-40-
Song: Three Little Birds - Christopher Lennertz
Connor's P.O.V.
Der Rückweg ist eigentlich noch nervenaufreibender als der Hinweg.
Ich laufe durch die Straßen und erschrecke mich vor meinem eigenen Schatten, vor den kleinen Kindern auf ihren Laufrädern und den gestressten Büroangestellten, die aus ihrer Mittagspause zurück in die klimatisierten Gebäude flüchten.
Ich laufe schneller als sonst, der Schweiß an meinem Körper ist mir egal. Ich habe ein ungutes Gefühl in der Brust.
Als ich in unsere Sackgasse einbiege, habe ich Angst, die Augen zu heben.
Was, wenn ich ein schwarzes, langes Auto vor unserer überwucherten Einfahrt stehen sehe?
Aber da ist nichts. Dennoch weicht die Spannung nicht aus meinen Schultern.
Ich husche um den kaputten Zaun, gehe in die Knie, um nicht in voller Größe vor das Wohnzimmerfenster zu treten und ziehe mich so schnell wie möglich an der Dachrinne empor.
Die nächsten nervenzermürbenden Sekunden stehen an.
Wird meine Mutter auf meinem Bett sitzen, wenn ich gleich den Kopf zu meinem Fenster hochstrecke?
Doch mein Bett ist leer, genau wie der Rest meines Zimmers.
Mit sachten Schritten bewege ich mich über das Dach und schiebe mein Fenster auf, schlüpfe in den stickigen Raum dahinter und finde meinen kleinen Zettel unberührt auf meinem Kissen vor.
Ich klettere schon lange fast jede Nacht aus meinem Fenster.
Mach dir keine Sorgen, ich komme gleich wieder zurück.
C.
Ich zerreiße das kleine Stück Papier in winzige Schnipsel und lege das traurige Konfetti auf meine Kommode.
Und dann bin ich wieder da, wo ich angefangen, aufgehört habe; im Zustand des Nichts.
Ich sitze auf meinem Bett, als wären die letzten Minuten nie passiert, als hätte ich das Haus nie verlassen. Doch jetzt sind da andere Gedanken und Bilder in meinem Kopf, wenn ich gegen die Tür mir gegenüber starre.
Ich denke an Trace und seine Lippen an meinen Händen, die plötzlich interessanter erscheinen als das dunkle Holz der Tür.
Wenn ich doch nur in der Lage gewesen wäre, ihn an mich zu ziehen. Wenn es doch nur das Richtige gewesen wäre.
Zurück in diesen vier Wänden übermannt mich die Angst, ob auch das ein letzter Abschied gewesen ist. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber ich bin immer noch bei Verstand und ich kann mir ausmalen, wie sehr mich eine Begegnung mit meinem Vater verändern könnte.
Je länger ich auf meinem Bett sitze und spüre, wie sich die unsichtbaren Metallketten weiter um meine Brust zusammenziehen, desto größer und alles einnehmend wird meine Angst vor dem Morgen.
"Lächerlich", sage ich in die Stille und meine es auch so.
Er ist nur ein Mensch, seine Gene leben in mir weiter. Er besteht aus Fleisch und Blut und ich könnte ihn genauso verletzen wie er mich.
Nur bräuchte ich Messer oder eine Waffe. Ich würde ihm einfach in den Kopf schießen, wenn er vor unserer Einfahrt auftauchen würde.
Aber ich habe keine Waffe, wir besitzen nicht mal ein sonderlich langes Küchenmesser und ich bin noch immer ein Fliegengewicht.
"Lächerlich."
Dieses Mal bekommt das Wort eine ganz andere Bedeutung.
Bevor mich meine Gedanken noch auffressen und mich zurück in den kleinen verängstigten Jungen verwandeln, der ich einst war, verlasse ich mein Zimmer und renne die Treppe nach unten. Die vorletzte Stufe knackt bei meinem harten Auftreten. Sie bricht nicht, aber ich spüre, wie sie ein großes Stückchen weiter aus ihrer Verankerung gehoben wird. Genau wie mein Leben.
Mom sitzt noch immer am Esstisch, das Gesicht in ihre Hände gebettet. Neben ihr meine hilflose Schwester, die zu viel und doch zu wenig weiß.
Ihre großspurigen Worte kommen mir wieder in den Sinn; wie sie mit Dad mitgehen wollte, wenn er sie nur fragen würde. Wie sie wohl jetzt über ihre naive Äußerung denkt?
Ihre Augen finden mich, als ich mich nähere und auf der anderen Seite von Mom Platz nehme.
Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem ich von diesem Stuhl aufgestanden bin, doch mit einem Mal befinde ich mich wieder an Ort und Stelle, die Uhr tickt weiter und wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben.
Mein ganzer Mund brennt, mein leerer Magen krampft sich zusammen, als Mom wieder anfängt zu schluchzen. Es ist der schrecklichste Klang der Welt.
Mrs. Adams freundliche Einladung zum Abendessen hallt durch meinen Kopf. Und dann sehe ich meine Mutter, meine Familie.
Nein, ich hätte nicht bleiben können. Ich muss jetzt zu meiner Familie halten.
"Es tut mir leid, ihr beiden. Ich habe auf ganzer Linie versagt. Ich dachte, wir schaffen das. Nein, ich. Ich schaffe das. Aber das habe ich nicht und das tut mir leid. Das alles hier...", sie blickt sich in der dämmrigen Küche um, "war umsonst!"
Ihre blaue Kaffeetasse fliegt vom Tisch und auf die braunen Fliesen neben der Spüle.
Ich zucke kaum zusammen. Kelsey hingegen zittert wie Espenlaub und klammert sich an den Arm unserer Mutter.
"Sowas darfst du nicht sagen, Mom!"
Man hört ihre Tränen, bevor man sie sieht.
Mein Arm ist nicht lang genug und doch versuche ich, sie zu erreichen.
"Kelsey hat recht", steuere ich ihr bei. "Wir schaffen das hier auch noch. Wir sind so weit gekommen. Was soll er schon machen?"
Vier tränengefüllte Augen blicken vorwurfsvoll zu mir. Es war eine dumme Frage.
Ich blicke in meinen Schoß und denke über Traces Anregung nach. Er hat recht. Wir müssen uns jemandem anvertrauen. Nicht irgendjemandem. Jemandem, dem wir vertrauen können und der bereit ist und zu helfen, auch im verdammten Bundesstaat Texas.
Irgendjemand da draußen wird uns zuhören und verstehen und helfen.
Ich teile meine Lippen, um Mom vorsichtig die Idee zu unterbreiten, doch sie ist noch nicht fertig.
"Ich habe euch so viel zugemutet und dabei waren wir gefangen wie die Hamster im Laufrad. Wir dachten, wir bewegen uns vorwärts, dabei haben wir uns nicht einen Millimeter von ihm fortbewegt. Nein, Connor! Es ist wahr und wir brauchen jetzt nicht einen auf Optimisten tun."
"Aber hast du dir nie Gedanken darüber gemacht, mal jemanden um Hilfe zu bitten?"
"Connor, lass gut sein", murmelt Kelsey, doch da liegt ein Schrei in ihren Augen, als ich sie flüchtig anblicke.
"Warum? Warum soll ich es lassen? Wir können nicht immer den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass uns keiner sieht!"
"Bitte! Dann rufe ich am besten gleich mal Earl an, der wird uns bestimmt helfen!"
Meine Mutter gleicht einer Furie, einem Tanzbären im Wanderzirkus, den man einmal zu oft ins Fell gestochen hat.
"Das meine ich doch gar nicht", sage ich mit deutlich leiserer Stimme, denn ihren störrischen Boss von der Tankstelle habe ich wirklich nicht gemeint.
"Wir haben aber niemanden sonst, geht das in deinen Kopf?! Wir sind hier ganz allein. Allein, Connor, kapiert? Wir haben niemanden."
Sie betont jede Silbe dieses einsamen Wortes.
Ich will ihr sagen, dass wir jemanden haben und dass dieser jemand eine Familie hat, Erwachsene, die bestimmt helfen, aber ich kann nicht.
Ich bekomme kein Wort heraus. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich sie verraten, unser Geheimnis verraten habe.
Außerdem sieht Kelsey so aus, als würde sie gleich hyperventilieren. Ich bin gelähmt, gefesselt, wieder einmal unbeweglich gemacht.
Mom greift nach meiner Hand. Unsere Finger sind kalt.
"Tut mir wirklich leid, ja?"
"Ja."
Ich nicke und klammere mich an sie, als ob ihre Hand mich vor dem Ertrinken retten könnte.
Kelsey ist zu still, zu schweigsam. Sie bemerkt meinen Blick und weicht ihm aus.
"Wir schaffen das schon", sage ich erneut.
Da springt sie vom Stuhl auf und läuft in die Küche, tritt in die Scherben der Kaffeetasse und gießt sich ein Glas Leitungswasser ein.
"Wenn wir einfach nur-"
_______________________________
Nein, euer Wattpad war gestern nicht kaputt und meins auch nicht. Ich habe einfach nicht geuploadet xD
Sometimes life happens... But we're back :)
Zum Kapi-Song: ich wollte ihn absichtlich für beide P.O.V. einsetzen. Was sagt ihr? Weil er ja doch ganz anders wirkt, je nachdem aus welcher Perspektive man liest... :)
Ich denke einige von euch haben schon den Kommentar von der lieben Astrid gelesen, aber eben noch nicht alle; sie empfiehlt die neue Serie "Gestern waren wir noch Kinder" (ZDF Mediathek) und ich kann mich nur anschließen. Ist wirklich, wirklich gut gemacht.
So, ich muss weiter, seufz.
I love u all xx
All my Love,
Lisa
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro