53. Kapitel
Lex und ich schauten zusammen aufs Meer raus. Er war ganz friedlich so. Wir beide waren so in Gedanken, dass wir gar nicht mitbekamen, wie hinter uns im Bett, die Decke und Kissen zu rascheln begannen.
Erst, als Dario verpennt und völlig neben der Spur im Rahmen der Balkontür hängenblieb und was Wirres von sich gab, kapierten wir, dass der Italiener wieder wach war. Wach, aber alles andere als nüchtern oder klar im Kopf.
Manche Beruhigungsmittel waren einfach zu krass. Ich konnte nicht verstehen, wieso man sie überhaupt zu sich nehmen durfte. Na ja. Jetzt, in Darios Fall, war es rein medizinisch und zu seiner eigenen Sicherheit.
«Boah... Seit wann hat Marblehead ein Riesenrad? Was hab ich denn verpeilt?», murmelte mein Freund und er kippte etwas nach vorn und nach draußen zu uns. Ich fing ihn sanft auf und zog ihn, amüsiert lächelnd, zu mir auf den breiten Sonnenstuhl, der gut Platz für uns beide hatte.
Lex lachte auf, «Wir sind in LA, Dario.» Rio schützte die Augen vor der Abendsonne und sah sich nun eher verblüfft um. «Echt jetzt? Woah... Warum?» Ich strich ihm die Haare aus der Stirn und nahm ihm die kleine Wimper von der Wange, die er verloren hatte. «Deinetwegen.»
«Warum bist du nicht in New York?», gähnte er und er sank tiefer in die Rückenlehne, um mich aus müden und glasigen Augen zu betrachten. Dieser unabsichtlich schmachtende Blick machte mich gegen meinen Willen nervös. «Deinetwegen.» Er rümpfte die Nase und nickte dann nur. «Penn' ich noch und träume?» «Nein...»
Dario stand zittrig auf und schaute sich nochmals genauer um. Ich hatte ihn noch nie komplett auf Drogen erlebt, wo ich mich ja auch glücklich für schätzte, doch so, wie er jetzt war, kam es sicherlich sehr nahe ran. «LA ist voll komisch», meinte er dann nur und Lex und ich sahen ihm verwirrt dabei zu, wie er zurück zum Bett schlurfte und dort einfach mit dem Gesicht voraus zurück in die Matratze fiel.
Seufzend versuchte er sich komplett zuzudecken, doch er hatte sich im Laken verheddert. Oh man... «Mit dem Abendessen wird's wohl nichts mehr.» Ich nickte und war ehrlich gesagt auch etwas enttäuscht darüber, aber was wollte ich schon anderes machen, als es so hinzunehmen, wie es sich vor mir entfaltete.
Plus, wenigstens ging es Dario den Umständen entsprechend wieder besser. Lex half meinem Freund beim Kampf gegen die Kissen und der Bettdecke und deckte ihn dann wieder gut zu. Ich würde den Abend also fürs Lernen nutzen. So wie es aussah, würde Dario gleich wieder weiter dösen und erst morgen vor meiner Abreise wieder der alte sein.
Lex wünschte uns beiden einen schönen Abend und verzog sich dann auch wieder. Ich meine, was wollte er hier bei uns sitzen, wenn Dario eh nur schlief und ich mir mit Musik in den Ohren versuchte, Vokabeln zu merken, die ich kaum aussprechen konnte.
Ich legte meine Sachen neben Dario aufs Bett und klappte meinen Laptop im Schneidersitz auf. Ich konnte nicht anders und verlor ein Seufzen. Für einige Sekunden blieb ich an Dario hängen, der schon wieder in die Welt der Träume abgebogen war und fragte mich, wie anstrengend es denn für ihn war, wenn selbst mir langsam die Puste ausging.
Ich wollte keine Enttäuschung zeigen, doch es machte mich traurig, dass unser Wochenende nun so ausspielte. Ich wollte mit ihm Zeit verbringen, Spaß haben und lachen. Ich wollte seine Liedtexte lesen und mit ihm über die Rechtschreibung diskutieren. Aber was konnte ich stattdessen tun? Lernen. Ich war hier in LA und musste lernen...
Ich öffnete meinen Ordner mit meinen Unterlagen und zückte meine Notizen, welche mehr Farbe als Informationen trugen. Im Flur jagten laute Schritte runter und ich lauschte den Worten kurz, die aber etwas zu leise waren, um sie genau verstehen zu können. Wieder ein Seufzen. Ich klemmte mir den Leuchtstift zwischen die Lippen und blätterte durch das dritte Kapitel: Traumata und deren Auswirkung auf die Entwicklung des jungen Gehirns.
Im Augenwinkel erspähte ich dann aber müde Augen, die mich musterten. Ich sah auf und traf sie. Dario schaute mir beim Lernen zu. Er schlief gar nicht mehr. «Es tut mir leid», murmelte er ins Kissen und umarmte es enger. «Alles gut», versuchte ich zu lächeln.
Seine Augenbrauen sprangen kurz an und wurden dann zu einer strengen Linie. Er versuchte, meine Stimmlage zu deuten. «Nicht das Wochenende, was du dir erhofft hast, huh?» Ich blieb ehrlich und zuckte zustimmend mit den Schultern. «Aber immer noch perfekt. Ich habe dich vermisst und bin froh, dich wieder bei mir zu haben.»
Darios Atemzüge waren schwer und er schaute mir auf den Schoß und dann langsam wieder in die Augen. Ich war mir nicht ganz sicher, woran er dachte, doch versuchte mich nur wieder auf dieses viel zu lange Kapitel zu konzentrieren, doch Darios Hand langte nach meinem nackten Oberschenkel und er streichelte ihn vorsichtig auf und ab.
Ich langte nach seiner Hand und hielt sie fest. Ich liebte es, wenn er mich berührte oder mir seine Hand gab. Eine Berührung und ich fühlte mich so, als hätte sich eine warme, enge Schicht Wachs um meinen ganzen Körper gegossen, welche mich vor der großen, bösen Welt dort draußen schützen konnte und vor allem würde.
Ich massierte Rios Handrücken und zeichnete Kreise auf ihm, doch Darios Finger tanzten nur wieder mein Bein hoch und sie tauchten dann unangekündigt unter meine Shorts, was mich aufschauen ließ. Darios Augen klebten an meinen. «Was machst du?» «Anfassen», kam es gedämpft von ihm, der immer noch halb in der Bettdecke eingemummt war. Er griff fest zu und bohrte seine Fingerspitzen in meinen Schenkel.
Ich versuchte zu verstehen, was das gerade werden sollte, als mir einsackte, was mein komplett higher und nicht entscheidungsfähiger Freund da wollte. «Nein, Dario.» «Warum? Ich weiß, du willst es. Schon seit wir gestern hier angekommen sind.» Ich schob seine warme Hand weg und schüttelte den Kopf. Das konnte er gleich vergessen.
«Nicht so.» «Wie denn? Was mache ich denn jetzt wieder falsch?» «Du bist nicht ganz zurechnungsfähig und instabil.» Dario zuckte mit den Schultern und wurde mir etwas zu ehrlich. «Perfekt zum Bumsen.» Die traurige Wahrheit in seinen Worten trug eine Doppelbedeutung.
Natürlich meinte er es sarkastisch, doch in seinem Fall leider auch vollkommen ernst. Denn in seinem jetzigen Zustand hatte er keine Angst davor. Zusätzlich war er in einem ähnlichen Zustand Opfer von Harmony geworden. Und das war Grund genug, hier jetzt komplett abzublocken. «Dario...» «Ist doch so... So kann man mit mir machen, was man will.» «Ich will mit dir aber nicht machen, was ich will.»
Dario langte wieder nach meiner Hand und schob meinen Laptop fast von der Matratze. Er zog mich an sich heran und meine Unterlagen fielen zu Boden. «Vielleicht bin ich auch nur für das gut... Kann ja kein Zufall sein, dass mir jede dritte Tusse immer an die Wäsche will und immer mir der Mist mit dem Belästigen passiert.» Aussagen, die ich von ihm nicht kannte. «Das stimmt nicht, Dario.»
«Es beschäftigt mich, weißt du?» «Was denn?» «Ja, dass wir da so unterschiedlich sind. Das setzt mich richtig unter Druck.» Ich fühlte mich ehrlich gesagt nicht so wohl mit ihm, wenn er nicht ganz sich selbst war, doch vielleicht konnte ich endlich einmal die Antworten kriegen, die er mir manchmal nur halb patzig gegeben hatte.
Er war heute Abend sehr ehrlich und nahm kein Blatt vor dem Mund, was Folgen vom Beruhigungsmittel sein mussten. «Unterschiedlich?» «Ja, du findest es toll und willst mehr. Mich juckt es nicht. Ich kann ohne, aber mich stört's auch nicht, wenn wir miteinander schlafen. Bockt halt einfach nicht so, weißt du?» «Aber das ist doch normal. Also, dass wir da unterschiedlich sein könnten.»
«Ja, aber du bist tausende von Kilometer weg. Was, wenn der richtige kommt und dir alles gibt, was ich dir nicht geben kann oder will?» «Ich würde das doch niemals tun.» Dario drehte sich zu mir und sah mich aus trüben Augen an. «Würde es dir aber nicht übelnehmen...» Ich strich ihm über die Wange und küsste seine Stirn. «Niemals. Hörst du? Das würde ich niemals tun.» Dario blieb still und dachte nach.
Ich nutzte diesen Moment, um ihm eine Frage zu stellen. «Wie geht es dir wirklich?» Er atmete stockend ein und aus und schaute kurz raus auf den Balkon, bevor er nur den Kopf schüttelte. «Müsste, glaube ich, schon lange wieder in der Klapse sitzen...» Diese Ehrlichkeit. «Würde es bestimmt allen einfacher machen.»
Er hockte sich mühevoll auf und rieb sich die Augen. «Ist halt scheiße, dass ich mittlerweile gut selbst wahrnehme, wie ich mich verhalte und ich kann's aber trotzdem nicht kontrollieren.» Er presste die Lippen zu einer Linie zusammen und strich sich nachdenklich über das kleine Semikolon-Tattoo hinter seinem Ohr.
«Was denkst du denn, brauchst du gerade am meisten?» Er zuckte mit den Schultern. «Ganz ehrlich?», fragte er trotzdem nach. Ich nickte. «Die Klapse wird's nicht mehr bringen. Ich halt' jetzt einfach so lange durch, bis es mir wieder ausklinkt und wenn's mich dann packt, ist das dann halt so.» Packt? Killt? Meinte er es so?
«So weit muss es nicht kommen, Lio.» Er schwieg und machte auch nach ein paar Minuten nicht mehr den Anschein, mir eine Antwort geben zu wollen. Ich wusste nicht, ob er nun genervt oder verletzt war, doch ich blieb auch ruhig und löste mich von ihm und seinen Armen, die nur schwach um mich gelegen hatten.
Ich konnte auch nicht mehr bei ihm auf dem Bett sitzen, sondern sammelte meine Sachen und stationierte meine Lernsession zum kleinen Esstisch bei der Minibar. Dario sah mir zu und er hockte sich dann auch wieder auf und trug ein eher verbissenes Schmunzeln. «So weit sind wir jetzt also schon...»
«Ja, was soll ich denn sonst noch machen, Dario? Ganz egal, wie fest ich dich halte und dir gut zurede, du bleibst so wie du bist. Ich kann dir nur so viel helfen und der Rest liegt an dir. Plus, du weißt mittlerweile selbst, was du brauchst, um klarzukommen.» «Es geht doch gar nicht darum.» Er stand auf und verzog sich ins Bad.
Kurz bevor er die Tür hinter sich zuzog, sagte er noch, «Klar, weiß ich, was ich brauche, aber wenn's nicht hilft, verliert es an Glaubwürdigkeit, weißt du? Und ich will jetzt nicht mehr darüber reden.» Nur wenig später ging die Dusche an und ich hätte mich am liebsten dafür gekickt, ihm jetzt so gekommen zu sein.
Ich wollte doch gar nicht streiten. Das war unser letzte Abend zusammen für keine Ahnung wie lange. Die Zukunft war unberechenbar im Moment. Wir wussten nicht, was passieren würde, wenn Darios Musikkarriere einschlagen würde oder ob es überhaupt dazukommen würde.
Ich meine, bei mir war klar, dass ich die nächsten Jahre in New York verbringen würde. Aber bei Dario konnte man nicht einmal wissen, was morgen passieren würde. Würde er sich überhaupt ins Studio trauen? Aber ich wollte mir jetzt nicht wieder so viele Gedanken machen, weshalb ich mich dazu entschied, mein Lernen zu unterbrechen.
Ich suchte mir frische und schicke Klamotten aus meiner Reisetasche und legte mir ein Outfit raus. Ja, die lockere Cargo Hose und das Crop Top würden schon hinhauen. Ich kämmte mir die Haare mit den Fingern und band sie halb in die Höhe. Mein Make-up musste reichen.
Dario kam mit feuchten Locken und bereits wieder bekleidet aus dem Bad und er stockte, als er mich bereit zum Ausgehen erblickte. «Was soll das jetzt werden?» «Wir gehen aus», befahl ich und ich zückte seinen Koffer und begann ihm was rauszulegen. «Warum?» «Weil ich unseren letzten Abend nicht streitend, genervt und diskutierend mit dir verbringen möchte.»
Ich legte Dario eine graue Jeans raus und dazu ein schwarzes Shirt und seine schwarze Jeansjacke, die er von Giorgia geschenkt bekommen hatte. Ich warf ihm auch seine Lederarmbänder dazu und deutete dann auffordernd auf die Klamotten.
Dario war sich nicht ganz sicher, wie er reagieren sollte, doch er langte schweigend nach dem Shirt und wechselte es mit seinem aus. Dasselbe mit der Hose und immer noch etwas eingeschüchtert, weil ich streng auf dem Balkon auf ihn wartete, band er sich die Armbänder um seine Narben und schwang sich dann die Jacke über die Schultern, um sie anzuziehen.
«Fertig?» «Mhm...», nickte er und ich langte nach seiner Hand, unserer Zimmerkarte und meinem Handy. «Dir ist aber schon bewusst, dass das LA ist und wir hier als 16- und 17-Jährige nichts machen können, oder?» Stimmt, wir waren hier nicht im Kaff, wo man einfach mal chillen konnte oder so.
Aber egal. Ein Spaziergang am Strand oder durch die Straßen war mir mehr als genug. Ich wollte jetzt einfach nicht in diesen trüben vier Wänden eingesperrt sein. Vor dem Hotel drehte ich mich zu ihm um und zog ihn an beiden Händen nahe an mich heran. Ich bekam immer weiche Knie, wenn Rio so auf mich nieder blickte, weshalb ich ihn anhimmelnd und schüchtern zu grinsen begann.
«Lass schauen, wo es uns hintreibt.» «Okay...» Ich strich ihm die Locken aus der Stirn und stemmte mich auf meine Zehenspitzen, um ihn endlich wieder einmal küssen zu können. Dario umgriff meine Seiten und holte mich noch näher an sich heran.
«Ohhhhhh!» Wir zuckten zusammen, weil ein Auto, das an uns vorbeifuhr, voller Jugendlichen, die wir offensichtlicherweise nicht kannten, grölte und unseren Kuss kommentierte. Das passierte auch nur hier in LA, was? Hier konnte sich niemand nur auf sich selbst konzentrieren.
«Wer weiß, vielleicht lernen wir paar Leute kennen», zog ich Rio dann die Straße runter. «Bei meinem Glück gleich die Polizei», konterte er und genau in diesem Moment fuhr ein Polizeiwagen an uns vorbei. Er wollte aber gar nichts von uns. Dario fand es trotzdem lustig und deutete vielsagend auf den Wagen. «Hab's ja gesagt.»
Jetzt sind wir aber mal ehrlich... Dario als Musikstar/Celebrity? Eher heikel und kritisch, oder? Was meint ihr?
Ich denke einfach, dass wäre, als würde man einem in Benzin getränkten Menschen ein Feuerzeug in die Hand drücken. Also, jetzt in Darios Fall zumindest. Na ja... wemigstens wird's uns im Band 5 dann nicht langweilig...
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