29|Just tired, that's all
Mein Magen knurrte seit gefühlt einem Jahrtausend und ich wartete sehnsüchtig darauf, aus dem Klassenraum stürmen zu können und endlich mein großzügig belegtes Sandwich essen zu können. Aber der Unterricht wollte einfach nicht zu Ende gehen und so quälte ich mich mühsam durch die Stunde.
Das Schlimmste war nicht einmal, dass mein Magen sich schmerzhaft wegen des Entzugs quälte, sondern die Töne, die mein Körper von sich gab und welche ich umständlich mit unnötigen Bewegungen und ständigem Schnaufen übertönen musste.
Ich war mir jedoch sicher, dass trotzdem einige Leute das Knurren und Brummen gehört hatten und sich einfach nicht sicher waren, ob es von mir kam, oder nicht doch von jemand anderem.
Noch dazu, als ob das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, musste ich die Stunde ausgerechnet mit Alex zusammen haben. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass die Stimmung zwischen uns mehr als nur komisch war, nach dem Kuss-Desaster und dem 'Ich will reden- Ich aber nicht' – Drama.
Dass er nun womöglich auch noch die gequälten Geräusche von meiner Seite aus hörte, wäre wohl noch ein Höhepunkt.
»Eure Hausaufgabe bis zur nächsten Woche ist eine zwei-seitige Stellungnahme, zu dem gerade besprochenen Thema.«, ertönte die Stimme des Lehrers. Da, mit der Hausaufgabennennung auch gleichzeitig eine Art Signal der Stundenbeendigung ausging, kramten alle flink ihre Sachen zusammen, stopften sie in die Taschen und in einem lauter werdenden Gewusel standen alle auf.
Ich tat dasselbe, schaute mich kurz nach Ángel um, der glücklicherweise schon bereit war und zusammen flohen wir aus dem Zimmer.
»Du wirst nicht glauben, wie sehr ich Hunger habe!«, platzte es aus mir heraus, als wir in Richtung Cafeteria marschierten. Da heute nicht allzu gutes Wetter war, hatten wir uns mit Kim dort verabredet, anstatt draußen zu chillen.
»Man konnte es fast nicht überhören.«, lachte mein bester Freund und ich schubste ihn spielerisch zur Seite. Peinliche Sache.
»Aber keine Sorge, ich bin mir sicher, dass Alex nichts davon mitbekommen hat. Er war so sehr damit beschäftigt, dich anzustarren, dass er seine restlichen Sinne wahrscheinlich einfach nicht mehr benutzen konnte.«
Empört schaute ich zu Ángel und schüttelte nicht sehr begeistert meinen Kopf.
»Wie kannst du mir nur immer so in den Rücken fallen?«
»Was habe ich denn gemacht? Ich erzähle dir nur die Fakten.«
»Ich will aber keine Fakten zu dem Thema hören und ich dachte, das wäre endlich klar.«, zickte ich beleidigt, als wir in den Speisesaal einbogen. Schulterzuckend und mit einem Grinsen im Gesicht, schob mich der Latino zu einem Tisch, an welchem Kimberly bereits auf uns wartete.
Ihr Blick lag allerdings nicht auf uns, sodass ich mich neugierig umdrehte und schaute, wen oder was sie da gerade so intensiv anstarrte.
Meine Augen weiteten sich prompt, doch mir war bewusst, dass ich nun nicht davon laufen konnte. Es war soweit, ich musste mich Alex stellen.
»Hey.«, begrüßte er mich. Misstrauisch betrachtete ich ihn. Ich hatte ja schon gedacht, dass er nun dachte, dass wir irgendwie zusammen waren, oder so und er mich öffentlich, vor der ganzen Schule küssen würde. Diese normale Begrüßung beruhigte mich also schon etwas. Aber nicht genug, um mich ganz zu überzeugen. Wer wusste schon, was noch kommen würde...
»Hi?«, fragte ich zögerlich und schaute mich kurz im Raum um, um zu sehen, ob jemand etwas mitbekam. Es beobachtete uns keiner.
»Willst du vielleicht mit mir essen?«, fragte Alex lächelnd. Die Hoffnung, die in seinen Augen aufgeblitzt war, starb in dem Moment, in dem ich langsam mit meinem Kopf schüttelte. Wirklich wissen, was ich tun sollte, tat ich nicht, aber diese einfache Geste schien in dem Moment angebracht.
»Natürlich will sie mit dir essen!«, schaltete sich Kim von hinten ein. Innerlich ermordete ich sie gerade. Dieses Biest konnte mein Leben einfach nicht in Ruhe lassen und musste ihre Finger immer im Spiel haben.
»Nein, eigentlich nicht.«, war alles, was ich dazu sagte und eigentlich war ich auch bereit dazu, mich wieder umzudrehen und endlich meinen knurrenden Bauch zu besänftigen. Aber meine Freunde schienen sehr angetan, von der Idee, Alex und ich als ein Paar zu sehen, weshalb sich nun auch Ángel gegen mich wandte.
»Ich glaube, sie ist einfach etwas schüchtern. Willst du dich vielleicht einfach mit zu uns setzen? Das würde Emily wahrscheinlich etwas besser gefallen.«
Ich schloss meine Augen für einen Moment und blähte meine Nasenlöcher auf, um die sich anstauende Wut in mir zu beruhigen, dann blickte ich zu Alex, der zu überlegen schien, was die richtige Antwort war.
»Okay, ja.«, sagte er letztendlich und ich erdolchte ihn mit meinen Blicken. Das durfte ja wohl alles nicht wahr sein!
Leise schnaufend ließ ich mich auf den Stuhl neben Ángel nieder, doch der sprang sofort auf und wanderte zu einem anderen Platz.
»Hier, ich mach dir Platz.«, grinste er Alex an und ich knallte in Gedanken meinen Kopf auf den Tisch. Die Welt schien zu wollen, dass ich mich durch peinliche Situationen schlug und mich vor Alex zum Affen machte. Anders konnte es nicht sein.
Alle am Tisch ignorierend, wandte ich mich meinem Sandwich zu, was ich aus meinem Rucksack gekramt hatte und fing an wortlos zu essen. Die anderen taten dasselbe. Ángel und Kim grinsend wie Honigkuchenpferde und Alex allem Anschein nicht ganz bewusst, was er mit seinem Auftauchen bei uns verursacht hatte.
»Und, schon Pläne für heute Nachmittag?«, fragte Ángel beiläufig in die Runde, ein kleiner Versuch, die Stimmung am Tisch mit etwas Smalltalk zu lockern.
»Ich wollte heute eigentlich ins Kino gehen. Da kommt so ein neuer Film und der Trailer war echt Klasse!«, antwortete Kimmy begeistert. »Wollt ihr vielleicht mitkommen?«
Zuerst schulterzuckend und dann nickend, signalisierte ich, dass ich Lust darauf hätte. Ein bisschen Ablenkung würde nicht schaden und wir hatten nichts für morgen zu lernen, also würde das schultechnisch funktionieren.
»Ich bin auch dabei. Ich kann doch meine beiden Mädchen nicht alleine lassen.«, grinste Ángel und schlang seinen Arm um Kim, die augenrollend versuchte unseren Freund von sich los zu machen.
»Und was ist mit dir?«
Schwer schluckend fielen meine Augen zu Alex, der zuerst Kim auf ihre Frage hin überrascht ansah und dann zu mir blickte.
Ich musste aussehen, wie ein vollkommener Idiot, mit vollen Backen, weit aufgerissenen Augen und einer ganzen Sammlung von Krümeln über meinen Oberkörper verteilt. Aber Alex lachte mich nicht aus, legte stattdessen nur seinen Kopf leicht schief und fing an zu grinsen.
»Ich habe heute Basketball-Training, aber ich bin mir sicher, dass ich es schaffen kann, mit dem Kino. Wann fängt der Film denn an?«
Entnervt und nicht in der Lage, meine wenige Begeisterung in Worte zu fassen, drehte ich mich schlecht gelaunt weg und knabberte weiter an meinem Toast. Ich hätte zuerst seine Antwort abwarten sollen, bevor ich schon zusagte. Tja, am Ende ist man immer schlauer.
»Wundervoll. 18:15 ist Beginn, aber natürlich kommt dann erstmal Werbung. Also keine Sorge.«
Alex nickte zustimmend und Ángel klatschte begeistert in die Hände.
»Na dann ist ja alles paletti!«
-
Es war eine Schnulze.
Der Film, den Kim so dringend sehen wollte, war eine Romanze wie sie im Buche stand. Und ausgerechnet so einen Kram mussten wir zusammen mit Alex schauen. Alex, der ganz zufälligerweise neben mir platziert war und sich herausnahm, die ganze Armstütze mit seinem linken Arm einzunehmen.
Bereits eine halbe Stunde hatte ich mir das gefallen lassen, aber irgendwann war auch mal Schluss, entschied ich. Entschlossen rammte ich seinen Arm von der Lehne und pflanzte mich selbst bequemer hin, so wie ich es tun würde, wenn er nicht hier wäre. Sollte er doch das eine Mal denken, was er wollte. Im Kino saß ich gemütlich, egal wie behindert ich dabei aussah.
Auf mein relativ aggressives Verhalten gegenüber seinem Arm, bekam ich nicht nur einen überrumpelten Blick von Alex zugeworfen, sondern auch ein belustigtes Schnaufen war zu hören. Ignorant starrte ich weiter auf die Leinwand wenige Meter vor uns und stopfte mir eine Hand Popcorn nach der anderen in den Mund.
Das Geknutsche und Geheule da vorne war aber letztendlich so uninteressant für mich, dass ich meinen Blick abwandte und stattdessen durch das dunkle Kino schweifen ließ. Es war voll, was vermutlich dem guten Trailer zu verdanken war. Ich konnte mir nur schlecht vorstellen, dass irgendjemand diese überdramatische Rom-Com weiterempfehlen würde.
»Suchst du jemand bestimmtes?«, flüsterte Alex plötzlich in mein Ohr. Erschrocken drehte ich mich um und fand mich gefährlich nahe zu seinem Gesicht wieder. Für ein paar Sekunden bewegte sich keiner von uns. Ich spürte seinen Atem bereits auf meinen Lippen und es kam mir vor, als würde er immer näherkommen, doch bevor etwas ausarten konnte, räusperte sich jemand hinter uns und ich zog mich ruckartig zurück.
Was auch immer hier passierte, musste stoppen! Auf der Stelle, bevor es eskalierte und noch mehr Dinge passierten, die ich mein Leben lang bereuen würde.
»Sorry.«, murmelte ich deshalb und drehte mich wieder zur Leinwand.
Es kostete mich mehr Anstrengung, mich auf den Film zu konzentrieren, als alles andere auf der Welt, einfach, weil er so sterbenslangweilig war, dass mir mehrfach die Augen zufielen.
Die Geschichte war langweilig, es passierten nur vorhersehbare Dinge und selbst die eingefügte Musik war schlecht. Aber ich musste durchhalten. Ich konnte nicht einschlafen, sonst musste ich befürchten, versehentlich auf Alex zu landen und einfach aus dem Saal zu stürmen, wäre für alle Anwesenden, die den Film genossen (was ich mir ehrlich gesagt nur schlecht vorstellen konnte) ein Grund mich runterzumachen.
Deshalb quälte ich mich eine weitere Stunde durch das Drama und beschäftigte mich nach einer Weile größtenteils nur noch mit meinem Popcorn und meiner Cola.
Als endlich der Abspann erschien, war ich die allererste, die von ihrem Sitz aufsprang und ich war nicht mehr zu halten. Mit ein paar eiligen Schritten verkrümelte ich mich aus dem Kinosaal und wartete müde bei ein paar Sitzgelegenheiten auf die anderen.
Ich fläzte mich in einen creme-farbenen Sessel, da ich ahnte, dass Kim wohl noch bis zum letzten Namen auf der Leinwand in ihrem Stuhl sitzen würde und das dauerte. Doch immerhin kamen Ángel und Alex nach ein paar Sekunden und gesellten sich zu mir.
»Das war mit Abstand einer der schlechtesten Filme, die ich jemals gesehen habe.«, beschwerte sich mein bester Freund. Während Alex anfing leise zu lachen, nickte ich zustimmend.
»Bin ganz deiner Meinung. Das waren eindeutig ein-ein-halb Stunden Verschwendung meines Lebens.«
»Ich werde jetzt erstmal für kleine Königstiger gehen. Vermisst mich nicht, wenn ich weg bin.«, grinste Ángel. Meinen Welpen-Blick, mit dem ich ihn hier halten wollte, damit ich nicht alleine mit Mister Walter war, half nicht. Doch als er in der Herrentoilette verschwand, seufzte ich nur und realisierte, dass meine Müdigkeit die Panik vertrieb.
Was sollte jetzt noch passieren, worauf ich nicht reagieren konnte?
»Geht's dir gut?« Alex schaute mich beinahe besorgt an, woraufhin ich meine Augenbrauen hochzog und dann leicht nickte.
»Ja, ja, nur müde, das ist alles.«, grummelte ich und sah zu, wie Alex sich auf den Platz neben mich setzte. Für einen Augenblick sagte keiner etwas, obwohl ich ihm ansehen konnte, dass ihm da eine Sache auf dem Herzen lag. Und da ich mir ein bisschen denken konnte, was für ein Thema es war, hoffte ich, dass er es noch so lange hinauszögerte, bis Ángel oder Kim auftauchten.
Doch das tat er nicht.
»Ehm...« Nervös spielte er mit den zwei Ringen an seinen Fingern, den Blick nach unten gerichtet. Wieso sah er verdammt nochmal aus, wie ein Gott? Das sollte verboten werden!
»Ich ... kann mir denken, dass du nicht unbedingt über die Sache reden willst... aber vielleicht sollten wir das einfach ... naja, klären?«
Als seine grünen Augen auf meine trafen, blieb mir kurz die Luft weg, dann fing ich mich glücklicherweise wieder und presste meine Lippen aufeinander. Er hatte recht. Wenn es einmal gesagt wäre, dann hätten wir es endlich hinter uns und möglicherweise könnte dann alles so werden, wie zuvor.
»Okay, hör zu... Ich kann mir vorstellen, dass du vielleicht irgendwas in das alles hineininterpretierst. Kann ich verstehen, weil man eigentlich nicht einfach so Leute küsst. Aber, Alex... da wird niemals was zwischen uns sein. Klar, ich habe dich auch geküsst, aber das war in dem Moment womöglich das richtige. Ich meine, wir waren auf einer Hochzeit, alle waren so glücklich und friedlich und verliebt und ich denke einfach, dass das eine zum anderen geführt hat. Es tut mir leid, wirklich, aber da ist nichts zwischen uns.«
Mein wilder Schwall von Worten schien Alex zum Nachdenken zu bringen und kurz hatte ich Angst, dass jetzt etwas kommen würde, mit dem ich weder rechnete, noch umgehen konnte, doch wie immer überraschte mich Alex Walter.
Mit einem Lächeln auf den Lippen lehnte er sich auf seinem Platz zurück und sah vollkommen zufrieden aus.
»Okay.«
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