4. Rat - Lade niemals einen Spriggan zum Essen ein
Man kann den Leuten nun wirklich nicht vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben. Was sie zu mögen haben, was sie zu verurteilen haben – ganz allgemein: Wie sie zu leben haben. Nein, der Geist jedes einzelnen ist unersättlich und sucht sich frei seinen eigenen Weg.
Versteh' mich jetzt nicht falsch, ich kritisiere diese Freiheit nicht und selbst wenn, würden mir die philosophischen Worte einfach fehlen um dem was ich fühle, auch wirklich Ausdruck zu verschaffen. Mir ist natürlich auch bewusst, dass sich der Geist den Körper baut und uns somit zu dem macht, was wir sind: Individuen. Der Geist offenbart sich durch die Blicke und die Worte, denn die Seele ist unsere Bleibe, unsere Augen sind ihre Fenster und unsere Lippen ihre Boten. Doch gerade diese Widerspenstigkeit, die der Geist aufweist, ist das was mich schockiert. Er schickt Wörter über die Lippen, ohne auch nur ein zweites Mal darüber nach zu denken. Wörter, die den gegenüber wie eine Klinge treffen und sich schmerzvoll ins Fleisch einschneiden können. Ohne Rücksicht auf Verluste schmeißt der ein oder andere Geist mit diesen Bomben, namens Wörtern um sich und merkt dabei gar nicht, welche Verwüstung er dadurch hinterlässt. Mit Wörtern zerstört und erreicht man alles. Um einen Stein zu zertrümmern, benötigt man einen starken Hammer, aber um eine kostbare Vase zu zerbrechen, genügt eine flüchtige Bewegung und um das Herz von Jemand zu brechen, genügt oft nur ein einziges Wort. Ich liebe Wortgefechte – wenn die Messer von vorne kommen.
Die Sonne steht bereits im Zenit und ich sitze gerade unter irgendeiner alten Eiche. In dem kleinen Wäldchen, östlich von Bree, weht ein warmer Sommerwind und es riecht nach Veilchen. Wenn ich die Augen schließe, vernehme ich das Zirpen der Grillen ganz laut. Es ist ein ruhiger, schöner Tag. Ein solcher, an dem man nur herum sitzen und genießen sollte.
Eigentlich dürfte ich hier aber gar nicht sitzen und meine Zeit vergeuden, eigentlich sollte ich mit den Anderen in der Akademie trainieren und eigentlich habe ich das auch vor gehabt. Aber als ich heute, noch vor dem ersten Sonnenstrahl, vor der großen Holztür der Akademie stand, war alles was ich fand ein kleiner Zettel. Die Aufgabe des heutigen Tages bestand nämlich darin, zusammen – also in der Trainingsgruppe – im angrenzenden Wald ein paar Dunkelwesen in die Flucht zu schlagen. Das einzige Problem, was sich mir daraus ergab war nur, dass es weder von meiner Trainingsgruppe eine Spur zu geben schien, noch irgendein Anzeichen, dass sie mich eben nicht mit voller Absicht zurück gelassen hatten. Folglich bin ich also allein durch den Wald geschlichen. Nicht mal auf der Suche nach meinen Trainingspartnern – Nein, mittlerweile habe ich mit dem Gedanken abgeschlossen, dass sie mich jemals akzeptieren werden. Bei der Göttin Eirene, den Fehler die Anderen zu suchen mache ich ganz sicher nicht noch mal. Beim letzen Mal wurde ich regelrecht in die Flucht geschlagen und das nicht im übertragenem Sinne. Kirian hat mir tatsächlich so einen starken linken Harken verpasst, dass ich doch glatt von dem kleinen Hügel, auf dem wir standen, in den unterliegenden Fluss befördert wurde und ungefähr eine Stunde Spaß mit ein paar Fidealen hatte, die mich immer wieder nach unten zogen, bis ich endlich wieder Land unter den Füßen fand. Eine interessante Bemerkung dazu sei noch gegeben: Ich kann nicht schwimmen. Und nach heute bin ich mir ziemlich sicher, dass ich es auch gar nicht lernen möchte. Ich nehme an, dass mich das Volk der Fidealen auch nicht wirklich leiden kann. Schon gar nicht nach heute, da ich mindestens von einem Dutzend von ihnen die Arme abtrennen musste, um zu entkommen. Bevor du nun schlecht von mir denkst: Keine Sorge, deren Arme bestehen wie ihr restlicher Körper aus Sumpfgräsern und wachsen dementsprechend nach.
Wie auch immer. Mir ist es auch egal, ob mein Team mich nun mag oder nicht. Ich bin ohne sie eh besser dran! Ganz genau!
Außerdem...ich würde ja gerne davon ausgehen, dass es – sowie Kirian später gesagt hat – nur ein Versehen war und ich ihn einfach erschrocken habe, woraufhin er mich direkt in mein Lieblingselement befördert hat, aber bei Iris, das kann ich nicht ganz glauben. Jedenfalls wollte ich heute nicht den gleichen Fehler begehen und bin deswegen lieber allein auf den Wald zugesteuert. Allerdings hat mein Plan, möglichst keinem meiner Teammitglieder über den Weg zu laufen, nur mäßig gut funktioniert.
Ich bin regelrecht in sie hinein gestolpert. Sie waren gerade damit beschäftigt einen Long einzufangen. Longs sind eine spezielle Drachenart. Wie du sicherlich weißt, gibt es sowohl Feuer- als auch Wasserlongs. Was jedoch nur wenige wissen: Obwohl sie sich äußerlich kaum unterscheiden, so ist ihr Charakter völlig verschieden: Der Feuerlong fürchtet das Wasser, während der Wasserlong das Feuer fürchtet. Das Aussehen des Drachen lässt sich folgendermaßen beschreiben: Der Leib ist der einer mächtigen Schlange, die Schuppen die eines Karpfens, der Kopf ähnelt dem eines Wasserbüffels mit einer Mähne, auffällig ist auch der Bart und die zwei etwas längeren Bärte an der Nase, die vier Beine - mit variierender Zahl an Zehen, je nach Rang des Wesens - entsprechen denen eines Adlers. Am Rücken entlang zieht sich ein roter Schuppenkamm, wie bei den Feuerdrachen aus dem Süden. Zudem entspringt dem Haupt ein Hirschgeweih. Das Gebiss des Drachen ist eher mit dem eines Säugetiers, statt eines Reptils zu vergleichen. Es ist somit eher vergleichbar mit dem Kiefer eines Wolfes oder Löwen. Der Nase, dem Halsansatz und dem Unterkiefer entspringt eine Art Bart.
Elegant glitt das Wesen durch die Luft, doch man sah ihm an, dass die Anderen ihn bereits wütend gemacht hatten. Longs sind eigentlich gutmütige Wesen, solange man ihren Frieden nicht stört. In Bree halten die Magier sich den einen oder anderen Long als Haustier. Legenden zufolge, war der Long nämlich einmal das Haustier des Feuergottes Hephaistos und soll demnach Glück bringen. Jedoch lässt sich ein Long nur fangen, wenn er seinen Gegenüber als Ebenwürdig anerkennt.
Meine Teamkammeraden wussten – nach ihrer Reaktion zu urteilen – nichts, aber auch gar nichts über die Verhaltensweise eines Long. Vollkommen blind haben sie den Drachen natürlich angegriffen. Es handelte sich um einen Wasserlong. Die Feuermagie von Caya schüchterte den Drachen zwar ein wenig ein, aber schlug ihn noch lange nicht in die Flucht.
Das gute an der ganzen Sache mit dem nirgendwo dazu gehören und keine Freunde haben war, dass man mehr Zeit für andere Dinge hatte und die nutzte ich zum Beispiel mit dem Durchblättern aller möglicher Bücher, weshalb ich auch ein breites Spektrum an Wissen über alle Wesen im Kosmos habe. Gib's zu: das hat dich bisher bestimmt auch schon beeindruckt, oder?
Wie auch immer...Wasserlongs haben Angst vor Feuer, was jedoch vollkommen unbegründet ist, denn Feuer kann sie nicht verletzen, geschweige denn töten. Da sie einem der Götter dienten, haben sie auch dessen Segen und sind demnach unsterblich. Deshalb ist es wichtig, dass man den Feuerzauber nicht gegen den Long selbst wendet, sondern das Gebiet um ihn herum in Brand steckt.
Was ich dann auch tat. Überraschenderweise hat dies auch endlich mal geklappt und ich dachte wirklich, dass ich mir so die Anerkennung der Anderen verdienen könnte, doch mein Team war danach nur noch wütender als ohne hin schon. Sie glaubten mir nicht, dass man den Drachen nicht töten könnte und beschwerten sich deshalb, dass ich ihn verjagt hätte.
Ja...und deswegen sitze ich hier jetzt ganz allein unter der alten Eiche und schreibe dir. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich nicht zu den Anderen gestoßen wäre. Glaubst du, sie hätten es auch ohne mich geschafft?
Verdammt, alles was ich wollte war wenigstens ein bisschen Anerkennung. Ein einfaches:
„Danke, dass du uns geholfen hast."
Das hätte mir doch schon gereicht...
Tut mir leid, ich will dich eigentlich gar nicht mit meiner Melodramatik nerven, ich glaube ich sollte gerade einfach allein sein.
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