15. Kapitel
Ich weiß, das sollte kein Promi machen oder so, aber ich hing Backstage von diesem dummen Fotoshooting über der Klobrille und kotze mir beinahe meine Organe aus. Wieso? Erstens, ich wurde seit einer verdammten Stunde von irgendwelchen Fremden betatscht, Kommentare über meinen Körper und mein Gewicht waren nicht wenige gefallen und zusätzlich zwang Rico mich dazu, einen Nahrungsergänzungsshake zu trinken, damit ich langsam wieder stabiler wurde.
An sich ja nicht falsch oder so, aber ich hatte niemanden mehr, der mir dabei half, mir die Brust und die Hand hielt und mir gut zuredete. Kurz, Noè war nicht mehr da und so oft, wie wir uns seit meiner Abreise unterhalten hatten, sah es auch so aus, als würde sie auch nie wieder zurückkommen.
Wir hatten nämlich, außer einer verdammten einzigen Nachricht, keinen Kontakt mehr gehabt. Sie hatte zwar gesagt, sie brauchte Zeit und alles, aber so lange hatte ich nicht erwartet. Ich dachte, sie redete von einem oder zwei Tagen, aber das war schon über eine Woche her. Ich meine, das klang nicht nach Noè. Hatte Marco da etwas damit zu tun oder hatte ich mit dem Scheiß, den ich abgezogen hatte, wirklich eine Grenze bei Noè überschritten und sie so weit getrieben, dass sie genug hatte oder einfach nicht mehr konnte?
«Da bist du Ja. Dario?» Ich sah von der Schüssel auf und erblickte Barbara, die stockte und mich eher erschrocken musterte. «Wa-was ist los? Bist du wieder krank?» Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. Ich konnte sie stockend atmen hören und dann zog sie einfach die Badezimmertür hinter sich zu und ging neben mir in die Hocke.
«Schau, ich weiß, ich bin nicht immer die Netteste und scheine so, als wäre mir alles, außer meinem Job egal, aber wenn etwas nicht stimmt oder irgendetwas los ist, kannst du mir das trotzdem sagen. Ich bin doch auch dafür verantwortlich, dass es dir gut geht und du eine gute Zeit hast in einer solch stressigen Situation.» Ich sah auf. Normalerweise wurde mein Sichtfeld von schwarzen Locken durchlöchert, doch diese waren aus meiner Stirn gegelt und ich fühlte mich wie in Stein gemeißelt und eklig.
«Und du brauchst jetzt nicht sagen, dass alles gut ist. Denn dann würdest du nicht hier auf dem Klo hängen und-,» Sie stockte wieder und blieb an meinen Unterarmen hängen, die aufgrund des Shootings frei lagen, aber komplett überschminkt wurden.
Ich hatte lange dagegen angekämpft und meine Armbänder nicht ausziehen wollen, bis eine Visagistin von dem Studio hier die Narben gesehen und leise gemeint hatte, dass sie sie grob für mich überschminken würde, wenn mir das lieber wäre. Damit niemand davon erfahren würde.
Barbara langte nach meiner Hand und drehte sie um. Ihre Augen überflogen meinen Unterarm und sie schob den Rest meines Ärmels weiter hoch, bis zur Mitte meines Oberarms, wo kein Make-up mehr war. Es passte mir nicht. Echt, ich wollte ihr das nicht zeigen, doch was würde es mir jetzt noch bringen, zu sagen, dass das nichts war und sie nichts anging?
Ich hatte ja niemanden mehr, an den ich mich sonst wieder wenden konnte. Und ich wollte jetzt auch nicht toben, denn hier waren irgendwo zwei Journalisten, welche später noch Interviews mit mir führen wollten. «Dario...» Ich zog meine Hand weg und stand auf. Weg von ihr und ihrem bemitleidenden Blick. «Dachtest du etwa, meine Songtexte seien nur erfunden? Dachtest du, ich schreibe zum Spaß solche traurigen Songs?» Sie schwieg und sah mich einfach nur aus glasigen Augen an.
«Ja, ich habe gelogen. Ich bin krank und das nicht nur ein bisschen. Ich bin verdammt nochmal krank und ein richtig verkorkster Mensch.» Barbara stand auf und versuchte verzweifelt nach den richtigen Worten. «Ich bin psychisch krank, habe mir damit meinen Körper kaputt gemacht und komme immer noch nicht damit klar. Punkt.» Sie sagte noch immer nichts. Wollte sie eine bessere Erklärung?
Meine Fresse, jetzt wusste sie es eh schon. Nach dem hier war es aus mit der Karriere und meiner Musik. Da konnte ich jetzt auch ehrlich sein. Vielleicht würde man mich dann endlich in Ruhe lassen. «Ich bin ein Heimkind, das von den Pflegefamilien geschlagen wurde und vom eigenen Vater emotional und auch körperlich verletzt wurde, meine Mutter ist ein verdammter Junkie und ich bin mit 11 oder 12 abgestürzt, wurde währenddessen aber auch noch von einer 18-Jährigen sexuell missbraucht und hatte bis zu meinem 16. Geburtstag starke Drogenprobleme. Ach ja, ich habe eine von meinen Traumata und Depressionen bedingte Anorexie und leide, seit der Scheiße hier mit den Shootings und dem gut aussehen, nur noch mehr an ihr. Und ja, am 19. April, meinem 17. Geburtstag, ist es dann ein Jahr her, seit ich mir meine verdammten Pulsadern durchtrennt habe. Da. Zufrieden? Jetzt weißt du, was los ist und wieso ich so eine Enttäuschung von Mensch und Promi bin.»
Ich hörte Schritte und Lex' Stimme ertönte. «Dario? Bist du hier?» Er machte die Badezimmertür auf und stoppte erschrocken, als er Barbara vor mir stehen sah, welche sich noch nicht getraut hatte, wieder etwas zu sagen. Aber sie wandte sich dann an Lex und strich sich die Träne, die ihr über die Wange geschlichen war, hastig wieder weg. «Du weißt es? Du weißt, dass er-» Lex brauchte einige Sekunden, bis es ihm klar wurde, wovon sie sprach. «Ich bin sein Betreuer und bin psychisch für ihn da, ja. Ich weiß davon.»
Barbara taumelte etwas, doch hielt sich an der Tür fest. «Sowas muss ich doch als deine Managerin wissen! Ich meine, Dario das ist wichtig!» «Echt? Es hat dich die letzten Monate aber nicht wirklich interessiert, wenn ich flachgelegen habe oder nicht wollte. Ist dir meine Gesundheit jetzt nur wichtig, weil ich wirklich krank bin? War es dir davor nicht wichtig?» «Nein, es-, ich bin gerade etwas überfordert. Ich-, es tut mir leid, Dario.»
Lex wollte etwas sagen, doch jemand klopfte an und fragte, wann ich wieder bereit fürs Shooting war. Barbara eilte der Person zuvor und stoppte sie. «Er kommt gleich. Ich finde, das Outfit war mit der Jacke besser, oder? Ich denke, wir sollten nur Fotos mit der Jacke machen. Passt doch auch viel besser zur Jahreszeit, was?» Ich hörte sie unsicher lachen und mit den anderen diskutieren.
Lex' Augen klebten an mir. «Bist du okay?» «Nein, Lex. Ich bin nicht okay. Das hätte nicht passieren dürfen. Jetzt weiß-» «Nein, Dario. Das ist gut. Es ist gut, dass sie es weiß. Ich bin der Meinung, dass das nötig war.» Ich zögerte, wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte und wurde beim Zurückgehen dann gleich mit einer grauen Jeansjacke empfangen, die ich über dieses lockere Oberteil anziehen sollte. Ich zog sie mir unsicher über und schaute mich um.
Barbara klatschte in die Hände und meinte, «Dann machen wir paar Fotos und ein Interview. Doch nicht zwei. Wir müssen danach direkt weiter ins Studio.» Mussten wir nicht? Was hatte sie vor?
Und dann wurde ich vor die Kamera geschoben. Jemand fummelte am Kragen der Jacke herum, eine andere tupfte was an meiner Nase und unter meinen Augen rum und ein Typ richtete meinen Gurt. Ich wich aus und sah ihn böse an.
Ich, als Fotoliebhaber und fotogene Person, hatte natürlich die Zeit meines Lebens beim Shooting. Echt, das war der beste Nachmittag von meinem Leben gewesen. So toll, dass ich danach direkt im Meetingzimmer mit dem Kopf voran ins Sofa in der Ecke tauchte und eigentlich nicht an dieser unnötigen Sitzung teilnehmen wollte.
Doch Barbara bestand nun darauf, dass wir alles auf den Tisch legen würden. Rico und Sett waren auch da. Ich, Lex und die anderen drei. «Dario, komm doch auch an den Tisch.» «Wieso? Damit man mich besser vorwurfsvoll und genervt anschauen kann?» «Nein, weil es um dich geht und ich diese Sachen von dir hören möchte. Nicht von Lex.»
Lex seufzte und zog mich vom Sofa hoch. Ich setzte mich schweigend auf den Stuhl zwischen Lex und Rico. Barbara saß vor mir und neben ihr Sett, der noch gar nicht verstand, was genau los war. «Also. Für euch, Sett und Rico, wir sitzen hier, weil ich heute etwas von Dario erfahren habe, was wir schon viel früher hätten wissen müssen. Ich finde, wir alle sollten davon wissen, damit wir entsprechend mit der Situation umgehen können.»
Mein Hals ging zu und ich begann mit meinen Ärmeln meines Pullovers zu spielen. Ich zupfte am Stoff und sank tiefer in meine Lehne. Ich merkte es nicht, doch Lex stoppte kurz später auch mein Knie vom auf und ab wippen. «Dario?» Ihre Stimme war sanft, aber auffordernd. Ich seufzte und sah unsicher auf zu Lex, der mir ermutigend zunickte. «Ich bin krank...» Schwer schluckend sah ich rüber zu Sett, der sein Handy ganz weglegte.
«Also nicht krank krank, sondern psychisch krank. Ich hab' viel Scheiße hinter mir und jetzt einen ziemlichen Schade-» Lex legte eine Hand auf meine Schulter. Sein Blick sagte mir, dass ich nicht so schlecht über mich zu reden hatte.
«Kurz; ich wurde vor einem und einem halben Jahr mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Und das zusammen mit Anorexie und einer posttraumatischen Belastungsstörung.» Dies auszusprechen, hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich fühlte mich entblößt. Ich sprach selten aus, was in meiner Krankenakte stand.
«Ich bin in Pflegefamilien aufgewachsen, wurde dort geschlagen und emotional vernachlässigt und dann kam ich zu meinem Vater, der auch an Borderline erkrankt ist und es mir diesbezüglich nicht einfacher gemacht hat.» Ich hatte Sett noch nie so konzentriert und ruhig zu Gesicht bekommen. Seine Augen klebten förmlich an meinem Mund und Barbara hatte das alles ja schon gehört, doch auch sie schien aufgewühlt.
«Meine ersten drei Lebensjahre war ich bei meiner Mutter, die in meiner Gegenwart Heroin konsumiert hat und mich deswegen auch in einer Drogenhütte zur Welt gebracht hat. Ich bin mit 11 mehr oder weniger abgestürzt und habe es bis zu meinem 15. Lebensjahr so durchgezogen.» Wisst ihr, was mir gerade fehlte? Noè. Ich brauchte sie hier. Mit ihr würde mir das einfacher fallen.
«Ich bin erst seit meinem 16. Geburtstag einigermaßen stabil unterwegs und dann kam das hier und hat mir alles tausendmal schwerer gemacht. Ich habe wieder mit dem Rauchen angefangen und war die letzten Wochen so im Stress, dass ich letzte Woche wegen einer Nikotinüberdosis und keiner Grippe zum Arzt musste. Und ich kann kaum mehr was essen, seit man Rico dazu beauftragt hat, mich in Form zu kriegen. Auch deswegen bin ich ins Krankenhaus. Ich bin in der Nacht zuvor zusammengeklappt und Noè musste mich aufpäppeln.»
Ich rieb mir meinen rechten Unterarm und versuchte das Zittern in meiner Unterlippe zu bändigen. «Ich habe einen schweren Selbstmordversuch hinter mir und habe manchmal immer noch die Tendenz dazu, es wieder zu tun. Vor allem bei solchem Stress.»
Ich sah nun auf zu Barbara, denn ich wollte, dass sie verstand, dass ich es nicht böse meinte, wenn ich sie anfuhr oder Sett angiftete. «Borderliner können ihre Emotionen nicht regulieren. Es gibt nur den Himmel oder die Hölle. Schwarz oder Weiß. Liebe oder Hass. Nichts dazwischen. Deswegen bin ich immer so launisch. Und nicht, weil ich das mit der Musik gar nicht möchte oder alles und jeden hasse.» Lex begann sanft zu lächeln. Was denn?
«Ich habe die Tendenz zu impulsivem Verhalten, wenn ich über- oder unterstimuliert bin und ich habe verdammt schlimme Verlustängste, die wieder zum impulsiven oder sogar suizidalen Verhalten führen. Ich habe ein ziemlich hohes Suchtpotential. Ich hatte eine Tablettensucht und nicht wenig getrunken und Weed geraucht. Ich war süchtig danach, mich mit meinen Kippen einzubrennen, ich habe mir mit allem, was scharf genug war oder gemacht werden konnte, Wunden zugefügt. Ich-, Ich-, ich bin kein guter Mensch und ich weiß, dass ich kaum aushaltbar bin, weshalb es mich nun nicht überrascht, wenn das hier ein Ende nimmt. Ich dachte, ich könnte es versuchen, weil ich ja sonst für nichts mehr gut bin, aber ja...» Mein Betreuer meinte nur, dass das nicht stimmte.
«Ich bin inzwischen seit mehreren Monaten wieder komplett clean, was meine Tablettensucht angeht und ich habe schon seit fast einem Jahr nichts mehr getrunken. Ich verletze mich nicht mehr selbst. Nicht physisch, aber manchmal definitiv noch psychisch. Ich bin selbstzerstörerisch und sabotiere mich gerne selbst.»
«Weißt du, was du auch noch bist, Dario?» Ich sah auf und schaute meine Managerin an, die sich ihre Tränen von den Wangen strich. «Was?» «Du bist ein Mensch. Dario, du bist ein verdammter Mensch. Und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen. Es ist mein Fehler, dass ich nicht genauer nachgefragt habe und nur den Ruhm priorisiert habe.»
Ich blieb still und schielte unsicher rüber zu Rico, der aber auch nur nickte und Sett, der sichtlich überfordert mit der ganzen Situation war. «Ich bleibe ehrlich. Unser Team ist nicht für sowas geschult. Wir können dir nicht das bieten, was du brauchst, um hier klarzukommen und gesund zu werden und bleiben. Und du hast diesbezüglich keine guten Erfahrungen gemacht bei uns.» Jetzt kam sie; die Kündigung.
«Aber, wenn du das wirklich möchtest, können wir es nochmals versuchen. Nochmals von null. Wir können uns schulen und darüber besser informieren lassen. Wir können deinen Zeitplan entsprechend anpassen und auch dafür sorgen, dass deine Therapeutin regelmäßig hier ist.» Mein Herz sank. Echt?
Ich stockte und musste unsicher auflachen. Ich blieb ehrlich. «Ich hab' nicht wirklich damit gerechnet, dass ich-, also, dass das eine Option wäre. Ich dachte, ihr werft mich jetzt raus.» «Du bist kein schlechter Mensch und du verdienst eine richtige Chance. Eine Chance, die deinen Ansprüchen entspricht und dich korrekt unterstützt. So wie das bisher lief... Da hattest du keine Chance, Dario.» Ich schaute rüber zu Lex, der mir wieder zunickte.
Sollte ich es wagen? Sollte ich Barbara nochmals eine Chance geben als meine Managerin? Mir passte ihr plötzlicher Wechsel nicht so. Er kam eher unerwartet und das nur, weil ich ihr gesagt hatte, dass ich krank war.
«Mir ist einfach wichtig, dass du so ehrlich bleibst, wie du eben warst, Dario. Wenn wir das nochmals versuchen, brauche ich diese Transparenz. Ich muss wissen, wie es dir geht und was du brauchst.» Ich nickte dann nur schüchtern und sagte leise okay. Ein Versuch war es schon Wert, denke ich. Schließlich hatte ich ja sonst nichts mehr für mich in meinem Leben. Noè war mehr oder weniger weg vom Fenster. Ich hatte sie verloren, weggescheucht.
Ich hatte nun keine Ahnung mehr, was mich erwartete, aber ich sagte zu. Ich versuchte, Barbara zu vertrauen und hoffte darauf, dass sie wirklich Rücksicht auf mich und meine noch mit Blut triefenden Pflaster nehmen würde, bis ich sie runternehmen konnte.
Dachte mir beim Schreiben von Darios Dialog so; Damn, der hatte viel durchgemacht.
Das nochmals alles zu schreiben und lesen, hat mir das nochmals gezeigt... Vergesse es manchmal.
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