'99
Mit einem tiefen Atemzug kam Mike zu sich. Leicht verwirrt, wie er vom Park in die Wohnung gekommen war, sah er um sich. Es fiel ihm noch etwas schwer, seine Augen offen zu halten, doch sein krampfhaftes Versuchen machte dies möglich.
Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und kündigten einen wundervollen Tag an. Es war still, während ein gedämpftes Vogelgezwitscher durch die Wände dringen wollte und der gepresste Atem von Mike zu hören war.
Das leicht schmerztaube Gefühl in der Rippengegend, war der einzige Schmerz, den er pochend wahrnahm.
Als er zu Boden sah, erkannte er einen schlafenden Bourdon, der sich in eine Decke gewickelt hatte und augenscheinlich tief im Traumland verweilte. Neben ihm lag eine Heftmappe, mit schwarzem Stempel METEORA darauf, unschlecht zu erkennen.
Shinoda hatte immer noch nicht erfahren, was Nanami mit diesen Dokumenten vorhaben wollte. Doch glaubte er nun zu wissen, dass sie ohne ihn dies nicht gefunden hätte. Und er glaubte auch daran, dass Brad, der ihr anscheinend diese Aufgabe gegeben hatte, nur eine Ausrede war, damit Mike ihr folgte.
Nun wusste er, was er davon hatte, blind einer Fremden gefolgt zu sein. Nur im Frust seiner Gefühle.
Mike krallte sich langsam die Heftmappe und öffnete sie. Zuerst fielen ihm ein paar alte, leicht verbleichte Fotos entgegen. Es waren alte Schulfotos, deren Momente Mike noch genau in Erinnerung waren. Er und Brad, brüderlich die Arme über die Schulter gelegt und breit lächelnd.
Nach kurzem Betrachten der Bilder, legte er diese auf sich auf die Decke und durchforstete den zentimeterdicken Stapel an geschriebenen Zetteln, bis er an einem dieser unzähligen hängen blieb. Seine Augen flogen nur so über die Buchstaben.
Säuberung XERO
DELSON//SHINODA
1996
Gefahr für SYSTEM NYC - sofort erledigen!
Beziehungsstatus = Zerstritten
NEUPROGRAMMIERUNG
HYBRID THEORY '99
Der Rest, war nur noch schwarze Balken, da man die Zeilen weggestrichen hatte. Unleserlich für die, die es nicht sehen dürfen. Doch Mike waren die oberen vier Zeilen schon genug. Genug um endlich einzusehen, Brad unrecht getan zu haben.
Gähnend, reckte sich jemand aus seinem Schlaf und richtete sich auf. Sam, der mit dem Kopf auf der Tischplatte seine Nacht verbracht hatte, sah nur leicht verschlafen um sich. Die Sonne hatte ihn kitzelnd geweckt und in aus der sowieso kaum geschlafenen Nacht gerissen.
"Mike", murmelte er und rieb sich über das Gesicht, bevor er aufstand und dem Zeichner näher kam, der gebannt an die Decke starrte, "wie geht's dir?"
Die Mappe, um die sich alles letzte Nacht gedreht hatte und den eigentlichen Plan, Chester aus dem Gefängnis zu holen, vereitelt hatte, lag geöffnet auf der Decke von Mike.
Sam ließ sich neben ihn auf der Kante nieder und sah ihn an, worauf auch Mike reagierte und Donnelly damit Bourdon aus dem Schlaf riss. Dieser wälzte sich noch leicht auf den Boden und fuhr sich durch die Haare, die wild zu Berge standen.
"Ein bisschen müde, aber sonst", zuckte Shinoda mit den Schultern und schloss kurz die Augen, "ich bin so ein Idiot, Sam."
"Ach was", schüttelte er den Kopf und ging Richtung Küche, da er nun glaubte, allen Beteiligten würde eine Tasse Kaffee nicht schaden, "wir alle sind darauf reingefallen."
Mike versuchte vorsichtig, sich etwas aufzustemmen, was zu seiner eigenen Verblüfung möglich war. Nun erblickte er das müde Gesicht von Rob, dem die Nacht auf dem Fußboden nicht allzu gut getan hat. Dieser rieb sich schmerzend den Rücken und schenkte Mike ein kurzes Lächeln, bevor er sich auf die Sofakante niederließ.
"Nanami ist hinterlistig, das wissen wir", antwortete dieser statt Donnelly.
"Und woher", legte Mike sich wieder zurück, "woher kennt ihr sie?"
Rob sah zu Sam, der nun ebenfalls stutzte, doch einsah, dass es nun einmal an der Zeit war, Mike zu erzählen, was los war.
"Ich und Chase", begann Sam, "waren bei den Punkeranhängern. Vor knapp einem Jahr sind wir ausgesteigen. Joseph und ich, Michael, mein Spitzname. Nanami war auch dabei", verteilte er Tassen an alle und setzte sich neben Rob, um Mike sehen zu können, "wir wollten damals auch diese Akte stehlen, da wir das System stürzen wollten. Doch Nanami war bei den Racheengeln, eine Organisation, die geholfen haben, dieses System aufzubauen. Keiner hat dies gewusst, dass sie dazugehört. Da sind wir dann wirklich in die Quere gekommen und sie hat uns auflaufen lassen. Wir sind knapp davon gekommen. Ich hätte dich gewarnt, aber die hat mit meinem Verstand gespielt."
Mike rieb sich nur über das Gesicht: "Ich muss zu Brad, ich habe einen Fehler gemacht."
"Wir alle haben Fehler gemacht", drückte Rob den aufgebrachten Shinoda wieder zurück auf das Sofa, "aber du bist nicht in der Lage dazu. Du hast ein Loch in deinen Rippen. Sei doch vernünftig."
"Wir sind hier in einem neueren New York", fluchte er schon fast, "da wird es doch mehr geben, als nur Hologrammtastaturen."
Sam hauchte nur etwas in das Ohr von Rob und stand auf, bevor er aus der Wohnung verschwand. Bourdon hingegen versuchte Mike einmal zu beruhigen. Die Situation, wie Sam ihm erzählt hatte, war durch diese Aktion von Nanami Takanashi nicht wirklich verbessert worden.
"Wer hat mich eigentlich verarztet?"
"Chase", kam es knapp von Rob, "der war Hilfssanitäter bei uns. Du lebst, also muss er alles richtig gemacht haben."
Mike schmunzelte kurz. Ihm war die sarkastische Ader von Bourdon weitgehend unbekannt oder noch nicht in dieser ausgeprägten Form aufgefallen.
"Und wegen Nanami", lehnte er sich nun zurück, "brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Alle Racheengel verschwinden irgendwann von der Bildfläche. Etwas, was sie nicht wirklich bedacht hatten. Nachdem sie völlig ausrasten. Deswegen hat die Regierung auch sie gewählt, um das Volk zu unterdrücken."
"Nanami war ein Spitzel, nicht wahr?'"
"Unser Aufstandsführer hat ihr nicht alles erzählt, das wussten wir. Er hat ihr nicht vertraut, das stimmt. Aber das ist alles schon lange her", beendete er seinen Satz, als Chase nun neben ihm stand. Sichtlich froh über den Zustand von Shinoda.
"Und Mike, was sagen die Schmerzen?"
"Ich kann mich nicht beklagen", lächelte er leicht gezwungen, "aber ich muss zu Brad."
Als Chase seinen Mund öffnete, um zu antworten, klopfte es an der Tür und alle verstummten. Und nicht nur Rob war es, der langsam an Farbe im Gesicht verlor.
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