5. Kapitel
Ich konnte nicht schlafen. Noè aber auch nicht. Wir lagen einfach beide wach da und schwiegen einander an. Ich schämte mich. Wirklich... Wie hatte ich das sagen können? Ich wusste ganz genau, was diese Worte mit Noè anstellten.
Warum hatte ich meine Gedanken laut ausgesprochen? Jetzt konnte sie meinetwegen nicht mehr schlafen, weil sie Angst hatte, ich würde mir das Leben nehmen. «Ich will, dass du täglich mit Kelly telefonierst», kam es leise von ihr. Sie wusste ganz genau, dass ich auch noch wach war.
Ich wollte etwas dagegen einwenden und holte Luft, doch Noè meinte es ernst. «Du brauchst Therapie. Keine Widerrede.» Ich seufzte und blieb dann doch einfach still. Ich denke, mit ihr zu diskutieren, brachte im Moment gar nichts. «Du musst explizit daran arbeiten, mit solchen Episoden klarzukommen. Du machst mir so verdammt Angst.»
Ich erhob mich von ihrer Brust und setzte mich an den Rand der Matratze. «Denkst du, ich mache mir keine Angst?» Ich hörte es hinter mir rascheln. Sie hatte sich auch aufgesetzt. Auf meine Frage hatte sie keine genaue Antwort. «Du kannst dir nicht einmal vorstellen, wie gruselig es ist, diese Gedanken zu haben. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, woher sie kommen, doch ich kann sie nicht stoppen. Sie entkräften mich komplett.»
«Willst du denn wirklich ste- sterben?» Ich schloss meine Augen und ließ meinen Kopf fallen. Ich wollte ihr diese Frage nicht beantworten. Es war kompliziert. Ich sehnte mich keineswegs nach dem Tod, aber ich wollte Ruhe, Luft zum Atmen und schmerzlos sein. «Ich will so nicht mehr leben.» Dieses Mal war sie es, die seufzte.
Sie setzte sich neben mich und lehnte sich an meiner Schulter an. «Du hast zwei Möglichkeiten. Du kämpfst und kannst so leben, wie du es dir wünscht oder du gibst auf. Aber Letzteres passt nicht wirklich zu dir, Dario. Du hast bis jetzt noch kein einziges Mal aufgegeben oder bist nicht mehr aufgestanden.» Ich schüttelte meinen Kopf und wandte mich von meiner Freundin ab.
Sie brauchte mich nicht so zu sehen. Meine Unterlippe zitterte und die Tränen kamen mir den Rachen hoch. Auf ihre Worte hatte ich keine Antwort auf Lager. Mir blieb alles im Hals stecken. Ich rieb mir das Wasser aus den Augen und schaute kurz auf an die Wand vor mir. Noè hatte wahrscheinlich schon lange kapiert, was ich gerade tat, doch sie ging nicht darauf ein.
Ich hörte sie hinter mir aufstehen. Sie zog sich ein Shirt von mir über und band sich die Haare hoch. «Komm.» Sie langte nach meiner Hand und zog mich raus zu unseren Schuhen, wo sie nach dem Schlüssel langte und mich in das alte Treppenhaus dirigierte. «Was mach-» «Einfach mitkommen.»
Man konnte unsere nackten Füße so gut wie gar nicht auf den Boden hören und draußen war der Boden immer noch leicht warm. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es wirklich war, doch sicher schon nach Mitternacht.
Noè zog mich die Gassen entlang runter zum Strand, wo sie sich wieder zu mir umdrehte und auf das blaue Licht, dass durch die Nacht und die Wellen entstand, zeigte. «Diese Gedanken gehören zum Borderline. Diese Episoden kommen immer wieder. Deswegen bin und könnte ich dir nie böse sein.»
Sie zog mich durch den Sand ans Meer und ich schrak etwas zurück, als ich nasse Füße bekam, doch Noè grinste zufrieden auf und streckte sich. Ihr Shirt flatterte im Wind und ihr Zopf löste sich. «Jedes Mal, wenn sie kommen, kommen wir hierhin und lassen sie vom Wind wegblasen, okay?» Ich zögerte. Schon ein bisschen kitschig. «Oder schwemmen. Was auch immer man bevorzugt.»
Sie gab mir keine Zeit und riss mich hinter sich weiter ins Meer rein. An sich war ich kein Fan von nassen Klamotten, doch Noès Eifer und ihre Zuversicht, dass uns das hier helfen konnte, zauberten mir ein schwaches Lächeln auf meine Lippen.
Das Glitzern in ihren Augen glich manchmal einem kleinen Kind, das die Welt zum ersten Mal zu sehen bekam. Ich wünschte mir für sie, dass sie es niemals verlieren würde. Noè zwang mich unter Wasser und der Geschmack vom Salz kam sogar ein bisschen an das Waschmittel ran, das ich seit Jahren schmecken durfte, wenn ich aß.
Als wir beide wieder auftauchten, klammerte sich eine blinde Noè an mir fest und sie hielt sich die Augen. «Verdammte Scheiße, ich habe vergessen, dass das Meer Salzwasser hat. Ich glaube, ich erblinde.»
Ich lachte leise auf und formte mit meinen Händen eine kleine Schale, um etwas Wasser hochzuheben. «Komm, ich helfe dir, deine Augen auszuspülen.» Dass sie mir so blind vertraute, machte mich baff. Sie hielt hin und ich rieb ihr noch mehr Salzwasser ins Gesicht.
Worin das resultierte? Noè begann fluchend gegen meine Brust zu hämmern und ich meinte sogar Schimpfwörter zu hören, die noch nie aus ihrem Mund gekommen waren. «Man, Dario! Willst du mich verfickte Scheiße nochmal verarschen?! Ich habe dir vertraut!»
Jetzt hatte sie mich. Ich konnte es nicht zurückhalten und musste einfach drauflos lachen. «Du bist verdammt naiv, Micina.» «Ja, sorry, wenn ich dir vertraue!» «Ja, dachtest du, dass das Salzwasser, weil aus meinen Händen kommt, auf einmal kein Salz mehr drinnen hat, oder was?»
Jetzt musste sie auch lachen. «Okay, stimmt. Aber trotzdem! Du hast das vollkommen extra gemacht!» Joa, stimmte schon. Ich umgriff ihre Wangen und zwang sie dazu, ihre Augen zu öffnen. Sie waren ganz rot und ich zog scharf Luft ein. «Shit, Principessa. Was für Kush hast du denn geraucht?»
Sie schob mich beleidigt weg und versuchte ihre Augen zu retten. Schon etwas mies von mir, aber ja... «Tropeanischer...» «Das ist kein Wort.» «Natürlich.» «No.» Sie machte mir klar, dass sie das googeln und mir zeigen würde, wenn wir nicht ohne nichts außer unseren Schlafsachen im Meer schwimmen würden und ich konnte nur schmunzelnd nicken.
Es gab eine leichte Strömung und sie zog uns langsam, sodass wir es kaum spüren konnten, nach links in Richtung dieses Berges, wo diese Kirche obendrauf war. Noè fand es gruselig. Ihr fiel auch erst jetzt auf, wie gruselig dunkel das Meer in der Nacht war und dass wir gar nichts sehen konnten. Vor allem etwas weiter draußen, wo sie gar nicht mehr stehen konnte.
«Denkst du, es könnte gerade ein Hai unter uns sein?» «Ich stehe und spüre ehrlich gesagt keinen Hai zwischen den Beinen.» Sie schlang ihre Beine um mich und blickte mir alles andere als überzeugt in die Augen.
Wir konnten uns kaum sehen, so dunkel war es hier draußen. Persönlich liebte ich es. Diese Dunkelheit und man konnte nur das Meer rauschen hören hier. Sonst nichts. «Dude, hinter dir ist was Riesiges.» «Dunkelheit, ja.» Wollte sie mir Angst machen? «Nein, ohne Scheiß. Ich glaube, da ist eine Höhle.»
Ich drehte uns um und erkannte tatsächlich den Umriss einer Höhle. Ich glaube, wir befanden uns vor diesem «Berg» und anscheinend war der in Richtung Meer offen. «Willst du rein?», fragte ich nach. «Nein! Also nicht jetzt. Spinnst du? Es ist verdammt gruselig. Wärst du nicht hier, wäre ich vor Angst schon erstarrt und zu Fischfutter geworden.»
«Du bist diejenige, die uns ins Meer gezogen hat...» «Ja, weil ich weiß, dass mir mit dir nichts passieren kann.» «Micina, meine Aggressionsprobleme werden uns nicht helfen, wenn wir untergehen oder von einem Haifisch attackiert werden.» Sie kicherte leise und schlang ihre Arme um meinen Nacken.
«Wir sind zwar erst einen Tag da, aber du passt einfach richtig hier her. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber du passt vom Aussehen her einfach fett ins Volk.» «Obdachlos?» «Man, Lio! Du weißt, was ich meine. Strand, Meer, Insel, die Atmosphäre... Ich denke, diese Wochen hier, werden dir sehr helfen und ich weiß natürlich auch, dass ein steiler Weg bergauf nicht das sein wird, was uns erwartet. Rückfälle, schlechte Tage oder auch schlechte Wochen wird es geben, aber ich denke, hier werden wir finden, was uns beiden helfen wird.»
Ich legte meine Arme enger um sie und nuschelte mein Gesicht in ihrem Hals ein. «Wir müssen einfach zusammenhalten.» Ich weiß, Micina. Ich weiß... Ich blieb still und genoss die Ruhe, die meine Haut einsog.
Mein Kopf gab Ruhe und ich wollte sie jetzt im Moment nicht mehr verlieren. Ich riss so viel von ihr an mich, wie ich auch nur konnte, aber ich wusste, dass ich schlussendlich wieder ein bisschen hergeben musste. Vor allem auch, weil ich Noè etwas fragen wollte. «Hast du Angst, wenn ich alleine im Bad bin oder du nicht weißt, wo ich bin?»
Sie seufzte und streichelte meinen Nacken auf und ab. «Ich versuche keine zu haben oder dir zu vertrauen, aber ich bin jetzt ehrlich: einfach ist es nicht. Ich versuche darauf zu vertrauen, dass du zu mir kommst, wenn es dir gar nicht gut geht, aber ich kann das auch nicht vollkommen von dir erwarten und das verstehe ich auch.»
Diese Art von Angst wollte ich ihr nicht machen. Also, nein. Ich wollte ihr gar keine Angst machen. «Ich weiß, dass meine Wege, mit gewissen Dingen umzugehen, alles andere als gesund und gefahrlos sind, aber es ist ziemlich schwer, diese Angewohnheiten abzuschütteln. Ich versuche es und ich gebe mir Mühe, dir diese Sachen zu sagen, aber ich kann dein Gesichtsausdruck, wenn du meine Worte hörst, nur schwer, bis zu gar nicht vertragen. Ich sehe direkt, was für große Angst ich dir mache...»
«Ja, aber ich habe schlimmere Angst davor, nicht zu wissen, was in dir vorgeht, Dario. Sag mir immer, was du denkst. Ich will es wissen und in erster Linie habe ich nie Angst vor dir, sondern ich habe Angst davor, nicht das Richtige zu tun oder etwas Falsches zu sagen.» «Du kannst nichts Falsches sagen. Nicht du. Niemals.»
Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und wir seufzten im Einklang. «Ich bin davon überzeugt, dass wenn wir so offen miteinander sind, wir hier Frieden finden werden.» Vielleicht hatte sie recht, doch gab es für mich überhaupt noch so etwas wie Frieden?
«Dann lass das eine neue Regel sein», schlug ich vor, als wir langsam aus dem Meer liefen und die Klamotten ausdrückten. Ich konnte Noè schwach lächeln sehen und schüttelte nur meinen Kopf. Ich weiß... Eine Regel? Von mir?! Unglaublich. Doch sie stimmte zu. Ich würde mir Mühe geben, mich an die Regel zu halten. Rückfälle waren okay, doch nicht mehr aufzustehen, nicht.
«Wir sollten nochmals unter die Dusche», kicherte Noè, als wir wieder nach oben in unsere Bleibe schlichen und ich verdrehte meine Augen. Ich meine, sie hatte schon recht. So nass und nach dem Meer stinkend sollten wir nicht zurück ins Bett, aber würde man die Dusche nicht im ganzen Haus hören können?
«Willst dich etwa wieder vor mir ausziehen?» Sie lachte auf und schob mich an meiner Stirn weg, als ich verspielt, im Türrahmen zum Bad lehnend, auf sie herabblickte. «In deinen größten Träumen vielleicht.» «Das wäre ein Traum, den ich mal zur Abwechslung gerne haben würde.»
Sie schüttelte ihren Kopf und schaute kurz in den Spiegel. Ihr klebte, keine Ahnung wie und woher er kam, etwas Sand am Hals. «Du meintest ja mal, dass du Mädchen schon nackt gesehen hast. Also nicht in Person», schmunzelte sie mit den Anführungszeichen in der Luft zeigend. «Fragst du mich jetzt über Pornos aus, oder was? Den ersten und letzten habe ich mit 13 gesehen.»
«Ja, aber- Was? 13?!» «War neugierig, habe dann selbst eine eher faule Kostprobe bekommen und hatte nach der dann genug.» Verständlich oder, dass ich mir das Zeug nach Harmony nicht mehr reinziehen konnte?
Noè nickte und gab mir recht. «Aber, also...» Verdammte Scheiße, was kam jetzt? «Also-» «Du hast Angst, dass dein Körper mit den Porno-Weibern verglichen wird, was?» Ihre Schultern sackten ein. Ich hatte es genau auf den Punkt gebracht. «Ja, Melina ist das passiert. Ihr erster Freund hat dann voll über sie gelästert und so, weil ja...»
«Okay, aber jetzt musst du mir erklären, woher die Angst kommt, dass ich sowas tun würde. Erstens habe ich keine Freunde. Zweitens hätte ich keine Referenz und drittens... Noè, du bist abartig heiß.» Sie lief rot an. «Wenn ich dich sehe, kommts mir gar nicht erst in den Sinn, wie andere wohl in GESTELLTEN Szenarien aussehen würden oder so.»
Sie zuckte verlegen mit den Schultern. «Joa, war halt mal ein Gedanke von mir, sorry.» Mir sackte erst jetzt ein, bei was für einem Thema wir gelandet waren. Wie hatten wir es geschafft von: Noè, ich will mich umbringen, zu: Noè, ich vergleiche deinen Körper nicht mit Pornodarstellerinnen, zu kommen? Und wieso stellte sie auch immer solche Fragen?
Vielleicht sollte ich den Spieß mal umdrehen. Sie machte mich mit solchen Sachen innerlich komplett nervös. Ich zeigte es vielleicht nicht, aber sie tat es wirklich. Vielleicht war es mal an der Zeit, sie in diese Situation zu bringen. «Aber jetzt sag mal, was für Kategorien gefallen dir, huh? Vergleichst du mich auch mit den Typen?»
Sie lachte nervös auf und schüttelte den Kopf. «Seit wir zusammen sind, brauche ich die nicht mehr.» Bitte was?! Ich erstarrte und vergaß, wie man atmete. Was hatte die unschuldige, liebe, sanfte Noè gerade zu mir gesagt?
Sie drehte sich zu mir um und biss sich unbeholfen in die Unterlippe. «Scheiße, bist du rot, Dario. Alles okay?» Sie- Was? Verstand ich sie gerade richtig? «Du- Also, woher kommt das gerade?»
Sie lachte leise auf und legte ihre Arme um meinen Bauch, doch ich wimmelte sie überfordert und verpeilt ab. Ich brauchte Antworten. «Wie? Was? Wo?», fing ich an und packte ihre Schultern.
«Man, Rio. Du hast mich schon verstanden. Dachtest du etwa, dass Mädchen nicht masturbieren?» «Eh- Doch, klar. Nur nicht- also...» Ich lehnte zu ihr herunter. «Ich?» Ich brachte gerade, glaube ich, nur noch einzelne Wörter raus.
Der Gedanke daran, dass ich in dieser Hinsicht so gesehen werden konnte, war mir völlig fremd. Und irgendwie machte es mir auch etwas Angst, denn Harmony hatte mich so gesehen und gut war es nicht ausgegangen.
Jetzt war es Noè, die rot anlief. «Jetzt nicht so krass wie du denkst, aber... Du bist halt mein Freund. Ich liebe dich und du bist in meinen Augen das Schönste überhaupt...» Erste Sahne, Alter: von Suizid zu Masturbation. Hoffentlich konnte uns niemand hören. Obwohl, wir waren in Italien. Uns konnte wahrscheinlich eh niemand verstehen.
«Aber bitte! Können wir das jetzt lassen! Ich habe meine Lektion gelernt. Ich werde solche Themen nie mehr ansprechen. Das ist jetzt volle Kanne auf mich zurückgekommen», lachte sie nervös und schüttelte den Kopf.
Ich- ehm-, also ich war noch am Laden. Mein Hirn versuchte, das gerade zu verarbeiten. Es war ja eigentlich schon normal, oder? Nur kam mir das nie in den Sinn, weil ich dieses Verlangen direkt nicht mehr spürte... «Tut mir leid, wenn das für dich falsch oder schlimm ist.»
Ich winkte ab und rieb mir übers Gesicht. Ich konnte nicht glauben, dass ich das sagte, aber: «Wir sind mehrere Wochen hier. Anstatt einfach nur an mich zu denken, kannst du mich auch einfach um Hilfe beten.» Noè rutschte in der Dusche aus.
Noè am Ende so:
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