28|"Emily is not at home."
»AHHHHHHHHH!«
Kimberly schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an und bekam ihren Mund nicht mehr zu, auch wenn der Schrei schon längst vorbei war.
Ich schaute sie wenig begeistert an, meine Hände an beiden Seiten von meinem Gesicht positioniert, sodass meine Wangen zusammengequetscht waren. Meine Klamotten bestanden aus einem riesigen T-Shirt, was man auch als Zelt verwenden könnte und den schlabberigsten Hosen, die ich in meinem Schrank finden konnte. Meine Haare sahen aus, wie ein Vogelnest und meine psychische Verfassung war im Keller angekommen.
Insgesamt musste ich armselig aussehen, aber das interessierte mich eher weniger.
Ein Klopfen riss mich kurz aus meiner miserablen Position, als ich sehen wollte, wer uns da störte. Doch als das gebräunte Gesicht meines Onkels um die Ecke spähte, sank ich wieder in mich zusammen.
»Hi, Ladys. Ich habe Schreie gehört und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«, sagte er grinsend und trat ohne wirkliche Erlaubnis ein. In einer Hand hielt er eine Dose Bier, was typisch für ihn war. Wenn ich Onkel Shane einmal ohne Alkohol in nächster Nähe sehen würde, dann konnte ich mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass er entweder krank war, oder dazu gezwungen wurde und innerhalb der nächsten Minuten einen Anfall erleiden würde.
»Du weißt, ich liebe dich, Onkel Shane, aber ich glaube, das ist nicht das richtige Thema für dich.«, grummelte ich fast schon mit verzweifeltem Unterton.
»Jetzt will ich es nur noch mehr wissen. Außerdem bin ich das erste Mal seit einer Ewigkeit hier, da werde ich doch mit meiner Lieblings-Nichte so viel Zeit, wie möglich verbringen.«
Onkel Shane ließ sich neben mich aufs Bett fallen, darauf bedacht, keinen einzigen Tropfen Bier zu verschütten. Nicht etwa, weil ich dann gleich wieder mein Bett neu beziehen müsste, sondern eher, weil ihm der Alkohol zu schade zum Vergeuden war.
»Also schön, was ist los, Mädels?«
Ich blieb stumm, ahnend, dass Kim sowieso gleich mit allem raus platzen würde und außerdem wollte ich nicht erklären und somit annehmen, was gestern passiert war.
»Emily hat mit Alex Walter rum gemacht und ihn dann stehen lassen, wie ein totales Opfer.«
Ein kurzer Blick zu Onkel Shane reichte aus, um einzusehen, dass ich am Arsch war. Selbst er schien sichtlich geschockt zu sein, was ich gar nicht so nachvollziehen konnte, schließlich hatte er selbst genügend seiner Jugendsünden an Dylan und mich ausgeplaudert und stellte so nicht unbedingt das beste Vorbild dar.
»Du hast wen auch immer, einfach stehen gelassen?«, hakte er nach und ich vergrub mich nur noch mehr in meinem Bett. Indem alle widerholten, was passiert war, wurde mir nicht unbedingt besser zu Mute, aber das schien niemand zu verstehen.
»Und es war nicht irgendjemand! Es war Alex Walter!«
»Und das ist wer genau?«
»Naja, eigentlich, bis gestern hat Ems ihn gehasst.«
»Ich hasse ihn immer noch!«, rief ich aus, doch genau glauben, konnte das nun keiner mehr. Nicht einmal, ich selbst.
»Also mir kannst du das jetzt nicht mehr erzählen.«, sagte Kim und hob die Hände, um den Punkt zu verdeutlichen.
»Ich bin mir auch nicht so sicher, ob man jemanden küsst, den man eigentlich nicht ausstehen kann. Obwohl da war mal diese eine Blondine, richtiges Biest, konnte sie nicht ab, aber heiß war sie und im Bett war sie letztendlich auch nicht schlecht.«
»Onkel Shane!«
»Was ist den Blümchen? Vielleicht kann man das nicht zu hundert Prozent mit deiner Situation vergleichen, aber ich wollte etwas zum Thema beitragen.«
»Na dann herzlichen Glückwunsch, das hast du geschafft. Und trotzdem bin ich kein Stück weiter, in der Frage, was ich jetzt tun soll.«
»Wie wäre es, wenn du mit ihm redest?«, schlug Kim vor und ich schaute sie an, als wäre sie lebensmüde. Wenn das wirklich ihre Art von helfenden Vorschlägen war, dann verzichtete ich ganz locker darauf und machte mir lieber selber einen Kopf.
Umzuziehen und die Schule zu wechseln hörte sich dann schon mehr nach einem geeigneten Plan an, den ich anstrebte, um Alex aus dem Weg zu gehen und ihn ganz aus meinem äußerst peinlichen Leben zu schleusen.
»Plausible Herangehensweise.«, stimmte Shane zu.
Bevor noch jemand etwas sagen konnte, hörten wir ein Klingeln von unten. Meine Paranoia machte sich auf einmal bemerkbar, denn ich sprang vom Bett auf, als hätte ich eine Spinne darin gefunden und eilte zu meiner Zimmertür.
»Was hast du vor?«, fragte Kim misstrauisch, als ich die Tür einen Spalt weit öffnete und meinen Kopf durch die Lücke steckte.
»Na was wohl? Ich warte bis jemand die Tür aufmacht, um zu hören, wer es ist.«
Zugegeben nicht jedem sollte sowas klar sein, denn normale Menschen, ohne psychische Störung taten solche Arten von Sachen nicht, und würden einfach selber die Tür öffnen, aber wir sprachen hier von meiner Wenigkeit, da sollte man kleine Macken, hier und da, erwarten.
»Emily, gehst du bitte?«, schrie meine Mum von unten, was mich leicht zusammenzucken ließ.
»Nein, Mum, ich kann nicht. Geh du lieber!«, brüllte ich zurück. Von unten hörte ich kurz etwas Gepolter, dann Schritte und schließlich wie die Tür aufgerissen wurde.
»Oh, was für eine Überraschung, wie kommen wir denn zu diesem Besuch?«
»Hi, Misses Pierce. Ich wollte eigentlich zu Emily. Ist sie da?«
»Waren wie nicht schon bei Candice? Nun gut... Ja, sie ist-«
»Nein, sie ist nicht da!«, brüllte ich nach unten. Die Grenze der Peinlichkeit zwischen Alex und mir war sowieso schon erreicht, was sollte es mich also noch kümmern, wenn er nun mitbekam, wie ich ihm alles andere als unauffällig aus dem Weg ging?
»Oh, ehm... ist etwas vorgefallen?«, hörte ich meine Mum unsicher fragen und ich konnte mir ihr erschrockenes Gesicht vorstellen.
»Nein, Mum. Es ist nichts passiert. Emily ist einfach nicht Zuhause!«
Damit schlüpfte ich wieder zurück in mein Zimmer und schlug die Tür zu.
Darin wurde ich schon von zwei Augenpaaren beobachtet, doch ich sagte nichts, lief einfach wieder zu meinem Bett und fiel hinein.
»Das war die Chance, um mit ihm zu reden, Ems! Er ist sogar hierhergekommen!«, meinte Kimberly. Mir war das schon klar gewesen, dass es eine Möglichkeit war, um Dinge zu klären, aber das Problem dabei war ganz einfach, dass ich nicht darüber sprechen wollte und außerdem hatte ich ein komisches Gefühl, als ob es sowieso anders laufen würde, als ich es mir wünschte.
»Blümchen, ich finde auch, dass du es hinter dich bringen solltest. Es wird nicht besser, wenn du es vor dir herschiebst.«
»Ich schiebe gar nichts vor mir her. Ich gehe Problemen einfach nur aus dem Weg!«, verteidigte ich mich, bekam jedoch kein Verständnis.
»Wieso ist das alles ein Problem? Ihr habt euch geküsst, was davon zeugt, dass ihr euch mögt. Ich meine, dass Alex auf dich steht, war klar. Und du magst ihn auch. Ihr kommt zusammen und alle werden glücklich sein, ich sehe nichts, was dem im Weg steht, außer deinem Dickschädel.«
Seufzend schaute ich zu meiner besten Freundin, die mich wie immer, beim Thema Alex Walter nicht verstehen konnte und es auch nicht wollte.
»Aber ich mag Alex nicht. Das alles war ein Fehler und ich bereue ihn zutiefst.«
»Emily Pierce, ich möchte auf der Stelle erfahren, was hier los ist!«, rief plötzlich meine Mutter, als sie, wie eine wild gewordene Kuh in den Raum stürmte.
Für einen Moment waren alle Anwesenden zu geschockt, um zu reagieren, dann schnappte ich mir ein Kissen, legte es über mein Gesicht und fing an zu schreien.
Wieso konnte ich nicht mir Menschen zusammen leben, die sich nicht ständig um mich kümmerten und mir manchmal ein wenig Platz gaben?
»Es ist nichts los, Mum. Absolut gar nichts, was dich in Angst und Schrecken versetzen müsste.«
»Emily und Alex haben sich geküsst.«, schoss es aus Kim hervor. Ich sog scharf die Luft ein und warf ohne große Überlegungen das Kissen auf sie. Das war doch nicht ihr Ernst?! Hatte sie mich gerade verraten?
»Wie bitte, was?«, fragte nun meine Mutter, als hätte sie gerade alle guten Geister verlassen. Ich hätte am liebsten alle angeschrien, dass sie mich einfach in Ruhe lassen sollten, doch ich fuhr stattdessen etwas runter und setzte mich mit einem anderen Kissen in den Armen hin und schaute in die Runde.
»Um das ein für alle Mal klar zu stellen... wir haben uns geküsst, aber daraus wird nichts, denn Alex und ich werden niemals zusammenkommen. Niemals. Und ich möchte jetzt das Thema beenden.«
»Ihr hattet doch aber keinen Sex?«, fragte meine Mutter und ein frustrierter Laut entfloh mir. Wieso war meine Familie nur so?
»Themenwechsel!«
»Ist ja gut, mein Gott. Entschuldigung, dass ich mir Gedanken mache!«, meckerte meine Mutter empört los, woraufhin ich mich wieder nach hinten warf.
»Shane, könntest du bitte unten deine Koffer in dein Zimmer stellen gehen? Ihr seid schon einen Tag hier und macht alles unordentlich. Ich brauche eine gewisse Ordnung hier. Und räum deine Bierflasche weg. Die Küche und das Wohnzimmer sehen aus, als wäre die ganze Familie alkoholsüchtig!«
Glücklich darüber, dass ich nun endlich meinen Frieden genießen konnte, schaute ich zu, wie Shane stöhnte, sich aber dennoch auf den Weg nach unten machte.
»Wir sehen uns später, Blümchen!«, hörte ich ihn sagen, als er die Treppe runter polterte.
»Ich werde dann jetzt auch gehen.«, verabschiedete sich meine Mum und zog hinter sich die Tür zu. Keine zwei Sekunden später öffnet sie sich aber wieder, und da ich schon eine Ahnung hatte, was los war, sagte ich einfach laut: »Nein, wir hatten keinen Sex.«
Die Tür schloss sich.
Ich nehme an, einige sind enttäuscht? Aber ich kann es doch nicht einfach so enden lassen, oder? Das wäre langweilig, findet ihr nicht auch?
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