5. Kapitel
Es war komisch. Drei Stunden zuvor hatte Dario noch eine Panikattacke erlitten und jetzt saß er bei James Corden auf dem Sofa und meisterte jede Frage, das Live-Publikum und dabei sah er auch noch zum Anbeißen gut aus. Dario im weißen Hemd und schwarzer Anzughose... Jesus Christus.
Es war absurd und kaum nachvollziehbar, aber mein Dario saß da auf dem Sofa einer Talkshow und er war der Gaststar und im Publikum saßen seine Fans. Vor knapp mehr als einem Jahr hatten wir noch gegen seine Drogensucht gekämpft und waren kaum gegen seine Symptome angekommen.
Ich musste aber sagen, dass James Corden echt ein mega netter Typ war. Er hatte uns alle vor der Show begrüßt und mit Dario vorzeitig besprochen, welche Themen angesprochen werden durften und welche nicht. Somit war Lio mehr oder weniger vorbereitet. Worauf sich jedoch niemand von uns hatte vorbereiten können, war das Live-Publikum.
Die Mädchen in der ersten Reihe konnte es kaum glauben, dass Lio nur knappe 8 Meter vor ihnen saß und sich gelassen und frech mit James unterhielt. «Du sprichst in Infernal Embrace Angewohnheiten an, die du abschütteln konntest und welche, die immer wieder zurückkommen. Welche deiner jetzigen Angewohnheiten, die wir vielleicht gar nicht kennen, würdest du am liebsten auch noch abschütteln? Ich würde dafür töten, wenn ich meine Gelüste auf Snacks in den Griff bekommen könnte.» Das Publikum lachte und Rio nickte zustimmend.
James wusste, wie man die Stimmung locker hielt, doch Dario räusperte sich dann eher unbeholfen und dachte nach. «Hmm... Weiß nicht...» Knappe 5 Sekunden vergingen, als dann ein Gast im Publikum meinte, «Rauchen!» Dario sah auf und suchte die Augen des Gastes.
James schaute Dario neugierig an und mein Italiener nickte dann besiegt. «Ja, bin nicht stolz darauf, aber rauchen. Ja.» «Du rauchst?» «Mhm...» Sett hielt sich die Stirn, aber irgendwie nahm ihm das niemand hier übel. Hoffte ich, zumindest.
Dario zeigte, dass er nicht stolz darauf war und blieb sogar ehrlich. «Hab' sehr früh angefangen und versuche seit Längerem aufzuhören.» «Dass du es versuchst, ist doch gut.» Soweit ich wusste, hatte Dario im Moment nicht mehr vor aufzuhören. Also, er machte keine Anzeichen mehr. Klar, war es schade, aber was wollte ich da schon machen? Mehr als ihm das zu sagen und ihn zum Aufhören zu ermutigen, konnte ich nicht tun.
Mein Dad rief mich wieder an, weshalb ich das Studio verließ und als ich wieder zurückkam, war Lio bereits wieder in seinem Dressingroom. Sett schimpfte mit ihm wegen der Sache mit dem Rauchen. «Ja, was hätte ich denn sonst sagen sollen? Leugnen kann ich das doch nicht. Diese scheiß Paparazzi haben mich doch eh schon beim Rauchen erwischt. Man Sett, lass es.»
Dario erblickte mich und stand vom Sofa auf. Er langte nach meinem Oberarm und zog mich den Flur runter. Es war gerade Sendepause und James unterhielt sich mit seinem Publikum. Er redete gerade mit ein paar Mädchen von der ersten Reihe. «Eine Umarmung? Vielleicht können wir das einrichten.»
James wandte sich an Barbara, die mit jemanden was besprach und abseits der Stage stand. «Ist Dario noch da oder ist er schon weg?» Timing hatten wir kein gutes, denn wir schafften es nicht unbemerkt an Darios Managerin vorbei. «Er ist da. Komm, Dario. Hast du kurz Zeit?»
Normalerweise würde er nein sagen. Ich kannte ihn, doch diese Barbara hatte ihn vor James, dem Publikum und seinen Fans gefragt, weshalb sie ihn ohne großen Widerspruch zurück ins Studio und auf die Bühne zog. Nur ließ Lio meine Hand nicht los.
Darios Hemd von eben war nicht mehr ganz zugeknöpft und man konnte ihm ansehen, dass er unter Stress stand, doch so gut wie er sich verstellen konnte, kam es nicht bei den Fans und James an. Ich schlüpfte aus seiner Hand und wartete beim Ende der Stage.
«Eine Umarmung?», fragte Lio schmunzelnd nach und lief zu James und den Mädchen. Doch eins von ihnen schaute die ganze Zeit zu mir rüber, was mir unwohl wurde. Ich versuchte mich zurückzuziehen und etwas hinter den roten Vorhang zu schleichen, doch mein Name fiel. «Hi, Noè!» Verdammte Scheiße.
«Noè?», fragte James nach, als ich wirklich sehr unbeholfen winkte und mich vom Publikum zu schützen versuchte, aber die Katze war aus dem Sack. «Ja, Noè. Darios Freundin.» Das Publikum machte, «Ohhhh». Dario umarmte die Mädchen und versuchte, nicht darauf einzugehen.
«Ach, Noè. Komm doch auch her.» James war ja lieb und alles, aber ich war nicht diejenige, die auf dieser Bühne zu stehen hatte. Ich wollte nicht herkommen und alle Augen auf mich fixiert haben. Doch wie konnte man nein sagen, wenn eh schon alle Blicke auf einem lagen? Jetzt wusste ich, wie manipuliert sich Dario manchmal fühlte.
Und ich gehörte überhaupt nicht dorthin. Ich wollte nicht, dass andere dachten, ich würde Dario fürs Rampenlicht auszunutzen und selbst Fame werden. Ich wollte nichts mit diesem Business zu tun haben. Wirklich gar nichts.
Aber da eh Sendepause war, würde man mich wenigstens nicht im TV sehen, weshalb ich leise zu Lio tapste und mich dann neben ihn gesellte. «Hi», meinte ich nur ganz leise und ich erkannte eins der Mädchen. Sie war diejenige mit dem Brief an Lio. Sie wollte mich umarmen, weshalb ich es zuließ, und ich wandte mich dann an Lio, der sich mit James unterhielt.
«Sie hat dir den Brief geschrieben, den ich dir gegeben habe.» Und dieses Mädchen machte so krass große Augen und begann zu weinen, als sie realisierte, dass ich ihn tatsächlich an Dario weitergegeben hatte. Dieser bedankte sich und tauschte wenige, persönliche Worte mit ihr aus, die niemand hören konnte. Er hatte extra sein Mikro am Hemd zugehalten. Seht ihr, ich hätte schon lange vergessen, dass ich überhaupt ein Mikro anhätte, wenn ich Dario wäre.
«Du hast also das Glück, Darios Musik als Erste zu hören, was?» Ich musste auflachen und schüttelte meinen Kopf. «Ich bin wohl eher die Letzte, die sie hören darf.» James fand das ganz schockierend und stellte Dario zur Rede.
Das Publikum musste lachen und Dario zuckte verlegen mit den Schultern. «Weiß nicht. Vor ihrer Meinung habe ich am meisten Angst.» Das hatte ich nicht gewusst. Ich dachte immer, er wollte mich damit einfach nerven.
«Sie ist mir am wichtigsten. Wenn's ihr nicht gefällt, kommt's nicht an die Öffentlichkeit.» Das Publikum fand das ganz süß und awte. Man, jetzt brachte mich der Typ auch noch zum rot werden. Ich langte nach seiner Hand und sah sanft lächelnd zu ihm auf.
Die Sendepause ging dem Ende zu, weshalb wir zusammen mit James in den Backstage-Bereich gingen. Er entschuldigte sich bei mir für die Unannehmlichkeiten. Er hatte mir angesehen, dass ich eigentlich nicht hatte kommen wollen. Aber es war ja ganz gut verlaufen, also winkte ich bloß ab.
Dario und ich hatten eben eigentlich nach draußen vor das Studio wollen und ich ging davon aus, dass wir das jetzt nachholen würden, doch Dario lief zu Barbara und drückte ihr das nun aus gesteckte Mikro, welches noch an ihm hing und in seiner Hosentasche verkabelt war, in die Hand und zeigte genervt auf sie.
«Bin ich dein Prostituierter, oder was?» Sie rümpfte ihre Nase und deutete Lio, ruhig zu bleiben. «Du hast gesagt, ein Interview und dann fertig. Aber nein, ich muss noch in der verdammten Sendepause Hure spielen und mich von dir wieder vors Publikum werfen lassen, oder was? Das war nicht abgemacht. Ich will morgen einen freien Tag. Ich hab' kein Bock mehr.»
Lex war gekommen, weil er Lios wütende Stimme gehört hatte, doch ich übernahm und zog meinen Freund an die frische Luft, wo er zittrig nach einer Kippe langte und sich dann hinter dem Haus auf dem Randstein hinhockte. «So schlimm war es doch nicht, Dario.»
Er atmete den Rauch stockend aus und schaute in die Nacht hinaus, welche hier in New York noch immer dem Tageslicht nahekam, aufgrund der ganzen Werbemonitoren und Beleuchtungen. «Ich habe ihr gesagt, dass ich mich auf solche Scheiße zuerst vorbereiten muss und nicht immer Lust darauf habe, mich von Fremden anfassen zu lassen. Das ganze Interview war eh schon eine Katastrophe. Weißt du, wie peinlich mir das war mit dem Rauchen? Hast du die verurteilenden Blicke gesehen? Kann's ja verstehen. Bin 16 und rauche, aber trotzdem... Ich weiß doch selbst, dass das Scheiße ist, mit den Kippen... Maledizione, di nuovo. È tutto così fastidioso e di merda.»
Er rieb sich seine Augen und schüttelte den Kopf. «Und morgen bist du wieder weg. Ich pack' das nicht, wenn du weg bist. Es ging heute nur, weil du dabei warst.» «Aber es hat die letzten Monate doch auch funktioniert. Du kannst das auch ohne mich.» Er schüttelte wieder den Kopf und zog an seiner Zigarette. «Das hier sollte richtig cool und abenteuerreich sein. Ich möchte es genießen. Schließlich sollte ich mich glücklich schätzen, solchen Erfolg zu haben und vor allem so eine Chance zu kriegen, weil ich ja eigentlich eh damit gerechnet habe, auf der Straße oder im Knast zu landen, aber ich will das hier nicht alleine machen.» «Du bist doch nicht alleine.»
«Weißt du denn, wie es sich anfühlt? Einsam. Es ist verdammt einsam hier oben.» Er schaute mich an. «Ich war schon vorher einsam. Ich war es schon immer und jetzt von allem und jedem abgekapselt vollkommen zu sein, macht es nur noch schlimmer. Du musst bleiben. Kannst du bei mir bleiben?»
«Du weißt, dass ich morgen wieder Schule habe. Ich gehe hier zur Uni. Ich kann nicht bei dir bleiben.» Das war eine schlechte Wortwahl. Darios Augen blitzen verletzt auf. «Kann oder willst?» Ich blieb aber ehrlich. Wenn wir etwas die letzten Monate gelernt hatten, dann war es, dass wir ehrlich zu bleiben hatten. Auch wenn die Wahrheit schmerzte. «Beides. Ich habe mich hier eingelebt, Freunde gefunden und mir meinen Rhythmus erbaut.»
Ich verlor ein Seufzen. «Plus, ich möchte nicht abhängig von dir sein. Du bist jetzt ein Star. Mein Stolz würde das nicht verkraften, wenn ich jetzt auf deine Kosten mit dir reisen und leben würde.» «Das Geld ist doch scheißegal. Weißt du, was es mich kostet, wenn du nicht da bist?»
«Dario...» Er stand auf, drückte die Kippe aus und winkte ab. «Ist gut. Nessun problema», trat er auf der Kippe rum. Er half mir auf die Beine und strich sich seine Hose sauber. Ich tat ihm gleich und versuchte zu verstehen, was gerade in ihm vorging, aber ich konnte es bei bestem Willen nicht herausfinden und um ehrlich zu sein, auch nicht immer wissen.
Darios Chauffeur ließ mich bei der Uni raus. Rio hatte mir nur flüchtig Tschüss gesagt. Ich wusste nicht, wann ich ihn das nächste Mal wieder sehen würde und wo er als nächstes hingezogen wurde, weshalb mir dieses halb patzige Tschüss nicht gefiel, aber der schwarze Rover ließ uns keine Zeit.
Ich sah nur noch die Rücklichter davonziehen und ging seufzend zurück in die kleine WG, welche mir um Welten besser gefiel als dieses schicki-micki Hotel, in dem Dario bleiben musste. Keine Ahnung, mir gefiel dieser ganze Luxus nicht so. Die Kohle hätte ich schon gerne, aber nicht für so bedeutungslose Sachen, wie ein Schlafzimmer oder eine Regendusche oder so...
Ich schrieb Dario noch, doch kriegte keine Antwort mehr. Nicht schon wieder. Es war traurig, aber ich kannte diese Masche mittlerweile sehr gut. Es war nicht das erste Mal, dass er sich bei mir spaltete. Ich meine, er tat es schon seit Beginn unserer Beziehung. Splitting. Das altbekannte Spalten bei Borderliner.
Ihm hatte meine ehrliche Antwort nicht gefallen und deshalb bin ich jetzt mehr oder weniger für ihn gestorben. Oder er ist zumindest sehr krass genervt von mir. Ich versuchte ihm mit Nachrichten zu zeigen, dass ich ihn liebte und an ihn dachte, was meistens ziemlich gut half. So spaltete er sich auch gerne wieder um. Ihr wisst schon; er mag mich dann wieder.
Ist anstrengend, aber gehört nun mal dazu bei Dario. Ich meine, wir hatten uns in den letzten Monaten auch immer wieder getrennt. Nicht wirklich, aber Dario rief mich gerne mal aus dem Nichts an oder schrieb mir, dass er es nicht mehr konnte und nicht mehr mit mir zusammen sein wollte.
Da es nicht gerade selten passierte, hatte ich eine kleine Routine vorgeschlagen und wir hielten uns sehr gut an sie. Sogar Dario. Und sie funktionierte. Schließlich waren wir noch immer zusammen.
Wenn Dario sich so fühlte oder der Meinung war, dass es nicht mehr sein sollte, konnte er mir das mitteilen und bevor wir uns wirklich trennen würden, würden wir mindestens zwei Tage darüber nachdenken und dann wieder darüber reden.
Funktionierte wie eine eins. Echt, wir hatten uns dank dieser Routine kein einziges Mal mehr richtig getrennt. Und umgekehrt lief es gleich. Also es wäre so, aber ich hatte mich noch nie getraut, ihm zu sagen, wann ich an unserer Beziehung zweifelte. Vor seiner Reaktion hatte ich wahre Alpträume.
Wesley saß mit den Zwillingen im Wohnzimmer und sie schauten zusammen fernsehen. «Na?», fragte ich nach und legte meine Schlüssel in die kleine Vase, nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte. «Was schaut ihr?» «Nachrichten. Dein Boyfriend wird wegen des Rauchens zerrissen.» Ach, nicht schon wieder.
«Wie war's bei ihm?» «Anstrengend und wie in der Hölle», seufzte ich und warf mich zwischen meine Freunde, um es mir auch bequem zu machen. «Also nicht bei ihm, aber dieser ganze Scheiß ist echt anstrengend, mit dem Fame und so. Er mag es auch nicht.» «Kann ich verstehen.» «Es ist viel zu viel. Ich war nur einen Tag dabei und damn, ich bin fertig. Plus, sein Team ist richtig asozial. Denen ist scheißegal, wie es ihm geht und so.»
TMZ, eine amerikanische Nachrichtenquelle, welche nicht gerade freundlich oder beliebt war, zeigte Fotos von Lio, wie er rauchte oder direkt an seinen Fans vorbeiging, ohne ihnen einen Blick zu widmen. «Die Mädels lieben es halt. Der abweisende, unerreichbare Badboy», meinte ein alter Sack.
Nicht, wenn sie wüssten, was in ihm vorging, wenn er so viel rauchte, den Blick tief hielt und ganz still war. Das war kein Badboy, nein. Da litt ein Mensch und alle fanden es heiß und mysteriös...
Plus, er war fucking 16... Warum ging man so auf sein Äußeres ein und redete über solche Sachen? Wieso konzentrierten sie sich nicht einfach nur auf seine Musik und sein Talent? «Können wir was anderes schauen?» Wes nickte und wechselte den Sender.
Kritisch... Ganz kritisch
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