29. Kapitel
06.12.2009
«Die heult immer noch.» Ich hörte sie lachen. Mein ganzer Körper tat mir weh, alles drehte sich. Mir war zum Sterben schlecht und mein Herz lag zerbrochen mit mir zusammen in dieser Ausnüchterungszelle auf dem Boden.
Sie hatten ihn mir weggenommen! Ich wollte nach ihm fragen, wissen, wo er war, doch sie verstanden mich nicht. Niemand versuchte mir zuzuhören, weil ich noch kein gutes Englisch konnte. Wo ist Dario jetzt? Wo hatten sie ihn mitgenommen? Wieso hatte ich nicht besser auf ihn aufgepasst? Wieso war ich trotzdem mit ihm dorthin gegangen?
Zuerst Giorgia und jetzt auch noch ihn. Sie hatten mir beide weggenommen. Ich konnte nicht mehr. Es zerstörte mich. Meine Babys. Sie hatten mir meine Babys aus den Händen gerissen. Ich verlor einen Schluchzer und schwang meinen Zopf über meine Schulter nach hinten. Nur, weil ich nicht ohne konnte. Nur, weil ich nicht aufhören konnte.
«Schüttelt es dich noch immer durch?» Jemand klopfte an die Metalltür und ich schrak auf. Was hatte er gesagt? Was war mit mir? «Fucking Junkie.» «Ja, Junkie, aber sicher geil zum Bumsen. Schau' sie dir mal an. Italienische Schnepfe.» Ich verstand kein Wort. Sie hatten Italien erwähnt, oder? «Die ist doch schon verbraucht. 21 und 2 Kinder. Eine Hure ist sie wahrscheinlich. Noch eher als eine Mutter.»
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ich wusste nur, dass sie mich mitten in der Nacht hier rein geschubst hatten. Die Polizei. Ja, ich war bei der Polizei. Die Polizei war böse. Das wusste ich. Sie waren fies und grob. Nicht so wie Mrs Damaris.
Sie hatte Dario, oder? Dario war bei ihr, ja? Er war in Sicherheit? Stefano, Leonardo und Xavier würden nicht an ihn herankommen, oder? Mein Gott, was, wenn sie ihn in die Finger kriegen und die Drohungen wahr werden lassen würden?
Wieder ein Klopfen, aber ich zuckte wegen des unerträglichen Schüttelfrost zusammen. Meine Finger krampften, alles tat weh. Ich hatte gleichzeitig Wallungen. Ich brauchte neuen Stoff. Ansonsten würde ich sterben.
«Samantha?» Ich sah hastig auf. Mrs Damaris. Hinter ihr standen Männer. «Hallo Samantha. Wie geht es dir?» Das hatte ich verstanden. Einfaches Englisch. Ich begann meinen Kopf zu schütteln und rutschte zurück an die viel zu kühle Zellenwand. «Ich weiß, es ist im Moment sehr schlimm. Wir werden dir helfen, ja?» Helfen? Wie denn?
«Dario ist okay. Er ist bei uns.» «Dario? Euch?» «Ja, er ist etwas überfordert, aber er ist in Sicherheit.» «È al sicuro?» «Sicuro? Ja... Sì, Samantha.» Ich atmete erleichtert auf. «Zu ihm», forderte ich, doch Mrs Damaris schüttelte den Kopf. «Du kannst nicht zu ihm. Du bist nicht gesund. Du brauchst Hilfe.»
Ich rackerte mich auf, doch ich war noch immer kleiner als sie. Sie wusste nicht, was ich brauchte. «Brauchen Dario und Giorgia!» «Es tut mir leid, aber in deinem jetzigen Zustand geht das nicht.» Sie deutete den Herren hinter ihr, dass sie gehen konnten.
«Hör zu.» Sie setzte sich auf die Steinbank, auf der ich hatte schlafen dürfen. «Hast du jemanden, an den wir uns wenden können für Dario?» «Huh?» Was hatte sie gefragt? Sie seufzte und schaute meine Finger und Knie an, die schlotterten. Mein Rachen kratzte, ich brauchte was zum Nehmen. Ich würde meinen Verstand verlieren. Ich würde hier drinnen sterben. Ich musste hier raus.
«Il padre di Dario?», fragte sie dann mit einem Akzent, der zum Heulen war. Darios Vater? I-Ich-, er wusste nichts von ihm. «Il nome del padre di Dario?», forderte sie, denn sie sah, dass ich jemanden kannte. «Santiago...» Ja, sein Name war Santiago. Daran konnte ich mich erinnern.
«Ist er Italiener?» «Italiano?» «Ja?» Ich nickte hektisch und sank zurück auf den Boden. Meine Beine konnten mich nicht mehr halten. «Haare schwarz.» Ich zeigte in die Höhe. «È grande.» Mrs Damaris nickte und sagte etwas, was ich nicht verstand. «Ich weiß genau, wen du meinst.» Sie wusste nicht, wen ich meinte, oder?
Ich wusste seinen Nachnamen nicht, sonst würde ich ihn ihr doch sagen. Dario musste zu ihm. Er hatte Geld und einen guten Job. Er musste auf Dario aufpassen. Er war nett und liebevoll und so leidenschaftlich. Ein guter Mann. So hatte ich ihn nach dieser Nacht in Erinnerung. Zumindest, war er nett zu mir gewesen.
Mrs Damaris schrieb sich etwas auf. Brauchte sie noch mehr Informationen? «Augen braun.» Ja, das waren die richtigen Worte, oder? «Tattoo.» Ich zeigte auf meinen linken Rippenbogen. Tattoo war richtig, oder? Santiago hatte ein Tattoo auf den Rippen. «Danke.» Mrs Damaris stand wieder auf. Ging sie wieder? Das dufte sie nicht.
Sie konnte mich hier nicht allein lassen. Ich brauchte jemanden bei mir, der mich verstand und mir zuhörte. Sie musste bleiben oder mich mitnehmen. «Bleib», forderte ich und packte ihr Handgelenk. Sie zuckte zusammen. «Nicht wollen. Hier. Sein.» «Ich weiß, Samantha. Lo so. Andate in un centro di riabilitazione.» Was? Entzugsklinik?
Nein, sie sollten mich hier herauslassen. Ich musste nach Hause! Ich musste Dario holen gehen! Ich muss-, «No! No! Per favore, no!» «Es tut mir leid, Samantha. Das brauchst du jetzt.» «Ma Dario?» «Dario ist in sicuro. Wir rufen seinen Padre.» Vater? Sie würden ihn rufen? Okay, das war fürs Erste doch okay.
Ja, aber er musste dann wieder zu mir zurückkommen. Er gehörte zu mir. Er war mein Sohn. Ich musste schon Giorgia loslassen. Damaris ging und ich wurde an meinen Armen gepackt und aus der Zelle geschleppt. Nicht schon wieder! Ich konnte das nicht mehr. Ich versuchte mich loszureißen, als sie mich nach draußen in einen Wagen stecken wollten, aber sie taten mir weh.
Alles tat weh. Ich konnte kaum noch stehen. Ich musste mir was spritzen. «Scheiße, schau dir ihre Arme an. So' ne hübsche Frau, aber zerstochen und zerfickt von den Drogen.» «Würde sie trotzdem gerne mal fic-,» «Es reicht», sagte Mrs Damaris, die draußen auf uns gewartet hatte und jetzt versuchte, mich zu halten.
«Nur, weil sie euch nicht versteht, heißt das nicht, dass ihr so über sie reden könnt. Sie ist zutiefst verletzt. Ihr Kind wurde ihr abgenommen. Lasst sie. Spart euch diese hirnlosen Kommentare. Was seid ihr? Männer oder Kinder?» Sie waren auf einmal still und ich packte Mrs Damaras' Schultern. «Bitte. No», flehte ich, doch sie nahm meine Hände in ihre und führte mich, trotz Weigerung zum Wagen.
Ich wollte das hier nicht. Ich war nicht stark genug. Alles, was ich brauchte, waren Drogen. Ein Entzug brachte nichts. Ich wollte keinen machen! Ohne Drogen war es zu schmerzhaft. Das Leben. Meine Finger krampften, aber ich krallte nach Mrs Damaris und schimpfte sie aus. Sie wollte, dass ich litt. Sie hasste mich, dafür, was ich Dario angetan hatte. Sie hasste mich und wollte mich loswerden. Sie wollte mich wegsperren.
«Samantha, wir werden uns in ein paar Tagen wieder sehen, okay? Ich werde dich besuchen kommen. Bleib stark.» Und da wurde ich auf den Sitz geschnallt. Spucken, kicken, nichts reichte. Sie packten mich an und pressten mich in die Lehne. Ich wollte nicht, aber sie waren zu stark. Ich hatte keine Chance.
Schlotternd, in der nächsten Zelle, die wenigstens ein Bett und Klo hatte, hockte ich am Boden und wünschte mir eine Dusche. Sie hatten mich in diese Klamotten gezwungen. Gegen meinen Willen. Sie hatten mich gegen meinen Willen ausgezogen und hier hineingestopft. Ich wollte aufstehen, zur Tür und um Hilfe bitten, aber ich konnte nicht mehr aufstehen. Es ging nicht mehr. Es tat so weh.
Wieder ein Klopfen. Ich sah zitternd auf. Eine Frau im weißen Kittel. «Samantha, hallo. Sono il dottor Giovanutti.» Eine Ärtzin. Sie sprach Italienisch. «Per favore, fatemi uscire di qui. Non voglio questo.» Endlich jemand, der mich verstehen konnte. Jemand, der meine Sprache sprach.
«Non è possibile. Mi dispiace. Ma ora sei nel posto giusto. Vi aiuteremo.» Ich wollte aber keine Hilfe. Ich wollte hier raus. Nach Hause zu Stefano, Jona und Laura. Ich brauchte Stoff. Sie mussten mir Stoff geben. Männer kamen hinter der Ärztin rein und sie hoben mich zu zweit vom Boden auf. Wo brachten sie mich hin? Ich wehrte mich.
«Puoi andare in bagno e lavarti. Allora ti sentirai meglio.» Mich waschen war zu großzügig. Ich durfte nicht. Man wusch mich. Ich wollte aber nicht angefasst werden. Auch nicht von einer Frau. Ich verzog mich in die Wanne und hielt mir den pochenden Kopf. Drogen. Ich brauchte welche. Nur ein Hit. Nur einer. Zum Schalfen.
Diese Schwester drückte einen Schwamm über meinem Rücken aus. «So dünn. So klein. Du wirst hier wieder gesund.» Ich reagierte nicht auf sie. Ich hatte nur gesund verstanden. «Du bist am richtigen Ort.» Diese Worte kannte ich von Mrs Damaris. Und nein, sie stimmten nicht. Ich war am falschen Ort. Ich gehörte nicht hier her.
Ich musste zu Jona. Er würde mir was zum Spritzen geben. Ich fing an zu weinen und hielt mir mein Gesicht. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich hatte keine Kontrolle mehr über mich. Sie hielten mich hier gefangen. «Es wird alles gut. Deine Kinder sind sicher in guten Händen.» Kinder? Redete sie von meinen? Die waren mir gerade scheißegal.
Ich musste zu Jona. Ich musste was haben. Ich musste-, «Wir sind für dich da.» Sie machte meine Haare nass und shampoonierte sie mir ein. «Wow, so schöne lange Haare.» Kinder... Meine Kinder. Giorgia und Dario. Was brachten mir diese? Nur Probleme.
Wegen Dario und seinem Geschrei zu Hause hatte man die Polizei auf uns aufmerksam gemacht. Deswegen waren sie gekommen. Seinetwegen saß ich jetzt hier. Aber nein, er war ein Baby. Er konnte nichts dafür. Es war meine eigene Schuld. Ich war hier, weil ich zu schwach war.
«Du kannst deine Kinder sicher bald wieder sehen. Ich bete für euch.» Hatte sie Kinder und Sehen gesagt? Meine Babys sehen... Giorgia auch? Ich hatte sie schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Giacomo hatte mir den Kontakt zu ihr verboten.
Eingepackt in warmen Klamotten, saß ich bei Mrs Giovanutti im Zimmer. Sie versuchte meine Familiengeschichte aus mir herauszuquetschen. Ich wollte nicht darüber reden. Ich gab ihr meinen Namen und mein Alter. Mehr nicht. Samantha Corrado und 21 Jahre alt. An den Rest und vor allem meine Familie wollte ich nicht denken.
Mein Vater hatte sich erschossen und davor nur gesoffen. Mutter hat uns nach Amerika geschickt, um Kohle zu machen. Wieso schickte man die jüngste Tochter in solch ein Land? Amallia und Cristian hatten mich zurückgelassen. Ich war zu viel Aufwand für sie gewesen.
Was konnte ich denn dafür, wenn sie mich hier allein ließen? Und vor allem nach dem Verlust unseres Vaters. Er war mein Ein und Alles gewesen. Der Einzige, der verstand, welch Dämonen mich immer heimsuchten und wie schwer es war, stark zu bleiben. Diese Angst, diese Gedanken... Sie lösten mich von den anderen.
Jetzt, wo er weg war, war ich vollkommen allein. Natürlich hatte ich mir dann bei Fremden Nähe und Zuneigung gesucht, wenn meine Geschwister nicht mehr für mich da gewesen waren. Und mit Alkohol und Pillen ging es immer einfacher, mich zu verständigen. Und die Männer wollten mich hier. Man wollte mich. Man hatte mich sonst nirgends wollen. Nicht für mich, zumindest. Begehrt waren nur mein Körper und mein Gesicht.
Ich war sonst nichts wert. Mit Heroin fühlte ich mich erfüllt. Ich war dann jemand. Ich konnte dann aus mir herauskommen und ich sein. Ich musste nicht mehr daran denken, wie allein ich war und wie viel ich kaputt und falsch gemacht hatte. Ich-,
«Samantha?» Ich schrak auf. Sie wollte wissen, woher ich kam. «Tropea...» Sie schrieb es sich auf. «Ha qualche famiglia che possiamo contattare?» Ich schüttelte den Kopf. Nein, es gab niemanden aus meiner Familie, den sie anrufen konnten.
Sie würden nicht kommen. Nicht für mich. Mich hatten sie hier vergessen. Und, wenn sie sehen würden, was aus mir geworden war, würden sie sowieso abstreiten, dass ich zu ihnen gehörte. Ich war allein. Keine Familie, keine Kinder mehr...
Eine Sichtweise, die ich schon lange mal schreiben wollte. Die Angst vor ihr ist riesig. Sie wird mein Herz brechen. Was uns erwarten wird?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro