| 2. Kapitel |
Und während das Graue stürmisch war und das Türkise tobend, wusste sie schon wieder nichts darauf zu antworten. Er sprach von der griechischen Mythologie. Von Ikarus, der bei der Flucht mit seinem Vater Flügel gebaut hatte und beim Flug über dem Meer jedoch zu nah an die Sonne flog, weswegen der Wachs an den Flügel flüssig wurde und er somit nicht mehr fliegen konnte und fiel. Aber wieso um alles in der Welt sprach er sie mit Ikarus an? Oder meinte er nicht sie damit? War das einfach nur seine Art Menschen zu begrüßen? Es schwirrten zu viele 'Warum?', 'Wieso?' und 'Weswegen?' in ihrem Kopf herum, dass sie schon fast davon Kopfschmerzen bekam. Sie wollte doch nur ihren langersehnten Bericht schreiben und wieder gehen. Sie wollte doch nur ihren verdammten Job in "The Times" damit bekommen, um endlich mal für eine richtige Zeitschrift zu schreiben. Wieso redete er dann von Mythologien? Angestrengt nachdenkend rieb sie sich unbewusst kurz über ihre Schläfe, weswegen sich ihre Brille wieder verschob und sie sie ärgerlich wieder gerade richten musste. Sie beschloss sein Gerede von Ikarus zu ignorieren und so zu tun, als wäre es nie passiert. „Okay, ich heiße Charlotte und ich bin hier weil - " und schon wieder. Schon wieder hatte er sie unterbrochen und dieses mal musste sie sich beherrschen nicht aufgebracht nach Luft zu schnappen, weswegen sie sich ihre Fingernägel in ihren Unterarm bohrte, der jedoch glücklicherweise von ihrer Jacke geschützt war, doch das sich ihre Zähne fest aufeinander bissen, konnte sie nicht verhindern. Sie erinnerte sich an die Worte der Wärter, dieser Mann vor ihr war aufbrausend und anscheinend leicht zu provozieren, weswegen sie ruhig zu bleiben versuchte. Sie wollte nicht mit einem blauen Auge hier rauskommen. „Ist es nicht dumm mir Ihren Namen zu verraten?" Sie verstand nicht, was an einem Namen schon so schlimmes dran war. Sie hatte ihm nur ihren Vornamen genannt gehabt und es gab eben viele Charlottes. Sie war schon nicht dumm genug, um ihm auch noch ihren Nachnamen zu nennen, sie hatte sich eben was dabei gedacht gehabt, sich ihm nur mit 'Charlotte' und nicht als 'Charlotte Bamford' vorzustellen. „Nach Ihrem Blick zu urteilen verstehen Sie anscheinend nicht was ich meine." Augenverdrehend sah er sie an und sie hasste es, dass er sie so abwertend ansah, so als wäre sie der Schwerverbrecher unter den beiden. Eingeschnappt sah sie auf seine Handgelenke, die schon rote Schmieren aufweisten, so als hätte er versucht sich loszumachen, oder als hätte ihn jemand mit voller Kraft hinter sich herziehen wollen. Doch in diesem Moment war ihr egal, ob er gelitten hatte oder nicht. „Es ist nur ein Name." Versuchte sie es ihm wissentlich zu sagen, doch er schnalzte nur mit der Zunge und schüttelte überzeugt den Kopf. „Den Part von 'Dumm' haben Sie wohl geschafft. Ich dachte Sie sind Ärztin oder sowas." Empört sah sie ihn an und am liebsten hätte sie ihm ihre Tasche gegen seinen hässliche Kopf geworfen und ihn mit dem Stuhl auf dem sie saß, grün und blau geschlagen, aber das tat sie nicht. Sie wusste, dass er sie wahrscheinlich nur provozieren wollte, aber das würde sie nicht zulassen. Erst denken, dann reden. „Nein, ich bin keine Ärztin, ich bin nur eine -" noch einmal, wieder einmal hatte er es getan. Und dieses mal musste sie angestrengt ein wütendes Knurren hinunterschlucken und sie lächelte aus letzter Verzweiflung ihn versucht höflich an. „Sind sie dann eine Nutte?" Ihre Gesichtszüge entglitten ihr, sie sah in verdattert an und ihr Hirn musste erst verarbeiten, was es da gehört hatte. „Also ich habe nichts gegen Nutten und ich habe auch kein Problem es jetzt gleich hier zu machen. Es geht halt nur auf dem Tisch, Sie wissen schon", dabei hob er entschuldigend die Hände hoch und deutete auf seine Handgelenke, während er ein kleines, fast schon schüchternes Lächeln auf den Lippen trug, doch der Schein trügt. „Die Dinger können manchmal echt nerven. Und ich habe kein Problem damit, wenn die in der Kamera zuschauen. Ich meine, die schauen mir sogar beim Kacken und Duschen zu und als ob die sich darauf keinen runter holen würden. Aber ich gebe dir keine Informationen und Geld habe ich hier auch nicht." Kurz blieb er still und die Röte schoss ihr ins Gesicht, während sie ihn immer noch mit offenem Mund und vor Schreck geweiteten Augen ansah. Er dachte, sie wäre eine was?! „Aber es haben schon viele auf das Geld bei mir verzichtet. Sie wissen schon, weil ich echt gut bin und so. Hat denen gereicht." Dabei zuckte er so locker und lässig mit den Schultern, als würde er über das Wetter reden. Ihr Herz raste und sie war bestimmt schon puterrot. Sie war empört, sie war angewidert und wollte ihn erst recht nie jemals anfassen müssen. Wer wusste schon was er alles für Krankheiten mit sich trug. Als es kurz Still wurde und er sie so erwartend ansah, blickte sie geschockt auf den Tisch vor ihr. „Ich bin keine Nutte." Dabei sah sie wieder auf und erblickte seine grauen Augen, die sie einfach nur leer ansahen. „Ich bin keine Nutte oder was auch immer. Ich bin nur eine, die für die Times einen guten Artikel braucht. Sonst nichts." Sie wünschte sich noch so vieles mehr ihm gegen den Kopf zu werfen, doch sie beherrschte sich. Es wäre ein unglaublich kindisches Benehmen sonst gewesen und das könne sie sich im Gegensatz zu ihm, in ihrem Leben nicht leisten. Augenverdrehend legte er seinen Kopf in den Nacken und sah zur Decke hinauf. „Also nur Plaudereien. Na immerhin besser als jemanden, der in meinem Kopf herumstochern möchte." Er schien leicht genervt zu sein und sah sie wieder an. „Und Sie sind sich sicher, keine Nutte zu sein?" Wo sich gerade ihre Gesichtsfarbe erst wieder zu normalisieren schien, schoss schon wieder das Rot ihre Wangen hinauf und die unangenehme Wärme schien sie nicht mehr verlassen zu wollen. „Ja, dass bin ich." Kam das 'Ja' peinlicher Weise ein paar Oktaven viel zu hoch aus ihr hervor und vor Scham versinkend wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als das der Boden sich unter ihr hätte auftun können. Es war ein leises und viel zu kurzes Lachen, dass sie plötzlich wieder aufblicken lies und es war so kurz, dass sie nicht wirklich wusste, ob sie sich das Lachen nur eingebildet hatte, oder ob es Wirklichkeit war, aber sein kleines schiefes, fast schon zu übersehendes Lächeln, konnte sie sehen und es wunderte sie. Es wunderte sie, wie viele Emotionen er ihr schon gezeigt hatte oder ließ er sie nur glauben wollen, dass er sich ihr zeigte? „Mr. Beaufort." Als sie ihn ansah, konnte sie erkennen, wie sich sein Kiefer anspannte und sie merkte sofort, dass er diesen Namen nicht leiden konnte. Er konnte seinen eigenen Namen nicht leiden. Kurz dachte sie darüber nach, sie musste eine angenehme 'Aura' um sich bilden, damit er ihr was erzählen konnte, was sie anschließend dann für ihren Bericht verwenden konnte. „Nun gut, wie soll ich Sie nennen?" Die Frage schien ihn überrascht zu haben und Verwunderung konnte sie für einen kurzen Moment in seinen Augen aufblitzen sehen. „Sie müssen wohl eine sehr aufmerksame junge Frau sein, Charlotte." Als er ihren Namen so aussprach, als ihr Name seine Lippen verließ und er ihn so betonte, konnte sie nicht umhin einen unangenehmen, kalten Schauer über ihren Rücken kriechen zu spüren. Das meinte er wohl. Es ist nicht nur ein Name, es ist ein Teil eines selbst, dass man gut behüten sollte. „Das bin ich. Es gehört eben zu meinem Beruf." Der Stolz, der mit diesen Worten mitschwang kam ungehindert aus ihr heraus und sie konnte seinen verachtenden Blick erkennen. „In Ihrem Beruf gehört es dazu, sich über andere lustig zu machen, sie zu Schikanieren und sie Bloß zu stellen. Sie nackt vor die Bühne zu werfen und das einkommende Geld wie einen Verdurstenden in der Wüste gierig in sich zu nehmen. Wie eine Nutte eben." Ich starrte ihn an, versuchte irgendetwas aus seinem Gesicht zu erkennen, doch da war nichts. Seine Augen starrten auf den Tisch und somit konnte sie sie nicht erkennen. „Wir sagen und schreiben nur über die Wahrheit. Es sind nicht wir, die die Leute schikanieren, es sind die Leser, die über die Geschriebenen lachen und sie bloß stellen. Das ist ein Unterschied." „Aber spielt der Ton nicht die Musik, Charlotte?" Sie wollte gerade wieder den Mund aufmachen und zu etwas ansetzen, doch sie stoppte, als ihr keine plausible Antwort darauf einfiel. Ihr Mund schloss sich wieder und auch sie sah nun auf den Tisch, dachte über seine Worte nach und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Hatte er da etwa recht? Waren es die Journalisten schuld? An all dem Hass? An all der falschen Bewunderung? Sie war sich immer so verdammt sicher in ihrem Beruf gewesen und nun? Er hatte sie mit einem einzigen Satz total aus der Bahn geworfen. Für diesen Augenblick zögerte sie wirklich, ob dieser Beruf der Richtige für sie war. Doch sie verwarf diese Gedanken. Sie würde über die Wahrheit schreiben und die Wahrheit würde sie neutral schreiben, so, dass jeder sich eine Meinung dazu bilden konnte. Davon war sie fest überzeugt. Ein Seufzer erklang von Mr. Beaufort und er sah wieder zu ihr auf. „Nennt mich die 'Box' oder wie auch immer Ihr wollt." Verwirrt sah sie ihn an, aber schon wieder war sein Ausdruck im Gesicht nur eine Leere, die so unendlich Weit wirkte. „Wieso die Box?" Sie konnte nicht ihr verwirrtes Ich verstecken und sah ihn fragend an. Während seine grauen Augen wie ein Sturm sich füllten, wusste sie nicht, was sich in ihnen befand. Obwohl doch die Augen das Tor zur Seele sein müssten, erkennt sie kaum etwas aus seinen Augen. „Wie lange haben Sie noch, bis man Sie hier wieder rausholt?" Immer noch vollkommen verwirrt und überrascht von diesen ganzen Themenwechseln und diesen sprunghaften Gedanken von ihm, sah sie auf ihre Armbanduhr und war verblüfft. Sie durfte nur 20 Minuten mit ihm hier reden und in nicht mal drei Minuten, war ihre Zeit um. Ihr Blick richtete sich wieder zu Mr. Beaufort, oder besser gesagt 'der Box' und ohne das sie auch nur ein Wort hätte sagen müssen, nickte er wissend. „Das habe ich mir schon gedacht. Nun gut, dann werden wir uns wohl noch einmal sehen. Auf Wiedersehen, Pandora." Und ehe sie noch etwas erwidern konnte, ehe sie ihn fragen konnte, wieso er sie Pandora genannt hatte, wenn er doch ihren richtigen Namen kannte. Ehe sie noch fragen konnte, was Ikarus damit zu tun hatte und ehe sie überhaupt noch etwas sagen oder tun konnte, saß er ihr nur vollkommen ruhig gegenüber, während sie die Tür wie aufs Stichwort hinter ihr genau drei mal aufschließen hörte. Sie sah wie zwei Wärter in den Raum kamen und Mr. Beaufort vom Tisch losmachten, ihm jeweils an den Oberarmen feste zupackten und ihn somit irgendwie zu dritt aus der Tür hinaus schafften. Und während er an ihr vorbei schritt, sah er noch einmal zu ihr. Sie sah wie sein straßenköterblondes Haar ihm in die Stirn fiel und diesmal sah sie auch, dass es ihn ärgerte, dass er es sich nicht aus der Stirn streichen konnte. Und erst dann fiel ihr auf, dass sie nach all diesen 20 Minuten nichts über ihn, aber er sogar vieles über sie, herausgefunden hat.
Scheiße.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro