15. Kapitel
Giacomos Handy vorne im Beifahrersitz war verschwommen. Egal, wie konzentriert ich es anstarrte, es wurde immer verschwommener.
Die Welt um mich herum raste, doch ich hatte dieses komische Gefühl, am gleichen Fleck sitzen zu bleiben und nichts mehr sehen oder hören zu können.
Redete Giacomo mit mir? Ich denke schon, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Noès Test war positiv herausgekommen. Meinetwegen. Und, wenn Tony nicht da gewesen wäre, hätte das für Noè chaotisch enden können. Ihr Dad hätte sie fertig gemacht und mich für immer gehasst. Tat er eh schon.
Es war doch meine Schuld, oder? Mir war schlecht. Oder nein, ich hatte keine Ahnung, was es war. Warum hörte ich nichts mehr? Alles war gedämpft. Ich glaube, im Augenwinkel ging die Autotür auf. «Dario?» «Huh?» Seine Hand berührte mich. Ich konnte wieder um mich schauen. «Bist du okay?» Ich nickte und schnallte mich benommen ab. «Eh- Ja, alles gut.» Ich wusste, dass er mich skeptisch beobachtete, als ich das Haus betrat und im direkten Weg hoch in mein Zimmer lief.
Aber wieder. Alles wurde leise. Gio konnte ich kaum hören, als sie mir das letzte Mal für heute Nacht gute Nacht wünschte und es begann zu rauschen. In meinen Ohren. Es rauschte und mein ganzer Körper begann zu vibrieren.
Würde Noè jetzt nicht mehr bei mir übernachten wollen? Ich hätte nicht vor ihr rauchen sollen. Was, wenn sie mich jetzt nicht mehr sehen wollte, weil ich ihr immer mehr solche Probleme machen könnte? Wollte sie heute überhaupt bei mir schlafen? Hatte sie mich überhaupt küssen wollen? Fühlte sie sich sicher bei mir? Nein, oder?
Ich stand vor meinem Bett und schaute die zerknüllte Decke an. Ich hatte es verbockt, oder? Wie immer... Wenn ich sie jetzt verloren hatte, würde ich nicht mehr wissen, wie ich weitermachen sollte.
Warum war es so heiß hier drinnen? Ich sollte das Fenster aufmachen. Ja, das war es. Aber es ging nicht weiter als diese verdammten 10 Zentimeter auf. Fuck! Ich schlug es wieder zu und zog mir meinen Hoodie und mein Shirt über den Kopf.
Was war heute Nacht bitteschön passiert? Zuerst drängte ich Noè dazu, mich zu küssen, dann zahlte Giacomo meine Schulden und jetzt noch das mit der Polizei. Was war los?
Und warum war es immer noch so heiß hier drinnen? Lief die Heizung? Ich tastete nach ihr und drehte sie runter auf die unterste Stufe. Mir ging die Luft aus. Mein Hals tat weh. Vielleicht hätte Tony ehrlich sein müssen und allen sagen sollen, dass mein Test positiv gewesen war. Eine Strafe wäre gerecht. Schließlich bekam ich eh nie etwas auf die Reihe. Ich konnte nichts. Ganz und gar nichts.
Trainingshose. Wo war sie? Ich musste sie anziehen. Oder warte, was wollte ich jetzt überhaupt tun? Schlafen? Konnte ich das? Ich wimmerte auf und hielt mir mein Gesicht. Der Boden war wie Gummi. Alles drehte sich und das Pumpen im Kopf wurde mit dem Rauschen zusammen immer doller und lauter.
«Atmen. Atmen. Atmen.» Cazzo. Cazzo. Cazzo. Du weißt, was du verdienst. Ja, aber es war falsch. Ich hatte damit aufgehört. Giorgia zu liebe. Sie ist doch derselben Meinung. Jetzt verdienst du es.
Wieso bekam ich keine Luft mehr? Weinte ich?
Ein Klopfen. Es war so laut, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. «Dario? Alles okay? Ich wollte dir noch gute Nacht sagen.» Zusammenreißen. Atmen, tief Luft holen, und langsam wieder ausatmen, die Tränen trocknen und mich aufrichten. Ich konnte das. «Gute Nacht. Alles okay. Bin nur müde.»
«O- Okay, gut. Wenn etwas ist, komm einfach rüber und weck mich.» Seine Schritte hämmerten meinen Schädel ein, so laut waren sie. Und diese verdammte Hitze, man! Diese Fensterblockade musste man doch irgendwie lösen können!
Warum kribbelten meine Finger? Was war los? Es ging mir doch gut. Warum ging alles so schnell? Wieso rasten meine Gedanken? Woher kam diese Spannung? Ich raufte mir meine Haare und versuchte meine bebenden Lippen zu kontrollieren, indem ich mich in ihnen festbiss, doch selbst als ich Blut schmecken konnte, löste sich dieser Druck nicht. Wie konnte ich ihn loswerden? Warum tat mein Inneres weh, doch der Rest fühlte sich so taub an?
Mein Blick blieb an meinem Bauch hängen, der bebte und zusammen mit meinem abgehakten Atmen hoch- und runtersprang. Es tat weh. Ich- Ich konnte nicht. Nicht jetzt, nicht morgen oder übermorgen. Ich brauchte eine Lösung. Ich musste mir helfen. Niemand anders konnte es.
Ich sah auf und schaute zu meiner Tasche. Ausgepackt hatte ich sie noch nicht und ich würde es auch niemals tun. Hier war ich nicht zu Hause. Ich hatte kein Zuhause. Im Fach auf der linken- nein- rechts? Verdammte Scheiße, welches Fach war es schon wieder?!
Ich kramte darin rum und fand das, was ich suchte schlussendlich in meinem Schuletui, das ich gar nicht mehr brauchte. Ein Zirkel.
Mit zittrigen Händen und einem ewig langen und hohen Ringen in meinen Ohren machte ich die Schachtel auf und rammte mir die Metallspitze in meinen rechten Oberarm und zog eine lange gerade Linie, bis es mir vom Arm tropfte.
Ein Atemzug. Ich bekam wieder Luft. Aber ich brauchte mehr. Noch einer. Noch ein Atemzug. Noch eine Linie. Es brannte und pulsierte, doch ich konnte wieder langsamer denken. Es tat nicht mehr weh. Meine Augen klebten am Rot, das meinen ganzen Arm herunterlief.
Einatmen. Ausatmen. Der Druck war weg. Die Spannung lief meinen Arm runter und tropfte auf den Boden unter mir. Tief durchatmen. Du bist okay, Dario. Dir geht es gut. Aber- Aber, scheiße. Der Teppich. Und meine Jeans...
Man, was hatte ich mir dabei gedacht?! Und wie wollte ich Giacomo oder Giorgia erklären, was diese Flecken im Teppich sein sollten? Plus, wie konnte ich die Blutung stoppen, ohne ins Bad gehen zu müssen? Warum baute ich nur Mist? Fuck!
Das Rauschen. Es kam zurück. Wieso hatte ich das getan? Ich hatte wieder alle enttäuscht. Es tat wieder weh. Meine Brust zog und die Luft ging mir wieder aus. Wieso hörte das nicht mehr auf?
Ich ließ den Zirkel fallen und presste meine Hand fest auf die tiefen Linien. Ich brauchte- Ich musste dieses Chaos beseitigen. Ich griff nach einem Shirt von mir und versuchte meinen Arm zu trocknen, doch es hörte nicht mehr auf zu bluten.
Luft hatte ich keine mehr. Wieso machte ich alles immer nur noch schlimmer? Ich war nichts wert. Hier, mickrig am Boden neben meiner Tasche und rumheulend, wie der letzte Dreck. Was brachte mir das? «Dario, schau. Ich weiß das mit dem Geld macht-» Meine Tür ging auf und Giacomo kam rein.
«Dario? Porca puttana, Dario!» Ich konnte ihn nicht mehr sehen. Alles war verschwommen. Er war sicher wütend. «Mi dispiace! Mi... mi dispiace tanto. Per favore. Mi dispiace!» Er schleuderte den Zirkel über den Boden hinweg weg von mir und kniete sich zu mir auf den Boden. «Du musst dich nicht entschuldigen. Du hast keinen Grund, dich entschuldigen zu müssen.»
Ich spürte, wie er versuchte, meine Hand von meinem Arm zu nehmen, doch mehr als meinen Kopf zu schütteln und in mir zusammenzufallen, bekam ich nicht hin. Ich wollte nicht, dass er hier war. Ich wollte allein sein. Er durfte das nicht sehen.
«Zeig her, Dario. Lass mich sehen.» «No.» «Shh, ganz ruhig. Ich muss sehen, wie tief sie sind. Vertrau mir.» Nein, er verstand nicht. Ich verdiente sie. Dass ich Blut verlor, geschah mir recht.
«Dad?» Gio? «Giorgia, non entrare!» «Wa- Warum?» «Komm hier nicht rein und fertig!» Giacomo stand auf und knallte meine Tür zu. «Dario, wie-» Er griff nach dem mit Blut getränktem T-Shirt und presste es auf meine Hand, die meinen Oberarm nicht loslassen wollte.
«Warum?» Ich schüttelte meinen Kopf und alles drehte sich ganz komisch. Giacomos Gesicht war verschwommen. «Leg dich hin. Du verlierst viel Blut.» Ich wollte ihn von mir wegschieben, doch ich verfehlte. War er nicht rechts von mir? Oder links? Warum gab es ihn zweimal? «Zeig mal, bitte.» Nein.
Doch ich konnte mich nicht mehr wehren. Mir war schlecht. «Okay, eh- Scheiße, das ist tief. Ich presse dieses Shirt drauf. Die Blutung muss irgendwie gestoppt werden. Wach bleiben, okay?» Ich war wach. Leider. Ich bekam mit, wie er 911 anrief und ihnen sagte, was er sah. Ich konnte zusehen, wie seine Augen meinen nackten Oberkörper anschauten und bei jeder einzelnen Narbe oder noch heilender Wunde hängenblieben, bis ich endlich einen Ton rausbekam. «Schau nicht.»
Die Wut, die ich in meine Worte geben wollte, kam nicht durch. Ich klang schwach, dumm und wertlos. «Tut mir leid. Hilfe ist auf dem Weg.» «Ich brauche keine Hilfe.» «Dario, diese Schnitte sind verdammt tief. Du verlierst zu viel Blut. Ich will nichts riskieren. Vor allem, weil ich weiß, wie schwach dein Körper im Moment ist.» Schwach...
«Hey, es ist okay. Du hast nichts falsch gemacht.» Eine Hand auf meiner Wange und zeitgleich ein unerträglicher Schmerz. Ich verzog mein Gesicht. «Dario? Tut noch was weh?» Ja, mein Inneres. «Fass mich nicht an. Du bist nicht mein Vater. Ich habe keinen.» Er schluckte und rieb sich einmal die Nase, dann konzentrierte er sich nur noch auf meinen Arm und ging zur Seite, als fremde Leute hier reinkamen und an mir herumzerrten.
Sie sahen mich. Alles. Giorgia sah mich. Sie weinte. Ich hatte wieder Mist gebaut. Wie immer. Etwas anderes konnte ich nicht. «Hey! Hallo? Weißt du, wie du heißt?» Ich blinzelte etwas benommen, doch setzte mich dann selbst auf, während diese Leute versuchten, mich unten zu behalten. «Klar, habe mir ja nicht den Kopf gestoßen.»
«Du hast dir das selbst angetan?» Ich schluckte. Eine Antwort gab ich nicht. Brauchte dieser Typ überhaupt eine? Ich meine, er sah doch glasklar, wie meine Schultern, meine Brust und mein unterer Bauch aussahen. «Womit hast du das getan?» Ich blieb still, doch Giacomo zeigte auf den Zirkel.
Ich wollte nicht ins Krankenhaus. Ich wollte dort nicht wieder hin und das gab ich schnell zu spüren, als sie mit einer Trage ins Zimmer kamen. Ich stand auf, hielt mich kurz an einer fremden Schulter fest und schob dann jeden von mir weg, der näherkommen wollte. Sie hatten meinen Arm verbunden. Mehr mussten sie nicht tun. Sie würde mich nicht ins Krankenhaus zerren können. «Kein Krankenhaus. Kein Krankenhaus.»
«Mein Junge, der Verband wird nicht reichen. Dein Arm muss genäht werden.» Ich schüttelte meinen Kopf und langte hektisch nach einem Shirt. Wieder Stoff auf mir zu spüren, nahm mir ganz wenig von der Spannung, doch die ganzen Augenpaare, die an mir klebten, machten es trotzdem immer schlimmer.
«Kein Krankenhaus.» Eine junge Frau kam vorsichtig auf mich zu und meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Ich wollte aus Reflex ausholen und sie von mir fernhalten, doch ich konnte doch niemanden schlagen. Dann würden sie mich erst recht mitnehmen.
«Kannst du mir sagen, was heute für ein Tag ist?» Was? «Mittwoch. Donnerstag früh, keine Ahnung.» Es war 2 Uhr morgens. Donnerstag. Das wusste ich. «Und wo befinden wir uns gerade?» «In meinem Zimmer.»
Sie kam näher und ihre Hände schwebten gefährlich nahe an meinen Schultern. Wollte sie mich anfassen, in den Arm nehmen? «Und der Mann, der dich gefunden hat, ist dein Vater, oder?» Ich schüttelte meinen Kopf.
«Nicht?» Sie sah zu Giacomo, der bedrückt nickte und seufzte, «Ich bin der Vater von seiner Halbschwester. Er lebt im Moment bei mir.» Sie nickte verständnisvoll und schaute dann zu Gio. «Und sie ist deine Halbschwester? Wie heißt sie?» «Giorgia Corrado.» Warum stellte sie so viele Fragen? Das hier war keine Quizzshow...
«Okay, er nimmt sein Umfeld gut wahr. Schreib das auf, Harvey.» «Verstanden.» Mein ganzer rechter Arm war verklebt und mit Blut verschmiert. Ich hatte es übertrieben, oder? Was konnte ich überhaupt?
Ich spürte Warmes meinen Arm runterlaufen. Der weiße Verband ließ etwas durch. «Wie heißt du? Dario, oder?» Sie schaute zu Giacomo, der nickte und Giorgia an sich heranholte. «Dario, du blutest sehr stark. Eine Blutung, die nur schwer zu stillen ist, kann sehr gefährlich werden. Wir wissen nicht, was du mit dem Zirkel durchtrennt hast. Das muss definitiv im Krankenhaus genäht und beobachtet werden.» Nein.
Nein, musste es nicht. Es ging mir gut. Ich hatte das vollkommen im Griff. Ich hatte schon schlimmer geblutet und es allein auf die Reihe bekommen.
«Herr Torreno, richtig?» Er nickte. «Ich frage Sie jetzt. Zeigt der Junge suizidales Verhalten? Ist er in Lebensgefahr? Geben Sie uns die Erlaubnis, ihn mitzunehmen?» Er schaute mich an, genau in meine Augen, bevor er sich die Stirn rieb und langsam nickte. «Er ist sicherer, wenn Sie ihn mitnehmen. Ich fahre Ihnen hinterher.»
Und er ließ das zu, was ich in erster Linie verhindern wollte. Deswegen hatte ich doch erst zum verdammten Zirkel gegriffen! Ich wollte Kontrolle. Und er- er nahm sie mir vollkommen weg!
Ich hatte sie gehabt. Für ganz kurz hatte ich die Kontrolle gehabt, bis er in mein Zimmer gekommen war und mir alles aus den Händen gerissen hatte.
«Okay, gut. Dario, ich werde jetzt näherkommen.» Das merkte ich. Ihre Schritte drängten mich zurück an die kühle Wand. Ich konnte nicht mehr weichen. Ich konnte nirgends hin.
Okay... eh- Ja... Fuck?
Hab dieses Kapitel mit der Absicht, selbst den Leser unter Druck und Stress zu setzen, geschrieben.
Ich wollte, dass man selbst spürt, wie Dario die Kontrolle verliert, doch... Ja, war nicht so einfach und gelungen ist es mir jetzt auch nicht so...
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