sein sollte, aber mittlerweile hat sie sich zu so viel mehr entwickelt.
Am Anfang wusste ich noch gar nicht zu 100% wo die Reise genau hingehen soll und nun stehen wir beinahe am Ende.
Oh man, ich werde glatt emotional hier, wenn ich daran denke und ich könnte noch so viel mehr dazu sagen, aber ich will euch nicht damit nerven, das spare ich mir deswegen für die Danksagung auf xD
Denn diese wollte ich heute ja eigentlich auch posten. Denn genau genommen habe ich euch eigentlich ja angekündigt, dass ich den Epilog zum dritten Jubiläum veröffentlichen wollte. Das war auch mein Ziel, aber leider ist das Leben dazwischen gekommen. Glücklicherweise im guten Sinne.
Ich hatte mir einen tollen Schreibplan ausgearbeitet, sogar mit reichlich Puffer, sodass ich eigentlich alle Kapitel von Parallel Lines bis heute fertig gehabt hätte, aber dann - bähm - kam eine Uni-Sofortzulassung, sodass ich die Chance bekommen habe, schon jetzt, bevor ich mich überhaupt endgültig immatrikuliert habe, auf die Wohnungssuche zu begehen, bevor alle anderen bald anfangen zu suchen. Wir waren gefühlt jeden zweiten Tag in Hamburg auf Besichtigungen (das war echt kein Spaß), aber glücklicherweise haben wir dann das Ja für meine absolute Traumwohnung bekommen. Und nun gibts den Umzugsstress... xD deswegen wurde mein Schreibplan etwas über den Haufen geschmissen, ich hoffe, ihr verzeiht mir. Es wird sich etwas verzögern, aber Parallel Lines wird dennoch Ende August/Anfang September sein Ende finden ( nicht zuletzt auch, weil im September Einrecheschluss für den Piper-Wettbwerb ist... Falls ihr mich dort unterstützen wollt, würde ich mich freuen, wenn ihr euch die Infos dazu in dem Kapitel, das ich speziell dazu gepostet habe, durchlesen würdet. Da erkläre ich alles :)) und ich würde mich freuen, wenn ihr mich und Alicia und Nate weiterhin bis zum Ende von Fynns Rätseln begleiten würdet <3
Denn hier ist schon das sechste Rätsel. Fynns Schiffchen, das euch vielleicht noch bekannt vorkommt... Kann sich wer daran erinnern?
Und wisst ihr vielleicht genauso wie Alicia schon, was Fynn mit seinem Rätsel meint bzw. von den beiden möchte?
Danke für all eure Unterstützung.
Danke an alle Leser; die, die vielleicht schon von Anfang an dabei sind, aber auch an die, die jetzt gerade erst Fynn, Alicia und Nate entdeckt haben.
Ihr seid toll und ich wüsste nicht, was ich ohne euch und euer motivierendes Feedback machen würde.
Sicherlich wäre ich ohne euch niemals so weit gekommen.
Bis zum nächsten Mal und bis dahin gibts Torte, Sekt zum Anstoßen und ganz viel Party!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro