
Kapitel 2
Erschöpft schloss ich meine Augen. Das unsanfte Durchschütteln des Militärwagens, wenn er über Schlaglöcher fuhr, hielt mich gezwungenermaßen wach. Dabei wollte ich doch nichts lieber, als einfach nur zu schlafen. Schlafen und von schönen Dingen träumen. Das hatte mir und meinen Kameraden die letzten Wochen definitiv gefehlt. Wir haben in Ruinen oder hinter Felsen gelegen, wenn es Zeit und Krieg zuließen. Dazu kam noch, dass es hier in Afghanistan unerträglich warm ist. Und wenn man mal schlief, holten einen in den Träumen die angstvollen Todesschreie unschuldiger Menschen nach. Auch die Todesschreie unserer Feinde hörte man, allerdings nicht so präsent. Am schlimmsten waren aber immer noch die Schreie der Kinder.
Ein leiser Seufzer entwich meinen trockenen, rissigen Lippen und um mich abzulenken fing ich leise an zu summen. Die Köpfe meiner Kameraden drehten sich nacheinander langsam zu mir um und obwohl ich nicht mal eine bestimmte Melodie summte, stimmten bald alle von ihnen mit ein. Dies taten wir einerseits zur Ablenkung, andererseits aber auch für unsere gefallenen Freunde, Brüder, Väter und Großväter. Ab und an war ein leises Schluchzen zu hören. Dieser Krieg ging uns allen unter die Haut und zerstörte uns.
***
Einige Stunden später ließ ich mich auf das Feldbett fallen. Jeder Muskel in meinem Körper schmerzte und ließ mich wünschen, ich könnte jetzt warm baden und mich danach massieren lassen. Das Duschen in den Gemeinschaftsduschen hatte nicht gerade zur Entspannung beigetragen. Die Erschöpfung erkam mich augenblicklich und seufzend schloss ich meine vor Müdigkeit und Trockenheit brennenden Augen. Sofort verblassten die Geräusche um mich herum und ich war, soweit es in einem Schlafsaal voll mit hundert Soldaten möglich war, in meiner eigenen kleinen Welt. In meiner Gedankenwelt, in der ich Hoffen und Träumen kann. Ohne, dass ich für meine Gefühle und Wünsche verurteilt werden kann. Ein Bild von Cassidy tauchte vor meinen Augen auf, doch dass anfängliche Herzklopfen ist schon lange nicht mehr da. Zumindest nicht bei ihr. Und da liegt mein größtes Problem. Ja, irgendwie ist das auch meine größte Angst. Denn dieses altbekannte Herzklopfen und das berüchtigte Kribbeln im Bauch spüre ich nun schon seit einiger Zeit wieder.
Immer, wenn Emma in meiner Nähe ist, fühlt sich alles so unglaublich leicht an. Ich kann unbeschwert Lachen und die dunklen Gedanken in meinem Kopf für einen Moment vergessen. Ihre ruhige, sanfte Stimme beruhigt mich und ich fühle mich nicht mehr einsam, wenn sie da ist. Es fühlt sich einfach alles richtig an und dennoch ist es falsch. Vorallem Wenn ich mir vorstelle, wie sich wohl ihre Lippen an meinen und ich Haut unter meinen Händen anfühlen würden. Ich vermisse ihr unbeschwertes, melodisches Lachen, welches mich immer wieder in den Bann zieht.
„Ey, Cooper!“, stach mir Chris seinen Finger in die Seite. Erschrocken öffnete ich meine Augen und setzte mich auf. Chris versuchte ein Grinsen, was ihm aber auf ganzer Linie misslang. Seufzend ließ er sich neben mich fallen. „Noch drei verdammte Monate! Ich vermisse Maya so krass. Was ist, wenn unser Baby schon früher kommt und ich die Geburt verpasse? Ich kann Maya doch nicht im Stich lassen!“ Mit zittrigen Händen fuhr er sich über den kurz geschorenen Kopf. Maya, seine Frau, war bereits im dritten Monat schwanger, als wir vor gut zweieinhalb Monaten auf diesen Einsatz geschickt worden sind. Nicht bei ihr sein zu können alles andere als einfach für meinen Kameraden. Dagegen kommen mir meine Probleme mit meinem eigenen Gefühlschaos noch ziemlich harmlos vor. Und schon wieder schweiften meine Gedanken zu Emma. Ich konnte gar nicht anders. Und während ich also meinem besten Freund hier in der Army beruhigend die Schulter drückte, hielten mich ihre Augen in meinen Gedanken gefangen.
Pünktlich um sechs Uhr am nächsten Morgen lief ich an Chris' Seite zur Essensausgabe. Wir holten uns beide unsere Rationen und setzten uns dann schweigend an einen der Tische. Wieder hing jeder den eigenen Gedanken nach und auch unsere anderen Kameraden um uns herum schwiegen. Es gab kein lautes Lachen oder erheiterte Gespräche. Das wäre einfach nicht richtig, wenn um uns herum nur Angst, Leid und Tod die Gemüter beherrschten.
Manchmal fragte ich mich, warum ich mich für diesen Pfad in meinem Leben entschieden habe. Ich hätte es auch einfach meinem Vater gleichtun und Medizin studieren können. Vielleicht würde ich das ja auch irgendwann noch tun. Wenn die zehn Jahre, für die ich mich der US Army verpflichtet habe, abgelaufen sind. Dann wäre ich achtundzwanzig Jahre alt. Aber bis dahin dauerte es noch ganze drei Jahre. Vielleicht würde ich ja bis dahin auch endlich dieses Gefühlschaos in mir beseitigt haben.
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