26. Kapitel
Nach der Schule direkt nach Hause zu müssen, lag mir nicht.
Ich verbrachte gerne noch etwas Zeit draußen, doch dies ging ja auf unbegrenzte Zeit nicht.
Auch hatte mich meine Mutter darum gebeten, die nächsten Tage, meine Besuche bei Dario zu reduzieren, weshalb ich jetzt nutzlos zu Hause im Bett saß und auf meine Hausaufgaben hinabschaute.
Ich verstand nicht, was man von mir wollte. Seufzend und einsam, weil ich mich einsam fühlte (lol) langte ich nach meinem Handy und schrieb Tabea, die eh gerade on war.
Es dauerte nicht lange und sie musste mich mit einer Antwort enttäuschen, die ich kommen sehen hatte.
Sie raffte die dummen Aufgaben auch nicht. Hätte ja sein können, dass sie sie bereits gelöst hatte.
Ich wechselte auf Darios Chat und sah, dass er schon länger nicht mehr online gewesen war. Zuletzt letzte Nacht.
Er hatte auf mein Gute Nacht geantwortet. Zurückbekommen hatte ich einfaches Anche tu.
Persönlich gesehen hatte ich Dario schon seit 4 Tagen nicht mehr.
Meine Eltern legten sehr viel Wert darauf, wieder gewissen Abstand zwischen ihrer Tochter und dem System-Crasher zu bekommen. Sie wussten nicht, dass wir miteinander schrieben, was ich auch gut fand. Mehr als gut.
Was ich aber wusste, war, dass Dario und Kelly morgen offiziell mit den Therapiestunden starten würden. Hoffentlich würde sie ihm helfen oder zumindest nur ein wenig unter die Arme greifen können.
Ich wollte, dass es ihm so schnell wie möglich wieder besser ging. Was gut war, war, dass er seinem Idealgewicht immer näherkam.
Natürlich wussten wir alle, dass dies nur aufgrund der künstlichen Ernährung der Fall war.
Und ich verspürte gewisses Sausen vor dem Tag, an dem sie ihm die Nasensonde wieder entnehmen werden, weil er beginnen sollte, selbst zu essen.
Ich hatte Angst, er würde dann wieder mit Kilos um sich werfen und diese ruckartig wieder verlieren.
Er kam der 55 kg-Marke immer näher und laut Mom sollte er mindestens knapp die 70 kg ankratzen.
Mit seinen 1.77 m schien dies ein sicheres Gewicht zu sein. Aber wie sich sein normales Körpergewicht schlussendlich einpendeln würde, konnte man im Moment noch nicht deuten.
Klar war, dass Dario ein eher sportlicher Typ war. Man konnte es ihm ja auch jetzt noch etwas ansehen.
Klar, war er sehr schlank, doch seine Arme zeigten, auch unter den vielen Schichten, die er immer trug, klar und deutlich noch gewisse Muskelmasse.
Meine Tür knallte auf. Also, Mom wollte mich sicherlich nicht nur zum Abendessen holen, huh? «Bitte sag mir, er hat sich bei dir gemeldet.»
«Wer? Dario, nein. Warum?» Ich ahnte nichts Gutes. «Verdammter Mist. Schreib ihm. Hast du überhaupt seine Nummer?» Ich schüttelte meinen Kopf, um unser Schreiben weiterhin geheim zu halten.
«Okay, ich gebe sie dir. Schreib ihm. Vielleicht antwortet er ja dir.» Mom jagte wieder aus meinem Zimmer und ich begann Dario zu schreiben.
Wenn Mom so aufgebracht war, hieß das für mich nur wieder, dass er etwas angestellt hatte. Und wenn sie schon fragte, ob er sich bei mir gemeldet hatte, ließ mich daraus schließen, dass er nicht mehr im Krankenhaus war.
Er muss abgehauen sein, oder? Och man. Nicht schon wieder? Warum denn jetzt?
«Bitte sag mir, dass es dir gut geht.» Ich wusste, dass er sich wahrscheinlich nicht melden würde. Deshalb schrieb ich auch Taby und Gio.
Taby hatte den Italiener nirgends zu Gesicht bekommen, als sie ohne mich im Dorf war und Gio meinte auch, dass er sich nicht einmal bei ihr gemeldet hatte. «Du musst mir auch nicht sagen, wo du bist. Sag mir einfach, dass es dir gut geht.»
Mom kam wieder in mein Zimmer gestampft und warf mir ein Papierchen mit Darios Nummer hin.
Ihr eigenes Handy drohte in ihrer Hand zu explodieren. Wahrscheinlich hatte sie Tony und alle anderen bereits darum gebeten, Dario zu suchen.
Ich tat so, als würde ich Darios Nummer speichern und ihm dann schreiben. «Er ist abgehauen, oder?» Ich tätschelte auf meine Matratze und deutete Mom, sich hinzusetzen.
Sie drohte zu hyperventilieren. «Ja, er hat nur darauf gewartet, dass Rosie ihm ein paar Klamotten bringt und dann hat er sich laut Arzt die Nasensonde rausgezogen und sich dann rausgeschlichen.»
Fuck, ich hatte es im Gefühl gehabt, dass Darios Frage wegen der Nasensonde zu random war, aber er hatte wahrscheinlich schon dann darüber nachgedacht, die Fliege zu machen.
Dies erklärte auch der kurze Blick in meine Richtung. Man, scheiße. «Er macht mich fertig.» Mom zog ihre Beine an ihre Brust und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen.
Ich hörte sie schluchzen. Sie brauchte vor mir nicht zu verstecken, wie wichtig ihr Dario war und wie sehr sie ihn liebte. Verdammt, ich tat doch dasselbe.
«Er ist so unberechenbar. Ich dachte, jetzt würde es besser werden. Er nimmt die Medikamente, hat zugenommen und verdammt, ich habe sogar das ein oder andere Mal ein echtes Lachen von ihm zu Gesicht bekommen, aber nein. Er hatte wieder einen Sinneswandel und macht sich aus dem Staub.»
Ich schluckte. Ich verstand es auch nicht. Ich hatte tatsächlich auch das Gefühl gehabt, er würde gesünder werden. Hoffnung, ihm endlich helfen zu können, hatte sich in meinem Inneren aufgebaut, doch war nun wieder vollkommen in sich zusammengefallen.
«Mom, Dario hat mir mal etwas gesagt...» Ich konnte ihr nicht entgegenschauen, als sie ihren Blick anhob und an mich wandte. «Er versteht nicht, warum wir uns alle so um ihn sorgen. Er sieht den Sinn dahinter nicht. Er meinte auch, dass er sich nicht ändern will. Er macht das alles nur für uns. Für dich, Dad, Giorgia und Rosie.»
Ich fühlte mich nicht wohl. Das waren Dinge, die Dario mir im Vertrauen weitergegeben hatte.
Aber ich denke, Mom musste das wissen. Sie würde ansonsten noch daran kaputtgehen. Sie machte nichts falsch. Sie gab sich so viel Mühe, doch Dario war nicht dazu bereit, dies zu schätzen und die Hilfe, die man ihm anbot, anzunehmen.
«Das alles ist nicht unsere Schuld. Er ist noch nicht dazu bereit. Er ist noch nicht an dem Punkt angekommen, wo es nur noch bergauf gehen kann und er nicht mehr tiefer fallen kann.»
Mom nickte, doch Tränen verließen ihre Augenwinkel. «Vielleicht muss er zuerst sein Tief erreichen, bis er es einsieht.»
Dieses Mal schüttelte sie ihren Kopf und rieb sich ihre Augen. «Noè, sein Tief wird sein Tod sein. Das weißt du tief in deinem Inneren auch. Und wir sind an dem Moment angekommen, wo, wenn wir jetzt nichts machen, Dario zugrunde gehen und sterben wird. Er ist auf und dran sich zu töten. Und stören scheint ihn das nicht, Schätzchen.»
Ich holte Luft, um Mom zu fragen, ob sie wirklich dachte, dass Dario sterben könnte, doch unten ertönten laute Stimme.
Dad schrie mit jemandem. «Beruhig dich! Dario!» Mein Puls jagte so schnell in die Höhe, mir wurde schlecht. «Wo ist meine Mutter?!»
Mom und ich sahen einander an und anhand Moms Blick bereute sie es jetzt, Dario nichts vom Klinikaufenthalt seiner Mutter gesagt zu haben.
Sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, dass er verschwinden und zu seiner Mutter gehen würde. «Bleib hier oben, Noè», befahl sie mir, als sie nach unten rannte, doch ich konnte ihr nicht gehorchen. Auf keinen verflixten Fall.
«Dario, atme! Deine Mutter ist in einer Klinik. Ihr geht es gut.» Ich sprang die Treppen runter und landete genau mittendrin. Super gemacht, Noè.
Wirklich, denn ich hätte Dario vielleicht nicht so sehen sollen. Er war dicht.
Das Grün in seinen Augen war hinter seinen riesigen Pupillen verschwunden und die rot unterlaufenen Augen, der Geruch und auch das Schwanken deutete darauf hin, dass er alles andere als nüchtern war.
Ich musste ein lautes Einatmen zurückhalten, so anders sah er aus. War dies, was er normalerweise mit sich machte, wenn er abhaute?
Dröhnte er sich so krass zu, bis er nicht mehr er selbst war?
Dad wollte auf Dario zu, doch mein Herz war schneller als er und mein Menschenverstand.
Ich brauchte keine Angst vor ihm zu haben, oder? «Wusstest du davon?» Er sah auf mich herab und ließ sich, auch wenn nur ganz schwach, von mir beruhigen.
Langsam nickte ich. «Und warum sagt ihr mir das denn nicht?» Ich wollte nach seinen bebenden Händen langen, doch Dario schritt zurück.
Er hatte Panik und konnte kaum noch atmen. Seine nächsten Worte bekam er kaum ausgesprochen.
Seine Augen waren überall, nur nicht bei mir, Mom oder Dad. «Ich dachte, sie ist irgendwo an einer verfickten Überdosis verreckt!»
«Wie kommst du darauf?», fragte ich leise nach, um ihn hoffentlich etwas mit meinem ruhigen Auftreten anstecken zu können. «Ihre Mitbewohner meinten, dass sie von Leuten weggetragen wurde.»
Okay, da konnte ich Dario schon verstehen. Und, dass sie weggetragen wurde, hatte ich ja auch nicht gewusst. «Sie musste zwangsmäßig eingewiesen werden, Dario. Sie wird in frühestens einem Monat wieder nach Hause kommen. Ihr geht es gut. Das kann ich dir versichern», erklärte Mom.
Er schüttelte aber nur seinen Kopf und schloss seine Augen. Ganz fest. Er sah so aus, als würde ihn eine Welle Schmerz überwältigen, weshalb ich meine Arme anhob, doch diese schnell wieder fallen ließ.
Ich wollte meinen Eltern nich- Ach verdammte Scheiße, spielte das denn überhaupt eine Rolle? Dario musste eine Riesenangst haben.
Allein der Gedanke daran, dass meine Mom, von einem Tag auf den anderen, ohne, dass man mir etwas davon sagen würde, sterben könnte, ließ mich zusammenzuckend und Tränen herunter schluckend zurück.
Es war scheißegal, was Mom und Dad nun dachten, ich würde mich nicht von ihren Blicken und Gedanken aufhalten lassen.
«Hey, es geht ihr gut. Sie ist am Leben und sicher.» Das hoffte ich zumindest, doch er brauchte diese Worte zu hören.
Ich näherte mich ihm vorsichtig, denn ich wusste nicht, ob er mich überhaupt richtig wahrnahm.
Irgendwie war er überall, aber auch nirgendwo. Meine Brust fühlte sich schwer an. Selbst mir fiel das Atmen schwer, da mich Darios Drang und Panik anzustecken versuchte.
Aber ich sollte und vor allem wollte mich nicht vor meinem Respekt, hier nicht das Richtige zu machen, aufhalten lassen.
Er brauchte jetzt jemanden und Mom und Dad sahen dies nur schwer. Alles, was sie erkannten, war, dass Dario Panik schob, dicht und unberechenbar war.
Ich hingegen, ich erkannte den Schmerz und ich wollte ihn jetzt nicht allein damit klarkommen lassen.
Er konnte es nämlich nicht. Warum sonst befand er sich in solch einem Zustand?
Ich langte vorsichtig nach seinen Händen und legte seine zitternden Arme um meinen Körper.
Ich schmiegte mich an seine Brust, dessen Inhalt drohte in die Luft zu gehen. Sein Herzschlag glich einem Maschinengewehr.
Mir blieb meine Luft weg, als Dario mich eng an sich herandrückte und ich seine Arme um meinen unteren Rücken schlingen spürte.
Er griff sich am Saum meines Oberteils fest. Und sein Kopf neigte sich an meinen.
Ich konnte sein schnelles Atmen an meinem linken Ohr spüren. Seine Wange war eiskalt, doch ich spürte, wie er schwitzte und zeitgleich glühte.
Ich nahm wahr, wie sehr sein Körper wehtat.
Dad wollte das Krankenhaus direkt informieren, doch Mom meinte, Dario habe für den Moment genug Stress gehabt, weshalb sie sich darauf geeinigt hatten, die anderen erst morgen früh zu informieren.
Für mich bedeutete das eine schlaflose Nacht. Ich würde kein Auge zukriegen, wenn Dario unten im Wohnzimmer schlafen würde.
Nicht nur, weil es mich auf eine gewisse Weise sehr nervös machte, sondern auch, weil ich Angst hatte, dass er wieder verschwinden könnte.
Er war schließlich nicht dumm. Er wusste, dass Mom und Dad die anderen informieren würden.
Ich schlich mich also inmitten der Nacht nach unten ins Wohnzimmer, wo Darios Handy entsperrt auf dem Kaffeetisch lag und das Licht im Gästebadezimmer brannte.
Sekunden später hörte ich, wie er die Toilette spülte und als ich im Türrahmen angekommen war, putzte er sich die Zähne mit einer Zahnbürste, die Mom ihm zurechtgelegt hatte. Er hatte sich übergeben.
«Was hast du alles genommen?» Er zuckte mit seinen Schultern und spülte seinen Mund mit Mundwasser aus. «Das, was ich gefunden habe. Hatte Panik», murmelte er dann immer noch leicht schwankend.
Ich tapste auf ihn zu und sah ihn mir genauer an. Ein Kopfschütteln konnte ich nicht vermeiden. «Das ist saugefährlich. Du hättest dich umbringen können.»
Daraufhin winkte er mit halb geschlossenen Augen ab und trat enger an mich heran. «Bin ja noch hier.»
Langsam schlang er seine Arme um meinen Körper und versteckte sein Gesicht unter meinem Ohr, an meinem Hals.
Ich bekam Schnappatmungen, als seine kühlen Lippen meine Haut so sanft, wie ein Schmetterling, der auf meiner Haut landete, berührten.
Es brannte. Die Kälte brannte und entfachte in mir ein Feuer, welches im Moment nicht erwünscht war. «Was machst du? Dario?»
Ich schnappte erneut nach Luft und bohrte meine Finger verkrampft in seine Oberarme.
«Wonach sieht es denn aus?», hauchte er gegen meinen Hals und küsste diesen langsam und mein erster Reflex war, meine Augen zu schließen und ich konnte mein Keuchen nur mit einem Biss in meine Unterlippe unterdrücken.
«Du bist nicht du selbst», keuchte ich dann doch auf, denn es machte mich fertig, von Dario diese Nähe zu spüren zu bekommen. Ich wollte es schon immer, aber nicht so.
«Du bist high und betrunken.» Er löste sich von meiner nun dort pulsierenden Haut und unsere Nasen streiften einander, als Darios Mund nur Millimeter über meinem schwebte.
«Und?», fragte er leise, mit betörender Stimme, die mir meine letzte Kraft aus den Knien raubte. Ich drohte zusammenzusacken.
Das Gefühl, ihm so nahe zu sein, seine Lippen nur knapp vor meinen, unsere heißen, schweren Atemzüge, die sich mischten, machten mir beinahe Angst, so sehr nahmen sie mich in einen Bann, dem ich wahrscheinlich nie mehr entkommen können würde und wollte.
«Für dich hätte das eine ganz andere Bedeutung als für mich.» Er grinste verspielt auf und neigte sich so nahe an mich heran, dass ich ihn für ganz kurz auf meinen zitternden Mund spüren konnte.
«Woher willst du das wissen?», glitt es hauchend von seinen warmen, weichen und wunderschönen Lippen, die nach meinen schrien.
Ich mochte diesen Dario nicht. Also nicht so sehr, wie den anderen, den ich sonst immer zu Gesicht bekam.
Vor mir hatte ich einen Dario, der mich verängstigte. Nicht nur auf die eine Art. Auch, weil mir erst durch ihn klargeworden war, wie sehr ich ihm verfallen war.
Er drehte mich ans Waschbecken und ich spürte es an meinem unteren Rücken, direkt zwischen Darios Armen, die mich davor abhielten auf dem Boden zu zergehen, als wäre ich heißer Kerzenwachs.
«Ich dachte, du bist schlau. Du durchschaust mich doch sonst immer so gut. Du weißt ganz genau, dass du mir auch etwas bedeutest, Micina»
Es wurde mir zu viel, ich konnte ihm nicht so nahe sein, ohne mich ihm hingeben zu wollen, weshalb ich meinen Blick sinken ließ und ihm auf die Brust schaute.
«Es geht mir nicht darum. Du wolltest mich letztens nicht küssen. Und jetzt bist du dicht und bringst sowas. Ich möchte nicht etwas starten, was du morgen wieder vergessen hast. Du denkst gerade überhaupt nicht nach.»
Ich schob ihn sachte an seinen Schultern von mir weg und war überrascht darüber, wie einfach es war.
Dario hatte nie daran gedacht, mir die Möglichkeit, ihn wegzuschieben zu können, nicht zu geben.
«Wenn du mich küssen willst, tu es, wenn du du selbst bist.» Er nickte langsam und sah mich aus Augen an, die ich noch nie von ihm zu sehen bekommen hatte. Liebevoll. Anbetend... Verlangend.
Joa...
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