19. Kapitel
Es hieß doch, dass zu weinen, gesund war. Danach sollte man sich besser und gelassener fühlen. Eine Last sollte von den Schultern weichen... Ich meine, ja, ich hatte nun nicht mehr das Verlangen dazu, mich in eine Ecke zu verziehen und dort auf mein Ende zu warten, aber besser fühlte ich mich nicht wirklich.
Ich kochte. Irgendwie nervte mich alles. Vor allem der Idiot, der vor uns saß und an seinem Marshmallow schlabberte. Konnte er das auch machen, ohne Giorgia anzustarren? Kannte ich den überhaupt?
Noè lehnte sich an mich und redete mit Freundinnen. Darunter auch Tabea. So viele Marshmallows hatte ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Ratet mal, wer der Einzige war, der keine aß. Ja, hey. Sono Io...
Giorgia saß rechts von mir und legte gerade ihren Ast weg. Sie hatte wohl auch genug von dem süßen Zeug. Ich tippte ihre Schulter an. «Se non la smette subito di fissarti in quel modo, gli stacco la testa.» Giorgia begann zu grinsen und winkte ab.
Sie verstand nicht. Ich meinte es ernst. «Es ist okay. Er und ich kennen uns. Er ist ganz lieb und ich mag ihn, glaube ich, echt.» Schön. Aber ich mochte ihn nicht. Ich hielt den Blickkontakt mit ihm, als ich mir eine Kippe anzündete und den ersten Zug nahm. Ich denke, mein Blick kam an. Ich hoffte für ihn, dass er ihn verstand.
«Wann kommst du eigentlich wieder zur Schule?» Wie hieß sie? Melina? Ich zuckte mit den Schultern und rieb mir einmal übers Gesicht. «Dann, wenn ich wieder darf.» Muss. Dann, wenn ich wieder muss...
Sie reichten einen Joint rum. Den konnte ich bis hierhin riechen. Und die drei Sixpacks Bier hatte ich auch schon lange gesehen. Sie standen schräg hinter dem Baumstamm, auf dem dieser Spanner von Giorgia saß. Ich wusste, dass alle darauf warteten, bis es später wurde, damit sie auf die Kacke hauen konnten. Wie sie das mit nur 18 Biers und ein wenig Weed machen wollten, nahm mich schon wunder, aber solange würden Noè und ich wahrscheinlich gar nicht mehr bleiben.
Marco hatte ihr gesagt, dass sie bis 1 Uhr hier sein durfte und dann musste sie nach Hause. Es war kurz vor 10. Und sie und ich hatten abgemacht, schon etwas früher zu gehen, um allein zu sein. «Warum darfst du eigentlich nicht mehr? Stress zu Hause?» Diese Melina... Aber sie konnte schließlich nichts dafür, dass sie abartig nervte.
Sie und ich waren nun mal eine der letzten, die noch nicht tief in einer Konversation mit den anderen vertieft waren. Ich versuchte, nett zu bleiben. Hatte nicht letztens ihr Freund sie betrogen? War das sie? Schon, oder? Wie der Typ hieß, wusste ich nicht mehr, aber ich war auch auf der Party gewesen.
«Habe gesundheitliche Probleme und komme mit denen nicht so gut klar. Vor allem nicht in der Schule.» Sie nickte und nahm den Joint entgegen. Ihr zuzusehen, wie sie einen Hit nahm und ich nicht durfte, irritierte mich. Aber Noè war bei mir. Ich hatte mir vorgenommen, zumindest vor Noè die Finger von allem zu lassen.
«Was kann den so schlimm sein, dass die Schule nicht mehr geht? Noès Mom ist gestorben und sie geht auch noch zur Schule.» Ruhig bleiben, Dario. Sie war high. Sie dachte nicht nach. Ich ignorierte ihre Aussage, hatte sie aber trotzdem in meinem Kopf abgespeichert. Recht hatte sie halt schon.
Abe- «Hey», tauchte Noè nur knapp über meinem Mund auf und lächelte sanft dagegen. Ihre Augen waren wunderschön. Vor allem, wie sie das Lagerfeuer widerspiegelten und sie sah so zufrieden und gelassen aus. Zumindest, wenn sie mich nicht länger als 5 Sekunden anschaute. Tat sie dies, wurde ihr Blick besorgt und unsicher. Ich sollte wahrscheinlich gar nicht hier sein.
«Alles okay, willst du was zu trinken?» Sie hielt mir ihre Wasserflasche hin, doch ich winkte ab und drückte den letzten Resten von meiner Zigarette im Boden aus. «Nein, aber danke. Bei dir alles gut?» Sie nickte und lehnte sich vorsichtig an mich heran.
Ich war heute nicht wirklich in Stimmung dazu, doch ich konnte mir das nicht anmerken lassen, weshalb ich sie langsam und sanft küsste. Ich hatte keine Ahnung, warum das heute so war. Normalerweise liebte ich es, Noè zu küssen oder sie zu berühren, aber im Moment- Keine Ahnung... Ich spürte so gut wie gar nichts.
War das, weil- Nein, ich nahm ja gar keine Medikamente mehr. An diesen konnte es nicht liegen. Wahrscheinlich war es einfach heute so. Diese Tage kannte ich ja. Nur hatte ich bei den vergangenen nie wirklich jemanden gehabt, der meine Nähe gesucht hatte.
«Wie spät haben wir es? Wann wollen wir gehen?» Ich zuckte mit den Schultern und schaute auf Noès Handy, das auf ihrem Schoß lag. Sie las die Zeit und biss sich auf die Unterlippe. «Lass noch ein bisschen hierbleiben und dann schauen wir weiter, okay?» Ich nickte und legte einen Arm um sie, damit sie näher an mich heranrutschen konnte.
Ihr war etwas kalt, aber so erging es mir auch. Meinen Pullover konnte ich ihr nicht geben. Ich trug darunter nur ein Shirt und die Armbänder hatten sie im Krankenhaus zerschnitten... Ich musste mir neue holen oder bei Marla und Xenia nachfragen, ob sie noch ein paar hatten.
«Dario? Du auch?» Ich wandte mich von Noè ab und sah zu Giorgia, die aber gar nicht mehr rechts von mir saß. Dort hockte nun ein anderes Mädchen, das mir einen Joint anbieten wollte. Wo war meine Schwester? Ich wusste, dass sie etwas getrunken hatte. Genauso, wie Noè.
Ihre Augen wurden groß, als ich den Joint entgegennahm und ihn übers Lagerfeuer schauend, zwischen meinen Fingern hin und her rollte. Mir kam's hoch, als ich den Spanner mit meiner Schwester zusammen sah. Sie lachten und er hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt.
Auf den ersten Blick sah es nach normalem Flirten aus, bis meine Schwester mich etwas verloren anblinzelte und unsicher lächelte, weil der Typ sich noch näher an sie heranlehnte. Der Joint, der mir gegeben wurde, war neu gebaut. Ich fischte nach einem Feuerzeug und zündete ihn an.
«Giorgia, è questo che vuoi?» Sie sagte nicht ja, was für mich Grund genug war, aufzustehen und Noè kurz allein zu lassen. «Sie hat kein Bock auf dich. Verpiss dich», deutete ich dem Typen und blieb hinter den beiden stehen und schaute auf die beiden runter. «Komm schon, Kleiner. Woher willst du wissen, was deine Schwester will? Reg dich ab und setz dich wieder zu deiner Freundin.» Ich schaute zu Gio, die sich nervös in die Unterlippe bis und diesen Dude schüchtern ansah.
Mir musste der Typ nicht sagen, dass ich nicht wusste, was meine Schwester wollte und was nicht. Ich hatte sie damals mit Ronan zusammen gesehen und dort hatte sie es gewollt. Ich nicht, aber sie schon. Hier, hier definitiv nicht.
Der Spanner drehte sich auf dem Baumstamm um und stand auf. Was sollte das werden? Wollte er mich einschüchtern? «Sie will nichts von dir wissen. Mach's dir einfach und such dir eine andere.» Ich konnte vieles nicht ab, aber was mir am meisten zusetzte, waren Leute, die mich nicht ernst nahmen, wenn ich es ernst meinte.
Plus, der Typ hatte sich heute echt den falschen Tag ausgesucht. Stolz war ich keineswegs, aber manchmal passierte das einfach. Ich tat Dinge, die böse oder gefährlich waren. Ich packte den Typen am Oberarm und zog ihn hinter mir her. Mein Ziel? Der kleine Waldteil, der hinter dieser Nachbarschaft anfing. Warum dort? Einfach so.
«Ey, du kleiner Pisser. Hast du sie noch alle?» Er riss sich los, doch stolperte mit dem Rücken an einen Baum, sodass ich ihn dort fixieren konnte. Ich hatte nicht viel zu sagen. Nur ein paar Worte und dann würde ich von hier verschwinden. «Fass meine Schwester noch einmal- Nein, schau sie verdammt noch einmal an und ich werde dich zur Strecke bringen, okay?!»
Der Joint in meiner Hand brannte langsam nieder. Aber nur sehr langsam. «Du hast eine verdammt große Klappe für eine 15-jährige Fehlgeburt. Deine Schwester ist alt genug, um zu entscheiden, wen sie an sich ranlässt. Du wirst das irgendwann auch noch verstehen.» Ich. Ja, klar. Ich würde irgendwann verstehen, was in solchen Momenten mit anderen Personen schiefgehen konnte. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie sich Giorgia gefühlt hätte, wäre dieses Geschwür von Typ ihr heute Abend tatsächlich noch an die Wäsche gegangen, ohne um ihre Erlaubnis zu bitten.
Ich konnte nur schmunzeln und packte ihn am Kiefer. Ich fixierte seinen Kopf an der Baumrinde und brannte ihm mit dem Joint unter sein Auge ein. Dort, wo die Haut am dünnsten war. Er schrie auf und versuchte sich zu wehren, doch ich wartete knapp 10 Sekunden, bis ich damit aufhörte. «Kleiner Tipp. Ich würde dein ach so erwachsenes Hirn dazu benutzen, Drohungen ernst zu nehmen, wenn du sie zu hören bekommst.» Ich klemmte ihm den Joint hinters Ohr und ließ ihn allein zurück.
Beim Lagerfeuer sah ich Noè, die an einem Bier nippte und nervös um sich schaute. Als sie mich wieder sah, sprang sie auf und drückte der Sitznachbarin die Dose entgegen. «Man, was haust du einfach ab?! Was hast du mit dem Typen gemacht? Geht es dir gut?» Ich winkte ab und legte meine Arme um die leicht schwankende Noè.
Getrunken hatte sie schon vorher. Das wievielte es nun war, wusste ich nicht, aber es war definitiv an der Zeit, von hier zu verschwinden, bevor ich selbst noch zum Alk greifen würde. Giorgia kam zu mir und fragte leise nach, was ich getan hatte, doch ich meinte nur, «Er lebt noch. Habe ihm den ersten Hit vom Joint gewidmet. Geh nach Hause.»
Dass ich derjenige sein würde, der diese zwei Mädchen kontrollieren und dafür sorgen musste, dass nichts Schlimmes passierte, war ironisch. Na ja, Noè hatte mir ja ehrlich gesagt, dass sie ein bisschen trinken wollte. Das fand ich nicht schlimm. Aber, dass meine Schwester sich plötzlich nicht mehr zu verteidigen wusste, lag mir quer im Magen. Sie wusste normalerweise, was sie wollte und konnte.
Es war Freitagnacht. Auch wenn wir am Arsch von der Welt lebten, gingen hier Leute feiern und liefen nachts durch die Straßen. Mir persönlich war nie wirklich aufgefallen, wie gruselig es sein musste hier langzugehen, wenn man allein war. Aber das lag wahrscheinlich einfach daran, dass ich meist einer der Betrunken war und gar nicht mitbekam, wer hier langging oder nicht.
Doch jetzt, nüchtern und mit den Nerven am Ende, grenzte ich an einem Breakdown. Vor allem, weil Noè doch voller war, als ich zuerst gedacht hatte. Wann hatte sie bitteschön so viel getrunken? Ich war doch die ganze Zeit bei ihr gewesen. Und wieso hatte sie überhaupt getrunken?
Ich konnte sie so nicht zu Marco nach Hause bringen. Und zu Giacomo auch nicht. Die würden sicher mir dafür die Schuld geben. «Wohin gehen wir?» Ich seufzte und nahm ihre Hand in meine. «Keine Ahnung. Wo willst du hin?» Sie zuckte mit den Schultern und schmollte. Warum schmollte sie jetzt?
«Ich will nicht mies sein, aber ich könnte noch stundenlang trinken. Läuft irgendeine Party in der Nähe?» Ja, mehrere. Aber das sagte ich ihr nicht. Mich irritierte ihr Verhalten. «Was ist mit dir los? Warum hast du überhaupt so viel getrunken?» Sie streckte sich und taumelte mir an die Brust, wo sie sich dann festhielt. «Wollte auch mal loslassen.» Loslassen? «So wie du.» Huh?
Meinte sie- «Das ist aber nicht gut, Noè. So lässt man nicht richtig los.» Sie zuckte mit den Schultern und sah mich aus leicht genervten Augen an. «Du kannst mir nicht Dinge verbieten, die du auch machst.» «Aber ich mache es ja nicht mehr!» «Ja, wie lange? Zwei oder drei Tage?» Was?
Was ging hier bitte vor sich? Das war nicht Noè, die da mit mir redete. «Ich meine es nicht böse, Dario. Wirklich. Und ja, es ist vielleicht nicht richtig zu trinken, wenn man traurig ist, aber jetzt ist es eh schon zu spät.» Ich war nicht sicher, ob das eine Entschuldigung sein sollte oder nicht, aber annehmen wollte ich sie gerade nicht.
Noè wollte feiern und trinken? Meinetwegen. Konnte sie haben. Wenn sie einmal in ihrem Leben auf diese Art und Weise loslassen wollte, konnte sie das gerne machen.
Aber dann musste sie auch damit rechnen, dass ich dasselbe machen würde. Ganz egal, ob sie etwas dagegen hatte oder nicht.
Hört sich irgendwie danach an, als wolle Dario Noè eine Lektion erteilen... Nur wie?
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