2. Kapitel
«Ey, scheiße man! Sie liest die verfickten Nachrichten nicht! Sie geht auch nicht ran!» Quinn klang verstört. Seine Stimme hatte die Tiefe, die sie sonst mit sich trug,
verloren. Er klang ehrlich verängstigt. «Ja, dann ruf einen verdammten Krankenwagen!» «Kann ich nicht!» «Dann seine Schwester! Man, Quinn!»
Um ehrlich zu sein, raffte ich nicht, was die für einen Stress machten, denn mir ging es gut. Ich hatte meine Ruhe. Niemand, der mir was zuredete oder versuchte, mir wehzutun. Es ging mir den Umständen entsprechend verdammt gut. Richtig gut, wenn man mich direkt fragen würde. «Dario? Hey, Dario?» Jemand packte mein Kinn und zwang mich dazu, ihn anzuschauen. Ich sah ihn. Seine Augen waren rot und die Haare pink. Seit wann gab es bitteschön rote Augen? «Hmm?», fragte ich leise nach und ließ mich auf die Beine ziehen. Ich dachte, er wollte, dass ich stehen würde, aber er drückte mich dann gleich runter aufs Sofa.
«Hier, trink das.» Das war Quinns Stimme. Die kannte ich. Er hielt mir ein Glas vor die Nase. Darin schwammen kleine Fische. Und das Wasser verfärbte sich langsam rot. «Was ist das?», fragte ich also nach und Quinn gab mein Handy an einen anderen Typen weiter. «Wodka.» Da konnte ich nicht nein sagen. Rot war eigentlich eine ganz schöne Farbe.
Ich exte das Glas und verzog mein Gesicht. «Schmeckt wie Wasser.» «War es auch, du Vollidiot. Hier, nochmal!» Er leerte mir wieder ein Glas den Rachen runter und das nächste schüttete er mir ins Gesicht. Ich riss meine Augen auf und wollte dieses verdammte Arschloch am Hals packen, doch er kam mir zuvor. «Sitzen bleiben! Verdammter Mist, Alter!»
«Seine Schwester ist auf dem Weg. Sie hat geantwortet.» Huh? Meine Schwester? Giorgia? Warum? «Wieso?», fragte ich nach. «Weil du dicht bist, und was weiß ich genommen hast. Was soll der verdammte Scheiß eigentlich? Ich dachte, du ziehst das mit dem Nüchtern-Sein durch!» Mit den Schultern zuckend rieb ich mir meine Augen und hievte mich aus den Kissen hoch auf die Beine.
Stehen ging. Ich konnte stehen, auch wenn der Boden komisch schwankte. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich klar, oder halbwegs klar sehen konnte, doch als ich mich besser im Griff hatte, riss ich dem rotäugigen Spasti mein Handy aus der Hand.
Ich würde mich jetzt aus dem Staub machen. «Ich zieh's» «Einen Scheißdreck machst du. Deine Schwester ist auf dem Weg. Du kannst doch so nicht draußen rumlaufen, es ist noch nicht mal 21 Uhr. Bist du verrückt?» «Wäre nicht das erste Mal. Was juckt dich das überhaupt? War eh dein Zeug, dass ich geschluckt habe. Sei doch froh, dass du jemanden hast, der dir den Scheiß noch abkauft. Und jetzt las mich los!» Ich entriss mich Quinns Griff und verließ, so schnell wie ich es konnte, seinen Keller, um oben am Straßenrand stehenzubleiben.
Mir fiel der Kopf in den Nacken. Heute gab es verdammt viele Sterne im Himmel. Jetzt schon? Wie spät war es? Unter den ganzen Sternen hab es auch rote und grüne. Ich konnte sogar Wolken erkennen, doch als ich Fiona, Noès Mom, auf mich herabschauen sah, zuckte ich zusammen und hielt mir schwankend den Kopf.
Als ich wieder nach oben schaute, war sie noch immer dort. Sie sah mir direkt in meine Augen. Ich durfte nicht mehr nach oben schauen. Sie beobachtete mich. Und sie war enttäuscht. Enttäuscht von mir und meinem jetzigen Handeln. Ich konnte ihr so nicht entgegenblicken.
Doch der Straßenrand spaltete sich unter mir auf einmal in zwei. Ich fiel beinahe in die tiefe Bucht. Dort unten lagen Mom und Giorgia und kicherten zusammen um die Wette. Sie waren glücklich. Glücklicher ohne mich. Ich spürte jemanden in meinen Nacken atmen und hörte dann ihre Stimme. Noès Stimme. «Es ist deine Schuld. Deinetwegen habe ich meine Mutter verloren.» Ich stolperte gegen einen Baum und hielt mich an ihm fest, währendem ich meinen Kopf schüttelte und versuchte, ihr nicht zuzuhören. «Alles hat sich immer nur um dich gedreht. Und jetzt? Jetzt ist meine Mutter tot. Nur, weil sich alles um dich drehen musste.»
«Nein», wimmerte ich. «Das stimmt nicht.» Ich wagte es wieder nach vorn zu schauen. Ich musste hier weg. Ich lief los und ließ mich von nichts mehr aufhalten. Doch neben mir war auf einmal ein Fluss, der sich rot verfärbte. Fische sprangen aus dem Wasser. Sie hatten den Körper einer Tablette. Auf der anderen Seite des Flusses hockte Noè zusammen mit Fiona am Ufer. Sie redeten und lachten. Sie waren glücklich. Ohne mich.
Doch sie sahen mich leider und ihr Lachen verstummte und fiel von ihren Mündern. Genauso, wie die Freude in ihren Gesichtern. Fiona winkte mir zu. Sie deutete mir, zu ihnen zu kommen. Ich wollte, doch konnte ich diesen Fluss überqueren? War ich überhaupt erwünscht? Ich brachte doch nur Probleme und Schmerz mit mir mit.
Ein Xanax-Fisch sprang mir vor die Füße. Ich wollte nach ihm greifen, doch noch bevor ich nach ihm langen konnte, wickelte sich ein Strick um seinen Kopf. Dieser zog sich fest zusammen und ich erkannte im Augenwinkel, wie etwas in der Luft baumelte. Gleich neben Noè, die zu schreien begann.
Ich blickte auf und sah, wie Fiona in der Luft hing. Ihr Kopf blau. Ihr Blick leblos. Und Noè gleich neben ihr. Sie schrie und brach zusammen. Ich wollte in den Fluss springen, um zu ihr schwimmen zu können, doch jemand packte mich an meinen Schultern. «Dario!» Zusammen mit jemand anderem fiel ich nach hinten und vor mir jagte ein Zug durch. Seine Lichter flackerten in allen Farben.
«Porca puttana, Dario! Cosa stai facendo qui?!» Ich schluckte und sah vor mich. Ich war nur knapp einen Meter vom Gleis entfernt. «Wie bist du hier gelandet? Willst du mich verarschen?! Was soll der Scheiß?!» Ich hatte keine Ahnung. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wie ich hier gelandet war. Erst jetzt wurde mir klar, dass Noès Schreien die Hupe des Zugs gewesen war.
Ich schaute um mich, zusammen gekauert in den Armen, die mich zurückgezogen hatten. «Hallo? Dario? Rede mit mir.» Doch ich konnte nicht. Was war eben passiert? «Dario? Hey?» Er packte mein Kinn und zwang mich dazu, ihn anzuschauen. Dads Augen klebten an meinen. Doch meine konnten ihm nicht standhalten.
Seine Haare lagen über seiner Stirn verteilt und machten es mir verdammt schwer, zu sehen, was sein Blick zu sagen hatte. Er trug seine übliche Arbeitskleidung, doch sein Hemd war zur Hälfte offen und erst jetzt realisierte ich, wo ich war. Am Bahnübersteig. Nicht weit von mir und Dad entfernt, stand sein Auto. «Warum bist du hier?», fragte ich leise nach, doch ich war mir nicht sicher, ob das nicht wieder nur eine Verarsche war. War ich wirklich hier? War er tatsächlich da? Warum er? «Fragst du mich das gerade echt? Mi stai prendendo in giro? Cosa fai in pista?»
Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. War das überhaupt echt? War überhaupt irgendwas echt? Hatte sich Fiona wirklich das Leben genommen? «Bist du high?» Dad neigte sich zu mir heran und verzog dann sein Gesicht. «High und betrunken? Du willst mich doch verarschen.» Er stand auf, packte mich an meinen Armen und zog mich mit sich mit, in Richtung Auto.
Ich versuchte mich zu wehren, doch mir fehlte die Kraft gegen meinen Alten anzukommen. Ich sah um mich. Ab und zu flackerten Lichter. Die Straßenlaterne gleich neben dem Bahnübersteig zog eine lange Linie und mir wurde auf einmal ganz heiß. «Lass mich los.» Er ignorierte mich und versuchte mich auf die Rückbank zu zwingen, doch ich gab nicht nach. Ich wollte, dass er mich losließ.
Er war so ziemlich die letzte Person, die ich gerade sehen wollte. Ich wollte ihm allgemein nie mehr begegnen. Er war ein verdammtes Arschloch. Er war ein Monster. «Ho detto: lasciatemi andare!» Ich schaffte es, mich von ihm loszureißen und ich holte aus, um ihn zu schlagen, doch er war schneller und packte mich an meinem Hals und knallte mich mit dem Rücken gegen das Auto. «Ich warne dich! Fass mich an und ich werde dich beim nächsten Zug eigenhändig aufs Gleis werfen! Du kommst verdammt nochmal mit, okay?! Du kannst so doch nicht rumlaufen! Du bist ja kaum noch ansprechbar und völlig weg! Du wärst gerade fast gestorben!»
«Ja, na und?!» Ich schlug gegen die Brust meines Vaters und er taumelte etwas zurück. Ich hatte zwar ein winziges Bisschen getrunken, aber austeilen konnte ich noch immer. Ich hatte mich vollkommen im Griff. «Ich habe gerade keine Nerven dafür! Komm, los!» Er drängte mich mit Gewalt ins Auto und sprang schnell hinters Steuer. Er haute ohne verdammte Scheiße die Kindersicherung rein. Ich konnte an dem Hebel rumreißen, was ich wollte.
«Schnall dich an.» Ja, sicher. Ich war kurz davor nach vorne um den Sitz zu greifen, um ihm die Luft abzukappen, doch er gab Vollgas und machte es mir und dem Alkohol im Magen eher schwer, sich zu wehren. «Was bringt dir das?!» Er suchte meinen Blick durch den Rückspiegel, doch ich mied seine Augen. «Wissen die auf der Station, dass du unterwegs bist?»
Ich lachte höhnisch auf, doch eine Antwort gab ich nicht.
Der konnte mir sowas von am Arsch riechen und lecken. Was interessierte ihn das auf einmal? Vorher, als er noch das Sorgerecht hatte, war ich genauso unterwegs gewesen und da hatte es ihn einen Scheißdreck gejuckt. «Hast du das, während du bei mir gewohnt hast, auch gemacht?» Er wusste die Antwort bereits und seufzte auf.
Ich wusste, dass er nun den dummen Schlauch musterte. «Warum hast du den?» Die Augen verdrehend, rieb ich mir nervös über meinen linken Unterarm. Dieses Auto war beengend. Ich fühlte mich in die Ecke getrieben. Ich wollte nicht bei ihm sein. «Deinetwegen», meinte ich nur und meine Stimme war so trocken, dass sogar der Typ im Fahrersitz husten musste. «Meinetwegen?» Ich gab ihm keine Antwort mehr, denn ich denke, sein Architekten-Hirn konnte die Puzzleteile schon selbst zusammenfügen.
Es war klar, dass ich das Weite suchen würde, sobald wir beim Haus angekommen waren, doch selbst das ließ er nicht zu. «Was soll der Scheiß?!», motzte ich dann darauf los. «Dich hat es doch sonst nie interessiert, was ich gemacht habe. Hast du das Gefühl, dass du so wieder alles gutmachen kannst?!» Doch Santiago ignorierte mich und packte mich an meinem Oberarm, um mich zum Eingang zu ziehen.
«Reiß dich jetzt gefälligst zusammen, okay?!» Ich wollte ihm eine reinhauen, als er die Tür aufschob und eine ältere Frau gerade aus der Küche kam. Neben ihr eine zweite und hinter ihnen ein alter Mann. Ich stockte und knallte halbwegs gegen meinen Vater. «Santiago. Endlich bist du da. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Da kommen wir dich endlich mal nach 16 Jahren besuchen und du arbeitest bis spät am Abend. Was bist du de-» Als diese Frau näher kam, schob Dad mich weiter in den Flur.
«Via le scarpe, Dario. Conosci le regole della casa.» Der hatte auch Vorstellungen. Ich würde doch nicht auf ihn hören. «Chiudi il becco, brutto stro-» «Wer bist denn du, junger Herr?» Mein Herz blieb stehen, als diese Frau direkt vor mir stehen blieb und dann zu Dad rüberschaute. «Mom, das ist mein Sohn. Sein Name ist Dario.» Mir wurde schlecht. Sie- Sie war Dads Mutter? Meine- Nein. «Ach! Wirklich? Warum hast du uns nie von ihm erzählt?!» Sie sah ihn böse an und wollte nach meiner Wange langen, doch ich schlug ihre Hand reflexartig weg. Ihr Blick wurde streng.
Sie wollte mir etwas sagen, doch Dad trat komischerweise dazwischen. Die zweite Dame kam auch dazu und der Mann auch. Sie alle sahen mich mit großen Augen an. War das Dads Familie? «Weil er ein Versehen war.» «Santiago! Sag sowas doch nicht vor deinem Kind! Hallo, mein Junge. Ich bin Angelina. Deine Großmutter.» Sie wollte sich mir wieder nähern, doch ich wich zurück und kam mit dem Rücken an der Garderobe an.
Ich hatte keine Ahnung, ob ich mir das alles wieder nur einbildete oder es echt war. Das ging mir gerade alles viel zu schnell. Die Lichter flackerten, die Augen dieser Leute waren violett und rot und sie sahen mich alle so neugierig grinsend an. Ich merkte mir für das spätere Leben, dass LSD und Familientreffen nicht gut harmonierten. Gar nicht gut.
«Ich hätte gerne gewusst, dass ich Großtante bin», kam es von der zweiten Frau, die dieser Angelina verdammt ähnlich sah. «Und ich, dass ich Opa bin.» Der alte Mann. Ich war kurz davor, um mich zu schlagen, als Dad mich von ihnen abgrenzte. «Er hatte einen langen Tag. Wie wäre es, wenn wir das ein andermal nachholen?»
«Ich bleibe nicht hier», spuckte ich ihm dann vor die Schuhe und er schüttelte seinen Kopf. «Dario, jetzt vergiss für eine verdammte Nacht, was passiert ist und hör auf mich. Du kannst so nicht raus! Ich muss die Station auch informieren, dass ich dich gefunden habe, und dann gehst du morgen zurück!» «Station?» Diese Angelina langte nach dem Unterarm von Dad. «Er lebt im Heim.» «Warum denn das?» «Weil es bei mir nicht funktioniert hat!»
«Pass auf, wie du mit deiner Mutter redest, Santiago!», mischte sich der alte Mann ein und schaute mich kurz an.
Ich konnte nicht anders. Es war zu viel. Ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Mit dem Rücken an der Wand und auf den Boden rutschend, hielt ich mir mein Gesicht und versuchte, zu atmen. Ich bekam keine Luft mehr, glaube ich.
«Und seine Mutter? Wo ist die?» «In einer Entzugsklinik! Er hat von 4 bis 15 bei mir gelebt, okay?! Und jetzt ist er wieder im Heim, weil es nicht funktioniert. Jetzt lasst mich in Ruhe! Das sollte alles gar nicht passieren!» Mein Dad verlor die Kontrolle und so weh es mir auch tat, aber ich wusste nun, woher ich das hatte. Ich reagierte fast gleich, wenn mir etwas zu viel wurde. «Atme, Santiago. Es ist okay. Wir können ein anderes Mal darüber reden.» Diese Angelina nahm Dad an der Hand mit und vor mir blieben die anderen beiden stehen. Sie sahen mich besorgt an.
Mein Blick haschte zur Tür und wieder zu den beiden. Ich rackerte mich vom Boden auf und wollte von hier verschwinden, als Dad durch den Flur schimpfte, «Lasst ihn nicht raus! Er ist hackedicht!» Ich rüttelte am Türknopf, aber bekam ihn vor lauter Stress nicht rechtzeitig auf.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und konnte nicht anders: Ich ballte meine Hände zu Fäusten und wollte ausholen, doch diese Frau umarmte mich und zog mich eng an sich heran. Mein ganzer Körper war gelähmt. Ich hatte so große Angst. Was, wenn sie mir etwas antun würde? «Dario, oder? Dario, ich bin Alessandra. Ganz ruhig.»
Ich traute mich nicht, mich zu rühren. Sie richtete sich dann auf und schaute mir in meine Augen. «Tatsächlich. Santiago hat recht. Warst du feiern? Bist du hierfür nicht noch viel zu jung? Du kommst definitiv nach deinem Vater.» Das waren Worte, die ich nie mehr hören wollte.
Darios Weg zur Besserung... ach... Der ewig lange Weg wurde gerade wohl noch länger...
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