⌜Ethan⌝
Es ist ein Teufelskreis.
Bis zum Ende wird man sich fragen,
ob man es hätte verhindern können.
Und das Schlimme ist,
dass man nie eine Antwort darauf bekommen wird.
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║ A L I C I A ║
„Wie cool, dass deine Eltern die Party erlaubt haben." Vany lehnte sich an die Spüle in meiner Küche, in der sich trotz der frühen Stunde bereits reichlich leere Plastikbecher und Alkoholflaschen türmten.
Ich grinste leicht. „Mom und Dad wissen einfach, dass ich vernünftig bin und sie mir vertrauen können und ich wollte ja sowieso nicht das Wochenende mit zu unseren Verwandten."
„Jaja, so vernünftig, wie unser Engel Alicia Clarkson ja sein kann." Vany lachte und prostete mir mit ihrem roten Plastikbecher zu. Dann drehte sie sich einmal um die eigene Achse. „Wollen wir zurück zu den anderen? Tara beschwert sich sicherlich schon, wo so lange ihr Getränk bleibt." Meine beste Freundin hob zur Unterstreichung ihrer Worte den zweiten Becher in ihrer anderen Hand in die Luft, den sie für Tara mitbringen sollte.
„Ja, geh schonmal vor, ich versuche hier nur etwas Ordnung zu schaffen, bevor es ein noch größerer Saustall wird." Skeptisch betrachtete mich Vany, nickte dann aber und verließ die Küche Richtung Wohnzimmer.
Beinahe erleichtert seufzte ich auf und lehnte mich erneut gegen die Kochinsel. Natürlich hatte ich nicht die Absicht bereits jetzt den Putzteufel zu spielen, aber etwas Zeit für mich, schadete nicht. Die Musik wummerte unter meinen Füßen und dröhnte in meinen Ohren und auch das immer voller werdende Wohnzimmer zeigte, dass ich definitiv nicht alleine war, aber für einen kurzen Moment wollte ich mich der Abgeschiedenheit der Küche hingeben.
Lange hielt es jedoch nicht an – ich hätte es wissen müssen, immerhin war die Küche der Alkohollagerplatz. Die Tür wurde aufgerissen und Kyran kam gefolgt von Adam und Ethan lachend herein.
Kyran und seine Freunde waren bereits seit längerer Zeit hier, doch Ethan hatte ich bisher noch nicht gesehen gehabt, da er nicht mit den anderen von dem Eishockeyspielern gekommen war. Hieß das, dass er nun mit den anderen, Erin, Emily und Nate angekommen war...?
„Hey Alicia." Ethan hob zum Gruß die Hand und ich tat es mit einem leichten Lächeln gleich. „Hi, bist du alleine gekommen?", fragte ich an ihn gerichtet und als er den Kopf schüttelte, stieß ich die angehaltene Luft aus. „Nein, die anderen sind irgendwo im Wohnzimmer, glaube ich."
Ich wusste nicht, ob ich erleichtert darüber war oder nicht. Oder ob ich es überhaupt erwartet hatte. Zwar hatte ich Nate bei unserem Abschied aus dem Theatersaal von vor ein paar Stunden noch einmal gefragt, ob wir uns heute Abend auf meiner Party sehen würden – und er hatte bejaht -, aber die Situation war so komisch gewesen, dass ich bis jetzt meine Zweifel daran gehabt hatte, ob er wirklich auftauchen würde.
„Okay, gut. Ich begrüße sie eben schnell", meinte ich, nicht auch, um einen Grund zu haben, aus der Küche fliehen zu können. Ich spürte Kyrans Blick auf mir und bevor ich aus der Tür huschen konnte, hielt er mich am Arm zurück. „Hey, Al." Leicht drehte ich mich zu ihm um, abwartend was er möchte. „Soll ich dir ein Getränk mitmischen?"
Ich zögerte und mein Blick huschte zwischen seinen blauen Augen hin und her. Er trug ein blaues Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte und trotz des vielen Alkohols roch ich das vertraute Parfüm auf seiner Haut. Weiterhin sah er mich abwartend an und langsam fing ich an zu nicken. „Ja, klar... wieso nicht? Mit O-Saft, bitte. Der steht im-"
„-Kühlschrank, den ohne Fruchtfleisch. Das weiß ich doch, Al", beendete Kyran mich mit einem leichten Lächeln und bevor er noch etwas anderes sagen konnte, nickte ich und machte mich von ihm los.
„Gut... ich muss eben die Gäste begrüßen."
Ich entdeckte Emily, Erin und Nate sofort und für einen kurzen Moment erlaubte ich es mir, stehen zu bleiben und sie zu beobachten, bevor sie mich bemerken würden. Sie standen bei zwei Mädchen, dessen Namen mir gerade nicht einfallen wollten und von Adam mitgeschleppt worden waren, obwohl ich eigentlich gesagt hatte, dass ich die Entscheidungsgewalt bei den Einladungen haben wollte. Doch sie erschienen mir vernünftig und wieder aus dem Haus schmeißen konnte ich sie jetzt auch wieder nicht.
Nate lehnte leicht an der Wand, schien dem Gespräch jedoch nicht wirklich zu folgen. Stattdessen fummelte er an den Armknöpfen seines karierten Hemdes herum, dass er offen über einem normalen T-Shirt trug. Seine Haare waren so wie so oft zerzaust, doch diesmal sah es gewollt aus. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, doch im gleichen Moment hob er den Blick und er entdecke mich. Wir starrten uns durch den Raum hinweg an und bevor ich vor Scham rot werden konnte, da er mich beim Beobachten erwischt hatte, setzte ich mich in Bewegung.
„Hey", grüßte ich in die Runde, konnte meinen Blick aber nicht von Nate lösen. „Schön, dass ihr gekommen seid."
„Danke für die Einladung", erwiderte Erin, während sie sich interessiert umblickte. „Gut, dass du meine ältere Schwester nicht eingeladen hast. Sie ist Kunststudentin und würde sicherlich keine Ruhe geben, bis du ihr nicht freiwillig die Gemälde überlassen würdest." Sie nickte in die Richtung der Bilder, die an den Wänden hingen. Ich lachte und schüttelte meinen Kopf. „Wirklich? Meine Familie und ich haben keine Ahnung von Kunst. Mom hat sie nur gekauft, weil sie zu der Einrichtung passen."
Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich ein Schmunzeln auf Nates Lippen breit machte. Er hatte unsere Unterhaltung verfolgt. Doch bevor er den Mund öffnen konnte, um auch etwas zu sagen, spürte ich eine Bewegung neben mir und im nächsten Moment einen Arm, der sich um meine Hüfte schlang.
„Voila, Al. Die beste Mischung aller Zeiten, natürlich ohne Fruchtsaft, dafür mit zwei Eiswürfeln." Kyran grinste mich von der Seite an und hielt mir einen roten Becher entgegen. „Danke", meinte ich und nahm ihn entgegen. Mir entging jedoch nicht, wie das Lächeln auf Nates Gesicht verrutschte und er zwischen mit und Kyran hin und hersah.
Und auch dieser schien nun Nates Anwesenheit zu realisieren, denn sofort fing er an, die Stirn zu runzeln. „Was macht der denn hier?"
„Genau das gleiche könnte ich mich auch fragen", entgegnete Nate trocken, sah jedoch nur mich an. Sofort wurde mir unwohl zumute und ich erinnerte mich daran, wie Nate mich gefragt hatte, ob ich Kyran auch eingeladen hätte.
Ich hatte es nicht.
Aber ich hatte ihm auch nicht gesagt, dass er nicht kommen sollte. Da war es nur mehr als vorhersehbar gewesen, dass er kommen würde. Zudem gehörte er zum Freundeskreis.
„Kyran, es ist meine Party. Ich kann einladen wen ich möchte." Ich versuchte so viel Nachdruck wie möglich in meine Stimme zu legen, um eine aufkommende Diskussion direkt im Keim zu ersticken. Dabei sah ich jedoch nur direkt in Nates Augen, die sich mit jedem weiteren Wort verdunkelten.
„Na gut, wenn du meinst", meinte Kyran zu meinem Glück nur, „Die anderen, deine Freunde, warten übrigens auf dich. Wir sollten zu ihnen gehen."
Ich nickte und konnte mich endlich von Nates Blick lösen. „Cool, dass ihr da seid. Die Getränke stehen in der Küche, bedient euch einfach, wenn ihr was wollt", sprach ich noch bevor ich versuchte, in die Runde zu lächeln. Kyran zog mich bereits in die andere Richtung, jedoch konnte ich noch sehen, wie Nate seine Lippen hart aufeinanderpresste und uns hinterher sah. Ihm gefiel es definitiv nicht, dass Kyran hier war. Und wenn ich ehrlich war, konnte ich ihn verstehen.
Für die nächsten Stunden, bekam ich kaum etwas von Nate mit. Hin und wieder sah ich seine braunen Haarlocken in der Menge aufleuchten und auch bemerkte ich die wechselnden roten Becher in seinen Händen, aber meine Freunde verwickelten mich so sehr in ihre Gespräche und Spiele, dass nicht einmal die Chance bestand, aufzustehen.
Selbst wenn ich es gewollt hätte.
Es war weit nach Mitternacht, als Tara endlich ihr selbstausgedachtes Trinkspiel für beendet erklärte. Erleichtert seufzte ich auf und starrte auf den Boden meines leeren Bechers. Zwar musste auch ich ihn zum Schluss in einen Zug leertrinken und der Geschmack des Vodkas brannte mir noch immer im Hals, aber im Großen und Ganzen war ich ziemlich gut weggekommen, sodass ich mit gutem Gewissen sagen konnte, dass dies bisher erst mein zweiter Becher Alkohol gewesen war.
„Soll ich uns nochmal etwas holen?" Kyran, der neben mir auf dem Sofa saß, stupste meinen Becher mit seinen eigenen an. Ich wendete mich seinem Gesicht zu, bevor ich meinen Blick in die Runde meiner Freunde schweifen ließ. Vany und Adam hatten mal wieder eine Diskussion über irgendeine unsinnige Sache angefangen und Tara saß an Kyrans anderer Seite, während Riley bereits halb an James Schulter schlief.
„Ich will auch noch etwas trinken. Vodka-Kirsche!", mischte sich nun Tara von der Seite ein und hielt Kyran Augenklimpernd ihren Becher hin. Als dieser sich fragend zu mir umdrehte, machte ich nur eine wegwerfende Handbewegung. „Alles gut, ich kann eben etwas holen. Ich wollte eh nach dem Rechten schauen." Ich schenkte meinen Freunden ein Lächeln, bevor ich mich aufrappelte und die Becher entgegennahm. Einige Gäste hatten sich bereits verabschiedet, aber dennoch war mein Wohnzimmer noch gut gefüllt. Sogar Emily konnte ich bei zwei Jungen aus meinen Biologiekurs entdecken.
Bevor ich es überhaupt selbst realisierte, hatte ich bereits den Raum nach einem bestimmten braunen Haarschopf abgescannt. Doch Nate konnte ich nirgendwo sehen und seufzend schob ich mich weiter zu der Küche durch. Ob er vielleicht schon gegangen war? Ich runzelte die Stirn bei diesem Gedanken, denn es wollte so gar nicht zu Nate passen, einfach zu gehen, ohne sich zu verabschieden.
Die Küche glich einem Schlachtfeld, doch ich seufzte erleichtert auf, als ich sah, dass sie leer war und ich einen kurzen Moment für mich hatte. Ich strich mir die Haare aus der Stirn, bevor ich die Kücheninsel nach dem Kirschsaft abscannte. Jedoch fand ich nur eine leere Flasche in der Spüle, sodass ich mich nicht weiter durch die vielen leeren Flaschen und Plastikbecher wühlte, die sich bereits überall stapelten, sondern die Tür zum Kühlschrank öffnete und eine neue Flasche herausnahm.
Als ich gerade dabei war, den Vodka mit dem Saft zu mischen, streifte mich ein eisiger Windhauch und fröstelnd zuckte ich zusammen. Mit einem Blick bemerkte ich, dass die Terassentür, die von der Küche aus abging, leicht offenstand.
Erneut seufzte ich auf und schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass so einige Abkühlung suchten oder eine rauchen wollten, aber konnten sie danach nicht daran denken, die Türen wieder zu schließen? Es war bereits Dezember und die Temperaturen fielen jeden Tag ein Stückchen mehr unter den Nullpunkt.
Gerade, als ich die Tür mit einem Ruck wieder schließen wollte, konnte ich eine Gestalt auf unserer kleinen Seitenterasse ausmachen. Es war Ethan, der sich gegen einen Stützpfeiler lehnte und in die Ferne starrte. Er hatte die Arme vor seinem Körper verschränkt und schien sich somit warm halten zu wollen.
„Hey", ergriff ich das Wort. Er zuckte zusammen und drehte sich zu mir um. Als er mich jedoch erkannte, erwiderte er nur „Hey Alicia", und drehte sich dann wieder in die Richtung unseres Poolhauses.
„Willst du nicht wieder reinkommen, es ist ziemlich kalt draußen."
Er zuckte mit den Schultern. „Ich brauche gerade etwas frische Luft. Tut mir leid, dass ich die Tür offenstehen gelassen habe, du kannst sie gerne anlehnen."
„Quatsch, das ist kein Problem..." Als er nicht weiter reagierte, machte ich zögerlich einen Schritt auf ihn zu. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er den ganzen Abend über kein einziges Mal bei uns, bei seinen Eishockeyfreunden, gewesen war. Seine Schultern wirkten verspannt und als ich neben ihn an die Brüstung trat, konnte ich erkennen, dass er nachdenklich seinen Kopf zur Seite gelegt hatte.
„Alles gut?", fragte ich ihn langsam, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
Er warf mir einen Blick von der Seite zu, bevor er sich wieder abwandte. „Klar."
Wir wussten beide, dass es gelogen war.
Doch hatte ausgerechnet ich ein Recht darauf, nachzuhaken?
Seufzend stützte ich mich auf meine Ellenbogen und zusammen starrten wir beide schweigend in die Dunkelheit, die nur von der Poolbeleuchtung durchbrochen wurde.
„Ich hab's verschissen", sprach Ethan auf einmal und überrascht drehte ich mich zu ihm um. „Ich habe gedacht, dass das hier alles ist, was ich schon immer wollte..." Er sah mich nicht an, während er sprach und schwieg, da ich wusste, dass er nicht weitersprechen würde, wenn ich ihn unterbrechen würde. „Aber nun kann ich endlich das Gefühl, dass ich schon seit dem Sommer habe, richtig einordnen: Am liebsten würde ich Kyran in die Fresse schlagen." Leicht lachte er auf, bevor er den Kopf schüttelte. „Okay, genau genommen habe ich das schon, aber leider viel zu spät..." Er stockte und schien zu realisieren, was er gerade gesagt hatte, denn er fügte hinzu: „Okay, sorry, ich weiß, dass irgendetwas zwischen dir und Kyran ist, aber ich habe in den letzten Tagen realisiert, dass ich kein guter Freund bin und als grauenhafter Mensch suche ich halt einen Sündenbock, dem ich all die Schuld geben kann." Er zuckte die Schultern und hob den Plastikbecher an die Lippen, den er die ganze Zeit über in seinen Händen hin und her gedreht hatte. Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt und gefragt, wie er auf den Gedanken kam, grauenhaft und kein guter Freund zu sein, doch er kam mir zuvor. Seufzend ließ er den Becher wieder sinken und sprach weiter: „Adam ist cool und sicherlich ein guter Freund, aber er ist nichts im Vergleich zu Fynn. Fynn ist... war der beste Freund den man haben konnte, so viel mehr als hunderte Adams..."
Fynn.
Ethan sprach von Fynn.
Und automatisch hielt ich die Luft an.
„Und ich habe ihn als selbstverständlich gesehen, als versetzbar und alltäglich. Es tut verdammt weh, wenn einem auf einmal bewusst wird, dass es tatsächlich eine Zeit geben konnte, in der man nicht mehr darauf zählen konnte, dass er irgendwo zwischen den Reihen sitzt, einen bei seinem Traum unterstützt und bereits die Takeaway-Boxen vom Chinesen besorgt hat. Ich war eher genervt, wenn er mir bei meinen Trainingseinheiten Zuhause zugesehen hatte und mir auf seine mathematische Art Tipps geben wollte. Hey, denn immerhin war ich doch der Sportler und er nur mein verrückter Freund, der Mathematik liebte. Ich sollte mehr Ahnung davon haben, wie man den Puk in ein Netzt versenkt, aber schlussendlich waren seine Berechnungen immer richtig, auch wenn ich es damals niemals zugegeben hätte. Und nun... nun wünschte ich mir, dass er mir nur noch einmal sagen könnte, dass ich nur eine dreißig Prozentige Chance hatte, das Spiel noch zu gewinnen, wenn ich weiterhin den Schläger in solch einem grässlichen vierzig Grad Winkel halten würde..." Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Ethans Gesicht, während er in Gedanken schwelgte. Doch genauso schnell wie es erschienen war, war es auch schon wieder verschwunden. Seufzend starrte er in seinen Becher, bevor er ihn auf die Brüstung abstellte und von sich wegschob.
„Er war immer für mich da – auch, als ich mich so bescheuert verhalten habe und es nicht einmal wertgeschätzt habe. Weißt du, wir hatten uns verabredet. Ich habe ihm gesagt, dass ich erst in einer Woche wieder für ihn Zeit hätte, doch es war für ihn in Ordnung. Und das dachte ich auch. Ich dachte, dass es in Ordnung wäre, meinen besten Freund eine Woche warten zu lassen." Langsam hob er den Blick. „Es ist nie zu diesem Treffen gekommen."
Mein Herz setzte aus und ich wusste bereits, was kommen würde.
Auch wenn ich es nicht hören wollte.
„Ich habe ihm eine SMS geschrieben. Ich weiß noch, dass sie nur aus einzelnen Wörtern bestand: ‚Kann am Wochenende doch nicht. Extra Trainingseinheiten, sorry.'" Verächtlich, so als würde Ethan sich vor sich selbst ekeln, spuckte er diese Wörter aus und eiskalt lief es meinen Rücken hinunter. „Ich saß mit Kyran, James und Adam im Auto, wir kamen vom Training und planten unsere nächsten Einheiten, damit wir definitiv siegen würden. Ich stellte einen Sieg über Fynn..."
Er stockte für einen kurzen Augenblick und griff wieder nach dem Becher. Er umklammerte ihn so stark, dass sich das Plastik eindrückte. Es wirkte beinahe so, als würde er sich an ihm festhalten müssen.
„Diese Nachricht hatte zwei Haken; sie war noch angekommen. Die zweite, die ich am Abend hinterherschickte, weil ich mich wunderte, wieso er mir nicht antwortete, nicht mehr. Sie hatte nur noch einen. Denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits gesprungen."
Nun blickte er wieder hoch und zum ersten Mal sah er mir direkt in die Augen. „Schlussendlich hatte Fynn es dennoch geschafft, dass ich meine Verabredung einhielt. Denn an dem Tag, an dem wir uns eigentlich hätten treffen wollen, war seine Beerdigung. Fast so, als hätte er es geplant, oder?" So, als würde er gerade selbst realisieren, was er von sich gegeben hatte, schüttelte er den Kopf und stieß sich von der Brüstung ab. „Ich glaube, ich sollte langsam nach Hause gehen. Es wird spät, danke für die Einladung, Alicia."
Er drehte sich von mir weg, stockte aber nochmal in seiner Bewegung. „Ich werde Kyran sagen, dass ich aus den Eisbärenteam aussteigen werde..."
Bevor er wieder in die Küche verschwinden konnte, hielt ich ihn zurück: „Ethan."
Seine Hand verweilte über dem Türgriff – abwartend. „Fynn hätte nicht gewollt, dass du jetzt so leichtfertig deine Träume aufgibst."
„Fynn hat es auch nicht gewollt, dass ich mich so davon verändern lasse", argumentierte er.
„Nein, vielleicht nicht, aber du musst es ja auch nicht weiterhin von den Personen hinter diesem Sport und deinem Traum abhängig machen."
Säuerlich lachte Kyran auf. „Kyran ist der Captain, Alicia. Ich will nicht auch noch Nate und die anderen verlieren."
Er setzte sich wieder in Bewegung, doch bevor er gänzlich verschwinden konnte, meinte ich schnell: „Ethan, du bist kein schlechter Freund."
Erneut verharrte er und für einige Sekunden blieb es still. Das leichte Wummern der Musik schallte zu uns hinaus, als er über die Schulter zu mir blickte.
„Weißt du, Alicia. Seit fast einem Monat frage ich mich, ob er meine SMS noch gelesen hat, bevor er... ", er stockte, räusperte sich und setzte neu an: "und ich hoffe inständig, dass es nicht der Fall war. Denn ich bin egoistisch genug, um zu hoffen, dass er nicht gänzlich von mir enttäuscht war." Sein Blick ließ mich nicht los und mein Magen drehte sich um. Ich hatte zu wenig getrunken, als dass Alkohol für meine aufkommende Übelkeit schuld sein könnte. „Ethan, du hättest es nicht verhindern können."
„Woher willst du das wissen?" Sein Gesicht lag halb im Schatten, aber dennoch konnte ich all den zerreißenden Schmerz in seinen Augen sehen. „Vielleicht hast du Recht, vielleicht auch nicht, Alicia. Aber das ist eine Frage, die jeder, der Fynn gekannt hatte, sich immer und immer wieder stellen wird, wie in einem verfluchten Teufelskreis, ohne je eine Antwort darauf zu bekommen."
Ich wollte erneut etwas erwidern.
Ihn anschreien, ihm sagen, dass es nicht stimmte.
Dass Fynn mit seinen Rätseln mehr als deutlich zeigte, dass weder Ethan noch irgendein anderer ihn hätte abhalten können, die letzten Schritte über die Klippe zu gehen.
Doch wie so oft blieben mir die Worte im Hals stecken.
Und Ethan verschwand in die Küche.
Hinter sich zog er die Terassentür an und ließ mich in der Dunkelheit und Kälte zurück.
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(24.06.2019)
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