20. Kapitel
Noès Wunsch, auf eine Party zu gehen, war ich entgegengekommen. Aber auch nur, um ihr zu zeigen, wie sie enden könnte, wenn sie diesen Mist öfters machen würde. Nein, hier auf der Party gab es niemanden, den ich als Beispiel benutzen konnte. Niemanden, außer mich selbst.
Und ich wusste, dass ich ihr so nicht nur eine Lektion erteilen, sondern auch eine Riesenangst machen würde. Und ich war mir im Klaren, dass es unschön sein würde. Reagierte ich über? Ja. Nutzte ich das Ganze aus? Sowieso...
Noè hatte es am Anfang noch interessant gefunden. Schließlich tranken wir ein bisschen zusammen. Nur ein bisschen. Wir redeten und blieben beieinander. Doch mit etwas Intus vergaß ich langsam, dass meine Freundin eigentlich jemand war, der mich so niemals sehen konnte und durfte.
«Ey, hier.» Mir wurde ein kleiner Beutel in die Hand gedrückt und aus der anderen wurde das Geld, das mich diese Dinger kosteten, genommen. Noès Becher entfernte sich wieder von ihren Lippen und sie sah mich etwas verängstigt an. «Dario, nein.» «Sei kein Spielverderber, Micina. Du wolltest auf'ne Party gehen. Jetzt sind wir auf einer.»
Die Hütte war voll. Die Musik war laut, doch das war hier immer so. Kenith wusste, wie man solche Partys schmiss, ohne von den Cops gecrasht zu werden. Deshalb hatte ich uns auch diese ausgesucht.
Noè und ich chillten es im zweiten Stock im Flur. Hier hatte es eine kleine Ecke mit Kaffeetischen und Sofa. Ich legte zwei Adderall auf den Tisch und zückte meinen Ausweis aus meinem Portemonnaie. «Was machst du?» Während ich meine Karte auf die Tabletten legte, antwortete ich, «Loslassen. So wie du.» Ich hämmerte mit der Kante von meinem Handy etwas auf meinem Ausweis rum und spürte, wie die Tabletten darunter nachgaben und zu Pulver wurden. «Dario, nein. Lass das. Lass nach Hause gehen.»
Ich zog das Zeug und rieb mir meine Nase. Den Kopf etwas schüttelnd, weil es ein wenig brannte, langte ich wieder nach meinem Becher und drehte mich zu Noè, die neben mir saß und mich verdattert anschaute. «Geh du ruhig.»
Ich war vollkommen darauf vorbereitet gewesen, dass sie sich vom Acker machen würde, doch sie schüttelte dann den Kopf und rückte näher an mich heran. Sie wollte mir meinen Becher wegnehmen. Ich exte ihn und stand auf.
Spürte ich mich noch? Ja, sicher. Ich wusste einigermaßen noch, was ich hiermit bewirken wollte. Und es funktionierte. Noè war wieder so gut wie nüchtern. Sie war unsicher. Aber ja, nicht mein Problem. Plus, ich hatte mir heute Abend eine Grenze gesetzt. Ob ich sie erreichen oder übertreffen würde, wusste ich noch nicht. Mal sehen.
Dieses Gefühl machte halt schon verdammt süchtig. Diese innere Leere begann sich mit jedem Zug oder Schluck zu füllen. Mir wurde wärmer und alles schien angenehmer. Kurz und simpel: Die Schmerzen hörten auf.
«Dario?» Ich zeigte fraglich auf ihren Becher und nahm ihn dann schulterzuckend entgegen, um ihn für sie auszutrinken. «Hmm?» «Lass von hier verschwinden.» «Warum? Wir sind noch nicht mal 45 Minuten hier.» Ich wollte nach der Flasche greifen, die auf dem Tisch stand, doch Noè sprang auf und drängte mich mit aller Mühe und Not an die Wand. Ich musste auflachen. «Was machst du?»
Sie sah verkrampft zu mir auf und verzog das Gesicht. «Ich denke, du hattest genug.» Ich musste schmunzeln und umgriff ihre Wangen, um sie nahe an mich heranholen zu können. «Mach dir keine Sorgen, Micina. Ich bin nur ein bisschen angetrunken. Betrunken bist nur du.» «Ja, ich weiß, aber ich habe es verstanden. Ich habe kapiert, was du hiermit erreichen willst. Jetzt ist genug.»
Keine Ahnung, wieso, aber sie zauberte mir ein Lächeln auf den Mund. «Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du willst.» Ihre Schultern fielen in sich zusammen. Sie atmete auf und nickte dankbar. «Ja, bitte. Mein Dad kann dir sicher, wieder was zum Anziehen ausleihen.»
Was? Nein, ich würde nicht bei ihr schlafen. «Ich penn nicht bei dir.» Sie erstarrte und ließ mich endlich von dieser Wand weg. «Ich bring dich nach Hause und fertig.» «Wo gehst du denn nachher hin? Nach Hause?» Ich zuckte mit den Schultern und startete meinen zweiten Versuch, nach der Flasche zu greifen, doch Noès Reflexe waren mittlerweile wieder etwas schneller geworden. Sie riss sie mir vor der Nase weg und hielt sie hinter sich versteckt.
«Mal schauen, wo's mich hintreibt.» «Man, Dario. Lass es! Und was meinst du, wo es dich hintreibt? Du gehst nach Hause!» Ich seufzte genervt auf und nickte verständnisvoll. «Okay, ich gehe auch nach Hause. Nach Hause zu den Leuten, die mich lieben und mir helfen wollen», kam es mir sarkastisch von den Lippen und ich zwang mich an Noè vorbei, um nach den Pillen zu langen. Ich warf mir zwei ein und spülte mit einem fremden Becher nach, der einfach hier stand. Tequila.
Ich wusste, dass Noè mir folgte, als ich die Treppen runter ins Erdgeschoss nahm und raus in den Garten ging, um mir dort eine Zigarette anzuzünden. «Du solltest dich dafür schämen», schimpfte sie nur und setzte sich neben mich auf die kleine Sitzbank. «Mir eine Lektion zu erteilen, kann ich ja noch verstehen, aber das alles so auszunutzen, um dich zuzudröhnen, ist unter aller Würde.»
«Du meintest doch, dass ich es nur zwei oder drei Tage schaffen kann, nüchtern zu bleiben. Hier, ich habe deine Theorie getestet und bestätigt. Herzlichen Glückwunsch.» Noè nahm mir meine Zigarette weg und warf sie einfach in den Garten raus. Ich konnte zusehen, wie sie auf dem feuchten Boden ausging. «Herzlichen Glückwunsch, Dario. Ich verpiss mich jetzt. Das ist doch, was du wolltest, oder?!» Endlich...
Ich gab ihr keine Antwort mehr und sah ihr unauffällig hinterher, als sie ging. Rotes Licht für meine Gefühle, aber grünes Licht für den Alkohol oder was weiß ich, ich noch hier finden würde. Drinnen suchte ich die Treppe zum Keller auf und ging diese runter. Ich wusste, dass hier unten der sogenannte Verteiler chillte. Weed, Xanax, Adderall, LSD oder Coke. Alles hier unten. Wahrscheinlich sogar noch viel mehr.
Und ich tat das, was ich immer tat. Ich schnorrte mir von bereits halb zugedröhnten Leuten was und machte mich wieder vom Acker. Ich war mir bewusst darüber, dass ich Mist baute und mir so einiges gerade selbst versaute. Vor allem mit Noè.
Ich fühlte mich komisch. Nicht gut. Traurig? Konnte man es traurig nennen? Ich verzog mich ins leere Badezimmer und schloss dir Tür hinter mir. Dass sie mich einfach hier allein zurückließ, tat weh. Ich war ihr also doch nicht so wichtig, wie ich es mir erhofft hatte. Aber was hatte ich auch anderes erwartet?
«Ey! Mach schnell da drinnen!» Jemand hämmerte an die Tür. Ich machte schnell, schnupfte was vom LSD und schluckte eine Xanax-Bar und gab dem Typen und seinem Weib dann das Bad zum Bumsen frei.
Es dauerte ein wenig, doch nach einer kurzen Zeit begannen die Lichter im Wohnzimmer farbig zu leuchten und die Musik wurde irgendwie leiser. Ich konnte wieder um einiges besser atmen. Mein Herz schlug schnell. Ich konnte es hören und- Ja, ich ließ los. Das war, was ich schon den ganzen Tag gebraucht hatte. Diese Leere war endlich weg und ich konnte wieder etwas spüren. Meine Gliedmaßen taten nicht mehr weh, ich konnte wieder durchatmen und entspannen. Es ging mir gut.
«Hi, Rio.» Wer störte? Ah, dieses Gesicht kannte ich. «Hi.» Gesicht, ja. Namen, nein. «Habe dich schon lange nicht mehr auf Keniths Partys gesehen.» «Liegt wahrscheinlich daran, weil du immer deine Brille vergisst», gluckste ich auf und lehnte mich im Türrahmen an, um auf sie herabschauen zu können. Das Mädchen mit der Brille... Lea? Lisa? Eins von beidem stimmte schon.
Sie kicherte und nippte an ihrem Becher. «Brillen auf Partys sind heikel. Plus, manchmal ist man froh darüber, nicht alles sehen zu müssen. Bist du heute allein hier oder ist Giorgia auch da? Oder bist du mit Vicky hier?» Ich zuckte mit den Schultern und wollte sagen, dass ich allein hier war, als Noè plötzlich wieder auftauchte und mich böse anschaute. «Ein Moment, Le- Lisa.»
Ich wandte mich etwas von ihr ab und schaute Noè verdattert an. «Was verschwindest du einfach?! Ich war auf einmal allein da draußen!» «Du hast gesagt, du verpisst dich.» War sie wirklich hier oder spielte mir die Line LSD einen Streich?
«Ja, aber doch nicht von der Party. Vor allem nicht ohne dich! Ich wollte kurz eine Pause, weil wir zu streiten angefangen haben, und dann warst du auf einmal weg! Hast du mal in den Spiegel geschaut? Deine Pupillen sind riesig. Was hast du alles genommen?!»
Sie verschränkte ihre Arme auf der Brust und schielte dann kurz rüber zu dieser Lisa. «Und ich bin nur kurz weg, aber du flirtest dann mit einer anderen rum? Dein Ernst?» Ich musste sie stoppen. Ich hob meine Hände an und versuchte erstmals zu verstehen, was hier gerade abging und warum ich nun das Arschloch war.
«Erstens, ich flirte mit niemandem. Ich habe mich mit ihr über ihre verdammte Lesebrille unterhalten. Zweitens, du hast mir das Gefühl gegeben, dass du gehst. Was erwartest du da von mir? Dass ich dir wie ein Vollidiot hinterherrenne?» Noè schüttelte den Kopf und rieb sich dann das Gesicht. «Sorry, aber das alles macht mir fett Angst. Du bist so- Ich bin auch nicht mehr ganz nüchtern und dann plötzlich war ich allein. Dann finde ich dich wieder und du bist vollkommen zu.»
Lisa zwängte sich an uns vorbei und sagte tschüss. «Ich habe Angst. Angst um dich, Angst um mich. Einfach Angst vor allem. Ich will nach Hause.» «Tja, nach Hause kann ich so nicht mehr, Noè.» «Doch, sicher.» «No! Ich habe striktes Alkohol- und Drogenverbot. Ich kann mich so nicht blicken lassen, okay?! Ich bring dich nach Hause und fertig.»
«Ich lass dich jetzt doch nicht mehr allein!» Sollte sie aber. Der Scheiß von eben begann gerade richtig reinzuhauen. Scheiße, ich glaube, die Adderall-Tabletten hätte ich weglassen können oder zumindest nur schlucken und nicht ziehen sollen. Ich musste meine Augen vor den ganzen Lichtern schützen und mich fix auf Noè konzentrieren, sonst würde ich Panik bekommen. «Hörst du mir überhaupt zu?» Sie redete mit mir? «Dario? Hey!» «Hmm? Ja, bin da.»
Ich spürte ihre Hand an meiner Wange. «Man, wieso machst du auch so einen Mist?! Komm.» Okay, jetzt zog sie mich hinter sich her. Die Musik gedämpft und irgendwie ganz weit weg entfernt. Es ging die Treppen hoch. Vor mir ein blaues Kleid. Ein Kichern. Meine Knie wurden weich, mein Herz sank und ich blieb abrupt stehen. Sie drehte sich zu mir um und lächelte verspielt. «No...»
«Warum bleibst du stehen? Komm mit?» Mein Hals ging zu und ich wich zurück, als sie auf mich zukam. «No, nein. Stopp, bitte.» Ich entriss mich aus ihrer Hand und hielt mir mein Gesicht. «Stopp. Stopp. Stopp, bitte.» «Dario?» Mein ganzer Körper zitterte und ich rutschte verloren zu Boden. Sie durfte nicht mehr näherkommen. «Bitte, fass mich nicht an. Hör auf.» Harmony stand vor mir und sah mich einfach an. Harmony...
Sie kniete sich vor mich und langte nach meiner Wange. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und weinte auf, «Stopp...» «Dario? Hey? Ich bin es. Alles ist gut.» Mein Körper begann zu brennen. Sie hörte nicht auf. «No.»
«Ist alles okay bei ihm? Soll ich einen Krankenwagen rufen?» «Nein, nein. Ich glaube, es geht schon.» Ich fühlte mich eklig und ausgelaugt. «Dario? Hörst du mich? Du bist nicht dort, wo du denkst, zu sein. Ich bin's Noè.» «Stopp. Stopp, bitte. Stopp...» «Dario, du hast einen Flashback. Das, was du durchmachst, ist nicht echt. Nicht jetzt, zumindest. Du bist hier mit mir auf einer Party. Wir sind im ersten Stock im Flur.»
Ich bekam keine Luft. «Neben uns steht ein Bücherregal und über dir befindet sich ein Fenster mit beigen Vorhängen.» Luft. «Atme. Langsam ein- und wieder ausatmen.» Stopp. Es soll aufhören. Bitte. «Ein- und ausatmen, okay? Eins... Zwei... Drei... Vier... Fünf... Und wieder ausatmen. Eins... Zwei... Drei... Vier... Fünf.» Es ging aber nicht. «Du bist sicher. Sie ist nicht da. Niemand will dir etwas antun.»
Ich nahm Noès Stimme wieder wahr. Ich wusste, dass sie mit mir redete und mir versuchte, zu helfen. Ich hatte kapiert, dass es nicht echt war, doch mein ganzer Körper hatte auf Panikmodus umgeschaltet. Ich hatte das Gefühl, vor allem und jedem wegrennen zu müssen. «Noè...»
«Ja? Ich bin da.» Ihr blaues Kleid löste sich auf und wurde zum Hoodie, den sie trug. Ihre Haare waren wieder braun und nicht mehr schwarz. «Es tut mir leid.» «Was?! Nein! Auf keinen Fall. Du trägst da doch keine Schuld!» «Ich rede vom ganzen Abend.» «Das ist jetzt erstmals unwichtig. Magst du wieder aufstehen und an einen ruhigen Ort gehen?» Ich nickte langsam und rieb mir meine Augen. Alles war verschwommen.
Und es rang in meinen Ohren, als Noè mich in ein Zimmer führte und auf dem Bett absetzte. Genauso, wie Harmony es getan hatte. Doch Noè blieb weg von mir. Sie setzte sich auf die kleine Kommode und sah mich einfach an. Sie hatte Tränen in den Augen. So viel zu einem normalen Abend zu zweit...
«Ich war so wütend, dass ich nicht realisiert habe, was ich mache. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht triggern.» Ich winkte ab und ließ mich nach hinten ins Bett fallen. Wenigstens bekam ich wieder etwas Luft, aber mein Herz raste. Ob es noch von eben war oder am LSD lag, wusste ich nicht.
«Ey, wir hätten vielleicht doch einfach Turbo - Kleine Schnecke, großer Traum schauen gehen sollen», merkte ich an und ich hörte Noè leise kichern.
I mean... gut für Noè, dass Dario ihr so eine Angst gemacht hat. Sie hat sicher daraus gelernt...
Und... Harmony. Wer ist denn das?
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