10. Rat - Astralprojektionen sind gar nicht so sicher, wie man glaubt
Die Lichtung vor uns lag in dichtem Nebel. Unnatürlich dicht, was nicht daran lag, dass Nebel keine Seltenheit im Wald der tanzenden Weiden darstellte. Vielmehr strahlte er von den Iaculis' ab, es war als würden sie die dichten Schwaden selbst erschaffen - manifestiert aus purer Willenskraft. Sie standen nur wenige Ellen von uns entfernt, uns stetig beobachtend aus dunklen - fast leblos erscheinenden Augen. Und weder Caya noch ich wussten, was wir nun zu tun hatten, oder wie lange es dauern würde bis Morpheus wieder erwachte.
Typisch, dachte ich, er hätte uns ja wenigstens ein wenig mehr über die Iaculis' berichten können, oder zumindest eine Vorwarnung geben können, dass er nach dieser seltsamen Astralprojektion, die er vorgenommen hatte außer Gefecht sein würde. Und mit einer Vorwarnung meine ich nicht 'Achtung, ich falle vermutlich gleich um', regelrecht zwei fallende Sandkörner, davor.
Morpheus lag auf einem Geflecht aus Wurzeln der tanzenden Weiden, welche es scheinbar nicht sonderlich störte, dass sie gerade als Bett zweckentfremdet wurden. Wir hatten unsere Decken unter seinen Kopf gelegt - zugegebenermaßen war dies keine wirklich gute Ruhestätte für jemanden, der umgekippt war, weil sein Geist zurück in seinen Körper gefunden hatte, aber viel mehr hätten wir auch nicht tun können. Es war ja nicht so, dass einer von uns beiden über die Manifestations-Magie verfügte und selbst dann hätten wir vermutlich immer noch nicht aus dem Nichts ein Bett heraufbeschwören können. Wobei ich mir diesbezüglich auch nicht hundert prozentig sicher bin, ich war ja schließlich kein Manifestations-Magier.
"Warum sehen sie uns zu seltsam an?", fragte Caya. Sie hatte sich mittlerweile ebenfalls auf den Boden sinken lassen, sodass jeweils einer von uns rechts und links neben Morpheus saß. Sie hatte die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, doch ich erkannte, dass ihr rechter Armmuskel angespannt war, jederzeit bereit - sollten die Iaculis' zum Angriff ansetzen - alles Nötige zu tun, um sie daran zu hindern, Morpheus - oder vielleicht sogar mir - etwas anzutun. Ich hatte gerne gewusst, wie sie meine Kampffähigkeiten einschätzte. Es war ja schließlich nicht so als sei ich überhaupt nicht kampferprobt und in unseren letzten Trainingsstunden hatte ich eigentlich zu Hauf bewiesen, dass ich tatsächlich in der Lage war auszuteilen. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich immer noch unterschätzt wurde. Der unausgesprochene Fakt, dass ich keine Magie wirken konnte, schwebte wie der dichte Nebel der Iaculis' stets zwischen uns.
"Ich weiß nicht, vielleicht haben sie ja Hunger?", antwortete ich schultern zuckend. Das hätte ich allerdings wohl nicht sagen sollen, denn Caya warf mir daraufhin einen panischen Seitenblick zu und ihre Hand schwebte nur noch wenige Fingerlängen über dem Griff ihres Langschwerts.
"Sollen sie es nur versuchen. Bei Ares, sie werden ja sehen was sie davon haben!", prophezeite sie.
"Ich glaube nicht, dass du Nebel mit einem Schwert besiegen kannst. Außerdem mache ich nur Spaß. Ich denke nicht, dass sie uns fressen werden. Sie haben doch noch nicht einmal Zähne.", erwiderte ich ruhig.
"Edentulaes haben auch keine Zähne und sie verspeisen für ihr Leben gern Wesen aus Fleisch und Blut."
"Edentulaes bestehen aber auch nicht aus manifestiertem Nebel.", gab ich zum Besten. Caya wirkte so sprunghaft, wie ein gespanntes Gummiband – jederzeit bereit nach vorne zu schnippen und das würde sicher schmerzhaft enden. Ich betrachtete ihre zitternde Hand, sie versuchte zu verstecken, dass sie Angst hatte, bemerkte ich überrascht. Doch ich erkannte es jetzt - jetzt wo ihr Körper langsam müde wurde, konnte sie nicht mehr alles verbergen. Ich erkannte es an der Art, wie ihre Hand kaum sichtbar, aber wahrnehmbar daran, dass ihr Langschwert sich immer wieder kurz vor und zurück bewegte, zitterte und daran, wie angespannt sie auf dem Boden kniete und schließlich daran, dass ihre Augen förmlich an den Iaculis klebten, sie konnte sie nur jedes dreißigste Sandkorn dazu bringen, einen kurzen Blick zur Seite zu werfen, um zu sehen, ob Morpheus endlich erwacht war.
„Du warst noch nie so weit weg von Bree, oder?", fragte ich ruhig. In dem Dämmerlicht wirkte ihre Haut blässer denn je zuvor und ihre Augen umso roter.
„Nein.", gab sie schließlich zu und kurz verstärkte sich das Zittern ihrer Hand, welche immer noch verkrampft den Schwertgriff festhielt.
Ich richtete mich auf und schritt vorsichtig – um die Iaculis' nicht zu verschrecken – zu ihr, dann ließ ich mich neben ihr nieder und umfasste ihre zitternde Hand. Sofort fuhr sie zu mir herum und musterte mich böse, ihre Augen schienen Funken zu versprühen. Nicht die gute Art von Funken.
„Casta, das ist jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick für deine Flirtversuche!"
„Ach komm schon, tu doch nicht so als würde mein Charme nicht auf dich wirken.", erwiderte ich zwinkernd. Caya war wie ihre Magie – explosionsartig.
Sofort hatte sie mich nach hinten gestoßen und fixierte mich mit einem harten Griff am Boden.
„Siehst du.", erwiderte ich ruhig, „Jetzt hast du keine Angst mehr, oder?"
Ihre Augen zuckten verwirrt, dann breitete sich rot auf ihren Wangen aus, als sie begriff, dass ich sie nur ablenken wollte – und offenbar hatte es funktioniert. Sie ließ mich los und verschränkte die Arme, anscheinend bemüht darum so beleidigt wie möglich auszusehen.
„Ich hatte keine Angst."
„Natürlich nicht.", ich richtete mich wieder auf und fischte Moos aus meinen dunklen Haaren, bevor ich mich ausgiebig streckte. Wir saßen sicherlich schon über zwei Sanduhren auf dem harten Waldboden und Morpheus war immer noch nicht erwacht.
„Lass uns ein Feuer machen und dann ein Lager aufschlagen. Ich glaube wir kommen heute Nacht eh nicht mehr bis nach Entwine."
Eine Feuermagierin dabei zu haben war äußerst praktisch, wie ich nun feststellen durfte.
„Was suchst du eigentlich die ganze Zeit?", fragte Caya mich. Sie saß an der Feuerstelle, die wir hinter Morpheus errichtet hatten und immer mal wieder verirrte sich ein kleiner Funke zu ihr, den sie spielerisch mit ihrer Magie wieder in die richtige Richtung schickte.
Derweil hatte ich den Inhalt meiner gesamten Leinentasche auf den Kopf gestellt.
„Riechsalz."
„Riechsalz?", wiederholte Caya ungläubig, „Was soll denn das sein?"
„Das ist Hirschhornsalz gemischt mit purem Ammoniumcarbonat. Hab' ich selbst hergestellt."
Endlich da war es. Ich dachte schon, ich hätte es vergessen. Triumphierend hielt ich die kleine Glasampulle in die Höhe.
„Nichts für ungut, aber das klingt nicht sehr lecker."
„Das ist auch nicht fürs Essen gedacht."
Langsam ließ ich mich neben Morpheus nieder. „Ich mache mir langsam Sorgen, normalerweise soll man ja Ohnmächtige nicht zwanghaft aufwecken, aber er zeigt keinerlei Regung mehr, weißt du? Deswegen werde ich jetzt was versuchen."
Caya zog die Stirn in Falten, sie hatte sich ebenfalls aufgerichtet und schritt nun auf mich zu. Es sah fast so aus als würden die Flammen nach ihr langen, je mehr sie sich von ihnen entfernte.
Während sie das Geschehen also aufmerksam über meiner Schulter beobachtete, öffnete ich das Fläschchen, welches sofort den stechenden Geruch in unsere Umgebung entsandte. Sogar die Iaculis', welche sich bisher nicht eine Elle bewegt hatten, wichen etwas zurück. Ich blickte Caya noch einmal erwartungsvoll an und als sie nickte, führte ich die Ampulle direkt an die Nase von Morpheus. Erst geschah nichts, doch dann verzog sich sein Ausdruck langsam und dann urplötzlich – als sei er von den Toten erwacht – schreckte er hustend nach oben.
Cayas Gesicht hellte sich auf und auch ich konnte ein stolzes, breites Grinsen nicht vollkommen verbergen. Es hatte wirklich funktioniert.
„Na endlich.", maulte Morpheus und streckte sich unbehaglich, „Ich hab' schon gedacht, ihr würdet nie irgendwas unternehmen."
Verständnislos blickten wir ihn an.
„Astralprojektion – manchmal schaffe ich es danach nicht wieder zurück in meinen Körper. Es ist dann so als würde man sich selbst aussperren, wie wenn man das Haus verlässt und der Schlüssel liegt noch in der Küche. Was auch immer das für ein ekliges Zeug war, es hat funktioniert.", seine eisblauen Augen richteten sich auf mich und das erste Mal sah ich ehrliche Dankbarkeit und Anerkennung darin. „Danke, Casta."
Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf, das war gerade das erste Mal, dass sich jemand aus meinem Team bei mir bedankt hatte.
„Klar doch und übrigens: Riechsalz – das eklige Zeug heißt: Riechsalz."
Der Moment in dem man feststellte, dass man zu etwas gebraucht wurde, dass man zu etwas gut war, war überwältigend. Vor allem, wenn man seinen Lebtag damit verbracht hatte sich sicher zu sein, dass die Sonnen ewig wandern würden, bis jemand von einem Notiz nehmen würde. Aber wenn ich so an Caya dachte und daran, dass selbst sie – von der ich immer geglaubt hatte, sie wäre so stark wie Ares selbst – Angst hatte, dann war es vielleicht möglich, dass jeder einmal strauchelte. Dass jeder einmal den Glauben verlor. Denn zugegeben es war ja auch schwer und niemand hatte sich dazu überhaupt entschieden dieses unfaire Spiel, was sich Leben schimpfte, aufzunehmen. Aber jetzt waren wir hier und jetzt galt es nun mal das Beste daraus zu machen.
Und vielleicht. Ganz vielleicht stimmte das Sprichwort, das besagte, dass bessere Zeiten kommen würden ja sogar. War ja auch nur logisch, wenn man einmal so darüber nachdachte. Ein Tal gab es ja auch nicht ohne einen Berg...
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