7. Kapitel
Gio und ich hatten abgemacht, Dario zuerst selbst zur Rede zu stellen. Also Gio würde es tun, da sie ihm näher war. Und ich denke, allein anhand seiner Reaktion werden wir dann entscheiden können, wie wir fortfahren. Aber eigentlich war ich mir im Klaren, dass wir es jetzt, schon ohne Darios Aussage, meinen Eltern melden sollten.
Wenn Dario wirklich an einer Essstörung litt, würde da bloßes Gerede von mir und Gio nicht mehr helfen können. Wir wussten nicht, wie lange es schon so war und wie sehr sein Körper schon darunter litt. «Rio?», Gio hatte ihren Bruder am Hörer. Er war endlich rangegangen. «Wo bist du? Sei solo?» Sie fragte ihn, ob er allein war und ihrer folgenden Reaktion konnte ich entnehmen, dass er mit Freunden unterwegs war. «Bist du betrunk-»
Ihre Augen zuckten kurz zu mir und sie entschied sich dazu, die Sprache zu wechseln. «Sei ubriaco?» Sie klang wütend und zu ihrem Nachteil, hatte ich bereits erraten können, was sie ihn gefragt hatte. Mein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es knapp 17:30 Uhr war.
Ich behauptete kein Profi zu sein, wenn es ums Trinken und um den Alkohol ging, doch es war doch noch sichtlich zu früh dafür, oder? Noch dazu war es Montag. Und zum Schluss natürlich das Wichtigste: Wir waren Minderjährige. Trinken sollte nicht zu unseren Wochenenden, weder noch zu unserem Alltag gehören. Dario und ich hatten uns vor knapp 1,5 Stunden voneinander verabschiedet. Da war er noch nüchtern gewesen. Oder halt, was den Alkohol betraf zumindest.
Ich konnte Dario auf der anderen Seite abstreiten hören und um ehrlich zu sein, klang er ziemlich nüchtern, doch ich vertraute hier seiner Schwester. Sie kannte ihn um einiges besser als ich. «Okay, okay. Ich glaube dir. Kannst du vorbeikommen?» «Perché?», hörte ich ihn aus dem Hörer heraus fragen und ich schielte kurz zum Pizzastück. Ganz egal, wie das ausgehen wird, er wird mich sowas von verabscheuen und alles, was er mir heute gesagt hatte, zurücknehmen. Ich behandelte ihn nicht anders, wie alle anderen um ihn herum. Ich hatte genau das Gegenteil getan. Schlimmer sogar.
Giorgia schaute auch kurz zum Pizzastück und schluckte, «Ich muss mit dir reden.» «Worüber?» Gios Augen trafen kurz auf meine und ich könnte mich täuschen, doch Dario schien sehr misstrauisch. «Wirst du erfahren, wenn du da bist. Ich warte auf dich.» Sie legte dann einfach auf und ließ sich erschöpft auf ihr Bett fallen. «Es ist als müsse man durchgehend aufpassen, nicht in eine Mausfalle reinzutreten, weisst du?» Sie warf ihr Handy auf ihr Bettkissen und richtete sich wieder auf. «Okay, er wird in den nächsten 30 Minuten oder so hier sein. Kommt ganz darauf an, ob er überhaupt kommt oder nicht.»
Ich nickte und verschränkte meine Arme über meiner Brust. «Um ehrlich zu sein, habe ich ein ungutes Gefühl», gab ich dann ehrlich zu und Gio nickte zustimmend. «Rio wird's nicht gut entgegennehmen. Da können wir uns sicher sein. Vielleicht-» Sie stand auf und biss sich in ihrer Unterlippe fest. Ihr Körper zeigte in Richtung Tür, was mir zeigte, dass sie daran dachte, das Zimmer zu verlassen. Aber warum? «Ich hole meinen Dad.»
Sie was? Sie joggte aus dem Zimmer. Ich hörte sie die Treppen runterspringen und dann, wie sie mit ihrem Vater sprach. War das wirklich eine gute Idee? Na ja, Dario würde weniger einfach wieder abhauen können, wenn Giacomo im Weg stehen würde, doch wollte ich ihn so kalt auffliegen lassen? Ich hatte Angst. Ich war mir sicher, dass auch Gio Todesfurcht hatte, einen riesigen Riss zwischen ihr und ihrem Halbbruder zu verursachen, aber hatten wir denn eine andere Wahl?
«Giorgia, ich hab gleich ein paar Kunden. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit.» Sie zerrte den Herrn in ihr Zimmer und er wollte wieder etwas sagen, als er meinen besorgten Blick, denselben, der seine Tochter trug, wahrnahm. «Was ist los? Ist etwas passiert?» Ich seufzte und schaute auf mein Handy.
Ich hatte den Mut nicht, ihm das zu sagen. Ich wollte nicht noch mehr Schaden verursachen. Oder tat ich das überhaupt? Half ich Dario nicht, indem ich anderen von meinen Beobachtungen erzählte?
«Wir denken- Also, nein. Wir sind uns ziemlich sicher, dass Dario eine Essstörung entwickelt hat. Keine Ahnung wann und wie, aber etwas stimmt nicht, Dad.» Gio zeigte auf die Pizza. «Das ist sein Pizzastück von letztem Freitag. Er hat es auf meinem Dach versteckt und mir dann gesagt, er sei schon fertig.» Giacomos Blick war unleserlich. Ich wusste nicht, ob er uns glaubte, nicht glaubte oder einfach nicht verstand, was wir meinten. Doch eigentlich drückte Gio sich klar und deutlich aus. «Noè hat es bemerkt. Sie ist heute zu mir gekommen, um es eben mit der scheiß Pizza zu beweisen können.»
«Inwiefern bemerkt?» Er wandte sich an mich und ich kämpfte mit mir selbst. Meine Stimme wollte nicht. Ich wollte nicht, dass Dario mich hasste. Aber ich sollte mir jetzt nicht auf die Zunge beißen. Es ging hier schließlich um seine Gesundheit. «Er hat letzten Freitag, nachdem meine Eltern ihn dazu gezwungen haben, wieder auf die Station zu kommen, sich geweigert seine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Also, er hat sie jemand anderem zugeschoben und dann behauptet, er habe schon mit Gio Pizza gegessen, aber diese hat er ja offensichtlicher Weise auch nicht gegessen. Und heute waren er und ich beim Waffelwagen und er hat seine Waffel überhaupt nicht angerührt. Er hat sie dann einfach hinter einem Stein versteckt und gehofft, dass ich es nicht bemerke. Ich hab die Waffel dann aber doch noch gefunden, als er schon wieder weg war.»
Giacomo atmete gestresst aus. Sein Gesicht hatte sich im Laufe meines Vortrags enorm verändert. Sorge hatte sich in seine Visage eingebrannt. Er rieb sich sein Gesicht und trat zwei Schritte zurück, um sich an Gios Schreibtisch anlehnen zu können. «Ich habe ihn gebeten, hier herzukommen, doch ich weiß nicht, was passieren wird, wenn wir ihn darauf ansprechen. Könntest du dabei sein?»
Gios Vater zuckte mit den Schultern, atmete verzweifelt in seine Handfläche. «Ihr wisst, umso mehr Leute hier sind, umso schwerer wird es, Dario ruhig zu behalten. Er mag es nicht, umstellt zu sein.»
«Warum muss man mich ruhig behalten?» Schwarze Locken machten sich in meinem Augenwinkel bekannt und ich drehte mich schnell zu Dario, dessen Gesicht Unsicherheit ausstrahlte. Gio zuckte zusammen. Sie hetzte zur Zimmertür, die sie hinter Dario zuknallte. Sie drehte den Schlüssel und zog diesen, um ihn dann fest an sich gepresst zu halten. «Mi dispiace, okay?» Sie sah ihren Bruder traurig an und wir alle konnten sehen, wie Dario langsam zu verstehen begann, dass wir etwas von ihm wollten.
Er schluckte unbeholfen, seine Augen zuckten schnell zur Tür und dann wieder zu seiner Schwester, die sich neben mich stellte. Dann sah er mich an, doch er konnte es nicht länger als ein paar Sekunden tun, denn Giacomo seufzte laut auf. So laut, dass wir alle zu ihm schauten. Gio und ich hatten jeglichen Mut, mit Dario darüber zu sprechen verloren. «Dario, bitte sei ganz ehrlich mit mir. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?» Der Grünäugige verdrehte sein Augen. «Heute Nachmittag, mit Noè.» Ich atmete stockend ein, «Du hast die Waffel nicht gegess-» «Doch habe ich.» Er wandte sich an mich, denn ich war diejenige gewesen, die ihm widersprochen hatte.
«Ich musste nochmal zurück und habe deinen Teller gefunden.» Darios Körperhaltung zeigte, wie unwohl er sich gerade fühlte. Sein Gesicht strahlte Wut aus. Wut, die aus seiner Enttäuschung mir gegenüber entstanden war. «Dein scheiß ernst?» Er trat auf mich zu und sah auf mich herab, «Fängst du jetzt auch noch wie Bayton an und wimmelst mir irgendwelche Lügen auf?»
Gio zwängte sich zwischen uns und legte ihrem Bruder eine Hand auf die Brust, um ihm ein wenig zu beruhigen. «Rio, du bist derjenige, der lügt.» Er schluckte und sah kurz zu Giacomo, der vor der Zimmertür stand. «Ich lüge nicht. Du weißt doch auch, dass ich esse. Wir haben erst letztens zusammen Pizza gegessen.» Gios Vater erkannte etwas, was Gio und ich nicht zu merken schienen. Dario bekam Angst. Er fühlte sich umstellt, bloßgestellt.
«Du hast nichts gegessen.» Seine Schwester deutete auf das gefrorene Stück Pizza und Dario verfiel einer Stille, die ich nicht zu verstehen wusste. Was ging in ihm vor? Taten wir das richtige? Waren wir zu schroff, ihn einfach hier mit uns einzusperren? «Dario, hör mir zu.» Giacomo lief langsam auf den Bebenden zu.
Seine Augen zuckten vor lauter Panik und Unsicherheit hin und her. Er atmete schnell und ich fragte mich, wie schlimm das gerade für ihn sein musste, so bedrängt zu werden. «Atme, okay? Du hast nichts falsch gemacht.» Gios Vater versuchte nach Dario zu greifen und ihn an sich heranzuholen, aber er war erfolglos. Dario war ihm ausgewichen, er ging auf seine Schwester zu und deute auf ihre Faust, die den Schlüsseln in sich trug.
«Gib mir den Schlüssel», forderte er, mit tiefer Stimme und einer Ausstrahlung, die dem eben noch unsicheren Dario komplett fremd war. «Ich kann nicht, Ri-» «Die Schlüssel. Subito!» «Du kannst jetzt nicht gehen, Dario. Du brauchst Hilfe.» Er schüttelte den Kopf. «Ich brauche keine Hilfe. Das Einzige, was ich gerade brauche, ist der verdammte Schlüssel, okay? Also gib mir das Teil!»
Er wurde mit jedem Wort lauter und sah mit bohrendem Blick auf seine große Halbschwester nieder, die mit jedem Atemzug kleiner wurde und ängstlich um Hilfe bat, die sie bei ihrem Vater suchte. «Dario, reiß dich zusammen.»
Giacomo legte seine Hand auf Darios Schulter und drehte ihn langsam zu sich um. Sein Blick bedeutete nichts Gutes und mein Instinkt, etwas zur Seite zu treten, war mehr als nur berechtigt gewesen, denn Dario holte aus und schlug dem Vater seiner Halbschwester geradewegs ins Gesicht.
Ich hoffe, ich konnte euch mit den ersten sieben Kapitel on board holen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro