9. Rat - Iaculis mögen keinen Wind - Er weht sie nämlich hinfort
Hallo, du! Ich melde mich zurück mit umwerfenden Nachrichten. Also nicht, dass du jetzt denkst, mein Lebensziel bestehe nur darin dich umzuwerfen, ich möchte natürlich nicht, dass du wirklich umfällst. Das wäre kurz gesagt: schlecht. Nicht, dass du dir noch irgendwas brichst. Also vorausgesetzt du besitzt Knochen überhaupt. Ich hoffe jedoch die Antwort darauf lautet ja. Nichts gegen Weich-Wesen, aber rein optisch unterscheidet sich ein Mollis nicht von einem Pudding. Sie sehen genau gleich aus. Mit dem feinen Unterschied, dass das Innenleben eines Mollis voll mit ätzender Säure ist, weshalb es keine gute Idee wäre, ihn zu essen. Normalerweise ist es übrigens umgedreht. Aber ich will dich jetzt auch nicht diskriminieren, solltest du so aussehen wie ein Mollis, dann wäre mir das an deiner Stelle schon ein wenig unangenehm, aber wer weiß – vielleicht gilt das ja in deiner Welt als Schönheitsideal und ich...
Ich hab komplett den Faden verloren. Also pass auf: Mittlerweile haben wir den Wald der tanzenden Weiden verlassen und sind bereits in entwine. Und bis zur großen Barriere von Eos brauchen wir vermutlich nur noch zwei Sonnen. Und das Beste kommt jetzt: Während ich das schreibe, bewege ich mich gleichzeitig fort. Kannst du das fassen? Falls du jetzt denkst mir seien urplötzlich Flügel gewachsen, dann muss ich dich diesbezüglich enttäuschen, so umwerfend ist es dann doch nicht.
Du erinnerst dich doch sicherlich noch daran, wie Morpheus ganz überzeugt von sich selbst meinte, er wüsste wie man Iaculis' bändigen könne. Und tatsächlich hat er Wort gehalten! Ich muss zugeben, bei Midas ich hab ihn für einen Dummschwätzer gehalten, aber damit hat er mich ausnahmsweise wirklich einmal sehr überrascht.
Mir fällt gerade ein, dass ich vermutlich erst einmal erklären sollte, was ein Iaculis überhaupt ist, vielleicht gibt es diese Wesen ja gar nicht in deiner Welt. Um zu verstehen was ein Iaculis ist, musst du erst einmal verstehen was ein ‚Pferd' ist. Das baut nämlich aufeinander auf, weißt du? Hör' zu: Wir gehen ganz wissenschaftlich an die Sache hinan, damit du es gleich auf Anhieb verstehst.
Also ein Pferd: Stell dir eine langgezogene Kugel vor: das ist der Rumpf und dann sind an diesem Rumpf noch vier Beine und ein etwas zu langer Hals, mit einem etwas zu langem Kopf. Sie sehen in etwa so aus, als hätte sich Dionysos einen Spaß mit den armen Wesen erlaubt und nur ihr Vorderleben unnötig lang gezogen, sodass sie immer ein wenig unproportioniert aussehen. Und sie haben Haare die den gesamten Hals herunter reichen. Kannst du dir das vorstellen? Haare am Hals? Wie komisch ist das denn, oder? Und dazu – als wäre das nicht schon genug – sind sie auch noch mit Fell überzogen und haben Hufe! Gaia hat's echt nicht gut mit manchen Wesen gemeint, was?
Und jetzt wo du weißt, wie ein Pferd in etwa aussieht, kannst du dir auch einen Iaculis vorstellen. Sie sind grau und waren - nach alten Legenden zufolge – einmal treue Diener von Hephaistos, deswegen bestehen sie auch aus Rauch. Sie manifestieren sich nur äußerst selten. Deshalb ist es auch so schwierig sie aufzuspüren. Doch hat man sie erst einmal gefunden und ihre Gunst gewonnen, dann sind sie sehr loyale Wesen. Es gibt alte Legenden von Kriegerinnen mit scharfen, blutziehenden Waffen, reitend auf Nebelschwaden, alles, was sich ihnen in den Weg stellt, nieder schlagend.
Und Morpheus wusste tatsächlich genau, wo er die Iaculis' finden konnte:
„Wie lange dauert das denn jetzt noch?", fragte ich ungeduldig. Morpheus saß am Fuß der tanzenden Weide, die Arme verschränkt und die Augen in stummer Konzentration geschlossen. Bei meinen Worten zuckte er zusammen und öffnete eines seiner eisblauen Augen um mich wütend nieder zu starren.
„Bei Dionysos, Casta! Hör auf dazwischen zu reden, ich kann mich sonst nicht konzentrieren!"
„Ich mein ja nur, während den fallenden Sandkörnern, in denen du hier nur rumsitzt, hätten wir schon längst den Wald der tanzenden Weiden verlassen können."
„Halt doch einfach deinen Mund!"
Ich wollte darauf unbedingt noch etwas erwidern, denn es konnte ja wohl nicht sein, dass Morpheus mir solch verbale Seitenhiebe abgab, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm einen Freifahrtsschein für Beleidigungen meiner Wenigkeit gegeben zu haben, aber Caya funkelte mich ebenso sauer an, wie Morpheus, also hielt ich meinen Mund.
Und ich hielt meinen Mund für eine ganze Sanduhr lang.
Als Morpheus seine Augen öffnete leuchteten sie so blau und hell, als wollten sie den bereits untergehenden Sonnen Konkurrenz machen. Caya zuckte überrascht zurück und ausnahmsweise hatte auch ich keine Worte übrig. Morpheus wirkte gänzlich verändert, als hätte jemand anderes die Kontrolle über seinen Körper erlangt. Ganz langsam richtete er sich auf, seine schlaksige Körperhaltung war wie davon geweht. Er stand kerzengrade vor uns, in einer Haltung, die keinen Widerspruch erlaubte. Er sah zwar in unsere Richtung, aber irgendwie durch uns hindurch, als wären wir gar nicht da, als wären wir bloß Schall und Rauch, dem man keine weitere Beachtung schenken musste. Und dann setzte er sich in Bewegung, so fremdgesteuert als hätte jemand Fäden an seine Glieder gespannt und daran gezogen. Er ging einfach durch uns hindurch, verließ den Weg auf dem wir standen und steuerte einfach durch die tanzenden Weiden, mitten hinein in den Wald.
Caya und ich warfen uns einen verständnislosen Blick zu, bis wir ihm – unsicher darüber, was wir auch sonst tun sollten – einfach folgten.
Die tanzenden Weiden drehten sich vor ihm weg und machten ihm so einen vorher unsichtbaren Weg mitten durch den Wald frei. Das taten sie natürlich für mich und Caya nicht, weshalb wir uns etliche Male, während wir versuchten mit Morpheus Schritt zu halten, vor herab sausenden Ästen ducken mussten.
Am sichersten war es direkt hinter Morpheus zu bleiben.
„Hey! Was soll denn das? Warum wartest du nicht mal auf uns?", rief ich ihm hinterher, doch er zeigte keinerlei Regungen, ging nur weiter unbeirrt fort.
Caya musterte ihn ebenfalls mit zunehmender Skepsis.
„Ich hab ihn noch nie so gesehen.", gab sie zu, „Hast du seine Augen gesehen? So hell wie eine der Sonnen selbst."
Ich nickte bedächtig, während ich nur ganz knapp einem Ast entkam.
„Wusstest du, dass er so etwas kann?", fragte sie mich, während sie Morpheus nicht eine Sekunde aus den Augen verlor. Ich verspürte mit einmal einen kleinen Anflug von Eifersucht. Es war mies, wenn man begriff, dass die Menschen, die man bewunderte und schätzte einen niemals mit denselben glänzenden Augen betrachten würden. Ich hatte dies schon sehr früh gelernt, es war ja von Anfang an für mich klar, dass ich keine Magie anwenden würde können. Doch irgendwann begann man sich mit seinem Schicksal zu arrangieren, weil einem zwangsläufig auch nichts anderes übrig blieb. Die Götter verteilten ihre Gaben unterschiedlich und ungerecht und egal wie gutmütig und zuvorkommend man war, wie viel man betete und flehte, wie viel man trainierte – letzten Endes half das doch alles nichts, wenn man dafür vorher bestimmt war unter dem Durchschnitt zu sein. Es war leicht für Leute wie Caya oder Morpheus zu sagen, dass man alles erreichte, wenn man doch nur fest genug daran glaubte. Für sie mochte das zutreffen – aber für mich... Es war nicht schön als Durchschnitt in einer Welt zu leben, die voller Überflieger war.
„Das fragst du mich? Ich hab hiervor nicht mal zwei Sätze mit ihm geredet.", antwortete ich.
Caya vollführte eine Sprungrolle unter einem herab sausenden Ast und warf mir einen Seitenblick zu.
„Ich wusste ja, dass er an Astralprojektion arbeitete, aber nicht, dass er es schon so weit perfektioniert hatte."
Astralprojektion – natürlich. Ich musste mir ein Augenrollen verkneifen, es reichte ja nicht schon, dass er ein Psych-Magier war, mit einem außergewöhnlichen Talent zur Schlafmagie, nein. '
„Ja, echt unglaublich.", erwiderte ich monoton. Es ärgerte mich. Es ärgerte mich, dass es mich ärgerte. Ich wollte nicht einer dieser Leute sein, die ständig neidisch zu anderen hoch blickten, doch ab und an konnte man dieses stechende Gefühl in der Magengegend einfach nicht abschütteln.
Morpheus hob die Hand – unser Trainingszeichen für: ‚Vorsicht', weshalb Caya und ich uns schnell aus der Schlagbahn der tanzenden Weiden wegrollten, und dann unbeweglich kniend verharrten.
Die Sonnen waren mittlerweile untergegangen und bis der erste Mond auftauchte, würde es noch einige Zeit dauern, weshalb es vor uns fast stockfinster war. Lediglich der Schein von Morpheus eisblauen Augen spendete Licht und hüllte die Lichtung vor uns in gespenstischen kalten Schein. Und dann sahen wir sie. Sie manifestierten sich beinahe synchron mit dem letzten sterbenden Sonnenstrahl. Die Iaculis. Sie wirkten wie bewegter Nebel, die Köpfe angehoben, abwägend Morpheus anschauend, als ob sie überlegten, ob sie flüchten oder kämpfen sollten. Und Morpheus machte eine Handbewegung, die symbolisierte, dass wir näher kommen sollten. Doch scheinbar hatte er damit nicht nur uns gemeint, sondern auch die Iaculis, denn sie setzten sich fast synchron mit mir und Caya in Bewegung.
Wir kamen fast lautlos neben Morpheus zum Stehen. Der blaue Schein seiner Augen war nun schon schwächer.
„Sobald mein Geist in meinen Körper zurück kehrt, werde ich erst einmal außer Gefecht sein.", flüsterte er und ich starrte ihn verständnislos an.
„Was? Dein Geist...ist nicht in deinem Körper?"
Morpheus würdigte mich keines Blickes, er streckte die Hand aus und führte sie langsam zu dem Kopf eines der Iaculis, welches ihn aufmerksam musterte.
„Nein. Mein Geist ist derweil bei ihnen.", er nickte in Richtung der Iaculis, „Ich hole ihn mir zurück."
Im selben Moment in welchem seine Hand den grauen Nebel des Iaculis berührte, erlosch das blaue Licht in seinen Augen und er sackte in sich zusammen. Morpheus sank auf die Knie und bevor er den Boden erreichte, fing ich ihn auf.
„Okay, was zur Nyx ist gerade passiert?"
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