12 - Der Anfang vom Ende
Ich habe aufgegeben. Aufgegeben, an das Gute in einem Menschen zu glauben. Aufgegeben, einem Menschen zu vertrauen, obwohl er mich schon öfter enttäuscht hat. Aufgegeben, um etwas zu kämpfen, das sich nicht lohnt.
Ich habe Blake aufgegeben.
Er tut mir einfach nicht gut. Das merke ich jedes Mal, wenn er einen Schritt auf mich zugeht, aber dafür wieder drei Schritte nach hinten macht. Es verletzt mich, dass er mit mir spielt und ehrlich gesagt habe ich auch keine Kraft mehr dafür, seine Spielchen mitzuspielen.
„Erde an Lucy! Bist du noch da?", reißt mich Mayleen lachend aus meinen Gedanken. Seit mir Blake vor einer Woche so dermaßen vor den Kopf gestoßen hat, indem er meinte, dass alles geschauspielert sei, kreisen meine Gedanken fast ununterbrochen um ihn. Meine Freundinnen helfen mir so gut es geht dabei, ihn zu vergessen, aber das erscheint mir unmöglich. Blake hat Spuren auf meinem Herzen hinterlassen.
„Klar bin ich noch da", murmele ich und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. May fällt natürlich sofort auf, dass mein Lächeln nicht echt ist, doch bevor sie etwas dazu sagen kann, lenkt ein gewisser Junge unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Ayden Hunter.
Er steht wie immer mit seinen Freunden – also auch mit Blake – in der Raucherecke und winkt Mayleen überschwänglich zu. Selbstverständlich ignoriert sie ihn, aber dafür winkt Leia umso begeisterter zurück.
Es tut mir leid, dass sie so unsterblich in Ayden verliebt ist, dieser aber nur Augen für Mayleen hat. Trotzdem bewundere ich Lee dafür, dass sie nicht aufgibt.
„Hey Mayleen!", grölt Ayden über den halben Schulhof. „Kannst du mir kurz dein Handy leihen?" Ich höre meine Freundin genervt seufzen, aber zu meiner Überraschung bleibt sie tatsächlich stehen und dreht sich mit verschränkten Armen zu dem Blondhaarigen. „Ach ja und warum? Hast du deine Nummer verloren und möchtest jetzt meine haben oder was?", faucht sie zurück. Ihre Antwort lässt Aydens Grinsen noch breiter werden.
„Ich habe meiner Mutter versprochen, sie anzurufen, wenn ich meine Traumfrau gefunden habe."
„Oh mein Gott." May verdreht ihre Augen, schnappt sich Leias und meine Hand und zieht uns schnellen Schrittes ins Schulgebäude. „Ist ihm das nicht zu blöd, so alberne Anmachsprüche zu googeln?"
„Anscheinend nicht", zucke ich mit den Schultern und schenke May einen mitleidigen Blick. Sie ist immer noch verletzt, dass Toby mit ihr Schluss gemacht hat. Da ist es auch kein Wunder, dass sie so gereizt reagiert, wenn Ayden ständig mit dummen Sprüchen um sich wirft. Ich wünschte, er würde Leia diese Aufmerksamkeit schenken.
„Das ist echt frustrierend", murmelt Benannte, während wir das Klassenzimmer betreten und uns auf unseren Plätzen in der letzten Reihe niederlassen. „Wieso hat Ayden nur Augen für dich, obwohl du ihn nicht mal magst, May?", fragt sie verzweifelt und rauft sich die Haare. Dass Lee unglücklich ist, ist nicht zu übersehen.
Ich weiß noch ganz genau, wie wir uns damals in der fünften Klasse geschworen haben, niemals wegen eines Jungen traurig zu sein. Lange hat dieses Versprechen nicht gehalten – vor allem nicht bei Leia.
„Keine Ahnung. Ich würde mir auch wünschen, dass er mich endlich mal in Ruhe lässt", erwidert May und seufzt. Sie isst und schläft zwar wieder mehr, aber die Erschöpfung in ihrem Gesicht ist immer noch deutlich zu sehen.
„Was hast du, was ich nicht habe?"
„Sei nicht albern, Lee", mische ich mich ein. „Man kann nun mal nicht erzwingen, wen man gut findet und wen nicht. Mach dich jetzt bitte nicht schlechter, als du bist, okay?" Am liebsten würde ich noch hinzufügen, dass Ayden ihre Trauer gar nicht wert ist, aber ich beiße mir auf die Zunge, um mir diesen Kommentar zu verkneifen. Ich weiß schließlich ganz genau, wie sensibel Leia darauf reagieren würde. „Du bist ein tolles Mädchen."
Anstatt zu lächeln oder wenigstens auf meine Worte einzugehen, ignoriert mich Lee. Dafür mustert sie allerdings Mayleen von Kopf bis Fuß und schaut danach selber an sich hinab. „Natürlich bist du wunderschön, May. Für deinen Körper und deine Augen würde wahrscheinlich jedes Mädchen morden. Aber ich sehe doch auch hübsch aus oder?" Leias Frage klingt eher wie eine Feststellung. Dennoch nicke ich, um ihr Mut zu machen.
Alle meine Freundinnen sind wunderschön. Sowohl äußerlich als auch innerlich.
„Außerdem habe ich viel größere Brüste als du", fährt Lee unbeirrt fort. „Nimmt mich Ayden etwa erst dann wahr, wenn ich auch so leicht bekleidet herumlaufe wie du?" Ich ziehe scharf die Luft ein und versuche meiner Freundin mit einem Blick mitzuteilen, dass sie sich auf sehr dünnem Eis bewegt.
Es ist unfair, dass Leia Mayleen schlechtredet.
„Leicht bekleidet?", hakt May auch schon einige Sekunden später nach. Ihre Stimme klingt kühl und distanziert. Ich kann verstehen, dass sie nicht begeistert ist, solche Worte von ihrer besten Freundin zu hören.
„Ja, leicht bekleidet", wiederholt sich Lee. „Sorry, aber du ziehst dich echt ziemlich freizügig an. Tiefer Ausschnitt und nur enge Hosen, die deinen Hintern betonen." Während sie sich immer mehr in ihrer Eifersucht verrennt, wird Mays Gesichtsausdruck immer wütender. Emotionslos fragt sie: „Und was ist so schlimm daran? Ich kann es ja schließlich tragen."
„Nichts", erwidert Leia. „Ich versuche nur zu verstehen, was Ayden so toll an dir findet. Bestimmt gefällt es ihm, dass du immer extra so arschwackelnd an ihm vorbeiläufst."
Das ist der Punkt, an dem meine Freundin eindeutig eine Grenze überschritten hat. Bevor ich mich jedoch einmischen kann, ist May bereits aufgesprungen und funkelt Leia zornig an. „Sag mal, geht's noch?! Ich laufe ganz bestimmt nicht arschwackelnd an Ayden vorbei! Schließ nicht von dir selber auf andere!"
„Früher bist du nie so aufgetakelt zur Schule gekommen, Mayleen. Gib doch einfach zu, dass du das nur für Ayden machst!"
„Du spinnst, Leia!"
Ich kann nicht glauben, was hier gerade passiert. Meine Freundinnen streiten sich wegen eines Jungen. In all den Jahren haben wir noch nie gestritten und ausgerechnet Ayden Hunter – der beste Freund von Blake – ist der Ursprung dieses Streits? Bitte lieber Gott, lass das bloß einen Traum sein.
„Tue ich nicht! Lucy ist auch schon aufgefallen, dass du dich öfter schminkst und sehr figurbetonte Sachen trägst", feuert Leia zurück und zieht mich mit voller Wucht in diesen Albtraum hinein. „Ach, du fällst mir jetzt auch noch in den Rücken? Danke. Echt tolle Freundinnen, die ich da habe", sagt Mayleen gekränkt und schüttelt den Kopf.
„May, so war das nicht gemeint!", versuche ich mich hastig zu erklären, denn ich habe nie behauptet, dass sie sich für Ayden schick macht.
„Sei leise, Lucy!", unterbricht sie meine Entschuldigung. „Du bist doch nur neidisch, dass du noch keinen Freund hattest! Wenn du dich weiterhin so prüde und verklemmt verhältst, wird sich das auch nie ändern!"
„Ich warte halt auf die große Liebe!"
„Meine Güte, wach endlich auf! Blake ist nicht deine große Liebe!"
Ich fühle mich wie vor den Kopf gestoßen. Blake ist attraktiv und wenn er möchte, kann er auch lustig und charmant sein, aber ich bin definitiv nicht in ihn verliebt. Um genau zu sein, bin ich sogar gerade dabei, ihn zu vergessen. „Das habe ich auch nie gesagt", murmele ich deshalb und weiche Mayleens Blick aus. Sie sollte am besten wissen, dass ich dem Blauäugigen nicht mehr vertrauen kann.
„Man sieht dir aber an, wie du diesen Typen vergötterst. Pass auf, dass du nicht so erbärmlich wirst, wie Leia."
„Ich bin also erbärmlich? Sagt ausgerechnet diejenige, die mir meinen Schwarm ausspannen möchte!" Leias Gesicht ist wutverzerrt. Neben dem Hass, der in ihren Augen schlummert, kann ich auch Enttäuschung und Trauer sehen. Wahrscheinlich möchte sie sich gar nicht streiten, wird aber in diesem Moment von ihren Emotionen geleitet.
„Du hast sie ja nicht mehr alle! Ich-"
„Hey Leute!" Eine gut gelaunte Roxy lässt sich neben mir auf den Stuhl fallen und grinst uns der Reihe nach an. Als sie jedoch bemerkt, dass wir ihre Freude nicht teilen, fragt sie skeptisch: „Oh man, was ist hier denn los?"
„Frag Mayleen!", giftet Leia.
„Frag Lucy!", zickt Mayleen.
„Frag Leia!", murmele ich.
Dass dieser Streit unnötig ist, ist mir bewusst, aber ich sehe es ehrlich gesagt nicht ein, mich für etwas zu entschuldigen, das ich nicht getan habe. Nur weil mir aufgefallen ist, dass May mehr auf ihr Aussehen achtet, heißt das noch lange nicht, dass ich gedacht habe, sie würde das extra nur für Ayden tun. Ich weiß, dass sie Toby liebt.
„Was soll dieser Kindergarten?", durchforstet Roxy meine Gedanken. „Wollt ihr gar nicht wissen, ob ich meine Führerscheinprüfung bestanden habe?"
„Ne, eigentlich nicht", zischt Leia und wendet sich dann mit einem hinterhältigen Grinsen an Mayleen. „Ich will nur, dass Mayleen weiß, dass ich diejenige war, die Toby von Ayden erzählt hat."
Es sind nicht viele Worte, die Lee von sich gibt, doch mir ist bewusst, dass sie ausreichen, um unsere Freundschaft für immer zu zerstören. Es gibt kein Zurück mehr. Sie hat diesen Streit angefangen und sie wird ihn auch beenden. Allerdings mit der Folge, dass wir danach alle getrennte Wege gehen werden.
„Was?! Das ist hoffentlich nicht dein Ernst, oder?" Mays Augen sind vor Schock geweitet. Es muss ein schlimmes Gefühl sein, so dermaßen von seiner besten Freundin hintergangen worden zu sein. Das, was Leia getan hat, ist unverzeihlich. Sie war diejenige, die eine Beziehung zerstört hat und nicht Ayden. Dementsprechend hätte auch sie meine Ohrfeige verdient.
„Ich dachte, du würdest ihn dann in Ruhe lassen, wenn Toby mit dir darüber redet, aber leider habe ich falsch gedacht. Na ja, Toby kann froh sein, dass er sich getrennt hat. Eine Schlampe will niemand als Freundin haben", zuckt Leia gleichgültig mit den Schultern. Ihre Worte schlagen wie eine Bombe ein und sorgen dafür, dass Mayleen ein lautes „Fick dich!" von sich gibt und dann weinend aus dem Klassenzimmer stürmt.
Obwohl sich nun einige Klassenkameraden zu uns umgedreht haben, ist Leia noch nicht fertig, mit verletzenden Worten um sich zu werfen. „Und was dich angeht, Roxy: Geh einfach zu deinem drogenabhängigen Fayn. Aber pass auf, dass du ihn nicht nochmal beim Fremdgehen erwischst!"
„Du kannst mich mal!", schnaubt Roxana wütend und eilt ebenfalls aus dem Raum. Das alles geht so schnell, dass ich sie nicht einmal zurückhalten kann. „Musste das sein, Leia?", frage ich die Brünette verständnislos und schüttele den Kopf. Ist ihr überhaupt bewusst, dass sie soeben unsere Freundschaft zerstört hat?
Es gibt kein Wir mehr. Es gibt nur noch Mayleen, Roxana, Leia und Lucienne.
„Ach, halt die Klappe, Lucy! Stell dich nicht immer als Engel dar, denn das bist du nicht. Deine Panikattacken nerven! Deine Unerfahrenheit nervt! Du nervst!"
Ich spüre, wie mein Körper zu zittern beginnt und sich Tränen in meinen Augen sammeln. Leias Worte sind extrem verletzend. Sie bohren sich durch mein Herz und lassen dieses in Millionen kleine Teilchen zersplittern.
Ich bekomme keine Luft mehr.
Aus Angst davor, eine Panikattacke mitten im Klassenraum zu bekommen, schnappe ich mir meinen Rucksack und renne aus dem Raum. Auf dem Flur stoße ich mit meinem Geschichtslehrer zusammen, doch ich bleibe nicht stehen. Ich muss hier raus! Ich brauche Luft!
Als ich endlich auf dem Schulhof angekommen bin, lasse ich mich auf meine Knie fallen und fasse mir panisch an den Hals. Meine Lungen brennen. Tränen strömen über mein Gesicht. Die Dunkelheit nagt an mir.
„Lucy?"
Auch wenn mir diese Stimme bekannt vorkommt, kann ich sie keiner Person zuordnen. Ich muss mich auf meine Gedanken konzentrieren. Ich darf nicht zulassen, dass meine Angst siegt.
„Hey Lucy, ich bin es. Sieh mich an."
Mein Körper sträubt sich dagegen, aufzuschauen. Ich bin nicht bereit, meinem Feind – der Panik – ins Gesicht zu blicken. Ich bin schwach.
„Was brauchst du? Eine Umarmung?"
Ehe ich irgendwie reagieren kann, werde ich von zwei starken Armen umschlossen, die mich an eine harte Brust drücken. Binnen weniger Sekunden bin ich von Wärme, Sicherheit und Geborgenheit umgeben. Meine Angst ebbt ab und die Tränen versiegen. Mit jeder verstrichenen Sekunde finde ich ein bisschen mehr zu mir selbst und in die Realität zurück.
„Ist wieder alles okay?" Ich löse mich vorsichtig aus der Umarmung und schaue in Blakes eisblaue Augen. Er sieht besorgt aus – ernsthaft besorgt. „Ja, danke", murmele ich und lächele traurig.
Es ist ganz schön ironisch, dass ich gerade meine Freundinnen verloren habe, aber dafür wieder mit Blake rede. Was möchte mir das Schicksal damit sagen?
„Komm, ich fahre dich nach Hause. Dann kannst du dich ausruhen", sagt der Blondhaarige und hilft mir beim Aufstehen. Dann schnappt er sich meinen Rucksack, nimmt meine Hand in seine und führt mich zu seinem Auto.
Und alles, was ich sagen kann, ist ein tonloses „Danke Blake".
„Diskussion ist ein Austausch von Intelligenz, Streit ein Austausch von Dummheit."- Robert Quillen
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