13. Kapitel
«Und er redet nicht mehr?» Ich wartete auf dem Sofa von Giacomos Wohnzimmer. Roxy lag bei mir und schaute mich mit ihren großen braunen Augen an. Giacomo und Lex redeten im Flur. «Er ist um knapp halb 6 hier aufgetaucht und hat dann nur gesagt, dass er Hilfe braucht. Aber sonst kein Wort. Ich weiß auch nicht, was passiert ist.»
«Hab' da so eine Ahnung. Herr Damaris hat mich auch angerufen. Aber gut, das wird schon wieder. Danke, dass Sie mich angerufen haben, Herr Torreno.» Selbst Blinzeln war mir im Moment zu anstrengend. Meine Augen zogen Linien durch die Luft und ich hörte leises Rauschen.
War ich doch zu weit gegangen? Hätte ich es nicht beenden sollen? Aber sie hatte Scheiße gebaut... War ich nun derjenige, der sich entschuldigen musste? Lag ich falsch? In deren Augen wahrscheinlich schon. Aber...
«Kommst du, Dario?» Lex stand im Türrahmen und ich erhob mich schweigend. Roxy sprang vom Sofa runter und lief bereits raus zum Auto. Giacomo suchte meinen Blick und schenkte mir ein trauriges Lächeln. Er machte sich Sorgen. Shit, ich auch, Alter.
Ich wusste nicht mehr, was wirklich passiert war und was ich geträumt hatte. Als ich in Gios Bett erwacht war, hatte ich keine Ahnung gehabt, wo ich mich befand. Ich wusste nur noch Bruchteile und dass ich meine Beziehung mit Noè beendet hatte. Ich hatte schlussgemacht. Weil sie meine persönlichen Traumata und Geheimnisse weitererzählt und mich bloßgestellt hatte. Sie hatte mich hintergangen.
«Gehen wir gleich noch deine Medikamente auffüllen?» Ich zuckte mit den Schultern. «Herr Damaris hat erwähnt, dass du keine mehr hast und einzelne Tage auch ausgelassen hast. Dario, das ist nicht gut. Du musst deine Medikamente nehmen, sonst machst du es dir selbst nur schwerer.» Ja ja... Ich lehnte meinen Kopf an die Autoscheibe, als wir losfuhren.
Und Marco konnte das eigentlich gar nicht wissen. Noè musste ihm von meinen Medikamenten erzählt haben. Sie hatte also ein weiteres Mal die Fresse aufgemacht und etwas weitererzählt. «Du hast dich mit Noè gestritten, oder?» Ich gab ihm keine Antwort und tat mir schwer, meine Augen vom Straßenrand loszureißen.
Ich war weg. Ich löste mich von der Realität und ich hasste es, wenn mir das passierte. Klar, war es die Stille, nach der ich mich sehnte, doch es war auch so gruselig und unangenehm, wie mich alle wahrnehmen konnten, mit mir redeten, ich mich aber nicht aus dieser Starre, diesem Schweigen lösen konnte. Aber wollte ich das im Moment überhaupt?
Ich konnte eine Hand auf meiner Schulter spüren. Eine weit entfernte Stimme drang zu mir hindurch, «Es ist okay. Ich hole dir die Medikamente und dann machen wir uns einen chilligen Tag.» Wenn er meinte. Aber nein echt. War ich nicht doch zu weit gegangen? Ich hatte Noè und Marco nun sicher verdammt doll verärgert und ich war mir sicher, dass ich den entstandenen Riss nicht mehr so einfach zusammenkleben konnte.
Aber wollte ich das überhaupt noch? Noè war nicht das einzige hübsche Mädchen auf der Welt. Und sie war sicherlich auch nicht die Einzige, die sich um mich sorgen konnte oder so lieb mit mir umgehen konnte. Und vielleicht brauchte ich so jemanden wie sie gar nicht mehr und hatte mir das die letzten Monate einfach eingeredet.
Um ehrlich zu sein, brauchte niemand jemanden, der die Geheimnisse weitererzählte. Ich realisierte erst, als wir vor der Apotheke parkten, dass wir nicht mehr fuhren. Logisch, klar. Aber ja, mein Blick folgte Lex' Rücken. Er betrat unsere kleine örtliche Apotheke und suchte in seiner Jackentasche nach den Rezepten meiner Medikamente.
Vielleicht war es auch etwas Gutes, nun nicht mehr an Noè gebunden zu sein. Es könnte mir sicherlich nicht schaden, mal jemand Neues kennenzulernen oder einfach nur allein zu sein. Ich konnte das schon alles allein meistern. «Hier.» Lex legte mir die Tüte mit meinen Medikamenten auf den Schoß und schnallte sich wieder an.
Ich schaute mir die Dosen an und las die Etiketten. Dario C. Corrado-, den Rest konnte ich kaum noch lesen, weil meine Sicht verschwommen wurde. Ich hätte nicht schlussmachen dürfen. Ich habe Noè kaum zu Wort kommen lassen. Aber war das überhaupt nötig gewesen?
«Rede, Dario. Sag mir bitte, woran du denkst.» Ich seufzte nur und packte meine Medis wieder weg. «Frage mich nur, ob ich das Richtige getan habe...» «Die Trennung?» «Yup...» Lex setzte den Blinker und wartete an der Kreuzung, bis er fahren durfte. «Darf ich dir einen Rat geben?» Keine Ahnung. Ich blieb wieder mal still.
«Mit ihr nochmals darüber zu reden, kann nicht schaden. Nimm dir genug Zeit und wenn du bereit dazu bist, kannst du mit ihr darüber reden. Und vielleicht könnt ihr es sogar klären.» Erst zurück im Wohnheim wagte ich es wieder, mein Handy einzuschalten. Und das Erste, was ich zu lesen bekam, waren 17 verpasste Anrufe von Noè und 12 von Marco... Man...
Noè hatte mich wortwörtlich zugetextet. Sie wollte darüber reden, es mit mir klären und sich entschuldigen. Sie möchte nicht, dass wir so auseinandergehen. Ich gab ihr aber keine Antwort und legte mein Handy wieder weg.
Zuerst wollte ich Vicky schreiben, doch der hatte sicher Besseres zu tun. Also entschied ich mich dazu, Giorgia zu schreiben, weil ich gerade echt meine große Schwester gebrauchen könnte. Manchmal vergaß ich, dass sie meine Schwester war und wie wichtig sie mir eigentlich war. Ich vermisste die alten Zeiten, wie wir zusammen rausgingen, sie mich mit zu ihren Freunden nahm oder einfach nur mit mir chillte.
Aber ich denke, ich war selbst schuld daran, wie sich das nun verändert hatte. Ich war schließlich derjenige gewesen, der ihre Anrufe und Nachrichten erst Tage später beantwortete und mich zurückgezogen hatte. Dass sie nun weg war und ihr Wunsch-College besuchen konnte, gönnte ich ihr. Scheiße, ich gönnte es jedem, der es aus Marble rausschaffte.
Ich wusste bereits, dass ich für immer hier festsitzen würde. Ich war ja nicht mal dazu fähig, am Leben zu bleiben, wenn ich keine Medikamente nahm. Ich konnte diese scheiß Tabletten echt nicht mehr ab. Ich wollte sie nicht mehr nehmen. Es musste ohne gehen, doch ich wusste, dass es niemals so sein würde. Hierfür war ich einfach zu schwach.
«Hi? Hi, Lex!» «Was machst du denn hier, Noè?» «Ich wollte zu Dario. Wir müssen dringend reden.» Ich schloss kurz meine Augen und versuchte, zu verstecken, wie gut es mir kam, dass sie mir hierher gefolgt war. Bedeutete ich ihr also wirklich etwas? Wollte sie um mich kämpfen? Liebte sie mich wirklich?
«Ich weiß nicht, Noè...», seufzte Lex. «Ich rede jetzt mit ihm und fertig», schimpfte sie und ich drehte den Fernseher lauter auf, doch auch das hielt sie nicht davor auf, vor ihn zu treten und mich aus glasigen Augen anzuschauen. «Bitte lass uns reden.» Mir entfloh ein Seufzen und ich machte den Fernseher wieder leiser.
«Ich will nicht reden. Für mich ist die Sache klar, Noè.» «Was ist dir klar?» Sie legte ihren Rucksack neben den kleinen Fernsehtisch und band sich die Haare zurück. «Dass ich nicht mehr mit dir zusammen sein will.» «Dario...» Sie verzog ihren Mund und schniefte verkrampft auf. «Bitte-»
«Du hast Scheiße gebaut und ich will gerade echt nicht hören, wie leid es dir tut. Ich bin mir sicher, dass du dich schlecht fühlst und so, aber ich will jetzt echt nichts mehr hören.» Sie biss sich verzweifelt auf die Unterlippe und sah mich nun aus weinenden Augen an. «Sicher?» Nein. Verdammte Scheisse, ich war mir nicht sicher. «Todsicher.»
Ihr fiel das Schlucken schwer, doch sie richtete sich stockend ein- und ausatmend auf und blickte rüber zu den Fenstern. Ihre Hände aneinander reibend, holte sie leise Luft, «Okay...» Tränen tropften ihr vom Kinn, doch sie konnten mich nicht erreichen. Ich hatte das Gefühl, in einem leeren, weißen Raum zu sitzen und nichts konnte mich mehr dazu bringen, etwas zu fühlen.
«Ehm... Okay, dann... Ich will dich nicht zum Reden zwingen.» Sie hoffte auf mein Stopp. Sie flehte mit ihren grünen Augen nach meiner Bitte, zu bleiben. Sie wollte, dass ich sie aufhielt und ihr zuhörte. «Du weißt, wo du mich finden kannst, wenn du reden willst», meinte sie dann nur ganz leise und langte wieder nach ihrem Rucksack.
Ich nickte nur und versuchte mich wieder auf den Fernseher zu konzentrieren, doch der Motor ihres Autos, als sie losfuhr, brannte sich in meine Ohrmuscheln ein und verfolgte mich bis spät in den Nachmittag, wo Lex dann auf die Idee kam, mich in Sportkleidung zu stopfen und mit ins Gym zu nehmen.
«Vielleicht tut's dir mal gut, wenn du diese ganzen Emotionen und Ängste körperlich loswerden kannst. Versuch's mal und wenn's nicht bockt, ist auch okay.» Ich verdrehte nur meine Augen und folgte ihm aus der Garderobe. Viel war hier nicht los. «Also, wie sportlich würdest du dich beschreiben, Dario?» «Schnell genug, um den Cops zu entkommen.»
Lex lachte auf und schüttelte den Kopf. «Schnell heißt nicht gleich fit.» «Ja, deswegen habe ich auch schnell und nicht fit gesagt...» Er packte seine Sachen neben einen großen Spiegel, der Matten davor liegen hatte. «Also bist du nicht so fit.» «Dein ernst?» Ich tat ihm geniert gleich und sah mich nochmals um.
Das war mein erstes Mal in einem Fitnessstudio und wohl fühlte ich mich nicht. Plus, laut Ärzte durfte ich aufgrund der Anorexie nicht wirklich Sport treiben, bis ich mein durchschnittliches Körpergewicht von knappen 70 Kilos, basierend auf Alter und Größe, erreicht hatte. Erreichen war ein Ding, es zu halten das andere... Wie schwer ich jetzt war, wusste ich gar nicht. Knapp 60 Kilos? Mal sicher um Welten mehr als vor der ganzen Klinik-Scheiße.
«Ja, vielleicht bist du von Natur aus sportlicher als andere. Das kann variieren, Dario. Auch, wenn du vielleicht nicht trainierst oder so.» «Ich habe eine Raucherlunge und Anorexie. Wenn du mich besiegen willst, tue es mit Ausdauertraining.» Lex schnippte mit seinem Finger. «Merk' ich mir sicher.»
Ich verdrehte meine Augen und rieb mir meinen Nacken. «Ich kann dich mir sehr gut beim Boxen vorstellen.» Er deutete zur Ecke mit den Boxsäcken und ich zuckte mit den Schultern. «Ich mache es sau gern und es ist so ein guter Ausgleich für aufgestaute Emotionen und Wut.» Darauf hatte ich nur eins zu sagen: «Bist du dir sicher, dass du mir Boxen beibringen willst?»
Er nickte schon halb, als er aber innehielt und es sich nochmals erneut überlegte. Da machte es Klick in seinem Kopf. «Ich könnte es in Zukunft sicherlich bereuen, aber wir leben im Jetzt und wichtiger ist, dass du etwas findest, was dir guttut.» Noè hatte mir gutgetan...
«Und es lenkt dich sicher von Noè ab.» Ich ließ mich also darauf ein und musste eine Dreiviertelstunde später beinahe reanimiert werden. Aber Lex hatte recht: Etwas zu unternehmen, anstelle bloßem Herumlungern und Nachdenken war gar keine so schlechte Idee und ja...
Sollte ich vielleicht nicht doch nochmals mit Noè reden? Ich meine, sie fühlte sich schlecht und-, sie hatte sogar meine Entscheidung, nicht darüber zu reden wollen, akzeptiert. Aber dafür hatte sie meine Privatsphäre nicht berücksichtigt und meine persönlichen Probleme weitererzählt...
«Besser?» Ich rubbelte mir meine Haare trocken und folgte Lex zum Ausgang vom Gym. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich gerade nicht zustande. «Du wärst bestimmt ein krasser Boxer, wenn du die Disziplin hättest...» Ich stockte, «Huh?» «Ja, wenn du dranbleiben würdest, könntest du echt gut werden.»
Ich sah ihn schräg an. «Ich bin schon gut.» «Ja, gut im Boxen, aber das mit schlechten Absichten.» «Was soll das denn heißen?» «Du weißt, was ich meine.» Eventuell, ja.
Jemandem freiwillig eine reinhauen zu können, war nicht schlecht, nein. Das tat ich gern. Vor allem, seit mir das Leben seit Jahren täglich Fäuste zu schwang. Da schwang ich also gern mal zurück.
«Möchtest du öfters mitkommen?» Mir entkam nur ein Schulterzucken. «Ich nehm' dich gerne mit.» «Von mir aus...» Lex begann zu grinsen und warf mir seine Autoschlüssel zu. «Du fährst. Ich bin platt.» «Hab' meinen Führerschein nicht da, du Vollidiot.» Ich warf den Schlüssel zurück und mich in den Beifahrersitz.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro