36. Kapitel
Wir hatten es nach gefühlt 3 Stunden auch mal zu Wesley geschafft. Erstens hatte Dario plötzlich keine Lust mehr gehabt, dann hatte Rico auf ein kleines Workout bestanden und danach mussten wir uns wieder frisch machen und ich hatte mein Ladekabel irgendwie verlegt und dies knappe 30 Minuten suchen müssen, bis ich es bei Roxy in ihrem Bettchen gefunden hatte. Diese verdammte Elster.
Aber jetzt! Wir gingen die Treppen hoch zu meiner alten WG. Dario war hinter mir. Er sah sich eher geniert um und schluckte mehrmals runter. Woran dachte er? «Was ist?» «Denkst du, ich bin da echt erwünscht? Ich meine, die Zwillinge habe ich blöd angemacht, Wesley hat auch nicht gerade meine beste Seite kennengelernt und wer sonst noch dort ist, wissen wir ja nicht einmal. Was, wenn die mich nicht mögen, weil ich Musik mache oder so?»
«Wenn dich jemand nicht mag, ist das deren Problem und nicht deins. Also komm! Und Wes hat gesagt, du bist herzlich willkommen.» Ich langte nach seiner Hand und zog ihn die letzten Stufen hinter mir hoch, bis ich oben voller Vorfreude klingelte. Es hörte sich nach wesentlich mehr Leuten an, wie nur die Zwillinge und Wesley, was hieß, dass wir wahrscheinlich eine der letzten Gäste waren, die kamen.
«Hi!» Wesley machte die Tür auf und schlang ihre Arme um mich. Sie umarmte mich so fest, dass mir die Luft ausging und ich Rios Hand losließ. Dieser stand neben mir und schaute den Flur der Wohnung runter. Ich sah einige Köpfe, die neugierig hervorstachen. Ob Wesley wohl erwähnt hatte, dass Dario kommen würde?
Ein Paar braune Augen fiel mir direkt auf. Nathan! Nate war hier. Meine Fresse hatte ich den lange nicht mehr gesehen. «Hi, Dario.» Wesley ließ mich los und wandte sich an meinen Freund. Sie zögerte, suchte das Go bei mir, doch sie sprang über ihren eigenen Schatten und hob ihre Arme an. Dario legte einen um ihren Rücken und sagte leise hallo.
Auch die Zwillinge umarmten mich. Zu zweit. Ich erlag ihnen beinahe, doch bei Dario trauten sie sich das nicht. Mein Italiener hatte sich im Gegensatz zu eben im Treppenhaus super gefangen. Man sah ihm seine Unsicherheit nicht mehr an. «Wir haben im Wohnzimmer eine Leinwand aufgebaut. Wir konnten uns aber noch nicht für einen Film entscheiden. In der Auswahl stehen nur Horrorfilme. Quill besteht darauf.»
Wir schlüpften aus unseren Schuhen und Jacken. «In der Küche steht Bier und auch was zum Snacken. Schlagt ruhig zu.» Ich hatte Snacks gehört und steuerte direkt auf die viel zu kleine Küche für 8 Personen zu. Nebst Nate und den Zwillingen war nur noch Wesleys Freund da, dessen Namen ich leider vergessen hatte und ein Kumpel von ihm, der nicht so gesprächig schien.
Im Wohnzimmer hörte man Wes mit den Zwillingen diskutieren, welcher Film nun geschaut werden sollte und ich der Küche traf ich auf meinen Beziehungsretter. Nathan. Er holte sich ein Bier und stockte, als ich vor ihm auftauchte. Seine Augen blieben aber an den grünen hinter mir hängen.
Mich nahm eine komische Atmosphäre ein, bis ich realisierte, was sich da gerade abbildete. Ich meine, ich war allein mit meinem Ex und meinem Freund in einem Raum. Zusätzlich war mein Freund mein Ex gewesen, als mein Ex mein Freund gewesen war. Scheiße klang das kompliziert.
Aber wir alle drei versuchten nicht daran zu denken. «Du wurdest also nicht gekidnappt und umgebracht. Hab's dir doch gesagt, dass das in Kanada nicht passieren wird.» Ich musste grinsen und ließ mich sanft in den Arm, der Nate um mich legte, fallen. Aber ich merkte den Unterschied. Nate berührte mich kaum.
«Wurde dafür dann von der Security dort wie ein irrer Fan behandelt.» Darios Stimme erklang, «Bist ja auch einer.» Klar. Ich sah ihn frech schmunzeln. Die Jungs sahen sich nun an. Es vergingen einige Sekunden, bis Nate auf mich deutete, «Irre, aber des Todes treu.» «Mir, ja. Dir nicht so.» Dario, bitte freundlich bleiben.
Wieder lauerten ihre Blicke aufeinander, bis Nate zu schmunzeln anfing und eine Hand anhob. Er hielt sie Rio hin und wartete auf einen Einschlag. Ich kapierte dann auch mal, dass sie nur Scherze machten. Teilweise, zumindest. Wir alle kannten Dario. Er meinte es mindestens zu 60% ernst, aber das dann mit einer gewissen Gelassenheit.
«Ich bin Nathan. Das letzte Mal hat es sich nicht so angefühlt, als hätte es dich interessiert, deshalb nochmal. Nathan, aber Nate reicht vollkommen.» Dario schlug ein und nickte, «Rio.» Das war gut, oder? Das lief gut, ja?
Ich wusste nicht, ob ich was zu sagen brauchte. Aber Nate war ein Meister im in unter Strom stehenden Räumen, die Führung übernehmen zu können, weshalb er nur meinte, «Dachte auf der Party letztens, dass du mir am liebsten eine reinhauen würdest.» «Wollte ich, ja.»
«Dann hab' ich es doch richtig wahrgenommen.» Nathan lachte leise auf, doch blieb dann an Darios Augen hängen, die ihn immer noch in aller Ruhe fixierten. Er stockte und schluckte, «Du willst es noch immer.» «Will ich, ja», bestätigte Lio, doch ließ meinen Ex dann endlich wieder durchatmen, als er sich eine Cola aus dem Kühlschrank holte und neben mich gesellte.
Ich knabberte an einem Twinkie. Das Zeug war selbst mir zu süß. Dario schmunzelte aber auch, was hieß, dass er wieder nur provozierte und Nathan wusste dies, weshalb er das doch eher unbeholfene Gespräch schnell abschloss. Aber mit einer Aussage, die es nur noch unangenehmer machte, als es eh schon war.
«Ganz kurz, ihr braucht euch meinetwegen keine Sorgen machen. Bin da ganz cool.» Er zeigte zwischen mir und Rio hin und her. «Also wegen... Ihr müsst es nicht vor mir verstecken. Sehe ja schließlich jeden Tag meine andere Ex mit meinem älteren Bruder rum turteln, weil sie zusammen ein Kind kriegen. Hab' da also schon Übung.» Dario verlor kurz die Fassung, «Ach du Scheiße...» Yup, Nate hatte auch schon Scheiße durch.
«Jetzt aber Beziehungen und Drama zur Seite. Ich hoffe, ihr kommt mit Quills Entscheidung klar, denn ich tu' es sicherlich nicht», platzte Wes herein und lotste uns zurück ins Wohnzimmer. Dario und ich machten es und auf dem kleinen Zweier-Sofa bequem, die Zwillinge chillten es mit Kissen auf dem Boden und Wes hockte mit ihrem Freund im Fernsehestuhl.
Nate gesellte sich zu Dom und Quill und der Kumpel vom Wes' Freund war auf einmal weg. Der hatte sich anscheinend schon früher verabschiedet. Während Wes den Film startete, räusperte sich Dom. Er visierte Dario neben mir an, der kurz etwas an seinem Handy nachgeschaut hatte. «Random Frage, aber wer ist der berühmteste Star, den du gerade eingespeichert hast?»
«Nur eingespeichert? Oder auch Kontakt und so?» «Beides.» Dario nahm sein Handy wieder hervor und ging seine Kontakte durch und mir wurde mulmig, als ich Namen, wie Billie, Harry, Nessa oder Olivia las. Doch mir blieb dann die Spucke weg, als Dario auf dem Namen Abel stoppte. «Abel Tesfaye.»
Dom, «Wer ist denn das?» Wesley kloppte ihm an den Hinterkopf, als sie zurück zu ihrem Platz schlenderte, «The Weeknd, du Spaten. Abel Tesfaye ist sein richtiger Name.» Jetzt nahm mich Neugier ein. «Arbeitest du mit ihm an etwas?» Lio schüttelte den Kopf. «Ist in Planung, aber wir warten, bis ich 18 Jahre alt bin», flüsterte er mir ins Ohr.
«Und nicht in Kontakt wäre, Drake», schloss Dario dann Quills Frage ab. «Damn, da sitzt ein Popstar auf deinem Sofa, Wesley.» Sie winkte ab, «Ne, da sitzt Noès Freund namens Dario. Fertig.» Ich musste grinsen und machte es mir an Lios Seite bequem. Ich mochte Wesleys Einstellung und hoffte, die anderen würden sie auch annehmen.
Der Abend war angenehm. So angenehm, dass Dario und ich gar nicht mehr daran dachten, zurück ins Hotel zu gehen. Wir schliefen in meinem alten Zimmer. Dario blieb eher etwas geniert vor dem Bett stehen. Ich auch, um ganz ehrlich zu sein. Hier hatte er den Aussetzer gehabt, der so zu sagen der Auslöser für unsere Trennung gewesen war.
Er schluckte, «Ich kann auch draußen pennen, wenn du willst. Ich kann mir vorstellen, dass da gerade viel hochkommt in dir.» «In dir doch auch. Wir beide sind betroffen», meinte ich dann nur und band mir meine Haare hoch. «Und ich finde, wir sollten das Geschehene hinter uns lassen und jetzt einfach pennen gehen.» Er nickte zögerlich und zog sich seine Armbänder aus.
Ich verspürte innerlichen Stress, als wir es uns bequem machten und Dario sich zu mir unter die Decke legte. Er schlang seine Arme um mich und zog mich vorsichtig zurück an seine Brust. Ich spürte denselben Stress, den ich gefühlt hatte, als Dario mich hier zurückgelassen hatte, doch nicht lange später, begann mein Bauch zu kribbeln. Jetzt war Dario da und er hielt mich in seinen Armen. Er schlief bei mir, gab mir Wärme und log mich nicht an.
«Darf ich dich was fragen?» Dario grummelte nur ganz leise. Ich nahm es jetzt mal als ein Ja wahr. «Was ist danach passiert?» «Danach? Also-,» «Nachdem du gegangen bist.» «Bin zurück zum Hotel.» «Und?» «Das spielt keine Rolle, Noè.» «Finde schon. Du weißt ja auch, was bei mir los war. Ich hab' halt geweint und versucht zu verstehen, was gerade passiert ist. Und ich hab' meinen Dad angerufen.» «Ja, bei mir war es anders.»
Ich drehte mich zu ihm um und suchte seine müden Augen. «Beim Hotel ist mir eingesackt, was ich getan habe und ja, bin dann halt durchgedreht.» Ich musste es wissen. «Was ist passiert?» «Bin zusammengebrochen, hab' mich mehrmals übergeben. Hab' mich halt abartig selbst getriggert mit der Scheiße. Hat sich so angefühlt, als hätte ich mich selbst missbraucht.»
«Ich hätte es merken müssen.» «Nein, hättest du nicht. Es war meine Schuld. Ich hab' mir das selbst eingebrockt und musste danach halt damit klarkommen. Hab' halt alles verloren. Dich, Marcos Vertrauen, das Vertrauen in mich selbst und so weiter.» «Mich hast du noch.» «Den Rest aber nicht mehr.» «Dein Vertrauen in dich selbst ist auch noch da und das von meinem Dad hat nicht erste Prio.» Dario seufzte.
Er gab mir darauf keine Antwort mehr und nuschelte bloß sein Gesicht in meinen Hals. «Dein Dad hat recht, Noè», hörte ich ihn leise und gedämpft sagen. «Wobei?» «Er hat mich an diesem Tag gefragt, ob ich dir das bieten kann, was du dir irgendwann mal wünscht. Hochzeit, Kinder... Ein schöner, ausgeglichener Alltag.» Ich konnte Dads Sorge ja schon verstehen, doch Dario das schon aufzudrängen, währenddessen wir noch Teenager waren... Das ergab für mich keinen Sinn.
Ich meine... Hatte Dad dies wohl einfach getan, um uns davon abzuhalten, zusammenzuziehen? Hatte Dad wirklich so ein Problem mit Dario? Niemals, oder? Ich denke, Dad hatte kein Problem mit Dario, sondern mit seiner Geschichte. Erinnerte es ihn vielleicht an Mom? Ich meine, ich hatte Dad nie gefragt, ob er von Moms psychischen Problemen gewusst hatte, als sie zusammengekommen waren.
«Weißt du, was ich deinem Dad gesagt habe, als er mich gefragt hat, wie ich mir die Zukunft vorstelle oder, ob ich dir das bieten könnte?» Ich schüttelte den Kopf. «Ich hab' ihm gesagt, dass ich das nicht beantworten kann. Kann ich auch heute nicht. Ich weiß nicht, ob ich irgendwann mal heiraten oder eine eigene Familie haben möchte. I-ich-, keine Ahnung. Ich war nie dagegen, nur ist das halt echt nicht etwas, was jetzt schon auf meinem Radar ist. Und ich weiß auch überhaupt nicht, ob ich überhaupt so alt werde, um solche Meilensteine in Betracht ziehen zu können. Nicht nur, weil ich oft suizidgefährdet bin, sondern auch, weil ich meinem Körper schon so viel geschadet habe und ich nicht mehr garantieren kann, dass der mich noch 50 oder sogar 70 Jahre durchbringt.»
Mir fiel es schwer, auf Darios Ehrlichkeit zu reagieren. Aber ich konnte trotzdem etwas mit ihm teilen, «Auf meinem Radar ist es auch nicht, Lio. Noch lange nicht und ich weiß nicht, wie sich ich und meine Zukunftswünsche entwickeln werden. Ich denke, mein Vater wollte mich in diesem Moment schützen.» «Wovor?» Jetzt setzte Dario sich auf. «Vor mir?»
«Eher von seiner eigenen Angst, dass ich denselben Verlust ein zweites Mal erleiden muss. Und mein Dad hat meine Mom auch verloren, weißt du? Auch er möchte es nicht ein zweites Mal mitmachen müssen.» Nun setzte ich mich auch auf. Dario verdrehte tadelnd die Augen, «Dem bin ich mir doch auf bewusst! Was denkst du, warum ich so oft an uns beiden zweifle, und dir sage, dass ich es nicht wert bin?»
Mitten im Luftholen, begann Darios Handy zu klingeln. Giorgias Nummer leuchtete auf. Wir hatten kurz nach Mitternacht. Mein Freund drückte sie genervt weg und sah mich abwartend an, doch ich konnte keinen zweiten Versuch starten, denn sie rief schon wieder an. Dario zeigte keinerlei Nerven und deutete mir, dass ich rangehen sollte.
Ich streckte mich über ihn drüber zum Nachttischen und sagte, «Hi? Gio?» «Wo ist Dario?» Ich sah ihn an. Er winkte ab. «Er schläft.» «Weck' ihn bitte! Sofort! Ich muss mit ihm reden!» «Ist alles okay? Giorg-,» «Weck' ihn einfach auf, Noè!»
Ich tippte Dario an und hielt ihm das Handy hin. «Klingt dringend.» Er wollte nicht, hatte keine Lust, doch fragte auf Italienisch nach, was denn los war. Ich konnte Giorgia bis zu mir rüber hören, doch verstand kein Wort.
«Non so cosa fare, Rio!» Darios Schultern spannten sich an. Ihm gefiel der Ton seiner Schwester ganz und gar nicht. Er hievte sich aus dem Bett und passierte vor dem Fenster hin und her. «Cosa succede?» «Non devi dirlo a nessuno! Nemmeno a Noè!» Sein Blick traf kurz meinen und er sagte dann nur leise okay.
«Vincent mi ha lasciato! Non so cosa fare!» Dario rieb sich die Stirn und rümpfte die Nase. Was war los? «Dario, aiutami! Sono incinta! Non so cosa fare!» Dario stockte. Er hörte auf zu atmen und ich fürchtete, er würde gleich das Handy in seiner Hand zerdrücken. «Sei incinta?»
Giorgia...
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