45. Kapitel
«Lex, das ist eine scheiß Idee. Ich will das nicht mehr.» «Komm, jetzt trau' dich. Wenn's gar nicht passt, lassen wir es oder suchen uns jemand anders. Aber lass es uns versuchen.» Ich strich mir meine Haare aus der Stirn und seufzte nachdenklich.
Lex wählte sich in den Call ein und ich tippte verzweifelt eine Nachricht an meine Freundin, die gerade Mittagspause hatte, dass ich kurz vor einem Kollaps war, weil mich diese Sache so nervös machte. «So, jetzt hören wir Sie. Hi.» Lex richtete die Kamera und ich legte mein Handy geniert zur Seite.
«Hi, Zusammen. Ja, diese Calls sind immer eine Challenge für sich allein. Wie geht es euch?» Lex redete für mich und ich rieb mir nervös über die Nase. Mittlerweile trug ich keinen Verband mehr um die Hand. «Und du bist Dario, hmm?» Ich lächelte unbeholfen und sagte leise hallo. «Ja, hier in Marblehead verabschiedet sich der Sommer schon wieder halbwegs. Und es regnet viel.» Aber auch nur, weil meine Sonne nicht mehr da, sondern in New York war.
«Ja, in LA ist das ganz anders. Wir verbrennen hier fast. Erstmal kurz, ich bin übrigens Ben. Ich hab' voll verpeilt, mich vorzustellen.» Er lachte leise auf und rieb sich auch eher aufgeregt die Hände. Er war sich auch nicht ganz sicher. «Lex», stellte sich mein Betreuer vor und mein Name war ja schon bekannt.
«So. Dario, bevor wir da anfangen, muss ich etwas: Geile Stimme. Du hast einen richtig einzigartigen Klang in der Stimme und dieses gewisse Etwas könnte sehr viele Leute ansprechen und zu dir holen. Du hast eine Stimme, die man hören muss.» Jup, da kam die Farbe in meine Wangen. Man, ich hasste Komplimente.
«Danke... War ja eigentlich nicht wirklich mein Plan.» Ben schnippte mit dem Zeigefinger und zeigte auf Lex. «Genau, das hab' ich mitbekommen. Du bist eher ungewollt viral gegangen. Deswegen hast du auch noch nicht wirklich darauf aufgebaut, was?» Ich nickte nur. Ja, ich hätte vielleicht mehr posten oder so sollen, aber das war nicht meins.
«Aber du schreibst?» «Mhm, manchmal.» «Ich merk's schon. Du schreibst über sehr persönliche Dinge, oder?» Lex zog sich zurück und überließ mir die Führung, da es schließlich um mich ging. «Vermehrt, ja. Was hat mir verraten?» Ben trank etwas aus einer Tasse und ließ sich extra lange Zeit mit der Antwort.
«Keine Ahnung. Ich habe einfach das Gefühl, dass du für dich selbst schreibst und das ist meist die beste Musik, die man kreieren kann.» Ja, wenn man gut genug wäre. Wenn man dazu fähig wäre, Musik oder zumindest gute Musik zu machen.
«Du spielst Instrumente, oder?» Ich nickte, aber ergänzte, «Nicht gut, aber ja. Klavier und Gitarre.» «Das sind schon mal saugute Voraussetzungen. Schau, ich bin ehrlich. Du scheinst mir wie jemand, der sehr viel zum Erzählen hat und ich würde dir sehr gerne bei deinen ersten Worten an die Welt helfen.» Mir wurde schlecht und ich sah unschlüssig zu Lex rüber, der mich aber bloß dazu ermutigen wollte.
Man, ich hatte doch keine Ahnung, ob das eine gute Idee war. «Du meinst, richtige Songs und so? Also veröffentlichen?» «Ja, genau das meine ich. Wir könnten mal zusammen im Studio schauen, was sich für dich am besten anfühlt.» In LA? Ich? In LA?
Ich schaute wieder rüber zu Lex und dieser verschränkte nun die Arme auf der Brust. «Du kannst mir das mitbringen, was du bereits geschrieben hast, und dann schauen wir mal. Und ich bin da auch nicht aufdringlich oder hinterhältig. Von denen gibt's schon genug im Business. Wenn's dir nicht passt, kannst du auch jederzeit zurücktreten oder mir das sagen. Was meinst du?» «Lex?», wandte ich mich an die schweigende Person neben mir.
Er seufzte und rieb sich nachdenklich die Stirn. «Der Plan oder die Vorstellung wäre nun, dass wir eventuell für eine oder zwei Wochen nach LA kommen? Verstehe ich das richtig?» «Genau.» Hätte ich das gewusst, hätte ich mir einen Produzenten in New York ausgesucht...
«Aber ich muss sagen, Dario. Es lohnt sich für dich, wenn du deine sozialen Medien wieder aufnimmst, um dir mit dem, was dir das virale Video erbaut hat, noch mehr zu erbauen. Es lohnt. Vor allem bei neuen Sängern, die noch nicht in Verbindung mit einer Plattenfirma stehen.»
Lex fiel etwas ein. Er hob die Hand an. «Wir haben schon Angebote bekommen.» Ben zog seine Augenbrauen zusammen. «Von Plattenfirmen? Das ist eher komisch, weil gute Firmen nicht einfach willkürlich jemanden wollen. Vor allem nicht nach einem Video. Ich würde also von diesen Firmen abraten. Aber da helfe ich gerne auch mit, wenn's dann so weit ist. Also, was meint ihr? Wollen wir etwas vereinbaren und dann mal schauen, was sich ergibt?»
Ich blieb still, weil ich wusste, dass Lex bereits mit Kelly darüber gesprochen hatte. Also, dass ich eventuell Marble verlassen würde. Sie war kein Fan. Ihr Zögern ergab Sinn, denn hätte sie keins, wäre ich ja auch mit Noè mit nach New York geflogen. Doch hier waren die Voraussetzungen anders. Lex würde mitkommen.
«Wäre es okay, wenn wir auf dich zurückkommen? Wir besprechen das nochmals genau und würden dir dann sagen, was geht.» Ben schien gelassen und flexibel, weshalb er abwinkte und meinte, es sei vollkommen verständlich. Und nur knappe 45 Minuten später hockte ich mit Kelly, Lex und Marco unten in der Küche. Und sie diskutierten angeregt über diesen Entscheid.
Lex war dann derjenige, der realisierte, dass diese Entscheidung in erster Linie an mir lag. Er deutete auf mich. «Was denkst du, Dario? Möchtest du es wagen? Das ist eine riesige Chance, aber auch nicht gerade einfach.» Ich zuckte unbeholfen mit den Schultern und schrieb Noè kurz zurück. Sie wollte auch alles wissen und eigentlich telefonieren.
«Es wären ja nur 2 Wochen. Wir könnten einfach mal schauen, wie es wird und ja... Ich würde schon gerne mal sehen, wie so ein Produzent Songs macht. Vor allem meine eigenen.» Kelly strahlte stolz auf und begann zu grinsen. «Ich denke auch, dass es gut für dich ist. Aber dort kannst du dir dann halt kein Mist erlauben. Die Medikamente werden brav genommen und wir sprechen und doch alle paar Tage, verstanden?»
Ich nickte nur und rieb mir meine Augen. Ich war saumüde. Seit Noès Abreise fiel mir das Schlafen schwer. Schwerer als sonst. «Gut, dann machen wir das so. Ich bin gespannt.» Marco nickte nur. Für ihn hieß das jetzt, irgendwie ans System zu kommen, damit die mir gewähren würden, den Staat zu verlassen. Aber das sollte auch kein Problem werden, denn sie hatten mich in einem viel schlimmeren Zustand nach Italien lassen.
«Ben meinte, du solltest bisschen was posten, um die Reichweite beizubehalten. Das könnte dir für deinen Start im Business sehr helfen.» Ja, hatte er. Und ja, ich meine, ich hatte sicherlich ein oder zwei Covers auf Lager, doch wollte ich die posten? Kurze Clips auf TikTok würden reichen, nicht wahr? Ich hatte doch keine Ahnung.
«Ich hab' eine Aufnahme von Angels. Könnte einen Clip davon posten und schauen, was passiert. Man sieht mich da nicht.» Kelly blieb still und sah zu Lex, der mich neugierig anschaute. «Poste, was sich für dich richtig anfühlt. Kannst ja mal schauen, wie es ankommt. Aber ich werde Ben Bescheid geben. Dann werden wir bald mal nach LA fliegen.» Yup... Sah so aus.
Ich entschuldigte mich dann von der Gruppe und ging hoch in mein Zimmer. Roxy folgte mir auf Schritt und Tritt. Beim Schließen meiner Tür begann mein Handy zu vibrieren. Noè hatte wohl gerade etwas mehr Zeit als sonst.
Ich ging ran und erblickte ihre langen braunen Haare hochgebunden. Sie saß auf ihrem Bett und klappte beim Hi sagen ein Buch zu. «Dachte, du hast eine Vorlesung», fing ich an, doch Noè schüttelte den Kopf. «Die fiel aus und ich lerne gerade ein bisschen. Wesley will mich heute Abend mitnehmen. Damit ich mal paar neue Leute kennenlerne und so. Sie kommt ja aus New York.»
Ich nickte nur und hockte mich auch auf mein Bett. «Aber sag jetzt! Wie war der Call wirklich? Ich will jedes Detail hören.» Ich seufzte und ließ mich tiefer in meine Matratze sinken. «Dieser Ben scheint sau gechillt und ja. Lex und ich denken, wir sollten der Sache eine Chance geben. Das Studio ist in Los Angeles. Wir werden probeweise 2 Wochen dorthin gehen und ja, dann schauen wir mal, wie ich mich in einem Studio und so mache.» Ich hörte nichts mehr und sah nach, ob Noè noch da war.
Doch sie hielt sich grinsend den Mund und schlug dann aufgeregt in ihre Bettdecke. «Das ist verdammt geil! Ich könnte ausrasten!» «Und ich könnte kotzen. Ich hab' krass Sausen davor. Er meinte auch, ich sollte ein paar Covers posten und so, damit ich meine Reichweite beibehalten würde.» «Finde ich eine mega Idee.» Natürlich tat sie das. Schließlich hieß sie Noè und war laut ihr mein größter Fan.
Schweigen trat ein und wir sahen uns einige Sekunden bloß durch die Kamera an. Noès Gesicht nahm leichte Trauer ein und sie rieb sich geschaffen die Augen. «Ich vermisse dich, Dario.» Ich dich auch, Noè. Viel zu doll. «Genieß es dort», meinte ich nur. «New York ist sicher toll und ja, du machst, was du dir immer gewünscht hast. Freu dich.»
«Ja, schon. Aber mein Wunsch war es, mit dir hier zu sein.» Ich verlor nun auch ein Seufzen und strich mir die Haare aus der Stirn. «Wir können schauen, dass wir uns, wenn ich in LA bin, irgendwie für ein Wochenende sehen, oder so.» Das war doch mal keine schlechte Idee.
Sie nickte eifrig und deutete dann auf meine Hand, welche ich vergessen hatte, zu verstecken. «Ich hatte also recht, was? Es war nicht Roxy, die verarztet werden musste.» Noè hatte es schon nach unserem ersten Telefonat erfasst, doch ich hatte es strikt verneint. Aber ja, schließlich kannte sie mich.
«Ja, du kennst mich ja. Hatte einen Aussetzer und hab' den Spiegel eingeschlagen.» «Du hättest mir das früher sagen können. Ich wär' dir deswegen doch niemals böse gewesen.» «Ja, aber du wärst nicht mehr abgeflogen.» Und sie wusste selbst, dass ich recht hatte. Sie machte es sich nun auch bequem in ihrem Bett und kuschelte sich in ihre Decke ein.
«Wie geht es dir?» Alles, was ich zustande brachte, war ein Schulterzucken. «Ich geb' mir Mühe... Denke ich. Ist scheiße.» Noè schaute kurz aus ihrem Fenster. Da war wohl viel los bei ihr. Man hörte Hupen und Leute brüllen. New York halt.
«Hab' mich etwas darüber informiert.» «Worüber?» «Ja, Fernbeziehung mit BPS.» «Man, Noè...» Sie hörte den Frust aus meiner Stimme. Ich hasste es, wenn sie einen auf Suchmaschine machte und alles nachlesen musste. Ich war keine Statistik. Ich war nicht einfach etwas, worüber man sich im Internet schlaumachen konnte.
«Dario, es ist wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen. Du struggelst, oder?» «Ja, du doch auch. Tut jeder in einer Fernbeziehung.» Sie gab mir leise recht und rieb sich die Schläfe. «Wichtig ist einfach, dass wir offen miteinander sind.» «Das hätte ich auch ohne Google gewusst.»
Sie schnalzte mit der Zunge und verdrehte kurz die Augen. «Und dass wir festlegen, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen. Somit haben wir beide etwas, worauf wir uns freuen können.» Okay. «Ja, haben wir ja auch. Los Angeles», murmelte ich in mein Kissen und schloss müde meine Augen. Noè entging das natürlich nicht.
«Müde?» «Jup. Hab' richtig Mühe mit dem Schlafen, seit du weg bist.» «Geht mir gleich. Ich kann's kaum erwarten, wenn ich dich wieder bei mir haben kann. Ich hasse diese Distanz...» Das konnte sie laut sagen.
«Ich liebe dich.» Ich hörte kurz auf zu atmen, weil ich nicht darauf vorbereitet gewesen war. Ich sah Noè etwas überrumpelt an und es bildetet sich ein dünner Schweißfilm in meinem Nacken. Wie jedes Mal, wenn sie mir den Verstand raubte. «Sagst du das jetzt nur, weil dir Google gesagt hat, dass man mir sowas sagen muss bei einer Fernbeziehung-» «Man, Dario. Du weißt, dass ich es ernst meine. Ich liebe dich und ich vermisse dich. Ich kann mich auch kaum aufs Lernen konzentrieren.»
Mein Blick wurde sanfter und ich legte den Kopf schief. Ich hatte meine Frage natürlich nicht ernst gemeint. Also, nicht ganz zumindest. «Ich dich auch, Micina.» Sie begann niedlich zu grinsen und ihre Wangen wurden rot.
Und dann sprach sie etwas an, was wir schon seit Tagen mieden. Wir hatten noch nicht darüber geredet. «Wie ging's dir nach unserem-, du weißt schon...» Ja, ich wusste schon. «Gut.» «Hattest du Alpträume?» Ich nickte beschämt, aber das lag doch alles nicht an Noè. «Scheiße, sorry.» «Was entschuldigst du dich da jetzt? Es war gewollt. Mehr als gewollt.»
Ihre Wangen wurden noch rosiger und ich hoffte, dass ich nicht identisch glühte wie sie. «Nur weil wir jetzt einmal miteinander geschlafen haben, heißt das aber nicht, dass wir schnell wieder müssen, Lio.» Ich zog meine Augenbrauen zu einer Linie zusammen, weil ich nicht ganz checkte, was sie damit sagen wollte. Meiner Meinung nach hatte diese Nacht schon Wiederholungsbedarf.
«Also, ich meine, du musst dich jetzt nicht dazu verpflichtet fühlen, mit mir zu schlafen. Ich möchte nicht, dass du dich zu Dingen zwingst. Ich weiß nämlich, dass du das tun würdest. Und ich weiß auch, dass du nicht so viel Wert auf Sex und so legst.» Joa, eventuell. «Verstanden», meinte ich dann nur und atmete tief durch.
Noè las die Zeit und begann zu schmollen. «Ich muss mich langsam fertig machen. Wesley kommt gleich vom Training zurück und dann gehen wir aus. Telefonieren wir morgen wieder?» Ich nickte nur und biss mir unschlüssig auf die Unterlippe. Ich war ehrlich. Ich fand's doof, dass sie ausgehen wollte.
«Schreib mir aber, wenn du wieder zu Hause bist.» Sie nickte und stand auf. «Werde ich machen. Bis bald, Lio.» Ich lächelte nur schwach und sagte leise tschüss. Und als ich mein Handy weglegte, floppte Roxy auf mich drauf. Sie hatte Noès Stimme erkannt und suchte sie jetzt in meinem Zimmer.
Sie ging aus... Sie lernte neue Leute kennen. Gut und schön für sie. Mein Herz raste allein beim Gedanken daran. Nicht nur, weil ich ein eifersüchtiges Wrack war, sondern auch, weil es New York war. Da konnte so viel passieren.
Aber ich konnte Noè nichts verbieten, weshalb mein Plan war, mich heute Abend einfach sehr gut abzulenken. Ich würde gleich einen Clip von meinem Cover Angels hochladen und dann mit Roxy rausgehen. Ivy wollte heute Abend ins Kino. Ich könnte mit ihr mit, oder so. Ich musste mich einfach beschäftigen. Und schließlich war ich nicht allein. Auch, wenn es sich so anfühlte... Jede verdammte Sekunde in meinem Leben.
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