46. Kapitel
Der Film war okay. Ich hatte eine gute Zeit. Mit Tabea ging es mir immer gut. Dario ging es auch gut. Ich hatte während der Pause mit ihm geschrieben. Er wurde von Giorgia zum Kochen gezwungen. Sie wollte Lasagne machen und es ihm beibringen. Als Italiener musste man wissen, wie man Lasagne machte, hatte sie Dario vorgehalten.
Ich meine, sie hatte recht. Und ich war mir sicher, dass es ihm guttat, einen Abend mit seiner großen Schwester zu verbringen. Vielleicht war die Küche nicht der angenehmste Ort für ihn, doch irgendwo musste man ja mal anfangen und er war eh schon so weit gekommen. Ich denke, ein Abend in der Küche würde er schon überleben.
Heute war allgemein ein guter Tag gewesen. Fast schon zu gut, um ehrlich zu sein. Ich meine, ich hätte nichts dagegen, wenn er so bleiben würde, doch ich denke, es war nicht nur das ganze Popcorn, das mir im Magen lag und ein schlechtes Gefühl bereitete.
Ich glaube, die kleine Sache mit Rocco und Carlos hatte alles etwas doof gemacht, aber ich konnte nun nichts mehr daran ändern, zwei Typen blöd angemacht zu haben. Es war ein erstes Mal meinerseits, aber ja, an sich ja nichts Schlimmes, oder? Die beiden hatten es verdient. Und irgendwie hatte ich mich mit Dario an meiner Seite viel mehr getraut als ich mir jemals erträumt hätte.
«Warten wir, bis die Credits durch sind? Da kommt sicher noch ein Clip danach.» Taby lehnte sich zu mir rüber und stellte ihre leere Colaflasche zurück in den Getränkehalter. Ich nickte und sah den wenigen Leuten zu, die jetzt schon gingen.
Immer wenn man auf etwas wartete, verging die Zeit so verdammt langsam. Ich schlief fast ein, während wir darauf warteten, bis die Aftercredit-Scene kam und zu meinem Bedauern war sie auch nicht wirklich spannend oder spektakulär.
Tabea sprach meine Gedanken aus. «Was war das denn für eine Scheiße?» Ich lachte auf und zuckte mit den Schultern, als wir den Saal verließen und draußen die 3D-Brillen in einen Korb legten. Es war kurz vor 21 Uhr. Dass Dad mich unter der Woche ins Kino gehen ließ, war eigentlich nicht überraschend, aber die Uhrzeit war schon fragwürdig.
Vielleicht wollte er mir einfach den Freiraum geben, um Freude in den Dingen wiederzufinden, die ich drohte zu verlieren. Moms Tod hatte viel mit sich mitgenommen. Unter anderem meine Lust an Dingen, die ich früher mit ihr getan hatte. Mom und ich waren gerne ins Kino gegangen, als ich noch kleiner war.
«Und, kam ich an deine Abende mit Dario ran?», scherzte Taby und ich schob ihr Gesicht weg und schüttelte meinen Kopf. Dieses Mädchen. «Wahrscheinlich genauso sehr, wie ich an Calvin rankomme.» Sie schnippte mit ihren Fingern. «Touché. Aber es tut gut, Zeit mit dir zu verbringen. Ich vermisse dich, weißt du? Die letzten paar Monate ist sauviel passiert.»
Ich nickte und mied ihren Blick. «Ich sehe, dass es dir nicht mehr gut geht, Noè. Und ich will dir helfen, aber-» Ihr Worte drückten auf meine Tränenkanäle. «Aber ich weiß nicht wie. Und du bist auch kaum mehr da. Ich will ganz ehrlich sein. Ich habe das Gefühl, dich zu verlieren. Du bist nicht mehr die No-» «Dieselbe Noè wie früher? Könnte ich auch nicht mehr. Die will ich nicht mehr sein.»
Tabys Blick wurde sanfter, als wir uns auf den Weg nach Hause machten. «Wieso?» «Sie hatte ein komplett falsches Weltbild. Sie dachte immer, dass man von allem zurückkommen und heilen konnte, doch das stimmt nicht. Man lernt, mit Verletzungen und Narben zu leben. Die letzten Monate haben mich Vieles dazulernen lassen. Die alte Noè schwamm noch mit Schwimmflügel, doch jetzt nicht mehr.»
Taby lächelte sanft. «Ich weiß, was du meinst. Und es stimmt. Nur hätte ich mir für dich gewünscht, das alles viel sanfter zu lernen. Du verdienst das Ganze nicht.» Ich winkte ab und wartete, bis das Auto an uns vorbei war, damit wir die Straße überqueren konnten.
«Niemand verdient es, aber ich denke, dem Leben ist das scheißegal.» Sie wusste, dass ich recht hatte. «Ich bin mir sicher, du bekommst das alles auf die Reihe, aber vergiss nicht, dass du nicht allein bist. Ich bin auch da. Ich kann auch für dich da sein und dir helfen. Ich mache zwar nicht den Anschein, die sensible beste Freundin zu sein, aber du bist mir verdammt wichtig, Noè und-» «Ich weiß, Taby. Ich schätze dich sehr. Aber sprich das, was du gerade sagen willst, nicht fertig aus.»
Sie stockte. «Es ist die Wahrheit, Noè. Das alles hat mit ihm angefangen. Er ist alles andere als gesund für dich und ich frage mich halt, wie lange ich als beste Freundin, die weiß, wie sehr du ihn liebst, zuschauen kann, bis ich-» «Bis du was? Dazwischen gehen musst?»
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. «Ich fühle mich hilflos. Ich weiß, dass du ihn brauchst und er dir Kraft gibt, doch er nimmt sie dir auch wieder.» «Ich bekomme das schon hin. Wir brauchen einfach Zeit. Wir sind auf einem guten Weg zur Besserung. Dario geht es schon viel besser und ich komme auch wieder einiges besser zurecht, wie noch vor einigen Wochen.»
Das stimmte wirklich. Es war okay. Wir heilten. Moms Tod tat immer noch weh und er würde es auch mein ganzes Leben lang tun, doch ich würde nicht aufgeben oder mich diesem Schmerz hingeben. Ich hatte mich dazu entschieden, diesen Schmerz in Gutes umzuwandeln. In Kraft, anderen zu helfen, die noch da waren und es auch bleiben mussten.
Ich war mir sicher, Mom würde sich das wünschen. Ich gab mein Bestes. Klar, gab es Momente, in denen ich brach und fiel, doch für mich war das nicht schlimm. Ich wusste, wie ich fallen und wieder aufstehen konnte. Das gehörte zum Leben. Und mein Ziel war, das den anderen beizubringen.
Nicht Dario. Nein, ihm musste ich das nicht mehr beibringen. Dieser Junge wusste besser als wir alle zusammen, wie man wieder aufstand und weiterging. Er lief noch immer. Er wusste es selbst vielleicht nicht, doch die Kraft, die er hatte, war unmessbar.
Was genauso unmessbar war, war seine Inkompetenz, was Uhrzeiten anging. Kurz nach Mitternacht, ich lag eigentlich schon im Bett, chillte er es vor meinem Fenster. Er war außer Atem, doch guter Laune, denke ich.
«Was machst du hier?» Ich trat etwas zur Seite, als er in mein Zimmer sprang und einmal komplett zusammenzuckte. Er trug nur einen dünnen Pullover. Klar, es war Ende Februar, aber noch lange nicht Frühling. Er hustete und ich wollte ihm aus Reflex, den Mund zu halten, weil Dad nichts von seiner Anwesenheit zu wissen hatte, doch den konnte ich nicht bringen. Am Schluss würde der Typ noch meinetwegen ersticken.
«Hey, Micina.» Er rieb sich seine Nase und legte sein Handy auf meinen Schreibtisch. «Wollte dich sehen.» «Facetime?» Er zuckte mit den Schultern. «Und halten.» Okay, hierfür gab es keine Apps. Oder? «Und das konnte nicht bis morgen warten?» Er schüttelte den Kopf und schlang seine Arme um meine Taille, um mich an sich heranzuheben.
Er entlockte mir ein Kichern, doch ich versuchte ihn sanft an den Schultern wegzuschieben. «Du musst damit aufhören. Weißt du überhaupt wie spät es ist?» Dario winkte ab, nachdem er mich wieder zurück auf den Boden gleiten ließ und sich die Nase rieb.
«Wie war's im Kino?» «Gut. Mit Tabea ist es immer nice. Sie tut mir sehr gut.» Darios Augen lagen auf mir. Sein Blick unklar. Woran dachte er? «Das ist schön.» Sein Nase lief. Er schniefte und rieb sie sich wieder.
Ich wollte nach der Lasagne fragen, als ich aufgrund Polizeisirenen zusammenzuckte. Mein ganzes Zimmer blinkte blau. Ich lief zum Fenster und sah draußen, wie zwei Wagen an unserem Haus vorbei jagten.
Krass, sowas gab es schon seit Wochen nicht mehr. Aber es wurde schließlich von Nacht zu Nacht wärmer. Irgendwie trauten sich die Verbrecher mehr, wenn es nicht so kalt war. Sie waren halt auch nur Menschen. «Weißt du, was die suchen?» Dario schüttelte den Kopf und lehnte neben mir am Fensterrahmen, bis ich mich an ihn lehnte und endlich einmal in mich eindringen ließ, dass er bei mir war und ich das eigentlich genauso wollte und nicht anders.
«Könnte was mit Quinn und seinen Leuten zu tun haben», meinte er nur und schlang einen Arm um meine Schultern. «Und nichts mit dir?» Ich musste einfach fragen. Dario wirkte verletzt. «Nein, Noè. Wie kommst du jetzt auf so einen Mist?» Ja, keine Ahnung. Man konnte es nie wissen.
Ich zuckte mit meinen Schultern. «Wofür sollen die mich bitteschön suchen? Fürs Rauskotzen der Lasagne meiner Schwester?» Okay, ich brauchte also gar nicht mehr nachfragen, wie das mit der Lasagne ausgegangen war. «Ging nicht gut, was?» Er schniefte und hustete etwas. Ein Kopfschütteln. «Ich konnte es unten behalten, bis Gio weg war...»
Er wirkte enttäuscht. «Dir ist klar, dass das nicht schlimm ist, oder?» «Ja, ja. Trotzdem. Ich bin mir sicher, die Lasagne war gut, doch ja...» Ich hockte mich zu ihm auf die Matratze und holte seinen Kopf auf meinen Schoß. «Sieh es so: Du hast sie gegessen. Mit Giorgia zusammen. Das allein nenne ich einen großen Erfolg. Das andere kommt alles mit seiner Zeit.»
Er nickte schweigend und rieb sich wieder die Nase. «Hast du dich erkältet?» Er schniefte und nickte vorsichtig. «Habe mich nach dem Duschen aus dem Haus geschlichen. Nicht meine beste Entscheidung.» Aber definitiv eine, die nur von Dario kommen konnte. «Soll ich dir einen Tee machen, oder so?»
Er winkte ab und schob seine Hand unter mein Shirt und umgriff meine Seite. Verdammte Scheiße, hatte er kalte Hände. «Non ero abbastanza forte. Non ho potuto resistere. Mi dispiace.» «Hmm? Was tut dir leid?» Er schüttelte den Kopf und schluckte verkrampft.
«Und? Haben du und Taby nun öfters vor, was zusammen zu machen?» «Joa, wir wollen sicher wieder mehr Zeit miteinander verbringen. So wie vor dem ganzen Chaos.» «Chaos?» «Du weißt schon...» Er rieb sich wieder die Nase und ich wollte ihm ein Nastuch reichen, doch er lehnte ab. «Find ich gut.» «Was?» «Ja, dass du Tabea hast. Tut sicher gut, jemanden zu haben, der dich nicht kaputtmacht.»
Ich konnte nur seufzen. «Du machst mich nicht kaputt, Lio.» Er verzog sein Gesicht und schüttelte den Kopf. «Meintest du nicht, dass wir immer ehrlich miteinander sein sollten? Sei ganz ehrlich, Micina. Dir geht es nicht gerade besser, seit ich in deinem Leben bin.»
«Du bist schon seit ich 4 bin in meinem Leben.» «Du weißt, was ich meine.» Man, Dario. «Ja, und ich muss dir widersprechen. Das stimmt nicht.» Er schmunzelte. «Wenn du meinst...» «Ja, meine ich.» Er seufzte und drehte sich auf den Rücken, um nach oben in meine Augen schauen zu können.
Ein Blick in seine Augen reichte mir, um zu verstehen, dass er gerade zu kämpfen hatte. War er deswegen hier? Ich streichelte seine Wange und lächelte sanft. «Ist es gerade etwas schwer?» «Was?» «Alles... Clean bleiben, das mit deiner Schwester heute und-» «Vielleicht.»
Es kam so rüber als würde er sich dafür schämen. «Ist doch gut, dass du zu mir gekommen bist. Hierfür bin ich doch da.» Er nickte und kuschelte sich enger in meinen Schoß. «Ich weiß, aber ich will nicht darüber reden.» «Okay. Das ist okay.»
He's suspicious...
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