⌜Fynns Party⌝
Es war, als würde man
ein neues Universum betreten.
Und nie wieder wollte ich es verlassen.
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║ A L I C I A ║
Ich blieb noch für ein paar weitere Minuten draußen in der Kälte stehen, doch als ich zwei schemenhaften Gestalten entdeckte, die so aussahen, als würden sie ein ruhiges Plätzchen suchen, drehte ich mich schnell um. Zitternd schloss ich hinter mir die Terassentür und stieß beinahe mit Vany zusammen, die gerade dabei war, alle leeren Flaschen in die Spüle zu stellen.
„Hier versteckst du dich also, Al!", rief sie aus und griff nach meinem Arm. „Ich habe dich bereits vermisst." Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. Nicht nur ihr Verhalten, sondern auch der Vodka-Atem zeigten deutlich, dass sie bereits einige Drinks intus hatte.
„Ja, ich brauchte einfach mal frische Luft", meinte ich mit einem leichten Lächeln und als ich meine Hände über meine nackten Oberarme rieb, um die Gänsehaut loszuwerden, betrachtete mich meine beste Freundin skeptisch. Sie stürzte ihre kirschrot angemalten Lippen und trat einen Schritt nach hinten, um mich besser mustern zu können.
„Das ist aber keine Ausrede, um wieder vom Erdboden zu verschwinden, meine Liebe. Ich besorge uns etwas zu trinken und plündere das Schokoladenversteck deines Vaters, während du dir ein Pullover anziehst, okay?"
Sie ließ mir jedoch gar keine Zeit um zu antworten, denn im gleichen Moment drehte sie sich bereits, passend zum Bass der weit entfernten Musik im Wohnzimmer wippend, zu der Kücheninsel um, um zwei saubere Becher zu finden.
Widerworte würde sie nicht akzeptieren. Ich konnte es nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht schlich und ich den Kopf schüttelte.
Jedoch hielt ich Vanys Aufforderung, einen Pullover überzuziehen, für eine gute Idee. Denn noch immer kroch mir die nächtliche Dezember-Kälte über meinen gesamten Körper. „Ich bin gleich wieder da", meinte ich und schlüpfte aus der Küche.
Als mich die Lautstärke der Musik mit voller Wucht traf, stockte ich erst einmal in meiner Bewegung und sah mich blinzelnd in dem dämmrigen Raum um. Mir fiel wieder ein, dass ich Tara und Kyran versprochen hatte, Getränke zu besorgen, doch als ich überlegte, ihnen kurz Bescheid zu geben, sah ich, dass meine Freunde nicht mehr länger auf der Couch saßen. Riley entdeckte ich mit einigen anderen auf der Tanzfläche, während Adam mit Erin und einem anderen Mädchen ein angeregtes Gespräch zu führen schien. Weder Kyran, noch Tara konnte ich jedoch auf die Schnelle ausfindig machen.
„Die Getränke kann ich gleich auch noch besorgen", murmelte ich, bevor ich mit schnellen Schritten den Flur entlangging. Vor der Badezimmertür standen zwei Jungen aus dem Eishockeyteam mit ihren Freundinnen, doch je näher ich meinem Zimmer kam, desto mehr entfernte sich die Musik und das Partygeschehen. Sofort spürte ich, wie etwas von dem Druck von meiner Brust fiel, als ich in mein Zimmer schlüpfte. Es war dunkel, doch in dem fahlen Licht des Mondes konnte ich erkennen, dass das Fenster weit offen stand. Sachte wogen sich meine dünnen Vorhänge in dem Wind vor und zurück und stirnrunzelnd trat ich näher. Ich hatte es definitiv nicht aufgemacht. Seufzend schloss ich es und schnappte zeitgleich mir von meinem Schreibtischstuhl meinen braunen Kaschmirpullover, der warm, aber dennoch schick genug für eine Party war.
Gerade, als ich meine Arme in die Ärmel steckte und den Pullover über meinen Kopf ziehen wollte, ertönte ein Räuspern. „Es hatte einen Grund, warum ich das Fenster aufgemacht habe."
Ich stieß einen erstickten Schrei aus und schlug mir vor Schreck das Knie an der Stuhlkante an. Fluchend ließ ich meine Arme sinken und drehte mich zu der Stimme um.
„Was zur Hölle machst du hier?", fragte ich und starrte auf Nate, der über die gesamte Länge in meinem Bett lag und an die Decke starrte, während ich mir über mein pochendes Knie strich.
Nun hob er langsam den Kopf etwas an, um mich ansehen zu können.
„Sieht man das nicht, Alicia?" Er hob eine Hand leicht an, sodass ich nur zu gut den roten Becher in seiner Hand erkennen konnte. „Ich trinke und habe ganz viel Spaß auf deiner Party. Man könnte meinen, es ist der beste Abend meines Lebens."
Ich konnte den Sarkasmus in seiner Stimme hören und sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Ich legte den Pullover beiseite und trat vorsichtig etwas näher an mein Bett. „Bist du betrunken?"
Er stieß ein heiseres Lachen aus und schüttelte den Kopf. „Nicht so sehr, wie ich es gerne wäre." Seine grünen Augen trafen auf meine, doch nur eine Sekunde später wendete er sich wieder ab, sodass ich keine Chance bekam, seinen Blick zu deuten.
Schnell zog ich mir den Pullover über und verschränkte meine Arme vor meinem Körper.
„Du solltest wieder zurückgehen, Alicia", sprach Nate weiter und starrte wieder an die Decke. Ich schüttelte meinen Kopf und warf einen kurzen Blick in die Richtung meiner angelehnten Tür.
„Du auch, Nate", entgegnete ich.
Urplötzlich richtete er sich auf seine Ellenbogen auf und der Blick aus seinen grünen Augen traf mich so unerwartet intensiv, dass ich leicht zusammenzuckte: „Warum bin ich hier, Alicia?"
„Ich weiß es nicht, du bist doch in mein Zimmer-"
Er unterbrach mich, indem er den Kopf schüttelte. „Das meinte ich nicht und das weißt du ganz genau. Warum bin ich hier? Hier auf dieser Party, wenn es doch so offensichtlich ist, dass du mich nicht hier haben willst?"
Vollkommen überrumpelt konnte ich ihn nur anblitzen und öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wieso dachte er, dass ich ihn nicht hier haben wollen würde?
„Okay, vielleicht sollte ich besser gehen, bevor ich noch etwas Unüberlegtes mache..." Er strich sich einmal durch seine Haare, bevor er sich vollständig von meinem Bett erhob und den Becher auf meinen Nachttisch stellte.
„Das stimmt nicht, Nate", kam es schließlich über meine Lippen.
Nates Hand schwebte über der Türklinke und mit hochgezogenen Augenbrauen drehte er sich wieder zu mir um. „Ach ja? Dann muss ich mir das Gefühl nur eingebildet haben, dass ich die ganze Zeit gespürt habe, als du nicht einmal ein Gespräch mit mir führen konntest, da du zu beschäftigt warst, mit Kyran Partnertrinken zu veranstalten..."
Nun war ich es, die die Stirn runzelte. Seine Stimme klang verbittert, doch für einen kurzen Moment erschien es mir, als würde ich etwas Verletzliches in seinen Augen sehen. Ein Gedanke schlich sich in meinen Kopf und schlug seine Krallen in mich, sodass ich ihn nicht mehr abschütteln konnte.
„Geht es hier um Kyran, Nate?"
Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht... oder, warte..." Er legte leicht den Kopf schief und sprach schließlich weiter: „Ging es nicht schon die ganze Zeit um ihn?"
Er verwirrte mich immer mehr und gleichzeitig konnte ich es nicht verhindern, dass sich auch langsam die Wut in mir breit machte. Natürlich ging es nicht um Kyran, in keiner Weise. Wie kam er nur darauf?
Ich stemmte meine Hände in die Seiten, doch gerade, als ich etwas erwidern wollte, drehte sich Nate vollkommen von der Tür ab, sodass wir uns wieder gegenüberstanden.
„Weißt du, Alicia. So langsam verstehe ich, was Fynn in dir gesehen hat..." Er stockte für eine Sekunde: „Und wieso er es nicht verstanden hat, was du in Kyran siehst. Es muss ihn wahnsinnig gemacht haben..." Erneut verharrte er in seiner Bewegung, bevor er weitersprach: „...Genauso wahnsinnig, wie es mich gerade macht."
Mein Herz klopfte mir bis zu meinem Hals und noch immer versuchte ich verzweifelt mit seinen Worten mithalten zu können. Mein Blick huschte zwischen seinen Augen hin und her und ein riesiger Kloß verhinderte, dass ich Luft holen, geschweige denn sprechen konnte.
Die Sekunden schienen sich wie Kaugummi in die Länge zu ziehen, bis ich meine Stimme wiederfand und stockend nachfragte: „Was macht dich wahnsinnig?"
Nates Blick hielt meinen gefangen, raubte mir weiterhin den Atem und trieb mich beinahe an den Rand des Erstickens. „Alicia, liebst du ihn?", stellte er die Gegenfrage, ohne auf meine eigene einzugehen.
„W-was?" Ich hatte ihn verstanden, natürlich hatte ich es. Doch ich wusste nichts mit seinen Worten anzufangen, mein Gehirn verstand die Bedeutung, den Sinn, hinter seiner Frage nicht. Er trat einen Schritt näher auf mich zu und war mir somit so nahe, dass ich nur meine Hand ausstrecken müsste, um ihn zu berühren.
„Liebst du Kyran?", fragte Nate ein zweites Mal ohne den Blickkontakt zu unterbrechen oder mit der Wimper zu zucken.
Mein Herz klopfte wie verrückt und alles, was ich nun nur noch wahrnahm, war Nates Gesicht. Meine Gedanken rasten in meinem Kopf und dennoch: Innerhalb nur einer Sekunde, nachdem er die Frage gestellt hatte, innerhalb eines Herzschlages, in dem ich ihm gegenüberstand und ansah, wusste ich bereits die Antwort.
Bevor ich mich versah, schüttelte ich langsam den Kopf. „Nein." Meine Stimme zitterte und klang unglaublich dünn. Dabei waren es die ehrlichsten Worte, die ich bisher ausgesprochen hatte.
Deswegen räusperte ich mich und wiederholte mich, diesmal mit mehr Nachdruck: „Nein, Nate, ich liebe Kyran nicht."
Es fühlte sich an, als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen und am liebsten hätte ich die Worte immer und immer wieder gesagt, nur um dieses Gefühl nie wieder zu verlieren.
Erleichterung machte sich in Nates Gesicht breit und seine Schultern entspannten sich merklich. Sein Blick huschte zwischen meinen Augen hin und her, so als würde er gedanklich etwas abwägen. „Das ist gut. Denn ansonsten würde ich dies hier sicherlich noch viel mehr bereuen."
Bevor ich ihn fragen konnte, was er bereuen würde, trat er bereits einen weiteren Schritt auf mich zu und griff mit beiden seiner Hände nach meinem Gesicht.
Meine erste Intuition war es, erschrocken zurückzuzucken, doch seine Berührung war so federzart auf meiner Haut, dass ich ihr sofort verfiel. Genauso federzart wie seine Lippen, die im nächsten Moment auf meinen lagen.
Die Wärme breitete sich schlagartig in meinem gesamten Körper aus und ließ mein Herz vollkommen versagen. Ich spürte viel zu intensiv, wie sein Daumen über mein Kinn strich, wie seine Handflächen einzelne Haarsträhnen meiner Haare berührte.
Doch nur eine Millisekunde später war diese federzarte Berührung vorbei, Nates Lippen lösten sich von meinen und dennoch trat er keinen Schritt zurück, sodass wir uns so nahe waren, wie noch nie zuvor. Es war nur ein Hauch, eine zaghafte Berührung, gewesen, aber dennoch schnappten wir beide nach Luft, als wären wir gerade einen Marathon gelaufen.
Meine Gedanken überschlugen sich und noch immer hatte ich nicht begriffen, was gerade passiert war. Ich starrte in das Grün Nates Augen und blinzelte mehrmals hintereinander, während mein Blick sein Gesicht abscannte. Nate hielt noch immer mein Gesicht in seinen Händen und als er langsam anfing zu sprechen, streifte mich sein warmer Atem: „Was habe ich getan?"
Es war nur ein Flüstern, echote aber in meinem Kopf immer weiter nach. Was er getan hatte? Er hatte mich geküsst.
Er hatte mich geküsst und ohne die Wärme seiner Lippen überkam mich eine ungewohnte Gänsehaut.
Auch er schien dies gerade zu realisieren und der Überraschung in seinen Gesichtszügen wich einen nicht definierbaren Gesichtsausdruck.
„Ich weiß es nicht", flüsterte ich genauso leise zurück und mein Blick fiel auf seine Lippen. „Aber bitte hör nicht auf."
Nun war ich es, die noch einen weiteren kleinen Schritt ging, sodass kein Blatt Papier mehr zwischen uns gepasst hätte. Bevor ich darüber nachdachte, was wir hier taten, schlang ich meine Arme bereits um seinen Nacken. Ich sehnte mich nach der Wärme, die er versprühte und diesmal war es nicht nur eine federzarte Berührung.
Diesmal küssten wir uns richtig und die Gefühle und Empfindungen trafen mich, wie Wellen, die an einem Kliff brachen. Sie rissen mich vollkommen mit sich, doch ich fühlte mich nicht, als würde ich ertrinken.
Nein, sie lullten mich ein, gaben mir ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme.
Nates Lippen schmeckten komischerweise nicht nach Alkohol, sondern nach einer Mischung aus Zimt und etwas, das ich nicht definieren konnte.
Konnte jemand nach einem winterlichen Spaziergang schmecken?
Nach warmen Sonnenstrahlen auf der Haut, die die kühlen Schneeflocken zum Schmelzen bringen würden, die von einem grauen Himmel rieseln würden, während man bereits das Knistern der Holzspalten in dem Ofen hören könnte?
Ich spürte, wie er unter meiner Berührung meiner Hände erschauderte und automatisch musste ich anfingen gegen seine Lippen zu grinsen. Meine Hände wanderten weiter nach oben. Zentimeter für Zentimeter, bis ich seine weichen Haare unter meinen Fingern spüren konnte.
Ich wusste nicht, wie es möglich war, aber es schien, als würde ich jeden Punkt, an dem sich unsere Körper berührten, viel intensiver als sonst wahrnehmen. So, als hätten meine Zellen vorher nie zu hundert Prozent gearbeitet, während sich nun jede Faser meines Körpers nach Nate ausrichtete.
Und in diesem Moment bereute ich es, dass ich nur wenige Minuten zuvor noch meinen Pullover übergezogen hatte. Denn ich brauchte ihn nicht. Nicht, wenn ich Nate so nah war.
„Alicia..."
Als Nate den Kuss unterbrach, seufzte ich enttäuscht auf und sofort fehlte mir seine Wärme.
Vorsichtig öffnete ich wieder meine Augen und Grün war das einzige was ich sah.
Das einzige, was ich sehen wollte.
So nah konnte ich erkennen, dass sich zu dem Grün seiner Augen auch noch einzelne braune Flecken gesellten.
„Ich glaube, ich werde nie wieder damit aufhören können."
Ein Lächeln schlich sich bei seinen Worten auf mein Gesicht, während ich versuchte meinen Herzschlag und meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Dann tue es nicht."
Als sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln anhoben, versagten jedoch all meine Bemühungen. Und ich musste zugeben, dass ich es nur liebend gern akzeptierte.
Denn in diesem Moment gab es kein schöneres Gefühl als in seinen Augen zu versinken, wie in einem Universum den Halt zu verlieren, das mir schien, als wäre es nur für uns beide erschaffen worden.
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(09.07.2019)
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