23. Rat - Bei Ohnmacht deiner Freunde musst du schnell handeln
Du weißt, dass ich die Wissenschaft liebe. Ich liebe die Art und Weise, wie man aus bereits vorhandenen Stoffen etwas Neues erschaffen kann. Und das immer und immer wieder. Wenn man die Grundstoffe hat – genügend Ressourcen, dann kann man wieder und wieder dasselbe Experiment durchführen – solange man keine bedeutende Variable ändert, wird es immer gleich ausgehen. Das gibt einem ein bestimmtes Vertrauen. Wissenschaft ist anders als Magie. Wenn Caya zum Beispiel einen Feuerzauber wirkt und ich eine meiner Feuerkugeln werfe, ist zwar das Ergebnis gleich: die Stelle, an der unsere Attacke aufkommt, brennt, aber der Weg dahin könnte verschiedener nicht sein. Caya muss ihre Sinne erweitern, ihre Emotionen anschüren, aber gleichzeitig die Kontrolle behalten, damit ihr Zauber funktioniert. Ihre Emotionen und Gefühle bestimmen sie in diesem Moment. Ich hingegen habe Vorarbeit zu leisten: Muss Gase hochkonzentriert in die Kugel einschweißen und muss dabei fokussiert bleiben. Emotionen und Gefühle wären in diesem Moment ablenkend für mich. Dafür liebe ich die Wissenschaft – man bekommt Abstand von allem. Man kann sich auf eine Sache – nein: man muss sich auf eine Sache vollkommen konzentrieren, sodass unweigerlich alles andere um einen in Vergessenheit gerät.
Gefühle hingegen sind unberechenbar. Für sie gibt es keine Pläne, keine Schemata und keine Formeln. Man kann vorher nicht wissen, wie sie auf einen einwirken. Sie erwischen einen meist unvorbereitet unter der Gürtellinie, wie ein harter Schlag.
Das was dich und mich verbindet sind auch Gefühle. Wenn man es denn mal herunterbricht. Denn ich offenbare dir auf diesen Seiten meine tiefsten Gedanken und Sorgen und auch wenn ich nicht weiß, ob du sie nachempfinden kannst, so spüre ich dennoch durch dieses Papier hindurch deine Präsenz. Erinnerst du dich noch an damals: Als unsere kleine Papierbeziehung begonnen hat und ich dir offenbart habe, dass ich mich durch dich nicht mehr so allein fühle? Seitdem ist so viel passiert. Ich bin jetzt tatsächlich nicht mehr allein. Und dennoch schreibe ich weiter. Wir wissen beide, dass das hier nicht die beste magische Autobiografie wird, die der Kosmos je gesehen hat. Auch wenn das Anfangs der Plan war. Ich schreibe das alles für dich. Und für mich. Denn es würde mir fehlen, wenn ich eines Tages nicht mehr schreiben würde – nicht mehr deine Präsenz spüren würde, beim Umblättern der Papiere. Manchmal ist mir als würdest du direkt neben mir sitzen. Ich weiß nicht ob es dir ähnlich geht. Ich wünschte Liudnarths Papiere würden nicht nur in eine Richtung funktionieren. Ich wünschte du könntest mir richtig antworten. Manchmal kommt es mir so vor als könnte ich spüren, was du gerade denkst oder fühlst beim Lesen. Ich weiß zu wenig über die dimensionale Magie dieser Papiere als dass ich sicher sein könnte, dass diese Gefühle wirklich von dir stammen und nicht nur Einbildungen von mir sind. Ich glaube die Anderen wissen auch nicht mehr als ich darüber – ich bin ja schließlich der Bücherwurm von ihnen. Und selbst wenn könnte ich sie nicht fragen, denn sie denken immer noch, dass das hier ein simples Tagebuch ist. Es ist jetzt schon zu viel Zeit vergangen als dass ich ihnen auf einmal offenbaren könnte, das Grab des alten Königs geplündert zu haben. Also bleibt unsere seltsame kleine Beziehung ein Geheimnis.
Entschuldige, ich schwadroniere die ganze Zeit so rührselig vor mir her, am Ende interessiert dich das nicht einmal. Bei Hermes, manchmal geht einfach etwas mit mir durch. Also wo war ich...
Inzwischen war bereits eine ganze Sanduhr vergangen und von Caya fehlte immer noch jede Spur. Ich verstand ja, dass sie Zeit für sich benötigte, aber musste sie sich diese Zeit allein wirklich jetzt nehmen und hier? Mitten im Dunkelwald von Krad? Unbekanntes und gefährliches Territorium für uns alle – man könnte sagen wir wären vogelfrei. Und zudem wurde es langsam, aber sicher Nacht.
„Das Ganze gefällt mir nicht. Caya mag temperamentvoll sein, aber sie ist nicht dumm. Sie würde sich nicht einfach so von uns trennen und allein herumirren. Zudem hat sie nicht mal eine Karte bei sich.", brach ich schließlich die angespannte Stille. Ich suchte Tikkas Blick, doch sie starrte bloß auf ihre Hände nieder, welche sie angespannt in den manifestierten Rauch ihres Iaculis' gekrallt hatte.
„Das ist meine Schuld.", sagte sie mit belegter Stimme. Ich wusste nicht genau was ich darauf erwidern sollte, weil es sich einerseits falsch anfühlte, noch Salz in die Wunde zu streuen und ihr zuzustimmen, andererseits wollte ich sie auch nicht anlügen. Zum Glück hatten wir einen Freund mit sehr viel Takt- und Feingefühl, der in solchen Situationen immer genau wusste, was er sagen musste: „Natürlich ist es deine Schuld. Stand jemals zur Debatte, dass es nicht deine Schuld war?", fragte Morpheus trocken. Ich drehte mich zu ihm um und versuchte ihn mit Blicken zu verdeutlichen, dass er nicht weiterreden sollte, doch er zog in stummer Verwirrung bloß die Stirn kraus. „Was erwartest du von mir, Casta? Soll ich lügen?", fragte er mich sichtlich entnervt.
„Wie kommt's, dass du fast nie was sagst und wenn dann ist es nicht hilfreich?"
„Bei Nemesis, ich kann mich nicht daran erinnern für liebe Worte zuständig zu sein.", Morpheus rollte so übertrieben mit seinen Augen, dass ich es ihm beinahe gleichtat.
„Sei einfach still.", zischte ich und wendete mich dann wieder Tikka zu. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich mittlerweile geändert. Sie versuchte nicht mehr länger ihre offensichtliche Zermürbung zu verstecken. Ihre Augen wirkten glasig und ihre ganze Statur war vollkommen angespannt.
„Wir werden sie finden. Sie kommt schon zurück.", versicherte ich ihr und lächelte sie aufmunternd an.
Es dauerte eine ganze Weile bis Tikka sich dazu durchrang mich anzusehen, aber dann nickte sie schließlich stockend. Ich wendete mich daraufhin dem Boden zu und versuchte irgendwelche Spuren zu finden. Ich weiß nicht ganz was ich erwartet hatte vorzufinden – vielleicht verkohlte Hufspuren, oder silberblonde Haarsträhnen? – aber vor uns lag bloß der immergleiche dunkle Waldboden, der mit dicken Wurzeln durchflochten war.
So wurde das nichts. Wem machte ich hier etwas vor? Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie man Spuren lesen sollte. Seufzend drehte ich mich erneut zu Morpheus um, welcher mich bereits angrinste, weil er anscheinend ganz genau wusste, was ich nun von ihm wollte.
„Kannst du Caya finden?", fragte ich ihn und bemühte mich um eine warme Stimmlage.
„Ich weiß nicht, kann ich das?", erwiderte er amüsiert. Ich konnte mir ein empörtes Schnauben nicht verkneifen: „Kannst du kurz mal deinen Unmut über unsere kleine Auseinandersetzung vergessen und helfen? Hier geht es um Caya – nicht um mich."
Der Braunhaarige rollte erneut übertrieben mit seinen Augen, hielt allerdings sein Iaculis an und Tikka und ich taten es ihm gleich. Nachdem wir abgestiegen waren trat Tikka so nervös von einem Fuß auf den anderen, dass ihre Ruhelosigkeit ansteckend wirkte. Doch ich zwang mich dazu Ruhe zu bewahren, da es niemanden half, wenn wir alle in Panik verfielen.
Morpheus bereitete gerade eine Astralprojektion vor. Ich spürte wie die Luft um ihn herum erst zu vibrieren begann und dann beinahe zu beben. Seine Augen wurden immer heller, bis sie schließlich eisblau leuchteten und in der zunehmenden Dunkelheit fast blendend waren. Ich beobachtete wie erst seine Hände vor Anstrengung zu zittern begannen und dann sogar seine Arme. „Alles klar bei dir? Wirst du gleich wieder ohnmächtig?", fragte ich deshalb nach. Morpheus interpretierte meine besorgte Nachfrage jedoch ein wenig anders: „Wenn du mich nicht ablenken würdest, würde ich auf jeden Fall-", seine Stimme versagte plötzlich. Ich konnte sehen wie eine Art Druckwelle von ihm ausging, die stark genug war, dass Tikka und ich einige Schritte zurück stolperten. Danach sank der Dunkelhaarige in sich zusammen. Ich packte Morpheus so schnell ich konnte und stabilisierte seinen erschlafften Körper, während er langsam auf den Boden sank. Seine Augen glühten noch immer, weshalb ich annahm, dass die Astralprojektion geglückt war.
Tikka schien zum ersten Mal eine solche Astralprojektion beobachtet zu haben, denn trotz ihrer dunklen Haut sah ihr Gesicht seltsam blass-grünlich aus. Sie wirkte zunehmend besorgt.
„Und was machen wir jetzt?", fragte sie mit belegter Stimme und ließ sich langsam neben mir auf dem Waldboden nieder.
Ich betrachtete Morpheus' angespannten Gesichtsausdruck und bettete seinen Kopf vorsichtig auf meinem Oberschenkel. „Wir warten und hoffen, dass er sie findet."
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