18. Kapitel
Es gab nicht vieles, was mich wach kriegen konnte, doch eine leere Bettseite konnte mir einfach nicht entgehen.
Wo war Dario hin? Ich machte das Lämpchen auf meinem Nachttisch an und schaute auf meinem Handy nach, welche Uhrzeit wir überhaupt hatten.
Es war kurz vor 3 Uhr morgens. Ich hatte gerade mal 3 Stunden oder so geschlafen...
Im kleinen Flur war Licht und ich hätte eigentlich daraufgesetzt, ihn auf dem kleinen Balkon rauchend zu finden, doch der Spalt, der zum Bad noch offen war, zeigte mir einen Dario, der schwer atmend über der Kloschüssel hing.
Och manno... Nein, ich war nicht genervt. Also schon ein bisschen, aber nicht, weil Dario sich übergeben musste, sondern weil er einfach keine Pause kriegte. Der Typ hatte keine Ruhe und das war so verdammt unfair.
Ich strich mir meine Haare aus dem Gesicht und schlurfte zu ihm ins Bad, wo ich es mir hinter ihm, ihn vorsichtig umarmend bequem machte. Wenn er um 3 Uhr nachts im Bad am Boden kauern musste, dann würde ich das auch tun.
Sein Herz raste und ich hatte das Gefühl, es direkt in meiner Hand zu halten, so krass konnte ich es spüren, als ich ihm sanft über die Brust streichelte und meine Wange an seinen Rücken legte. «Atmen», versuchte ich ihm zu helfen. Es fiel ihm schwer.
Sein Nacken war bedeckt mit kaltem Schweiß und ich brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, ich wusste auch so, dass er glasige Augen hatte und kreidebleich war.
Ich hielt es nicht für notwendig, ihn zu fragen, wieso er gerade erbrechen musste. «Geh wieder schlafen...» Seine Stimme war ganz kratzig und schrie nach Halsschmerzen. «Wie lange sitzt du schon hier?»
Er seufzte und setzte sich halbwegs auf, um sich übers Gesicht zu reiben. «Hast du überhaupt geschlafen?» Ein Kopfschütteln. «Ist dir immer noch schlecht? Ist es vom Picknick?» Er schüttelte wieder den Kopf und lehnte sich erschöpft an der Toilette an.
«Wird schon wieder», versuchte er sich herauszureden. «Soll ich dir einen Tee machen? Oder einfach warmes Wasser, damit du es trinken kannst? Für deinen Hals, weißt du...» Ich ließ ihn langsam los und schob mich selbst vor Dario, um ihm ins Gesicht schauen zu können.
So wie ich das wahrnahm, musste er sich irgendwie getriggert haben, was das Essen anging und hatte nicht nur das allein erbrochen, sondern auch mehr als genug Magensäure von sich gegeben. Darum auch der verkratzte Hals.
«Hey...» Ich langte nach seiner Wange und er zerging in meiner Berührung. Ich hatte das Gefühl, er würde mir so gleich noch einschlafen.
Die gerade sehr kleinen und verweinten Augen, gingen langsam auf und zu und Dario schluckte verkrampft runter. Ich war sowas von bereit dazu, hier im Bad mit ihm zu schlafen, wenn er jetzt eindösen würde.
So wie es aussah, wollte er keinen Tee und kein Wasser, sondern einfach Ruhe und eine Pause. «Das ist jetzt scheiße peinlich, aber...» Seine Augen gingen wieder auf und er rutschte nach hinten an die Wand, um sich an ihr anlehnen zu können. Den Kopf hatte er im Nacken liegen und den Blick an die Decke gerichtet.
«Sie hat mir geschrieben... Und irgendwie wurde mir dann schwarz vor Augen und ich konnte nur noch kotz-» «Wer hat dir geschrieben?» Er verzog sein Gesicht und ihn durchfuhr eine Art Schüttelfrost. «Harmony... Sie hat mir kurz nach 1 Uhr geschrieben.» Bitte was? Wie bitte?! «Und irgendwie hat das den Shit aus mir getriggert.»
«Woher hat sie deine Nummer und was hat sie dir geschrieben?» Er deutete hoch zum Waschbecken, wo sein Handy lag.
Ich griff danach und las mir ihre Nachricht durch. Wir beide wissen, dass du es wolltest. Mir sowas zu unterstellen... Wir sehen uns, Corrado. Ich schaute wieder zu Dario rüber und erblickte dieselbe Furcht in den Augen, wie wenn er einen Flashback hatte.
Was dachte sich diese dumme Kuh eigentlich? Allein die Angst in seinen Augen und vor allem seine Reaktion war ein klares Indiz dafür, dass er es niemals gewollt hatte.
«Vielleicht habe ich doch irgendwie ja gesagt», murmelte er und sah nachdenklich auf den Boden. Ich klemmte das gleich ab. «Hör auf. Du weißt, was passiert ist und du wolltest es nicht. Nur weil sie jetzt wie die verfickte Schlampe, die sie ist, angekrochen kommt, heißt das nicht, dass du dich selbst hinterfragen musst. Sie ist einfach angepisst und hat wahrscheinlich einfach Angst. Hör nicht auf sie. Und sehen werdet ihr zwei euch eh nie mehr. Dafür werde ich höchstpersönlich sorgen.»
Sein Blick landete auf mir und er lächelte traurig. Wenigstens war es irgendeine Art von Lächeln. Wahrscheinlich fand der Typ es einfach amüsant, wie sehr mich diese Frau aufregte.
Ich hatte mich eigentlich recht gut unter Kontrolle, aber bei der... Da fielen mir alle Sicherungen raus. Ich öffnete den Chat, um ihr zu antworten. Ja, wir sehen uns. XOXO Noè.
Ob ich meine Füße oder meine Fäuste benutzen werde, war noch nicht ganz sicher, doch ich tendierte zu meinen Füßen... Und den Fäusten. Den Mund wahrscheinlich auch, aber dann nur zum Spucken.
Ich legte Darios Handy wieder weg und widmete mich ihm. «Besser?» Er nickte schwächelnd und schloss wieder die Augen. «Sicher?» Da schüttelte er wieder den Kopf. Doch nicht?
Ich scannte ihn einmal komplett ab und suchte instinktiv nach einer Verletzung. Ich war nicht stolz darauf, doch irgendwie ging ich im Moment lieber sicher, dass er sich nichts angetan hatte.
Manchmal redete er darüber und manchmal (mehrheitlich) eben nicht und darum vertraute ich nur auf mein eigenes Auge. «Denkst du, du schaffst es zurück ins Bett?», fragte ich, während ich mich vom Boden erhob und selbst etwas streckte.
Dario gluckste leise auf, «Die Frage ist eher, ob du es schaffst...» Da hatte er auch wieder recht. Denn basierend auf jetziger Lage, sah es sehr stark danach auch, dass ich ihn ins Schlafzimmer zerren musste. Er sah wirklich hundeelend aus...
Dario wartete ganz brav und hielt mir seine Hände hin, damit ich ihn auf die Beine ziehen konnte. Mit Mühe bekam ich den Felsen hoch und schlang einen Arm um ihm, um zurück ins Bett wandern zu können.
Ich umarmte und hielt ihn wie ein Weltmeister, um ihm Sicherheit zu gewähren, doch Harmony suchte ihn desto trotz in seinen Träumen heim und die ein oder zwei Blutergüsse mehr, würde ich Dario verheimlichen.
Er hatte mich nicht geschlagen oder war aggressiv im Wahn seiner Alpträume, nein. Er hatte sich an mir vergriffen. Aber das war nicht weiter schlimm.
Am nächsten Morgen machten wir uns für den Tag fertig und ich ermutigte meinen Freund dazu, einen Tee zu trinken und wenigstens ein Jogurt zu essen. Mehr nicht.
Er hatte einen verdammt kratzigen Hals und jedes Mal, wenn sein Handy ertönte, hielt er es mir entgegen, um zu schauen, ob es Harmony war oder nicht. Zu sehen, was eine Nachricht von ihr mit ihm anstellte, ließ mich vor einem Aufeinandertreffen der beiden erschaudern.
Es war gut, dass wir hier in Italien waren, denn so hatte er den Entscheid vom ganzen Fall, den er wahrscheinlich mit Harmony in einem Raum entgegennehmen hätte müssen, entkommen können. Beim vierten Mal, wo er mir sein Handy reichte, kam ich endlich auf die brillante Idee, diese Fotze einfach zu blockieren.
Danach traute sich Rio wieder an sein Handy und konnte all den anderen, die von ihm eine Antwort wollten, zurückschreiben.
Gegen Mittag kam Amallia vorbei, um die Lage zu checken und sie schien zufrieden. Sie hatte mit uns unten bei Antonella gegessen. Dario hatte verzichtet, aber ich gab ihm trotzdem ein bisschen von mir. Lieber ganz wenig als gar nichts.
Und während ich versuchte zu verstehen, was Amallia und Nella miteinander beredeten, erhaschte ich einen Namen auf Darios Handy, den ich nicht erwartet hatte. Riley... Die beiden schrieben miteinander?
Er spürte meinen Blick auf ihm lauern und schaute auf. Ich musste nicht einmal nachfragen, er verstand von allein. «Du weißt, dass es nicht so ist, wie du gerade denkst.» Er schloss den Chat und das Handy gleich auch noch.
Dass die beiden nur schrieben, glaubte ich ihm natürlich. Ich wusste, dass Dario loyal war. «Alles gut. Wusste nur nicht, dass ihr zwei doch irgendwie befreundet seid und schreibt.» Er winkte ab. «Man kann es nicht wirklich schreiben nennen. Wenn's was zum Bereden gibt, dann schreiben wir. Wenn nicht, dann nicht.»
Ich lehnte mich an seiner Schulter an und drehte sein Handy, das nun vor ihm auf dem Esstisch lag. «Was gibt's denn zu bereden?»
Er seufzte, «Sie hat gefragt, wie lange ich noch in Tropea bleibe und ob ich davon weiß, dass Ronan sich wieder bei Giorgia gemeldet hat.» «Wieso interessiert sie das?»
«Man, Noè. Riley ist kein allzu schlechter Mensch und sie und Gio waren mal beste Freunde. Die beiden sind nie schlecht auseinander gegangen, sondern sie haben halt irgendwann einfach nicht mehr dieselbe Vorstellung vom Leben gehabt.» «Mag sein, aber was hat das alles damit zu tun, dass sie wissen möchte, wann du wieder nach Amerika kommst?»
Er sah mich tadelnd an. «Keine Ahnung, sieht man sich denn unter Freunde nicht ab und zu mal?» Ich verzog mein Gesicht, aber ließ es über mich übergehen.
Dario hatte nun mal Freunde, die er aus seiner Vergangenheit mitnehmen würde und dass diese Riley eine von ihnen sein würde, war zwar unerwartet, aber okay.
Ich vertraute ihm. Ich meine, nur weil die beiden sich ab und zu geküsst hatten, hieß das doch nicht, dass sie es wieder tun würden... Oder?
Dario erblickte meine Sorge und verdrehte die Augen. «Jetzt schau nicht so. Ich meckere auch nicht, obwohl du mit Arian schreibst...» Ich seufzte, «Das ist was Anderes. Ich hatte nie was mit ihm. Du hattest was mit ihr.»
«Hatte ich nicht. Für mich ist was haben, wenn man sich genau daran erinnern kann und Gefühle darin verwickelt sind.» «Nein, Rio. Das, was du gerade beschreibst, ist was Ernstes haben. Einfach etwas haben, kann man auch einfach for fun...»
Er winkte ab und nahm sein Handy wieder zur Hand. «Wenn du meinst.» Er schwieg und schien nachzudenken, bis er wieder was zu sagen hatte. Ich hatte ihn eventuell etwas wütend gemacht. Sorry.
«Ich baue viel Scheiße, Noè. Aber fremdgehen würde ich nie. Auch nicht, wenn ich diese Person mal in der Vergangenheit geküsst habe.» «Ja, ich habe es verstanden. Tut mir leid.» Ich atmete tief durch und versuchte die Eifersucht fallen zu lassen.
Ich wollte ihn halt nur für mich haben, doch ich wusste, dass das keine gesunde Einstellung war und ich an diesem Mindset arbeiten musste.
Ich blieb weiter an seiner Schulter angelehnt und sah ihm dabei zu, wie er seinen Freunden zurückschrieb oder sie einfach eiskalt auf read ließ. Eine Person, die er sitzenließ, war unter Mom eingespeichert. Ich fand es schade, dass er Sam ignorierte.
Es musste für sie ein verdammter Schock gewesen sein, herauszufinden, was Dario passiert war. Jede Mutter würde jetzt ihr Kind sehen und vor allem beschützen wollen.
Ich fragte mich, ob sie von seinen Verletzungen und Narben wusste. Wollte sie das überhaupt? Ich sah hoch in Rios Gesicht und bewunderte ihn mit sanftem Blick.
Ihn ab und zu einfach so in mich aufzunehmen, war wie eine Massage oder das Baden in Lavendel. Gesund für den Körper und ein Segen für die Seele. Ergab das, was ich sagte, Sinn? Halbwegs. Lasst mich in Ruhe.
«Schreibt dir deine Mom oft?» Er schüttelte den Kopf und machte den Chat nochmals auf. Ich verstand nicht einmal die Hälfte, die sie geschrieben hatte. «Sie fragt meistens nur, wie es mir geht und was ich mache.» «Das ist doch lieb.»
«Ja, ich liebe es, gefragt zu werden, wie es mir geht. Vor allem, wenn's mir konstant scheiße geht.» Ich seufzte, «Lio... Sie versucht für dich da zu sein.» «Lo so...»
«Und dein Dad? Schreibt er auch?» Er ging auf Santiagos Chat und zeigte verschmitzt grinsend auf die letzte Nachricht, die er im Jahr 2020 von ihm bekommen hatte. «Nicht wirklich, nein.» Ich wusste, dass alles seine Zeit brauchte, doch Dario machte es seinen Eltern nicht gerade einfach, für ihn da zu sein.
Gut, vielleicht wollte er das ja auch gar nicht mehr. Zumindest war das wahrscheinlich so, was Santiago anging. «Dario, ich wollte dich darüber informieren, dass deine Mutter nächstes Wochenende kurz nach Italien kommen wird.»
Ja, ich hatte noch nie live miterlebt, wie eine Bombe einschlug, doch diese Aussage kam sehr nahe daran ran, es gut zu repräsentieren. Dario war erstarrt und schluckte diese Neuigkeiten nur mühevoll runter. «Wieso?»
Amallia wandte sich an ihn. «Weil sie dich und Antonella sehen möchte. Sie hat ihre Mutter seit 18 Jahren nicht mehr gesehen und kann es sich jetzt zum ersten Mal wieder leisten, hier herzukommen.» Seine Miene fiel. «Und das muss sie genau jetzt tun? Jetzt, wo ich hier bin?!»
Ich konnte ihn schon verstehen. Er war hier, weil er von Marble und dessen Personen wegwollte und jetzt flog ihm genau diejenige, die ihm beinahe am meisten wehgetan hatte, hierher?
Nehmt es mir jetzt bitte nicht übel, aber selbst ich fand das scheiße, denn ich war diejenige, die jetzt mit Dario klarkommen musste, wenn seine Mutter hier auftauchte und dann wahrscheinlich nicht nur hallo und tschüss sagen wollte.
Ich kannte Samantha mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie den Kontakt zu Dario suchen wird. Vor allem hier. Hier war sie aufgewachsen. Als Mutter konnte und wollte sie ihm sicherlich zeigen, wie sie aufgewachsen war. Doch wollte Dario das im Moment überhaupt sehen?
«Vielleicht tut es euch beiden ja gut», fing Amallia vorsichtig an, doch Dario schnaubte auf und schubste mich unbewusst von der Schulter runter. «Ja, vielleicht», nahm er sie hoch und stand auf, damit er hoch in unser Appartement flüchten konnte.
Der Blick seiner Tante landete auf mir. Sie schien hilflos. Ich zuckte nur mit den Schultern, «Es ist schon nicht wirklich taktvoll von Sam... Dario kommt mit ihr nicht klar. Zumindest noch nicht. Das letzte Mal lief alles andere als gut.»
«Ich wollte ihr davon abraten, doch nach der ganzen Sache mit dem sexuellen Missbrauch konnte ich sie nicht mehr umstimmen.» Ich wusste, dass sie ihrer Schwester nichts vorschreiben konnte und dass Sam Dario sehen wollte, war auch natürlich, doch...
Ich dachte hier an sein Wohlbefinden und um ehrlich zu sein auch an meins. Mein Zustand hing von seinem ab. Wenn es ihm miserabel ging, erging es mir genauso.
«Hast du mir die Nummer von ihr?» Amallia nickte und gab sie mir durch. Ich war eigentlich für eine Versöhnung zwischen Mutter und Sohn, aber- Ich hatte auch verdammte Angst davor.
Es wäre was Anderes, wenn er stabil wäre, doch das war er nicht. So hart es auch klingen mochte; Dario war zittriger unterwegs als manche Senioren. Und ich wollte auch nicht, dass Samantha sich selbst behinderte, indem sie sich solchen Situationen aussetzte.
Es war hier 13 Uhr... Das hieß, es war vier Uhr morgens in Amerika, aber vielleicht hatte ich ja Glück. Ich ging raus vors alte Restaurant und lehnte mich an die Fassade, bis es mir zu warm wurde und ich mich im Schatten an einen leeren Gästetisch unter den Sonnenschirm setzte.
Es tutete und tutete und ich war schon daran, genervt aufzulegen, bis eine müde kratzige Stimme ranging. Ich musste sie wohl geweckt haben. «Hallo?» «Hi, hier ist Noè...» «Noè?!» Ich schrak zurück, so laut wurde sie.
«Ja», grinste ich unsicher und ich entschuldige mich für meinen Anruf, da ja... Es war vier Uhr morgens bei ihr. Mein Grund zur Entschuldigung war selbsterklärend.
«Was ist los? Ist etwas passiert?» «Nein, nein. Es ist nur... Amallia hat erwähnt, dass du nach Tropea kommst und ja...» «Ja?» Mir fiel keine freundlichere Ausdrucksweise ein. «Muss das sein? Dario will das nicht.» «Ist nächstes Wochenende nicht gut?»
Ich verzog meinen Mund. «Am besten gar nicht... Also-» «Er will mich nicht sehen?» «Ich weiß es nicht. Er hat die Neuigkeiten nicht wirklich gut aufgenommen und er- Samantha, er ist nicht bereit. Das kommt so nicht gut.»
«Aber er ist doch wieder clean und du bist auch dort...» Ich wusste nicht, wie ich sie umstimmen konnte, ohne unfreundlich zu werden. Keine Frage, ihr stand es vollkommen zu, ihr Kind besuchen zu kommen, doch ich wusste um einiges mehr als sie, was Darios Zustand anging und...
Komplett nüchtern war er nicht. Ich redete hier nicht nur von den Drogen... Es ging hier auch ums Selbstverletzen und um die Essstörung. «Sam, bei Dario sind es nicht nur die Drogen, die seine Nüchternheit ausmachen... Wenn er- Er kommt mit solchen Konfrontationen noch nicht auf eine gesunde Art und Weise klar.»
«Hat er denn wieder was genommen?» Ich schüttelte den Kopf und winkelte mein Knie an. «Nein, er ist in dieser Hinsicht eigentlich clean, aber-» «Was meinst du?» «Mein Gott, Samantha. Dario hat nicht nur ein Drogenproblem. Wenn er die nicht nehmen darf, wendet er sich an seine Essstörung und wird dort impulsiver. Ich muss ihn im Moment fast schon Zwangsfüttern.»
Ich hörte sie aus dem Bett aufstehen und sie sagte irgendwas zu Theo, der wahrscheinlich bei ihr war. «Aber er isst?» «Ja, weil ich ihn nicht gehenlasse, bis er was im Magen hat. Und-» Ich glaube, ich musste es ihr sagen... Hoffentlich nahm Rio mir das später nicht übel.
«Um es kurz und einfach zu halten: Er hat im Moment keine Medikamente, kommt mit den Hilfen von Kelly kaum zurecht und wenn er dann noch so konfrontiert wird, verliert er die Fassung. Das weiß ich und-»
«Und wenn er jemanden zum Reden hat?» «Man, Samantha! Sorry, aber Dario lässt in solchen Momenten nicht mit sich reden und das Einzige, was man tun kann, ist sichergehen, dass er sich nicht lebensbedrohlich verletzt!» Stille...
Ich denke, sie nahm in sich auf, was ich gerade gesagt hatte. Sie hatte es also nicht gewusst. Ich hörte sie nur ganz schwach atmen, bis sie etwas lauter Luft holte.
«Das wusste ich nicht...», kam es gebrochen. «Ich wusste nicht, dass mein eigenes Kind sich selbst verletzt.» Das schien mir wie eine eigene Feststellung für sich allein. Sie redete nicht mit mir.
«Wieso ist mir das nicht aufgefallen?» Ich seufzte und brachte wieder etwas mehr Vorsicht in meine Stimme. Für Sam war das alles auch alles andere als einfach. «Dario ist ein Meister darin, es zu verstecken. Es braucht verdammt viel, bis er zeigt, was in ihm vorgeht.»
«Und er zeigt es dir?» Ich zuckte mit den Schultern. «Manchmal... Eigentlich eher selten. Und manchmal kann er es halt einfach nicht verstecken. Vor allem dann, wenn er instabil oder überfordert ist. Und ich will ihm das nächstes Wochenende nicht antun.»
Samantha seufzte und fluchte irgendwas auf Italienisch. «Ich habe meiner Mutter versprochen, vorbeizukommen. Noè, ich kann das nächste Woche nicht absagen.» Ich meine, eigentlich sollte man Darios Umfeld nicht polstern. Das Leben war nicht so, weshalb seine Mutter auch kommen durfte, doch wahrscheinlich redete da auch die Angst in mir, weil ich nicht wollte, dass er wieder die Fassung verlor oder sich verletzte.
Ich versuchte ihn und mich zu schützen, weil sein Schmerz auch meiner war. Es killte mich, dass er so leiden musste. «Ich verstehe, was du mir sagen möchtest, Noè. Ich kann deine Angst nachvollziehen, doch ich habe meine Mutter seit fast über 18 Jahren nicht mehr gesehen und ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal die Chance dazu bekommen werde.» Da hatte sie auch wieder recht.
«Okay, also Dario weiß ja Bescheid. Ich- Keine Ahnung, ich werde versuchen, das irgendwie geradebiegen zu können und vielleicht wäre es ja doch auch mal gut, wenn du und er miteinander redet, ohne von Sozialarbeitern umgeben zu sein und so weiter.»
Sie stimmte mir zu, doch sie trug dieselbe Unsicherheit wie Santiago in der Stimme, als ich ihm etwas Ähnliches gesagt hatte. Wahrscheinlich schämten sich beide dafür, dass der eigene Sohn solche Probleme mit ihnen hatte.
Was Dario gerade wohl macht...
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